Deutschland im April 1945: Der Zweite Weltkrieg war entschieden, und das Hitlerreich erlebte seine letzten Tage. Aber sein grauenhaftes Antlitz sollte es erst noch offenbaren. Als britische Soldaten unweit der Stadt Celle ein verstecktes Lager entdeckten, fanden sie darin die Hölle auf Erden vor...
Im Schritttempo bewegt sich das Militärfahrzeug durch ein Spalier aus jubelnden Menschen. Frauen und Kinder stehen winkend an einem Stacheldrahtzaun und können ihr Glück kaum fassen. Doch je tiefer die Soldaten in das Lager vordringen, desto erschreckender sind die Bilder. Menschen mit leerem Blick, die so entkräftet sind, dass sie nur noch im Liegen trinken können. Ein Junge wankt auf seinen dürren Beinen ziellos durch den Staub. Daneben nackte Leichen, die zu Hunderten ineinander verkeilt aufgestapelt sind.
Ja, die britischen Soldaten haben mit dem Schlimmsten gerechnet. Aber das, was sie hier zu sehen bekommen, liegt jenseits aller menschlichen Vorstellungskraft.
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Jetzt runterladen!Als britische Truppen am 15. April 1945 das Konzentrationslager Bergen-Belsen in Niedersachsen befreiten, waren auch Kameramänner unter den Soldaten. Sie sollten im Auftrag der britischen Regierung das Grauen der Nazis filmisch festhalten, um den Deutschen ihre Verbrechen vor Augen führen zu können. Die Aufnahmen landeten jedoch im Archiv, weshalb sie erst Jahrzehnte später gezeigt wurden. Denn schon bald ging es der britischen Regierung weniger darum, die Deutschen mit ihrer Schuld zu konfrontieren; jetzt wollte man sie als Partner gewinnen. Der Wiederaufbau hatte Priorität. Vor allem aber brauchte man die Deutschen als Verbündete gegen den drohenden Feind im Osten: die Sowjetunion.
Was aber hatte sich hinter den Toren des Vernichtungslagers abgespielt? Das Grauen von Bergen-Belsen hatte bereits zu Beginn des Zweiten Weltkrieges begonnen. Bergen war ursprünglich ein Truppenübungsplatz der Wehrmacht gewesen, und im Nachbarort Belsen wurde nun ein Kriegsgefangenenlager errichtet. Zunächst sperrte man hier Belgier und Franzosen ein, dann sowjetische Kriegsgefangene. Zehntausende. Sie vegetierten unter unmenschlichen Bedingungen dahin, starben an Hunger, Kälte oder Seuchen. Im Frühjahr 1943 übernahm die SS den südlichen Teil des Lagergeländes und nutzte ihn als Konzentrationslager. In das sogenannte „Aufenthaltslager Bergen-Belsen” wurden nun auch jüdische Häftlinge gebracht, um sie gegen deutsche Gefangene im Ausland auszutauschen. Doch nur ein Jahr später begannen die Nazis damit, immer mehr Menschen aus anderen Konzentrationslagern in dem Lager einzupferchen – als billige Arbeitskräfte für die deutschen Rüstungsfabriken. Bergen-Belsen war nun ein KZ wie Neuengamme, Sachsenhausen und Ravensbrück. Ende 1944 wurde das Gelände schließlich zum Ziel von völlig entkräfteten Häftlingen aus frontnahen Konzentrationslagern im Osten. Da die sowjetische Armee immer näher rückte, trieb man die Menschen auf entsetzlichen Todesmärschen ins Hunderte Kilometer entfernte KZ Bergen-Belsen...
Neben zahlreichen Häftlingen aus dem Vernichtungslager Auschwitz trieben die Nazis auch unzählige Polen nach Bergen-Belsen, die im Warschauer Aufstand gegen die deutschen Besatzer gekämpft hatten. Das Konzentrationslager, das die Nazis für 10.000 Menschen angelegt hatten, war bald völlig überfüllt. Für die mehr als 80.000 KZ-Häftlinge gab es kaum Nahrung und Wasser. Seuchen breiteten sich aus. Doch die Nazis hörten nicht auf, unentwegt neue Gefangene in das verwahrloste Lager zu pferchen, während dort Tag für Tag Hunderte Menschen umkamen: Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, politisch Verfolgte aus ganz Europa. Eine von ihnen war die 15-jährige Jüdin Anne Frank, die im März 1945 starb und deren Tagebuch ein erschütterndes Dokument des Holocaust ist. Überlebende von Bergen-Belsen berichteten, dass sie gebetet hätten, von alliierten Bomben getroffen zu werden. Sie beteten um einen schnellen Tod, denn niemand glaubte noch an die Befreiung. Dabei kamen die Alliierten mit jedem Tag näher. Die SS mit Reichsführer Heinrich Himmler an der Spitze wusste das natürlich am allerbesten. Himmler selbst hatte mit den heranrückenden Alliierten sogar einen Waffenstillstand in einem Umkreis von knapp 50 Kilometern um das Lager vereinbart. Es sollte kampflos übergeben werden. Zeigte der oberste SS-Verbrecher etwa plötzlich menschliche Regungen? Im Gegenteil. Er brauchte bloß Zeit, um die Verbrechen zu verschleiern. Vermutlich war es die Typhus-Epidemie im Lager, die Himmler daran hinderte, das KZ räumen zu lassen. Stattdessen machte sich der größte Teil der Bewacher aus dem Staub, nachdem sie sämtliche Beweise ihrer Verbrechen und die Listen mit den Häftlingsnamen vernichtet hatten. Zehntausende Insassen blieben hinter den Stacheldrahtzäunen ihrem Schicksal überlassen – ohne Wasser, ohne Nahrung. Nicht einmal die Hoffnung auf einen schnellen Tod war ihnen geblieben.
Als die Briten am 15. April 1945 endlich die Tore zum KZ Bergen-Belsen aufstießen, wurden sie von einem Schreckensszenario überwältigt: Ausgemergelte Menschen taumelten wie Geister ziellos umher. Rund 10.000 Leichen fanden die Soldaten auf dem Gelände – Zehntausende Menschen lagen im Sterben. Rund 60.000 Männer, Frauen und Kinder hatten seit drei Wochen gehungert, waren zu Skeletten abgemagert und völlig abgestumpft. Den schockierten Soldaten blieb nichts anderes übrig, als die Baracken niederzubrennen und die Toten schnellstmöglich in Massengräbern zu verscharren, um die Überlebenden vor weiteren Seuchen zu schützen. In der nahegelegenen Militärkaserne wurden Krankenstationen eingerichtet. Doch so schnell und effizient die Männer auch zu Werke gingen: Selbst nach der Befreiung von Bergen-Belsen starben noch mehr als 13.000 Menschen an den Folgen von Entkräftung, Hunger und Krankheiten. Und die meisten Überlebenden sollten noch Jahrzehnte später unter dem Trauma von Bergen-Belsen leiden.
Während das Vernichtungslager Auschwitz mit der industrialisierten Menschenvernichtung der Nazis gleichgesetzt wird, steht der Name Bergen-Belsen für das langsame Sterben Zehntausender Häftlinge, die von der SS einfach ihrem Schicksal überlassen wurden. Noch im Jahr der Befreiung des Lagers ließ die britische Militärregierung ein Mahnmal auf dem ehemaligen Lagergelände errichten, unter anderem eine Inschriftenwand mit Obelisk und einen Gedenkstein. Bis 1950 wurde Bergen-Belsen als Displaced Persons Camp für polnische und jüdische Personen benutzt. Heute ist dieser Ort unfassbaren Grauens ein wichtiger Ort gegen das Vergessen: die Gedenkstätte Bergen-Belsen (Anne-Frank-Platz, 29303 Lohheide) mit Dokumentationszentrum, Dokumentenhaus und Dauerausstellung.
Zusammenfassung
Vom Beginn des Zweiten Weltkrieges an wurde bei der Ortschaft Bergen in der Lüneburger Heide ein Lager für Kriegsgefangene eingerichtet. Später wurde es zum Konzentrationslager ausgebaut.
Die Nazis trieben immer mehr Häftlinge aus frontnahen Konzentrationslagern im Osten nach Bergen-Belsen. Schnell war das Lager komplett überfüllt. Die inhaftierten Männer, Frauen und Kinder starben an Hunger, Krankheiten und Seuchen.
Als die Alliierten 1945 in Deutschland vorrückten, gaben die Nationalsozialisten das Lager Bergen-Belsen kampflos auf und überließen rund 60.000 eingepferchte Menschen ihrem grausamen Schicksal.
Am 15. April 1945 öffneten britische Soldaten das Lager Bergen-Belsen. Doch auch nach der Befreiung starben noch mehr als 13.000 ehemalige Lagerinsassen an den Folgen der menschenunwürdigen Bedingungen.
Teste dein Wissen im Quiz
A) Auschwitz
B) Ravensbrück
C) Dachau
D) Bergen-Belsen
A) Tsila Dropkin
B) Anne Frank
C) Isabella Grinewskaja
D) Rachel Korn
A) Artur Axmann
B) Martin Bormann
C) Gregor Strasser
D) Heinrich Himmler
A) 15. April 1945
B) 8. Mai 1945
C) 25. August 1945
D) 1. September 1945
Richtige Antworten:
1. D) Bergen-Belsen
2. B) Anne Frank
3. D) Heinrich Himmler
4. A) 15. April 1945