Ende der 1940er-Jahre in Ostdeutschland. Die Sowjetische Militärverwaltung und die neue Einheitspartei SED bestimmten den politischen Kurs – und der hieß: Aufbau des Sozialismus. Das bedeutete zunächst vor allem eines: die Enteignung aller größeren Betriebe. Auf dem Land gab es eine „Bodenreform“. In dieser Story hörst du, was sie für die Menschen bedeutete − und warum sie bald eine völlig andere Richtung bekam.
Die Anspannung ist der kleinen Familie deutlich anzumerken. Ungläubig steht sie am Rande des Mecklenburger Ackers und beobachtet einen Mann, der roboterhaft und mit langsamen Schritten auf sie zukommt. In der Hand hält er einen riesigen aufgeklappten Stechzirkel aus Holz, den er im Rhythmus seiner Schritte mitdreht. Es wirkt beinahe so, als marschiere ein dürrer Riese neben ihm her. Ein Riese ohne Oberkörper. Die Kinder kichern und stupsen sich gegenseitig an. Unbeirrt setzt der Mann mit dem Stechzirkel seinen gleichförmigen Schritt fort. Und wer genau hinhört, kann ihn leise zählen hören. Dann bleibt er plötzlich stehen. Ein zweiter Mann rammt genau dort eine Stange in den herbstlich kahlen Ackerboden. Dann winkt er den Vater zu sich, überreicht ihm ein Blatt Papier. „Das ist jetzt euer Land“, sagt er kurz angebunden – und geht auch schon weiter, zum Nächsten.
Die Familie umarmt sich freudig – der Traum vom eigenen Ackerstück in einer neuen Heimat ist wahr geworden. Dass dafür allerdings ein anderer seine Existenz verloren haben muss – dieser Gedanke hat an diesem Tag keinen Platz …
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Jetzt runterladen!Unmittelbar nach Kriegsende hatte in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) eine großangelegte Enteignungswelle begonnen. Und die betraf nicht nur die Unternehmen, sondern auch alle größeren Landwirtschaftsbetriebe im Osten Deutschlands.
„Junkerland in Bauernhand“ hieß die Parole. „Junker“, das war eine Anspielung auf die adeligen Großgrundbesitzer, die vor allem im Nordosten des ehemaligen Deutschen Reiches gewaltige Landgüter besessen hatten. Sie galten als die wichtigste wirtschaftliche Stütze des NS-Militarismus. Aber nicht alle Großbauern waren auch adelig und Nutznießer des NS-Systems gewesen! Die Sowjetische Militäradministration (SMAD) und die deutschen Kommunisten nahmen einfach jeden Landwirt ins Visier, der mehr als 100 Hektar Nutzfläche sein Eigen nannte. 100 Hektar Land, das entspricht einem Quadratkilometer − also einer Fläche von 1000 Metern in der Länge und 1000 Metern in der Breite. Im Grunde nicht übermäßig viel, zumal auch Heuwiesen, Weideland und Waldbesitz dazuzählten.
Der bürokratische Rahmen für die Bodenreform wurde Ende August in der ersten Sitzung des sogenannten antifaschistisch-demokratischen Blocks in der damaligen Provinz Sachsen (heute Sachsen-Anhalt) festgelegt. Die liberale LDPD versuchte noch, eine Anhebung der 100-Hektar-Grenze zu erreichen, die CDU-Führung lehnte entschädigungslose Enteignungen grundsätzlich ab. KPD und SPD aber drückten den Beschluss durch, so wie es die sowjetischen Militärverwalter vorgaben. Er umfasste nicht nur den Boden, sondern auch Gebäude, Vieh und die gesamte bewegliche Habe. Und: Wer verdächtig war, ein „Naziaktivist“ gewesen zu sein, sollte auch bei kleinerer Betriebsgröße enteignet werden. Es liegt nahe, dass dieser Beschluss auch purer Willkür und Denunziationen aus Neid und Habgier Tür und Tor öffnete. Am Ende sollte dieses Schicksal rund 4000 bäuerliche Betriebe unter 100 Hektar treffen.
Im September setzte sich die Enteignungswelle in Bewegung, unaufhaltsam. Zahllose Gutsherren, aber eben auch alteingesessene Bauernfamilien wurden mit Polizeigewalt von ihren Höfen gejagt. Sie durften kaum mehr mitnehmen als Kleider und Bettzeug. All ihr Besitz wurde zu „Volkseigentum“ erklärt: Gebäude und Ackergerät, Ackerland und Wälder, Kühe und Pferde, ja sogar die Möbel. Aber wer sollte die landwirtschaftlichen Nutzflächen in Zukunft bewirtschaften?
Die sowjetische Militärverwaltung ließ zunächst alle enteigneten Flächen in einem sogenannten Bodenfonds zusammenfassen. Ungefähr zwei Drittel davon wurden an Landarbeiter, landlose Kleinbauern und sogenannte „Umsiedler“ verteilt. „Umsiedler“, das war in der Sowjetzone die beschönigende Bezeichnung für jene Menschen, die im Zweiten Weltkrieg vor der Roten Armee aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten geflohen oder nach Kriegsende von dort vertrieben worden waren. Rund 91.000 von ihnen durften nun auf dem Bodenreformland sogenannte „Neubauernstellen“ mit acht bis zehn Hektar Fläche antreten.
Das hieß natürlich nicht, dass sie gleich einen richtigen Bauernhof bekommen hätten! Die „Umsiedlerfamilien“ wurden bei anderen Landwirten einquartiert oder sie hausten in den verlassenen Gutshäusern – zusammengepfercht mit zahlreichen anderen Schicksalsgenossen. Dennoch begannen sie voller Hoffnung auf ihrem neuen Besitz zu wirtschaften. Es konnte ja nur besser werden! Aber es fehlte an Scheunen und Stallgebäuden, Zugtieren und Ackergeräten. Mit Ochsenpflug und Hacke wurde der Boden beackert, Rüben und Kartoffeln von Hand geerntet, Getreide wie zu Großvaters Zeiten mit der Sense gemäht.
Nachdem sich 1946 die Sozialistische Einheitspartei – SED – gegründet hatte, griff sie immer rigoroser in die bäuerlichen Wirtschaften ein. Schließlich sollten ja die Arbeiter in den Städten nicht Hunger leiden, während sie den Sozialismus aufbauten! Also wurden immer höhere Abgaben gefordert. Getreide, Milch, Eier – für alles gab es ein „Soll“, das zu erfüllen war. Aber die meisten Betriebe waren schlicht zu klein. Sie konnten vielleicht die Familie ernähren, aber für Abgaben in der geforderten Höhe reichte es nicht.
Ja, und dann kamen die SED-Funktionäre in Ost-Berlin auch noch auf eine glorreiche Idee, wie sie den Wohnungsbau ankurbeln könnten: Sie ließen vielerorts noch völlig intakte Gutshäuser und Wirtschaftsgebäude abreißen, um die Ziegelsteine für den Bau der dringend benötigten Wohnhäuser zu gewinnen! Das nannten sie blumig „Neubauern-Bauprogramm“.
Keine gute Idee. Denn oft waren die Abbruchziegel nicht mehr brauchbar, und am Ende standen die Existenzgründer vor halbfertigen Rohbauten und halb abgerissenen Wirtschaftsgebäuden ...
Kurz: Der große Traum vom auskömmlichen Leben auf dem eigenen Hof zerplatzte wie eine Seifenblase. Aber für die kommunistische Staatsmacht war diese Bodenreform ohnehin nur ein Zwischenschritt. Ihr eigentlicher Plan war nämlich ein ganz anderer ...
Im Frühsommer 1948 war die große Landverteilung im Wesentlichen abgeschlossen. Aus Sicht der Sowjets und der SED hatte sie ihren Zweck erfüllt: Die althergebrachten Strukturen auf dem Land waren zerschlagen, ein beachtlicher Teil der „Umsiedler“ von der Straße geschafft. Nun konnte man also zum nächsten Schritt übergehen. Denn das eigentliche Ziel stand längst fest: die Kollektivierung der ostdeutschen Landwirtschaft nach dem Vorbild der Sowjetunion! Alle bäuerlichen Betriebe sollten früher oder später in sogenannten Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften – kurz: LPG – aufgehen.
Mittlerweile war die DDR gegründet, und deren Machthaber setzten zunächst auf freiwillige Zusammenschlüsse. Einige Kleinbetriebe hatten ja auch schon begonnen, sich gegenseitig mit Dreschmaschinen und Traktoren auszuhelfen. Aber das entsprach noch nicht wirklich dem großen Plan. Also stellte die SED die Landmaschinen unter staatliche Verwaltung – und band ihre Nutzung an die Mitgliedschaft in der LPG. Gleichzeitig wurde mit gewaltigem Propagandagetöse für den Eintritt geworben. Tatsächlich gründeten sich bald die ersten Produktionsgenossenschaften.
Aber viele der Neubauern hatten sich unter zu großen Mühen und Entbehrungen aus den schweren Anfangszeiten emporgerappelt. Sie hingen an ihrem Ackerland und ihren Tieren. Und nun sollten sie alles in den großen Topf schmeißen? Niemals!
Kurz: Es waren zu wenige, die freiwillig in die LPG gingen. Also musste nachgeholfen werden. Von 1960 an wurde die Kollektivierung im großen Maßstab mit Druck und Gewalt durchgesetzt. Truppweise wurden Werber auf Lastwagen in die Dörfer gefahren, um dort die Bauernfamilien vom Eintritt in die LPG zu überzeugen. Wer sich widersetzte, wurde öffentlich angeprangert, als Feind der Republik oder gar als Kriegsverbrecher diffamiert. Die Folge: Viele ließen alles stehen und liegen und flohen in den Westen. Es kam sogar zu Versorgungsengpässen. Aber ein großer Teil der Einzelbauern beugte sich schließlich dem Druck. Formal blieben sie ja auch in der LPG Eigentümer ihrer Äcker und Tiere. Dennoch würden sie niemals mehr frei entscheiden dürfen, welche Feldfrüchte sie anbauen oder wie viele Kühe sie halten wollten. Denn sie waren wie jeder andere Betrieb in der DDR nur Rädchen im System. Alles hatten dem Aufbau des Sozialismus zu dienen.
Zusammenfassung
Vom Herbst 1945 bis zum Frühsommer 1948 wurden in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) zahllose Gutsherren, aber auch alteingesessene Bauernfamilien im Zuge der Bodenreform enteignet. Ihre Äcker, Weiden und Waldstücken wurden an landlose Arbeiter, Kleinbauern und Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten verteilt.
Die kommunistische Staatsmacht betrachtete die Bodenreform jedoch nur als eine Zwischenstation. Das eigentliche Ziel war die Kollektivierung nach sowjetischem Vorbild. Land, Wirtschaftsgebäude, Maschinen und Nutzvieh sollten in Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, kurz LPG, zusammengeführt werden.
Ab 1960 wurde in der DDR die Kollektivierung im großen Maßstab mit Druck und Gewalt durchgesetzt. Wer den Beitritt zur LPG verweigerte, wurde schikaniert und öffentlich angeprangert.
Formal blieben die LPG-Bauern zwar Eigentümer der eingebrachten Felder und Wirtschaftsgüter. Sie durften aber nicht mehr frei darüber verfügen.
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Richtige Antworten:
1. B) Sie wurden enteignet
2. A) Bodenreform
3. C) Umsiedler
4. D) LPG
5. A) 1960
Der Begriff Boden- oder auch Landreform bezeichnet im Grundsatz eine staatlich vollzogene zumeist zwangsweise Umverteilung von Grundeigentum. Landreformen gab es schon im antiken Griechenland mit dem Ziel, gerechtere Eigentumsverhältnisse zu schaffen. Aus ähnlichen Motiven gab es in Europa Bodenreformen nach der Französischen und der Russischen Revolution. Später verbot Revolutionsführer Lenin allerdings jeden privaten Landbesitz. Die Reichsverfassung der Weimarer Republik räumte dem Staat das Recht ein, Grundbesitz zu enteignen, wenn „dessen Erwerb zur Befriedigung der Wohnbedürfnisse, zur Förderung der Siedlung und Urbarmachung oder zur Hebung der Landwirtschaft nötig ist“. Im Nationalsozialismus wiederum verfügte das sogenannte Erbhofgesetz die „Unveräußerlichkeit des Bodens“. Das bedeutete: Bauern konnten nicht mehr als Eigentümer über ihre Betriebe verfügen und durften sie nicht unter mehreren Erben aufteilen. Bauernsöhne, die hier leer ausgingen, sollten nach der Ideologie der Nazi-Partei NSDAP in die Ostgebiete gehen, um dort neue „Erbhöfe“ zu gründen.
Vom Herbst 1945 bis zum Frühsommer 1948 wurden in der Sowjetischen Besatzungszone zahllose Landbesitzer von ihren Höfen und Gütern vertrieben. Diese entschädigungslose Enteignung und Umverteilung des ländlichen Grundeigentums in der Sowjetischen Besatzungszone lief unter dem Oberbegriff „Bodenreform“.
Vom September 1945 an wurden mehr als 7000 Landgüter und Bauernhöfe sowie weitere rund 4000 kleinere Betriebe (unter 100 Hektar) entschädigungslos enteignet. Insgesamt waren das rund 3,3 Millionen Hektar und damit mehr als ein Drittel der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche der Sowjetzone. In den traditionellen Agrarregionen Mecklenburg und Vorpommern waren es sogar mehr als 50 Prozent.
Alle enteigneten Flächen wurden zunächst in einem sogenannten Bodenfonds zusammengefasst. Aus diesem wurden 2,2 Millionen Hektar an sogenannte Neubauern, Landarbeiter, landlose und landarme Kleinbauern sowie Geflüchtete und Vertriebene (sogenannte Umsiedler) verteilt. Sie sollten eine neue Existenz bekommen, weshalb die Bodenreform zunächst auch in großen Teilen der Bevölkerung begrüßt wurde. Die restlichen 1,1 Millionen Hektar Nutzfläche wurden verstaatlicht und in sogenannte Volkseigene Güter (VEG) eingebracht.
Nein. In den 2+4-Verhandlungen zwischen den beiden deutschen Staaten und den Alliierten wurde beschlossen, die Ergebnisse der Bodenreform beizubehalten. Dies galt nach vorherrschender Ansicht sogar als Bedingung dafür, dass Deutschland seine volle Souveränität wiedererlangte. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte 1991 die Rechtmäßigkeit der Bodenreform. Damit bleiben alle damals Enteigneten ohne Entschädigung.
In der DDR wurden bäuerliche Kleinbetriebe zunächst freiwillig, dann unter zunehmendem Propagandadruck in Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) kollektiviert. Ab 1960 wurde in der DDR die Zwangskollektivierung im großen Maßstab durchgesetzt.