Im Leben wie in der Kunst brach Caravaggio Regeln und Gesetze. Er rebellierte gegen den Stil der Renaissance und deren Suche nach Schönheit und Harmonie. Stattdessen brachte er die dramatische, dunkle Malerei des Barock auf den Weg. In dieser Story erfährst du, wie abgründig auch sein Leben verlief.
Rom im Mai 1606. Es ist der Jahrestag der Papstwahl. Noch am späten Abend ziehen die Menschen jubelnd durch die Stadt. Es wird gelacht, getrunken und getanzt. Acht jungen Kerlen aber ist nicht nach Feiern zumute. Mit gezogenen Schwertern stehen sie einander gegenüber. Unter den Männern ist auch Caravaggio, der stadtbekannte Maler. Hochtalentiert ist er – und ein temperamentvoller Raufbold. Keinem Streit geht er aus dem Weg. So auch heute. Die Ader an seiner Stirn pocht heftig, während er seine Gegner fixiert. Es gilt, eine Rechnung zu begleichen. Welche? Das ist den acht Hitzköpfen egal. Irgendwer hat irgendwen beleidigt oder einer dem anderen die Freundin ausgespannt. Vielleicht ist es aber auch nur die Lust am Pöbeln und Prügeln, die sie hier zusammengeführt hat. Da fliegen auch schon die ersten Fäuste, Schwerter klirren. Fluchend stürzt sich Caravaggio auf den Nächstbesten. Sein Name: Ranuccio Tomassoni. Tief bohrt sich die Waffe in dessen Fleisch. Auch Caravaggio kommt nicht unverletzt davon, Blut fließt aus einer Wunde am Kopf. Doch er schafft es, sich in Sicherheit zu bringen. Tomassoni hingegen stirbt noch in derselben Nacht.
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Jetzt runterladen!Wer ist dieser Mann, der in jener Nacht zum Mörder wurde und seither auf der Flucht war? Geboren wurde er am 29. September 1571 in Mailand als erster Spross des Maurermeisters Fermo Merisi und dessen Frau Lucia. Sie tauften ihn auf den Namen Michelangelo. Womöglich in Erinnerung an den großen Künstler, der wenige Jahre zuvor verstorben war. Als in Mailand die Pest wütete, ging die Familie nach Caravaggio, in jenen kleinen Ort bei Bergamo, nach dem Michelangelo Merisi später benannt wurde. Nach dem frühen Tod des Vaters beschloss die Mutter, ihren Sohn zum Maler ausbilden zu lassen. In der Werkstatt des angesehenen Simone Peterzano lernte der junge Merisi die Grundlagen der Malerei. Er war wissbegierig, vor allem aber außergewöhnlich talentiert. Es beeindruckte ihn, wie sein Meister mit dunklen Farben und ausdrucksstarker Lichtführung arbeitete. Von diesen Hell-Dunkel-Kontrasten fasziniert, verfeinerte und perfektionierte er den Stil, bis der gemalte Schatten eines Tages sein Markenzeichen werden sollte...
Nach vier Jahren verließ der inzwischen 17-jährige Malschüler die Werkstatt Peterzanos, um sein eigenes Ding zu machen. Es zog ihn nach Rom. Ob er auf dem Weg dahin auch nach Venedig kam, ist bei Kunsthistorikern umstritten. Die venezianische Malerei war ihm jedenfalls durch seinen Lehrer bekannt. In Rom nun wollte Caravaggio erfolgreich und berühmt werden. Doch die Konkurrenz in der Kunstmetropole war groß. So arbeitete er zunächst als Gehilfe in verschiedenen Werkstätten, malte u.a. Stillleben, die sein ganzes malerischen Können zeigten, und konnte schließlich zum Assistent des bedeutenden Künstlers Giuseppe Cesari aufsteigen. Nebenbei aber schuf der junge Maler auch erste eigenständige Arbeiten … Seine Werke zeichnen sich nicht nur durch die eindrucksvolle Hell-Dunkel-Malerei - Chiaroscuro genannt - aus, sondern auch durch einen derben Realismus: Caravaggios Heilige wirken wie Bauern, die dem Betrachter ihre nackten, schmutzigen Füße entgegenrecken. Und für seine Mariendarstellungen suchte er sich Prostituierte als Modelle. Seinen Bildern haftete etwas Skandalöses und Rebellisches an. Das sorgte für Aufsehen und schließlich dafür, dass sich für Caravaggio die Türen zu einflussreichen Sammlerkreisen öffneten.
Caravaggios wichtigster Förderer war Kardinal del Monte; er nahm den jungen Künstler sogar als Logiergast in seinem Palazzo auf. Caravaggio lernte hier Gitarre spielen und Fechten und lief des Abends mit Dolch und Schwert im Rock durch die Straßen Roms. Ihm war völlig egal, dass er zum Tragen dieser Waffen gar nicht befugt war, denn er fühlte sich geschützt durch die Macht seines Gastherrn. Und da er als Künstler inzwischen einen Namen hatte, standen die Auftraggeber sowieso Schlange. Sein erster bedeutenden Auftrag für Bilder, die in einer Kirche öffentlich gezeigt wurden, hatte ihm zum Durchbruch bei einem breiten Publikum verholfen. Die drei Gemälde über das Leben und Leiden des Heiligen Matthäus in der Contarelli-Kapelle hatten für großes Aufsehen und Begeisterung gesorgt. Unterdessen wurde Caravaggio jedoch immer krimineller. Er war ein ungestümer und aufbrausender Mann, der seine wilden Emotionen nicht nur auf der Leinwand auslebte. Wurde ihm ein Kellner zu frech, warf er ihm schon mal einen Teller mit heißen Artischocken ins Gesicht. Oft war er in Prügeleien verwickelt, wurde verhaftet, landete immer wieder im Gefängnis. Caravaggio teilte aus und steckte ein. An jenem Abend im Mai 1606 aber hatte er eine Grenze überschritten. Obwohl Sonderrechte für populäre Künstler damals üblich waren: Mit einem Mord kam selbst der große Caravaggio nicht durch.
Caravaggio hatte Ranuccio Tomassoni tödlich verwundet. Wohlwissend, dass diese Tat Konsequenzen haben würde, floh er aus Rom. Und tatsächlich: Nun wurde der Ausnahmekünstler per Haftbefehl in Rom gesucht und in Abwesenheit sogar zum Tod durch Enthauptung verurteilt.
Seine Flucht führte Caravaggio quer durch Italien bis nach Neapel, wo er mit offenen Armen empfangen wurde. Mit Hilfe dieses namhaften Malers, so der Hintergedanke, würde sich die aufstrebende Stadt auch auf künstlerischer Ebene mit dem Rivalen Rom messen können. Caravaggio, der Star der Barockmalerei, erhielt viele bedeutende Aufträge von prominenten Auftraggebern, schuf spektakuläre Altarbilder und Gemälde mit biblischen Szenen. Trotzdem hielt es ihn kein Jahr in Neapel. Er wollte weiter nach Malta, um der dortigen Ordensgemeinschaft, den sogenannten Maltesern, beizutreten. Denn der wohltätige Dienst als Mitglied des Malteserordens sollte weltliche Strafen ersetzen. Dank seiner künstlerischen Begabung wurde Caravaggio auch tatsächlich aufgenommen. Doch er verspielte sein Glück, weil er immer wieder in Scharmützel geriet, bis er schließlich festgenommen wurde. Caravaggios abenteuerliche Flucht aber ging weiter, da es ihm gelang, aus dem maltesischen Gefängnis zu entkommen und sich nach Sizilien durchzuschlagen. Hier fand er einige Monate lang Unterschlupf; er malte, lebte und pendelte zwischen Syrakus, Messina und Palermo, und landete dann wieder in Neapel. Die Hoffnung auf Begnadigung gab Caravaggio allerdings nie auf. Er träumte davon, nach Rom zurückzukehren. In die Stadt seiner größten Triumphe. Im Sommer 1610 fasste er sich ein Herz und bestieg ein Schiff, das ihn nach Rom bringen und seine ziellose Odyssee beenden sollte. Doch Michelangelo Merisi da Caravaggio kam niemals dort an. Er starb nur wenige Wochen später in Porto Ercole, vermutlich an Malaria.
Caravaggio schuf zahlreiche Werke, die zu den bekanntesten des Frühbarock zählen. Sein typisches, dramatisches Chiaroscuro und seine naturnahen, ungeschönten Darstellungen hatten großen Einfluss auf die Künstler der Zeit. Nicht nur Orazio und Artemisia Gentileschi ließen sich von seinem Stil inspirieren, sondern auch eine Künstlergröße wie Rembrandt gehörte zu den sogenannten Caravaggisten.
Zu Caravaggios namhaftesten Gemälden gehören:
Kleiner kranker Bacchus (1593, Galleria Borghese, Rom)
Knabe mit Früchtekorb (1593/94, Galleria Borghese, Rom)
Die Falschspieler (1594, Kimbell Art Museum, Fort Worth)
Die reuige Magdalena (1594/95, Palazzo Pamphilj, Rom)
Der Lautenspieler (1595/96, Eremitage, St. Petersburg)
Medusa (1597, Uffizien, Florenz)
Judith und Holofernes (1598/99, Palazzo Barberini, Rom)
Das Martyrium des Hl. Matthäus (1599/1600, Contarelli-Kapelle, San Luigi dei Francesi, Rom)
Die Berufung des Hl. Matthäus (1600, Contarelli- Kapelle, San Luigi dei Francesi, Rom)
David mit dem Haupt des Goliath (1600/01, Kunsthistorisches Museum, Wien)
Abendmahl in Emmaus (1601, National Gallery, London)
Der ungläubige Thomas (1601/02, Schloss Sanssouci, Potsdam)
Amor als Sieger (1601/02, Gemäldegalerie, Berlin)
Die Kreuzigung des Heiligen Petrus (1601/04, Cerasi Kapelle, Santa Maria del Popolo, Rom)
Johannes der Täufer mit dem Widder (1602, Kapitolinische Museen, Rom)
Die Opferung Isaaks (1603, Uffizien, Florenz)
Die Grablegung Christi (1603/04, Vatikanische Pinakothek, Vatikan)
Madonna di Loreto (1604-06, Cappella Cavaletti, Sant’ Agostino in Campo Marzio, Rom)
Die Rosenkranzmadonna (1605-07, Kunsthistorisches Museum, Wien)
Der Heilige Hieronymus (1606, Galleria Borghese, Rom)
Die Sieben Werke der Barmherzigkeit (1606/07, Pio Monte della Misericordia, Neapel)
Die Geißelung Christi (1607, Museo di Capodimonte, Neapel)
Enthauptung Johannes des Täufers (1608, St. John’s Co-Cathedral, Malta)
Zusammenfassung
Caravaggio hieß eigentlich Michelangelo Merisi und wurde später nach dem kleinen Ort Caravaggio benannt, in dem er aufgewachsen war
Als 13-Jähriger wurde Michelangelo Merisi Lehrling bei dem renommierten Maler Simone Peterzano, dessen Hell-Dunkel-Malerei sein gesamtes künstlerisches Schaffen prägen sollte.
Nach der Ausbildung ging Caravaggio in die Kunstmetropole Rom und machte sich dort einen Namen mit dramatischen Gemälden, die so ganz anders waren als die Werke von Künstlern der Spätrenaissance. Caravaggios Kunst galt als aufregend neu.
Im Streit tötete der aufbrausende Caravaggio seinen Widersacher, flüchtete und wurde in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Vier Jahre lang irrte das Genie durch den Mittelmeerraum, hinterließ seine künstlerischen Spuren und hoffte weiterhin auf Begnadigung, um nach Rom zurückkehren zu können. Dazu aber kam es nicht, denn Caravaggio starb im Alter von 38 Jahren.
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Richtige Antworten:
1. B) Heimatort
2. C) Mord
3. A) Malta
4. D) Matthäus
5. B) Barock