Mit der Erfindung der Dampfmaschine nahm die Industrielle Revolution erst so richtig Fahrt auf. Sie ermöglichte den Fortschritt in Windeseile. Wie sie funktioniert und wer sie nach Deutschland brachte, erfährst du in dieser Story.
Im Jahr 1818 steht Friedrich Harkort am Scheideweg: Schwer verwundet war er wenige Jahre zuvor aus dem Krieg gegen Napoleon in seine deutsche Heimat Hagen zurückgekehrt. Und nun soll – nach dem Tod seines Vaters – auch noch das Gut der Familie an den erstgeborenen Bruder übergehen. Harkort ist Mitte zwanzig und muss sich überlegen, was er mit seinem Leben anfangen will… Da hat er eine Idee: Maschinen! Die haben ihn schon immer fasziniert. Ja, eine Fabrik gründen – das wär’s! Die Deutschen aber hinken den Engländern in Sachen Fortschritt um Jahrzehnte hinterher. Harkort könnte doch auf den Zug aufspringen! Er muss an den Ort, wo neue Technologien bereits eine ganze Gesellschaft auf den Kopf gestellt haben. Er muss nach England. Denn dort fasziniert ihn eine Maschine ganz besonders: die Dampfmaschine. Aber wird es ihm dort gelingen, detaillierte Baupläne zu ergattern? Sei‘s drum – er muss es einfach versuchen. Friedrich Harkort macht sich auf den Weg.
Die erste App, die dich wirklich schlauer macht.
Jetzt runterladen!Als „Vater des Ruhrgebiets“ ging Friedrich Harkort später in die Geschichte ein, aber bis dahin musste sich noch eine Menge tun. In England kurbelte bereits eine freie Unternehmerschaft den Fortschritt an. Die Industrielle Revolution war dort um 1800 in vollem Gange: Die Spinning Jenny heizte die englische Textilproduktion an, mit Hilfe von Dampfmaschinen wurde Kohle gefördert, Dampflokomotiven zogen Güterzüge kreuz und quer durchs Inselreich.
Deutschland dagegen lag wirtschaftlich noch im Dornröschenschlaf. Eine einheitliche deutsche Nation mit einem gemeinsamen Staatsgebiet gab es noch nicht. Deutschland war in Teilstaaten zersplittert, in denen jeder Fürst oder König sein eigenes Süppchen kochte. Es gab keine Industrie, keine gemeinsame Währung, ja, nicht einmal Maße und Gewichte waren einheitlich. Zollschranken behinderten Handel und Wandel.
Friedrich Harkort aber war ein Visionär, er wollte dahin kommen, wo England schon war: mitten in die industrielle Revolution. Dafür brauchte er Informationen darüber, welche Technologien und Maschinen in England eingesetzt wurden und wie sie funktionierten. Was man heute als Industriespionage bezeichnen würde, war damals ganz üblich: Zahlreiche Männer fuhren nach England und heuerten in Schmieden und Hütten an. Sie zeichneten die Maschinen haargenau ab und bauten sie in ihrer Heimat dann einfach nach. Und optimierten sie.
Die Maschine, auf die es Friedrich Harkort besonders abgesehen hatte, war die Dampfmaschine. Denn dieses ausgeklügelte Gerät war das Herzstück des maschinellen Fortschritts. Ohne die Dampfmaschine war es nicht möglich, Fabriken an Orten zu bauen, die keinen Zugang zu bisher genutzten Energien hatten, wie etwa der Wasserkraft. Ohne die Dampfmaschine konnte man nicht die Unmengen von Kohle fördern, die benötigt wurden, um weitere Dampfmaschinen in Gang zu halten – und mit ihren Kräften wiederum andere Maschinen anzutreiben. Die Dampfkraft ist in der Industrialisierung der Motor, der alles am Laufen hält – und für immer neue Erfindungen sorgt.
Dabei ist das Prinzip, auf dem die Funktionsweise der Dampfmaschine beruht, eigentlich recht einfach: In einem fest verschlossenen Kessel wird Wasser erhitzt – es entsteht Dampf. Und weil Dampf wesentlich mehr Platz in Anspruch nimmt als Wasser – nämlich tausendmal so viel –, steigt auch der Druck im Dampfkessel. Der Dampf wird in einen Zylinder geleitet. Dadurch setzt sich ein Kolben in Bewegung. Über Verbindungselemente können weitere Maschinen angetrieben werden.
Die Geschichte der Dampfmaschine reicht bis in die Antike zurück. Der griechische Mathematiker Heron von Alexandria, der wahrscheinlich im 1. Jahrhundert nach Christus lebte, beschrieb eine Maschine, die einen mit Wasserdampf gefüllten und mit zwei Ventilen versehenen Ball in Drehbewegung versetzte. Dieser „Heronsball”, die vermutlich erste Dampfmaschine, wurde seinerzeit allerdings noch als Kuriosität angesehen. Viele Jahrhunderte lang wurden dampfgetriebene Mechanismen vor allem zu Demo-Zwecken gebaut. Erst Anfang des 17. Jahrhunderts machten Dampfmaschinen auch mit praktischem Nutzen von sich reden. Und wie so oft machte auch hier die Not erfinderisch.
Nämlich im Bergbau. Damit die Schächte und Stollen nicht im Grubenwasser „ersoffen“, musste es Wasser stetig an die Oberfläche gepumpt werden. Das geschah mit Pferdekraft oder mit sogenannten Wasserkünsten: riesigen Wasserrädern, die tief unter der Erde eingebaut und über komplizierte ober- und unterirdische Graben- und Stollensysteme mit Wasser versorgt wurden. Auf dieselbe Weise betrieb man auch die Fördermaschinen, die das Erz durch die Schächte an die Oberfläche brachten. Das System der war ausgeklügelt, aber äußerst wartungsintensiv und störanfällig. In trockenen Sommern konnte es ganz zum Erliegen kommen. Um wieviel leichter würde es mit Dampfkraft funktionieren!
Wichtige Vorarbeit für den praktischen Einsatz der Dampfkraft leistete der französische Naturwissenschaftler Denis Papin. Um 1690 konstruierte er die sogenannte atmosphärische Dampfmaschine. Sie arbeitete noch nicht mit Überdruck wie die moderneren Vertreterinnen ihrer Art, denn damals konnte man schlicht noch keine Gefäße herstellen, die einem höheren Dampfdruck standgehalten hätten. Die Kolbenbewegung wurde stattdessen mittels Unterdruck erzeugt, der beim Abkühlen und Kondensieren von heißem Wasserdampf in einem dichten Gefäß entsteht. Der äußere, atmosphärische Druck drückte dabei den Kolben in den Zylinder. Die Gegenbewegung erfolgte über einen Hebel – den Balancier – durch das Gewicht des Pumpengestänges.
Schlau ausgedacht, aber in der Praxis unbrauchbar, denn das notwendige ständige Erhitzen und Abkühlen des Zylinders ergab eine katastrophale Energiebilanz. Neun Jahre später suchte Thomas Savery einen anderen Weg: Er entwarf eine kolbenlose Dampfpumpe für den Grubenbetrieb. Aber auch sie war zu schwach und in der Praxis nicht zu gebrauchen. Denn sie konnte die Wassersäule nur um höchstens zwölf Meter heben, während die Bergwerke vielerorts mittlerweile Tiefen von mehreren hundert Metern erreicht hatten!
Erst dem Engländer Thomas Newcomen gelang es im Jahr 1712, die erste praktisch nutzbare Dampfmaschine zu konstruieren. Er kehrte zum Kolben zurück, erhitzte das Wasser aber nicht mehr direkt im Zylinder, sondern in einem separaten Dampferzeuger. Das brachte schon mehr Leistungspunkte, wenngleich der Wirkungsgrad – also die geleistete physikalische Arbeit im Verhältnis zur verbrauchten Energie – immer noch unter einem Prozent lag.
Immerhin: Newcomens Dampfpumpe kam genau zur richtigen Zeit und fand in den Bergwerken schnell Verbreitung, auch über England hinaus. Für den entscheidenden Fortschritt in Sachen Leistung sorgte dann ab etwa 1769 ein Schotte: James Watt. Anders als oft behauptet, hat er die Dampfmaschine nicht erfunden. Aber er hat sie entscheidend verbessert! Watt leitete den heißen Dampf zur Abkühlung (Kondensation) in einen separaten Behälter, den Kondensator. Das sparte Energie. Außerdem entwickelte er das System so weiter, dass der Kolben von beiden Seiten Dampfzufuhr bekam und damit sozusagen doppelt soviel Arbeit leistete. Um dies auf griffige Weise darlegen zu können, prägte er gleich auch die Einheit PS: die Pferdestärke.
Weiterentwicklungen erhielten Kurbelantrieb und Schwungrad und konnten damit auch Drehbewegungen antreiben. Das erweiterte den Einsatzbereich zum Beispiel auf die Textilindustrie. Die Dampfmaschine von James Watt ebnete also den Weg in die industrielle Massenproduktion.
Watt ließ sich seine Entwicklungen nicht nur rechtzeitig patentieren, sondern betrieb zusammen mit dem britischen Unternehmer Matthew Boulton auch ein höchst erfolgreiches Unternehmen. Hier in Smethwick bei Birmingham wurden über 120 Jahre Dampfmaschinen gebaut und in alle Welt verkauft. Weil James Watt so bedeutend war, wurde die physikalische Einheit Watt nach ihm benannt.
Anfang des 19. Jahrhunderts folgte der nächste gewaltige Schritt ins Dampfzeitalter: der druckfeste Kessel. Nun wurden die Kolben in den Zylindern durch Überdruck bewegt. Im Wesentlichen unterscheidet man zwischen Niederdruckdampfmaschinen und Hochdruckdampfmaschinen. Bei Letzteren wird der Dampf weit über 100 Grad Celsius erhitzt, was einen sehr hohen Druck im Kessel erzeugt. Dadurch wird der äußere Atmosphärendruck für das ganze System unerheblich, und der Kondensator zum Abkühlen des Dampfs fällt weg. Das wiederum macht den ganzen Bausatz leichter und handlicher. Erst dadurch wurde der Einbau von Dampfmaschinen in Lokomotiven möglich. Und neben der Dampflokomotive eroberten Bohrmaschinen, Dampfwalzen, Dampfschiffe und weitere Errungenschaften die moderne Gesellschaft.
In Deutschland trieb der Unternehmer Friedrich Harkort die Entwicklung des Ruhrgebiets zum Zentrum der Kohle- und Stahlindustrie maßgeblich voran. Von seiner Englandreise hatte er Baupläne und sogar zwei Dampfmaschinen mitgebracht. Zurück in seiner Heimat Hagen konstruierte er in den 1820er-Jahren verschiedene Typen dieser Wärmekraftmaschine – und zwar besonders leistungsstarke. Als einer der Ersten in Deutschland stellte er eine Dampfmaschine mit 100 PS her. Zu dieser Zeit war das ein Meisterwerk. Durch seine Ideen entstanden im Ruhrgebiet Gießereien und Fabriken. Und die Region im Westen Deutschlands sollte bald zum Zentrum des Kohleabbaus werden.
Harkort war aber auch am sozialen Wohl der Menschen interessiert. Er engagierte sich gegen Kinderarbeit, für die Einrichtung von Krankenkassen, Schulbildung und Berufsgenossenschaften. Er ist also im Grunde nicht nur für das Ruhrgebiet, sondern für die deutsche Industrielle Revolution als Ganzes so etwas wie ein „Vater“ – auch wenn es in seiner eigenen Fabrik wirtschaftlich bergab ging und er dort 1834 ausschied.
Zu dieser Zeit aber hatte der Industriepionier längst ein neues Baby, eine neue Vision: eine dampfbetriebene Eisenbahn. Schon um 1825 setzte er sich für einen Bahnbetrieb von Minden nach Köln ein. Es brauchte allerdings noch gut zehn Jahre, bis eine solche Vision auf deutschem Boden dann auch Wirklichkeit wurde.
Zusammenfassung
Während die Industrielle Revolution in England um 1800 auf Hochtouren lief, hinkten die deutschen Staaten deutlich hinterher.
Mithilfe von technischem Know-how aus England gelang es deutschen Industriepionieren wie Friedrich Harkort, Maschinen zu kopieren. Eine davon war die Dampfmaschine.
Dank immer leistungsstärkerer Dampfmaschinen setzte auch in den deutschen Staaten die Massenproduktion ein.
Die Dampfmaschine des Schotten James Watt von 1776 gilt als Meilenstein für die industrielle Revolution. Erfunden hat er sie allerdings nicht.
Teste dein Wissen im Quiz
Richtige Antworten:
1. D) Seit der Antike
2. B) England
3. A) Grubenentwässerung
4. C) James Watt
5. A) Friedrich Harkort