Michelangelo war ein Meister seines Fachs – und er wusste es. Selbstbewusst nahm er daher einen Auftrag an, an dem alle anderen bislang gescheitert waren. Er schuf die wohl bekannteste Skulptur der Kunstgeschichte: David! Was das Besondere daran ist, erfährst du hier.
Er ist viel zu schön, um nicht gesehen zu werden. Immerhin darin ist sich die Expertenkommission einig. Oben auf dem Dom von Florenz würde ihn niemand in seiner vollen Pracht bewundern können. Das wäre einfach zu schade. Und, sind wir doch mal ehrlich: Wie sollte man das tonnenschwere Kunstwerk dort hinauf bekommen? Wohin jetzt also mit dem Marmorkoloss des begnadeten Bildhauers Michelangelo? Es muss ein Ort sein, der dieser Skulptur gerecht wird. Denn nicht nur ihre Schönheit sucht ihresgleichen – sie ist zugleich auch ein Symbol der jungen Republik Florenz. Denn der David von Michelangelo verkörpert die Macht, die Kraft, den Siegeswillen der Florentiner. Und das muss sichtbar sein!
Über neun verschiedene Standorte diskutiert die eigens gegründete Kommission im Januar 1504. 30 Meinungen prallen aufeinander. Endlich kommt man zu einem Entschluss: Direkt vor dem Regierungspalast der Stadt Florenz, dem Palazzo Vecchio, soll der David stehen. Seinen Blick gen Rom gerichtet: Seht her, ihr angeblich so Großen und Mächtigen – Florenz fürchtet sich nicht vor euch! Denn auch ihr könnt besiegt werden!
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Jetzt runterladen!David, der junge Krieger, der den scheinbar unbesiegbaren, riesigen Goliath mit nur einem Stein aus seiner Schleuder tötet: Aus dem biblischen Helden war ein politisches Statement geworden. Genau deshalb brauchte dieses Kunstwerk einen entsprechenden Platz.
Den Auftrag dazu hatte der Künstler von der Florentiner Wollweberzunft erhalten. Viele von ihnen saßen auch in dem Ausschuss, der sich um die Gestaltung des Doms kümmerte. Schon vor fast einem Jahrhundert hatte die Dombauverwaltung den Plan gefasst, zwölf große Skulpturen für die Stützpfeiler der Kathedrale Santa Maria del Fiore schaffen zu lassen. Unbedingt dabei sein sollte auch eine Statue des David. Dafür hatte man auch schon einen gewaltigen Marmorblock aus Carrara kommen lassen. Zwei Jahre dauerte der mühevolle Transport. Und Michelangelo war nicht der erste Bildhauer, der mit der Erschaffung des David betraut wurde.
Bereits 1464 machte sich der Bildhauer Agostino di Duccio an diesem Brocken zu schaffen. Er konnte bereits die Beine und Füße grob herausarbeiten, blieb jedoch bei der weiteren Gestaltung erfolglos. Zwölf Jahre nach ihm scheiterte auch Bernardo Rosselino, ein nicht minder herausragender Bildhauer. Es lag schlicht an den gewaltigen Ausmaßen des ungewöhnlichen Werkstücks, der mittlerweile schon als „der Gigant“ bekannt war. Über 30 Jahre lang ließ man den wertvollen Marmor dann einfach im Domgarten liegen, Wind und Wetter schutzlos ausgesetzt. Als schließlich Michelangelo den Auftrag für den David erhielt, hatte das wertvolle Material deutlich an Qualität eingebüßt. Zudem musste Michelangelo mit dem arbeiten, was seine Vorgänger ihm hinterlassen hatten: Zahlreiche Fehlschläge und einige Löcher.
Davon ließ sich der junge Bildhauer aber nicht abschrecken. Er war gerade einmal 26 Jahre alt, wahnsinnig ehrgeizig, selbstbewusst und seit der Fertigstellung seiner Pietà wenige Jahre zuvor ein Star unter den Künstlern seiner Zeit. Und er sah etwas in dem Marmorblock, das seine Vorgänger nicht gesehen hatten. Vor seinen Augen offenbarte sich bereits die Figur, die er erschaffen wollte, die er sozusagen aus dem Stein befreien wollte. Und das tat er auch. Wieder einmal kämpfte er mit seinem eigenen Perfektionismus und den Ansprüchen an sich selbst. Er arbeitete wie besessen, gönnte sich kaum den nötigen Schlaf.
Eigentlich hätte der David bereits zwei Jahre nach Vertragsabschluss fertig sein sollen, also im September 1503. Doch das funktionierte nicht. Zu gewaltig war die Figur, über fünf Meter groß und ungefähr sechs Tonnen schwer. Daher bekam Michelangelo fünf Monate Aufschub: bis zum 25. Februar des Folgejahrs. Doch je weiter die Arbeit voranschritt, desto klarer wurde den Auftraggebern, dass dieser Gigant niemals seinen angestammten Platz würde einnehmen können. Und so beriefen die Stadtväter im Januar 1504 eine Kommission ein, die einen neuen, würdigen Aufstellungsort finden sollte. Unter den Mitgliedern war auch Leonardo da Vinci, dessen größter Konkurrent der junge Michelangelo werden sollte. Auch da Vinci war in die engere Auswahl gekommen, als es um die Vergabe des Auftrags für den David gegangen war. Aber Michelangelo war ihm zuvorgekommen.
Und das zahlte sich aus. Denn Michelangelo schuf nicht nur die erste Monumentalstatue seiner Zeit, sondern auch einen neuen Typus des biblischen Helden. Michelangelos David verkörperte nämlich die Ideale der Republik Florenz perfekt: Mut und Selbstbewusstsein, aber auch Verstand und Voraussicht. Schon traditionell galt der biblische Held als Sinnbild für die Überzeugung, dass auch ein scheinbar „Kleiner“ einen eigentlich übermächtigen Angreifer besiegen kann.
All dies legte er junge Michelangelo Buonarroti in sein Meisterwerk. Er stellte seinen David unmittelbar vor dem Kampf mit dem Riesen Goliath dar. In seiner rechten Hand hält er einen Stein, mit der Linken hat er seine Steinschleuder lässig über die Schulter geworfen. Der Sieg steht unmittelbar bevor. Sein Blick ist ernst und fokussiert – schaut man genau hin, erkennt man übrigens, dass Michelangelo die Pupillen in Form von Herzen gemeißelt hat. Ein kleiner Gag des Perfektionisten? Die Haltung des David wiederum zeigt Bezüge zu antiken Vorbildern. So verteilte der Bildhauer die Gewichtsverhältnisse seiner Statue auf ein Stand- und ein Spielbein. Dadurch bekommt Davids Becken eine leichte Neigung in die eine und der Schultergürtel in die andere Richtung. Dieses Gestaltungsmittel der Bildhauerei spielt mit Gegensätzen wie Ruhe und Bewegung und wird daher „Kontrapost“ genannt. Es gibt den Figuren ein sehr natürliches Aussehen.
Michelangelo schuf die Skulptur eines Mannes, der sich einer gewaltigen Gefahr gegenübersieht und sich innerlich darauf vorbereitet. Genau darin unterscheidet sich Michelangelos Skulptur von berühmten Vorgängerwerken, wie etwa den David-Figuren von Donatello und Verrocchio oder der gemalten Version von Andrea del Castagno. Denn die zeigten David zumeist nach seinem Sieg über Goliath, das Haupt des Gegners zu seinen Füßen. Michelangelos David aber war anders – und das sollte schließlich auch die Entscheidung der Kommission über den Standort bestimmen: Vor dem Regierungspalast von Florenz, dem Sitz der Ratsversammlung, sollte die Statue die Florentiner Republik symbolisieren und über die Stadt wachen. Dieser David sollte allen klar machen, dass Florenz seine Feinde stets besiegen würde. Deshalb wurde die über fünf Meter hohe Figur noch auf ein fast fünf Meter hohes Podest gestellt – als wahrhaft unübersehbares Symbol der Republik und ihrer von Gott beschützter Freiheit.
40 Männer und vier Tage brauchte es, bis die gewaltige Skulptur aus Carrara-Marmor an ihrem Bestimmungsort vor dem Palazzo an der Piazza della Signoria ankam – und dabei war der Regierungspalast nur rund 500 Meter von Michelangelos Arbeitsstätte entfernt! Unterwegs musste das Kunstwerk noch einen Anschlag über sich ergehen lassen: Anhänger der Familie Medici, die bis zu ihrer Vertreibung im Jahr 1494 über Florenz regiert hatte, bewarfen den David mit Steinen. Doch sie konnten ihm nichts anhaben und den Transport nicht aufhalten.
Es war der Zahn der Zeit, der der Michelangelo-Skulptur zusetzte. Vor allem die Witterung und der ätzende Kot der Vögel. Damit nicht genug: Schon 1512 wurde das Podest, auf dem die Figur stand, vom Blitz getroffen und beschädigt. 1527 warfen Aufständische aus dem Fenster des Palazzo Vecchio Steine hinab auf David und trafen seinen linken Arm, der in drei Stücke zerbrach. Giorgio Vasari, der zwar als Maler und Architekt bekannt wurde, seinen Ruhm aber hauptsächlich als Künstlerbiograph und “Vater der Kunstgeschichte” gründete, sammelte die Marmorteile ein. In einer Restaurierung wurden sie später wieder miteinander verbunden. Doch immer wieder machten sich Vandalen auch an den Zehen des Standbilds zu schaffen und schlugen sie teilweise ab. So beschloss man 1873, die David-Statue endlich in Sicherheit zu bringen und in der Galleria dell‘ Academia in Florenz auszustellen. Dafür wurde sogar eigens ein Kuppelraum entworfen, der den David ins rechte Licht rücken sollte. Davids Zehen aber waren auch hier nicht sicher. 1991 gelang es einem Besucher, einen Hammer hineinzuschmuggeln und mehrmals auf den linken Fuß des biblischen Helden einzuschlagen, bevor er überwältigt wurde.
Gut, dass Michelangelo, der Meister der italienischen Renaissance, auch Werke schuf, die sich außerhalb der Reichweite mutwilliger Angreifer befinden: nämlich 20 Meter hoch an der Decke der Sixtinischen Kapelle in Rom...
Zusammenfassung
Michelangelos David war die erste Monumentalstatue ihrer Zeit – der Hochrenaissance. Sie sollte ursprünglich den Dom in Florenz zieren, war dafür aber letztlich zu schwer, zu schön und zu politisch.
Mit der Gestaltung des David übernahm Michelangelo selbstbewusst eine schwierige Aufgabe, an der vor ihm schon zwei andere Bildhauer gescheitert waren.
Der biblische Held David wurde zu einem Symbol der Republik Florenz und verkörperte ihren Siegeswillen, ihren Mut und ihre innere Stärke.
40 Männer brauchten vier Tage, um die Monumentalstatue an den Ort zu bringen, wo sie aufgestellt werden sollte.
Wie schon Michelangelos Pietà wurde auch sein David von einem Attentäter mit einem Hammer traktiert.
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D) zwei
Richtige Antworten:
1. A) Goliath
2. B) Leonardo da Vinci
3. B) Galleria dell’ Accademia, Florenz
4. A) drei Jahre
5. D) zwei