Liebe, Sex und Verrat – das sind die Grundelemente jeder Soap Opera. Da ist Drama einfach programmiert. In dieser Story erfährst du, wie auch Rembrandt dies schon im 17. Jahrhundert zu nutzen wusste, um seine Kunden zu begeistern.
Wilde Schreie. Stöhnen. Ächzen. Eiserne Ketten schneiden ins Fleisch. Er windet sich, wehrt sich. Jagt seinen Feinden mit seinen schier übermenschlichen Kräften noch einmal ordentlich Respekt ein. Seine riesigen Hände sind zu Fäusten geballt, ein gewaltiger Fuß reckt sich in die Luft. Kaum können sie ihn halten, diesen Berg von einem Mann. Und doch ist der Kampf verloren. Gegen fünf schwer bewaffnete Angreifer kann Simson nichts mehr ausrichten. Sie haben ihn niedergerungen, in Ketten gelegt, umklammern ihn mit aller Kraft. Der Dolch sticht tief in sein Auge. Blut spritzt. Er beißt die Zähne zusammen. Sein Gesicht ist verzerrt. Vor Schmerz, aber auch vor Wut. Er wurde betrogen und verraten.
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Jetzt runterladen!Es ist ein Moment unsäglicher Gewalt und Dramatik, den Rembrandt Harmenszoonvan Rijn im Jahr 1636 in seinem gewaltigen Ölgemälde Die Blendung Simsons festhielt. Rembrandt erzählt darin die alttestamentarische Geschichte Simsons (auch Samson genannt), der von Gott dazu bestimmt war, das Volk Israel von der Herrschaft der Philister zu befreien. Doch seine Geliebte Delila (andere bekannte Schreibweise: Delilah), eine junge Philisterin, verrät ihn an seine Feinde...
Als Rembrandt, der heute zu einem der bekanntesten Vertreter der sogenannten Alten Meister gilt, seinen Simson malte, war er gerade einmal 30 Jahre alt und auf dem Weg zum Star der niederländischen Kunstszene. Zwei Jahre zuvor hatte er das Amsterdamer Bürgerrecht erhalten und eine eigene Werkstatt eröffnet. Die Geschäfte florierten. Rembrandt wurde ein gefragter Porträtmaler und schuf auch Gemälde mit religiösen oder mythologischen Bezügen. Gerade der Adel war an Bildern dieser Art interessiert. Und an eben diese Auftraggeber wollte Rembrandt vermehrt herantreten. Sein Historienbild Die Blendung Simsons sollte ihm dabei als eine Art Bewerbung dienen. Mit ihm wollte er sein Können zeigen und schuf es daher, auch ohne einen Auftrag dafür erhalten zu haben.
Unterstützung erhielt er dabei von Constantijn Huygens, dem Sekretär des Prinzen von Oranien. Huygens hatte vor Jahren das Talent des jungen Rembrandts entdeckt und war begeistert von dessen Werken. So vermittelte er dem Maler den Zugang zu den Kreisen um Prinz Frederik Hendrik und dessen Hof in Den Haag. Aus Dankbarkeit schenkte Rembrandt Huygens wahrscheinlich 1639 das Gemälde Die Blendung Simsons. Heute befindet es sich im Städel Museum in Frankfurt am Main.
Die Dramatik, die von diesem Werk ausgeht, liegt nicht nur in der dargestellten Szene und ihren Figuren. Die Brutalität des Geschehens wird auch durch Rembrandts Lichtführung betont. Sie entwickelte Rembrandt Harmensz. van Rijn unter dem Einfluss des italienischen Barockmalers Caravaggio, der sich auch in der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts durchsetzte. Starke Helldunkelkontraste und die sogenannte Lichteffektmalerei hielten Einzug. Dies ist auch in Rembrandts Meisterwerken deutlich zu erkennen. Meisterhaft wusste er mit Licht und Schatten zu spielen. Wie der Regisseur eines Theaterstücks lässt er den Vorhang zur Seite gleiten und richtet den Scheinwerfer voll auf das Geschehen. So offenbart er den Tumult, der sich hier bietet.
Simson wird in seinen privaten Gemächern überwältigt. Hier lag er vorher noch friedlich zusammen mit Delila – bis sie die Philister ins Haus lässt. Die Angreifer treten aus dem Schatten, wollen sich teilweise noch darin verstecken. Simson ist ihnen nicht geheuer. Ist er wirklich nicht mehr unbesiegbar? Das helle Licht fällt in den Raum hinein und auf den am Boden liegenden Simson, offenbart seine nackte und nun auch verletzliche Brust. Die Angreifer sind Gestalten aus einem finsteren Albtraum, der über ihn kommt. Die dramatische Verbindung aus Licht und Dunkel verstärkt noch die Emotionen, die das Bild vermittelt: Schmerz, Zorn, Hilflosigkeit, Verletzlichkeit, Angst und Schrecken.
Neben Simson ist Delila die zweite Hauptperson. Auch sie, in ihrem feinen und edlen Gewand, wird dramatisch beleuchtet. Vor allem aber fällt das Licht auf die Schere in ihrer Hand. Diese Schere ist das eigentliche Tatwerkzeug, sie hat schlimmeres Übel angerichtet als die Waffen der Angreifer. Mit ihr hat die Verräterin Simson seine Kraft genommen...
Als Vorbild diente Rembrandt wohl das Gemälde Der gefesselte Prometheus von Peter Paul Rubens in Zusammenarbeit mit Frans Snyders aus dem Jahr 1618. So erinnert Simson in seiner Haltung stark an die Figur des Prometheus.
Simson hatte seiner Geliebten nämlich im Vertrauen erzählt, dass seine übermenschliche Stärke in seinen Haaren liegt. Deshalb darf er sie niemals schneiden. Doch das Geheimnis um seinen Haarschopf ist bei ihr nicht sicher. Im Schlaf schneidet sie ihm den wilden Schopf ab und ruft ihre Landsleute herbei. Die Philister überwältigen Simson und stechen ihm die Augen aus.
Die Bibel erzählt im Alten Testament die Geschichte etwas anders. Danach schnitt nicht Delila selbst Simson die Haare ab. Vielmehr rief sie, nachdem ihr Geliebter eingeschlafen war, die Philister zu sich in den Raum, und diese übernahmen jene verhängnisvolle Aufgabe. Rembrandt aber griff für seine Version der Geschichte vermutlich auf eine andere Quelle zurück. In den Antiquitates Judaicae von Flavius Josephus aus dem ersten Jahrhundert nach Christus ist beschrieben, wie Delila Simson heimlich die Haarpracht abschnitt und ihn erst dann seinen Feinden auslieferte.
Auf Rembrandts Gemälde hält die Verräterin Delila Schere und Haar noch in den Händen. Obwohl sie im Begriff ist, vor der brutalen Szene zu fliehen, geht ihr Blick noch einmal zurück. Was hat sie nur getan? Es ist ihr Werk, das hier vollbracht wird. In Delilas Gesicht zeichnen sich all ihre Emotionen ab – ein Wechselspiel aus Schrecken, Reue und Faszination. Mit der Wahl dieses Motivs stellt sich Rembrandt in eine Reihe mit Künstlern, die seit dem Hochmittelalter sogenannte „Weiberlisten“ darstellten. Dabei wurden Geschichten aus der Bibel (wie etwa die von Judith und Holofernes) und der Mythologie verarbeitet, in denen Frauen die Helden durch List betören und zu Fall bringen. Mit diesen Bildern sollte vor Wollust, Untreue und Hurerei gewarnt werden – also vor den Gefahren, die außerhalb der sittsamen Ehe lauerten. Im 17. Jahrhundert griffen Theologen deshalb oft auf die Geschichte von Simson zurück. Sie galt ihnen als perfektes Beispiel für die Folgen von Moral- und Sittenlosigkeit. In Rembrandts Gemälde wird Simson Opfer seiner eigenen Schwäche für eine schöne Frau: Er gibt der Versuchung nach, und so triumphiert ihre List letztlich über seine Stärke.
Moral- und Sittenlosigkeit wurden auch Rembrandt zum Vorwurf gemacht, als er sich nach dem Tod seiner Ehefrau eine Geliebte ins Haus holte. Ihn aber scherte das nicht, denn nach dem Verlust von Saskia war ihm sowieso alles egal. Saskia – seine große Liebe, seine Muse, sein Quell der Inspiration…
Zusammenfassung
Rembrandt malte Die Blendung Simsons ohne speziellen Auftrag. Das Werk sollte sein ganzes Können repräsentieren und wohlhabende Kunden anlocken.
Das Gemälde erzählt die biblische Geschichte von Simson und Delila. Es zeigt ein Motiv, das die Kirche als Lehrstück nutzte, um vor außerehelichem Sex zu warnen.
Rembrandt arbeitet mit Licht und Schatten wie ein Theaterregisseur. Auf die wichtigen Dinge und Hauptpersonen richtete er einen Scheinwerfer.
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Richtige Antworten:
1. B) Rembrandt van Rijn
2. C) Die Blendung Simsons
3. A) Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt
4. B) Delila
5. D) Weiberlist