Das Krisenjahr 1923 war ein wahrer Schrecken für die Weimarer Republik gewesen. Die Hyperinflation mit ihrer geradezu astronomischen Geldentwertung hatte das ganze Leben gelähmt. Doch nun ging es wieder bergauf – und zwar rasant. Nach dieser Story weißt du, wie die Goldenen Zwanziger Wirtschaft und Kultur ankurbelten und wer zur großen „Roaring Twenties”-Party dennoch keinen Zutritt hatte.
Zweifelnd hält die junge Berlinerin das neue Kleid vor ihren schlanken Körper und betrachtet sich im großen Schlafzimmerspiegel. Kann sie es wirklich wagen, so in die Öffentlichkeit zu gehen? Mit diesem silbrig glitzernden Fummel, der kaum die Knie bedeckt? Aber – warum eigentlich nicht? Alle ihre Freundinnen gehen jetzt so aus! Diese wilden amerikanischen Tänze brauchen schließlich Beinfreiheit. Und zum kurzen Bubikopf würden die hochgeschlossenen Kleider sowieso nicht mehr passen …
Mitte der Zwanziger Jahre in Berlin: Ein ganz neues Lebensgefühl hat von den Menschen Besitz ergriffen: Tempo, Glitzer und Glamour. Die Menschen wollen konsumieren, tanzen gehen, das Leben genießen, vor allem das Nachtleben. Berlin ist die flimmernde Hauptstadt des Vergnügens. Das Leben pulsiert praktisch rund um die Uhr, bunte Leuchtreklamen lassen die Nacht zum Tag werden. Kurfürstendamm, Alexanderplatz und Potsdamer Platz sind Bühnen für die neue Mode. Kunstfreunde und Musikliebhaber strömen in die großen Kulturtempel, die Lichtspielhäuser und Theater. Ist das alles nur ein wunderschöner Traum?
So, los geht’s, denkt die junge Berlinerin und wirft einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel. Schwungvoll legt sie sich die Federboa um die Schultern und stöckelt aus dem Zimmer. Die Partygesellschaft wartet schon...
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Jetzt runterladen!Seit 1924 ging es mit der deutschen Wirtschaft wieder bergauf. Im Zuge der Währungsreform war das wertlose Papiergeld von der stabilen Rentenmark abgelöst worden, der Dawes-Plan regelte die Reparationszahlungen an die Siegermächte neu, Milliardenkredite von amerikanischen Banken beschleunigten den Wirtschaftsaufschwung. Die Industrieproduktion stieg kräftig an und mit ihr auch die Nachfrage nach den Produkten. Denn die Deutschen hatten endlich wieder Geld im Portemonnaie − und sie wollten es auch ausgeben. Und: Nach der Schmach des Versailler Vertrags war Deutschland nun in den sogenannten Völkerbund aufgenommen worden. Der Völkerbund war im Grunde die Vorgängerorganisation der heutigen Vereinten Nationen und sollte nach dem Ersten Weltkrieg den Frieden sichern. Die Aufnahme in diese internationale Organisation bedeutete für Deutschland, dass es endlich wieder Teil der Weltgemeinschaft war. So investierten nun auch Anleger aus anderen Staaten in Deutschland. Erste Konzerne und Aktiengesellschaften gründeten sich, darunter die Vereinigten Stahlwerke oder die IG Farben; die „Deutsche Luft Hansa“ startete ihren ersten Linien- und zugleich Auslandsflug: von Tempelhof nach Zürich. Und das von Walter Gropius gegründete „Staatliche Bauhaus” mit seiner Neuen Sachlichkeit beeinflusste die moderne Architektur weltweit.
Der Aufschwung wirkte sich auch auf die Stimmung in der Bevölkerung aus, die allmählich wieder optimistischer und lebenslustiger wurde. Die politisch instabile Zeit der Putschversuche und Massenstreiks schien überwunden. Jetzt war die Massenkultur auf dem Vormarsch: Kinos schossen wie Pilze aus dem Boden, musikalisch untermalte Stummfilme und die ersten Tonfilme begeisterten die Zuschauermengen. Der Ufa-Palast am Zoo glänzte mit Filmpremieren – und überall hieß es schlichtweg: sehen und gesehen werden. Nach dem Ende der Vorstellung zog man deshalb durch die zahllosen Bars, Nachtclubs, Varietés, Jazzlokale oder Tanzpaläste. Sport-Events vom Boxkampf über Fußball bis zum Sechstagerennen waren gesellschaftliche Ereignisse, die sich niemand entgehen lassen wollte. Und für die Frauen war diese Zeit der „Wilden Zwanziger” die Gelegenheit, sich nicht nur von Korsagen und langen Röcken zu befreien, sondern auch von den letzten verstaubten Zwängen, die das deutsche Kaiserreich hinterlassen hatte.
In der Weimarer Republik waren Frauen zum ersten Mal in der deutschen Geschichte gleichberechtigt. Und zwar nicht nur auf dem Papier der Weimarer Verfassung von 1919, sondern tatsächlich im täglichen Leben. Die moderne Berufswelt bot ihnen vor allem in den Städten zahlreiche neue Perspektiven – bis hin zum Sitz im Parlament. Damit veränderte sich auch das Frauenbild: Die „neue Frau” fuhr Auto, rauchte Zigaretten und machte mit ungewöhnlichen Kurzhaarfrisuren auf sich aufmerksam. Selbstbewusst ging sie in die glamourösen Varietétheater und vergnügte sich in den Bars. Viele deutsche Frauen nahmen sich die großen Diven von Leinwand oder Bühne zum Vorbild – man denke nur an den unvergleichlichen Stil von Schauspielerinnen wie Marlene Dietrich oder Entertainerinnen wie Josephine Baker. In den Tanzpalästen war Charleston angesagt, ein schneller Gesellschaftstanz mit zackigen Bewegungen. Federboas, lange Perlenketten und elegante Zigarettenspitzen ergänzten das angesagte Outfit. Und die Medien befeuerten den neuen Trend. Von den Titelseiten zahlreicher Illustrierten strahlten nun moderne Frauen die interessierten Leserinnen und Leser an.
Die neue Euphorie hatte aber auch eine Schattenseite, denn die sozialen Gegensätze in Berlin und in anderen Großstädten waren extrem. Am fröhlichen Partyleben konnte nur ein kleiner Teil der Bevölkerung teilnehmen, auch wenn genau dieser Teil die Schlagzeilen der Goldenen Zwanziger prägte. Viele Menschen mussten weiterhin täglich zusehen, wie sie über die Runden kamen. Die Arbeitslosigkeit blieb trotz des Aufschwungs auf hohem Niveau, da immer mehr Maschinen und das gerade erfundene Fließband die menschliche Arbeitskraft ersetzten. Auf einmal gab es das Phänomen der Dauerarbeitslosigkeit. Während der greise Paul von Hindenburg und damit ein erklärter Feind der Demokratie die Wahl zum Reichspräsidenten gewann, fühlten sich viele junge Menschen abgehängt von der neuen Zeit und suchten ihren Ausweg in politischer Radikalisierung – vom Kommunismus bis zum Nationalsozialismus. Amüsement und Armut, Glanz und Gosse, Luxus und Leid lagen häufig nur eine Straßenbreite auseinander.
Doch auch wenn viele Menschen vom sprichwörtlichen Gold der Zwanziger Jahre nichts abbekamen – dieser Zeitabschnitt zwischen 1924 und 1929 sandte nicht nur jede Menge kulturelle Impulse aus, sondern auch wichtige Signale einer neuen Hoffnung. Von der bevorstehenden Weltwirtschaftskrise ahnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand etwas. Doch Ende Oktober 1929 sollte ein fataler Börsencrash an der New Yorker Wall Street dieser euphorischen Aufbruchstimmung ein abruptes Ende setzen und der NSDAP und Adolf Hitler den roten Teppich ausrollen.
Zusammenfassung
Zwischen 1924 und 1929 erlebte Deutschland einen rasanten wirtschaftlichen Aufschwung. Milliardenkredite von US-Banken und Investitionen ausländischer Unternehmen trugen dazu bei.
Diese Jahre des Aufschwungs werden auch die „Goldenen Zwanziger“ genannt. Andererseits konnten Arbeitslosigkeit und Armut auch in dieser Zeit des Aufbruchs nicht überwunden werden. Viele Menschen waren enttäuscht und fühlten sich abgehängt.
Die Goldenen Zwanziger bedeuteten auch gesellschaftlich und kulturell einen Sprung in die Moderne. Vor allem in der Kunst setzten sich viele kreative Ideen durch.
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Richtige Antworten:
1. B) Die Goldenen Zwanziger
2. A) Kredite von US-Banken
3. D) Charleston
4. A) Die Weltwirtschaftskrise