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Die kahle Sängerin

Wenn Menschen sich nichts zu sagen haben
Das Bild ist ein Plakat für das Theaterstück "Die Kahle Sängerin" von Eugène Ionesco. Es zeigt eine stilisierte, üppige Figur einer singenden Frau in Schwarz-Weiß, die eine Halskette trägt und deren Kopf durch eine Note ersetzt ist.
Wikipedia
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Inhalte

Intro

Hier ist der Name Programm: Im Absurden Theater geht es herrlich kurios zu. Ein bedeutender Vertreter dieser Kunstgattung ist der Autor Eugène Ionesco. In seinem Stück „Die kahle Sängerin“ unterhalten sich zwei Ehepaare. Doch sie reden nicht miteinander, sondern konsequent aneinander vorbei. Nach dieser Story weißt du, was es damit auf sich hat.

Kapitel 1: Es war einmal in England

Was für ein wahrhaft englischer Abend! Mrs. und Mr. Smith sitzen in ihrem gutbürgerlich englischen Wohnzimmer und lauschen dem Ticken ihrer englischen Uhr. Nachdem diese siebzehn englische Schläge von sich gegeben hat, richtet Mrs. Smith das Wort an ihren Mann – auch wenn der gerade in seine englische Zeitung vertieft ist.

„Sieh mal an, es ist neun Uhr. Wir haben Suppe, Fisch, Kartoffeln mit Speck und englischen Salat gegessen. Die Kinder haben englisches Wasser getrunken. Wir haben gut gegessen heute Abend, weil wir in der Umgebung von London wohnen und weil unser Name Smith ist.“

Mr. Smith reagiert mit einem Schnalzen seiner Zunge, ohne aufzublicken oder seine Lektüre zu unterbrechen. Doch so schnell gibt Mrs. Smith nicht auf. Sie fragt, ob das Essen nicht versalzen gewesen sei? Und hat Mary, ihr englisches Dienstmädchen, die Kartoffeln auch gut gekocht?

Das einseitige Gespräch plätschert weiter vor sich hin, als plötzlich das Dienstmädchen Mary den Raum betritt. Sie hatte sich den Rest des Abends freigenommen und war ausgegangen. Nun hat sie Neuigkeiten für ihre Dienstherren: „Ihre Gäste, Mrs. und Mr. Martin, sind vor der Tür“, sagt Mary. „Sie haben auf mich gewartet, weil sie nicht allein einzutreten wagten. Sie hätten mit Ihnen zu Abend speisen sollen.“

Da erinnert sich Mrs. Smith. „Ach, ja! Wir haben sie erwartet. Und da wir Hunger hatten und sie nicht kamen, haben wir ohne sie gegessen.

Mary, Sie hätten nicht ausgehen dürfen!“

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Kapitel 2: Ein Spiegel der Zeit

Seltsam gestelzte Dialoge, Banalitäten und Nonsens, Offensichtliches und Abwegiges: Das sind die Zutaten des Theaterstücks „Die kahle Sängerin“ von Eugène Ionesco, das 1950 im Pariser Théâtre des Noctambules uraufgeführt wurde. Doch wieso reden hier die Menschen auf dermaßen skurrile und abwegige Weise aneinander vorbei? Was wollte uns der französisch-rumänische Autor damit sagen? 

Tatsächlich gilt Ionesco als einer der bedeutendsten Vertreter, ja womöglich sogar als der Erfinder des Absurden Theaters. Diese Kunstrichtung etablierte sich in der Nachkriegszeit in Frankreich; weitere Repräsentanten sind Samuel Beckett, Jean Genet und Arthur Adamov. Das Absurde Theater ist ein Spiegel seiner Zeit: Die Schrecken des Zweiten Weltkriegs waren noch in lebendiger Erinnerung und die Menschen stellten sich grundsätzliche Fragen nach dem Sinn des Daseins: Ist ein normales Leben nach all dem Tod und der Zerstörung überhaupt möglich? Und wie können die Menschen nun einander begegnen? Das Absurde Theater gab auf diese Fragen nüchterne und oftmals unbequeme Antworten. Eine offene und ehrliche Kommunikation zwischen den Menschen? Im Absurden Theater ist sie unmöglich.

Kapitel 3: Alle reden, doch niemand sagt etwas

Die Unfähigkeit zur Kommunikation treibt Eugène Ionesco in „Die kahle Sängerin“ auf die Spitze. Treffsicher zielt er dabei ins Herz des Bürgertums. Das Ehepaar Smith und das Ehepaar Martin werden hier zu Stellvertretern einer Gesellschaftsschicht, in der sich die Menschen nichts mehr zu sagen haben.

Geschildert wird das Aufeinandertreffen zweier Ehepaare, die sich herrlich absurd in sinn- und zusammenhanglosen Gesprächen verlieren. Die Handlung ist sehr überschaubar – und das ist ganz typisch für das Absurde Theater. Das Schauspiel hat nur einen einzigen Akt und spielt im Wohnzimmer des Ehepaars Smith. Das bürgerliche Paar erwartet dort den Besuch von Mr. und Mrs. Martin. Währenddessen drehen sich die Smiths mit gestelzten und steifen Formulierungen im Kreis. Mit der Ankunft der Gäste wird das Ganze noch absurder. Denn diese sitzen sich zunächst wie wildfremde Menschen gegenüber und stellen im Verlauf eines extrem langatmigen und hölzernen Dialogs fest, dass sie einander offenbar schon einmal begegnet seien. Ja, sie sind sogar im selben Zugabteil hierher gefahren und – sie schlafen nachts sogar im selben Bett!

Dieser präzisen Analyse folgt die nicht minder scharfe Erkenntnis: Richtig, wir sind ja ein Ehepaar! Ähnlich kurios geht es weiter. Das Dienstmädchen hält sich für Sherlock Holmes und mischt sich ständig ungefragt in die Gespräche ein. Die drehen sich wirr um allerlei Banalitäten des Alltags. Offenbar haben sich die Paare einfach nichts Bedeutendes zu sagen, stattdessen redet man aneinander vorbei. Das wird auch nach dem Auftauchen eines weiteren Gastes nicht besser: Ein Feuerwehrhauptmann gibt unverständliche Anekdoten zum Besten.

Das ganze Stück vermittelt die Botschaft: Echte Kommunikation gibt es nicht! Es wird zwar viel geredet, aber eigentlich nichts gesagt. Inhalte und Personen sind völlig beliebig und austauschbar. Und so endet „Die kahle Sängerin“ mit einer passenden Pointe: Die Paare tauschen einfach die Plätze und beginnen denselben sinnfreien Dialog noch einmal von vorn – und sie tun das, während der Vorhang langsam fällt.

Kapitel 4: Der Frisur geht’s gut

Die Idee für das Stück kam Ionesco, als er Englisch lernte und über gestelzte Sätze in seinem Englischbuch stolperte. Banalitäten wie „Die Woche hat sieben Tage“ kamen darin vor, man erfuhr, dass der Fußboden unten ist und die Zimmerdecke oben. In den fortgeschrittenen Lektionen tauschte ein Ehepaar namens Smith derlei Binsenweisheiten aus. Sehr zum Erstaunen ihres Ehemanns informierte ihn Mrs. Smith, dass sie zusammen mehrere Kinder und ein Dienstmädchen namens Mary hätten. Belustigt und zugleich fasziniert griff Ionesco diesen Lehrbuchstil auf und schrieb ein Theaterstück daraus. Und er ging auch noch einen Schritt weiter: Mit „Die kahle Sängerin“ verfasste er eine bissige Parodie auf die Gesellschaft der Nachkriegszeit.

Das Drama zieht mit seiner Absurdität noch heute Betrachter in seinen Bann. Eindringlich spürt man die Orientierungslosigkeit der Figuren. Sie können weder klar denken, noch klar reden oder aufeinander eingehen. Schier endlos drehen sie sich im Kreis – in einem Karussell aus Floskeln, Nichtigkeiten und Plattitüden. Das wirkt nicht nur komisch, sondern auch beklemmend. Es gibt keine Nähe mehr zwischen den Menschen, sie sind unfähig geworden, feste Bindungen einzugehen. Das Zwischenmenschliche geht bei Ionesco buchstäblich auf Distanz. Und das mit voller Absicht. Ionesco spiegelt damit die Atmosphäre der beklemmenden Nachkriegszeit. Einer Zeit, in der sich die Menschen fremd waren und wieder zueinander, aber auch zu sich selbst finden mussten.

Auch wenn die Gespräche im Stück noch so sinnlos erscheinen: Ionesco spielt darin bewusst und gezielt mit der Sprache. Er nutzt sie, um die Geistlosigkeit und Sinnleere der kleinbürgerlichen Welt zu überzeichnen, sie ad absurdum zu führen. Und der Titel des Stücks „Die kahle Sängerin“ hat ganz passenderweise auch keine tiefere Bedeutung. Er bezieht sich allein auf die Nachfrage des Feuerwehrhauptmanns, wie es denn der kahlen Sängerin gehe. Und die lapidare Antwort lautet: „Sie trägt immer noch die gleiche Frisur.“

Kapitel 5: Erst verrissen, dann Kult

Ionescos Werke zeichnen sich durch eine scharfe Beobachtungsgabe und Bissigkeit aus. Heute zählen sie zu den meistaufgeführten französischen Dramen überhaupt. Das war allerdings nicht immer so: Als „Die kahle Sängerin“ 1950 in Paris seine Premiere hatte, wurde das Stück von der Kritik verrissen. Das Publikum reagierte pikiert, fühlte sich vom Autor verhöhnt. Nach nur 35 Aufführungen verschwand das Drama vom Spielplan und auch an anderen Häusern konnte es sich nur jeweils wenige Wochen halten. Sieben Jahre später jedoch hat es das damals noch völlig unbekannte Théâtre de la Huchette zum Kult gemacht. Promis von Edith Piaf bis Sophia Loren schmückten die Gästeliste, bald avancierte das kleine Schauspielhaus zum Must see für jeden Paris-Besucher. Seit 1957 wird „Die kahle Sängerin“ dort an jedem Spieltag aufgeführt; es hält den Guinness-Weltrekord für das am längsten ohne Unterbrechung aufgeführte Bühnenstück. 

In Ionescos handlungsarmen Stücken wird die Sprache selbst zur Kunst. Und er nutzt sie auch in einem anderen absurden Drama meisterhaft. Sein Werk „Die Unterrichtsstunde“ handelt von autoritären Machtstrukturen. Und hier wird Sprache zur tödlichen Waffe …

Zusammenfassung

  • Der französisch-rumänische Autor Eugène Ionesco gilt als einer der maßgeblichen Vertreter des Absurden Theaters. Es entstand in den 50er-Jahren in Frankreich und gilt als Gründungsdokument des Absurden Theaters.

  • In Ionescos Drama geht es um die Unfähigkeit der Menschen zu echter Kommunikation. Zwei englische Paare tauschen Plattitüden und Banalitäten aus. Ionesco lieferte mit seinem Anti-Stück eine bissige Parodie auf das Kleinbürgertum der Nachkriegszeit, in der viele Menschen mit ihrem Leben haderten oder einander distanziert begegneten.

  • „Die kahle Sängerin“ (Originaltitel: „La Cantatrice chauve“) war das erste Bühnenstück von Eugène Ionesco. Es wurde 1950 im Théâtre des Noctambules in Paris uraufgeführt – und von der Kritik verrissen. Auch vom Publikum wenig honoriert, verschwand es bald wieder von den Bühnen – bis auf eine.

  • Ein einziges Schauspielhaus hat es seit 1957 (zusammen mit „Die Unterrichtsstunde“) ohne Unterbrechung auf dem Spielplan: das Théâtre de la Huchette im Pariser Quartier Latin. Inzwischen konnte es die 19.000. Aufführung feiern und steht im Guinnes Buch der Rekorde.

  • Ionescos erstes Stück lieferte auch den Stoff für eine Kammeroper des italienischen Komponisten Luciano Chailly. Sie wurde 1986 in Wien uraufgeführt; die deutsche Erstaufführung folgte erst 35 Jahre später in der Semperoper Dresden.

  • Weitere bedeutende Werke Ionescos sind „Die Unterrichtsstunde“ („La Leçon“, 1951) und „Die Nashörner“ („Rhinocéros“, 1957).

Teste dein Wissen im Quiz

  1. Der französisch-rumänische Schriftsteller Eugène Ionesco gilt als … ?
    1. A) … ein Meister des russischen Realismus
    2. B) … Vorreiter des Sturm und Drang
    3. C) … Autor der Weimarer Klassik
    4. D) … Vertreter des Absurden Theaters
  2. Was hat Eugène Ionesco zu seinem Stück „Die kahle Sängerin“ inspiriert?
    1. A) Ein Opernbesuch
    2. B) Altgriechische Dramen
    3. C) Übungsdialoge aus einem Englischbuch
    4. D) Eine Parlamentssitzung
  3. Worin besteht die Handlung von Eugène Ionescos Stück „Die kahle Sängerin“?
    1. A) Sinnentleertes Gespräch
    2. B) Essen in einem Restaurant
    3. C) Gang zum Friseur
    4. D) Suche nach der Opernperücke
  4. Was thematisierte Eugène Ionesco in seinem Stück „Die kahle Sängerin“?
    1. A) Die Unfähigkeit zu echter Kommunikation
    2. B) Die Manieren des französischen Adels
    3. C) Das politische Engagement des Bürgertums
    4. D) Den inneren Aufruhr der französischen Jugend
  5. Was sorgt für die besondere Wirkung von Eugène Ionescos Theaterstück „Die kahle Sängerin“?
    1. A) romantische Verwicklungen
    2. B) Orientierungslosigkeit der Figuren
    3. C) Witzige Dialoge
    4. D) Historische Faktentreue

Richtige Antworten: 
1. D) … Vertreter des Absurden Theaters
2. C) Übungsdialoge aus einem Englischbuch 
3. A) Sinnentleertes Gespräch
4. A) Die Unfähigkeit zu echter Kommunikation
5. B) Orientierungslosigkeit der Figuren

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