Michelangelos Deckengemälde in der Sixtinischen Kapelle gelten als größtes Kunstwerk der Renaissance. Dabei war der Künstler selbst nicht davon überzeugt, als Maler jemals etwas derart Spektakuläres erschaffen zu können. Warum, das erfährst du in dieser Story.
Ist es künstlerischer Ehrgeiz, der ihn antreibt? Der Wille, sich zu beweisen? Oder das Wissen, dass er sich mit diesem Werk unsterblich machen kann? Michelangelo weiß es selbst nicht so genau. Aber er erkennt eine Chance, wenn sie sich bietet. Er wird es machen. Wenn auch widerstrebend.
Eigentlich steckt er mitten in der Arbeit an den Skulpturen für das Grabmal, das Papst Julius II. in Auftrag gegeben hat. Michelangelo Buonarroti, der größte Bildhauer seiner Zeit, soll das prachtvolle Monument mit 40 lebensgroßen Figuren schmücken. Jetzt aber hat der Papst plötzlich seine Meinung geändert. Das Grabmal kann warten. Kurzerhand streicht er Michelangelos Gehalt. Er brennt nun nämlich für ein anderes Projekt, das nicht weniger prestigeträchtig ist. Das Gewölbe der Sixtinischen Kapelle muss ausgemalt werden. Sofort. Und natürlich – kein Geringerer als Michelangelo soll diese Aufgabe übernehmen.
„Ich bin kein Maler“, versucht Michelangelo den ehrwürdigen Kirchenvater umzustimmen. Eine Ausrede, die der Papst nicht gelten lassen will. Er weiß sehr wohl, welches Talent in dem mürrischen Künstler steckt. Um ihn zu überzeugen, lässt er Michelangelo freie Hand. Und der nutzt die Gelegenheit, ein Gesamtkunstwerk ganz nach seinem eigenen Konzept zu verwirklichen. Und das wird so spektakulär sein, dass Michelangelo von nun an als „Il Divino“, der Göttliche, bekannt werden wird...
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Jetzt runterladen!Im Frühjahr des Jahres 1508 nahm Michelangelo die Aufgabe an, die der Papst ihm stellte. Er sollte das Deckengewölbe der päpstlichen Hauskapelle in der Vatikanstadt mit Gemälden schmücken. Eigentlich wünschte sich Julius II. zwölf riesige Apostelfiguren, umrandet von geometrischen Mustern. Dem Künstler aber war das zu dürftig, viel zu banal. Stattdessen entschied er sich, die Sixtinische Kapelle mit Szenen der Schöpfungsgeschichte aus dem Buch Genesis, des 1. Buches des Alten Testaments, auszustatten. Sein Entwurf für das Deckenfresko sah einige hundert Figuren aus Bibel, aber auch Mythologie vor, ergänzt durch ebenfalls gemalte Architekturelemente. Das Thema für die Neugestaltung der Papstkapelle hatte Michelangelo – ungewöhnlich für einen Künstler dieser Zeit – selbst vorgeschlagen. Und er setzte es auch durch. Denn wenn er, der Erschaffer der herrlichen Pietà und des monumentalen David, schon malen musste, dann wenigstens nach seinen eigenen Vorgaben.
Vor Michelangelo lag nun eine schier übermenschliche Aufgabe. Um in rund 20 Metern Höhe arbeiten zu können, hatte er ein spezielles Gerüst konstruiert. Darauf kauernd, manchmal auch auf dem Rücken liegend, arbeitete er Stunde um Stunde, die Hand mit dem Pinsel über dem Kopf. Immer wieder tropfte ihm Farbe in die Augen und ließ ihn fast erblinden. In fast vier Jahren malte Michelangelo auf diese Weise insgesamt 520 Quadratmeter Fläche aus. Über diese extreme körperliche Anstrengung berichtete er in Briefen an seine Familie. Doch nicht nur das kolossale Projekt selbst brachte den Künstler an seine Grenzen. Hinzu kam auch noch, dass sein Auftraggeber oft nicht zahlen wollte. Michelangelo klagte seinem Vater bereits im Januar 1509 frustriert sein Leid: „Ich bin noch in großen Nöten, denn ich habe seit nun schon einem Jahr keinen Heller mehr vom Papst bekommen; ich bitte ihn auch um nichts, denn meine Arbeit geht nicht so voran, dass ich etwas beanspruchen dürfte.“
Michelangelo zweifelte an seinem Können. Doch er blieb am Ball. Zäh und unbeugsam. Am 1. November 1512 wurden die Freskos an der Decke der Sixtinischen Kapelle im Vatikan schließlich enthüllt.
Die Erschaffung Adams von Michelangelo ist das wohl berühmteste unter den insgesamt neun Gemälden, mit denen er die Decke der Sixtinischen Kapelle schmückte. Es ist eines von drei, das sich dem Thema der Erschaffung des Menschen widmet: nach der Erschaffung des Adam schuf Michelangelo ein Fresko mit der Erschaffung Evas, gefolgt vom Sündenfall und der Verbannung aus dem Paradies.
Rund drei Wochen soll Michelangelo an dem Meisterwerk Die Erschaffung Adams gearbeitet haben. Fast fünf Meter breit und rund 2,30 Meter hoch ist es. Man meint den Funken zu sehen, der von der Hand Gottes auf Adam, der vom Betrachter aus gesehene Figur auf der linken Seite, überspringt. Dargestellt ist der Moment, in dem Gott Adam erschafft und mit ausgestrecktem rechten Arm und Finger dem Menschen Seele und Leben gibt. Es ist übrigens genau dieses Motiv der zwei sich nur fast berührenden Hände, das zu einer Art Ikone wurde und mittlerweile als Kunstdruck so manches Wohnzimmer schmückt.
Adams Finger ist noch etwas zögerlich gekrümmt, sein Blick ist noch unsicher, zeigt Erstaunen, wirkt fast kindlich und unschuldig. Als sei er gerade aus einem tiefen Schlaf erwacht, schaut er versunken in das Antlitz Gottes. Dessen Blick ist fest, energisch und zielgerichtet. Eine ungeheure Kraft geht von ihm aus. Umgeben von einer Schar Engel rauscht Gott heran, sie tragen ihn, stützen ihn, ja, scheinen ihn fast zu schieben. Alles ist in Bewegung. Der rote Umhang bauscht sich im Wind und umweht die himmlischen Scharen, ein grünes Tuch flattert, die Haare wehen. Keine Frage, hier ist die göttliche Macht am Werk.
Adam hingegen ruht auf der Erde, aus der Gott ihn gemacht hat. Er ist fest verbunden mit ihr. Der Gegensatz zwischen Himmel und Erde, zwischen der göttlichen Unendlichkeit und dem menschlichen, irdischen Dasein wird so überaus deutlich. Auch die Finger der beiden, die sich nur beinahe berühren, verdeutlichen diese Distanz zwischen Gottvater und seinem Geschöpf.
Michelangelo gilt neben Leonardo da Vinci, dem Erschaffer der Mona Lisa, als einer der berühmtesten Künstler der Hochrenaissance – jener Epoche, in der die Wiedergeburt und Erneuerung antiker Ideale ihren Höhepunkt erreichte. In der Kunst dieser Zeit waren der Mensch und die Schönheit des menschlichen Körpers in den Vordergrund getreten, seine Vollkommenheit und Harmonie. Als Bildhauer befasste sich Michelangelo intensiv mit den idealen Körpermaßen – den Proportionen des Menschen. Wie bei einer Skulptur arbeitete Michelangelo auch als Maler an der anatomischen Vollkommenheit seiner Figuren. Er wusste: Betrachtet man die menschliche Schönheit, so erkennt man auch das göttlich Schöne.
In der Bibel heißt es: „Gott schuf den Menschen ihm zum Bild, zum Bild Gottes schuf er ihn.“ Genau diese Spiegelung wird in der Darstellung Adams und Gottes in Michelangelos Deckengemälde sichtbar. Der Künstler hat den Menschen Adam als Abbild Gottes gemalt und so auch die Schönheit des menschlichen Körpers in den Fokus gerückt.
Sowohl Adam als auch Gott haben daher schöne, langgliedrige Körper. Die Muskeln sind herausgearbeitet, die Brust ist männlich breit. Adam ist nackt, zeigt dem Betrachter seinen Körper offen. In der Renaissance galt die Nacktheit als Zeichen der Unschuld. In diesem Augenblick ist Adam tatsächlich auch noch so unschuldig wie ein neugeborenes Kind. Doch unter dem linken Arm Gottes schaut eine junge, nackte Frau hervor, die so gar nicht zu den pausbäckigen Engelchen um sie herum passen will. Ihr Körper wendet sich von Adam ab, als wolle sie flüchten. Den Kopf aber dreht sie zu ihm hin und schaut ihn prüfend an. Ist diese weibliche Figur vielleicht sogar schon Eva, Adams künftige Gefährtin, wie viele Kunsthistoriker vermuten? Dann nämlich gibt Michelangelo hier bereits eine Vorschau auf den biblischen Sündenfall, den er ja ebenfalls an die Decke der Sixtina gemalt hatte.
1990 veröffentlichte der US-amerikanische Mediziner Frank Meshberger eine spektakuläre Theorie, die auch Kunstwissenschaftler interessieren sollte. So legte er in einem Artikel, der im Journal of the American Medical Association erschien, dar, dass die Darstellung von Michelangelos Gottes, umgeben von seinem roten Mantel, Gemeinsamkeiten mit dem Längsschnitt durch das menschliche Gehirn habe. Das grüne Tuch, das nach unten fällt, soll dabei die Haupthirnarterie darstellen, die Engel neben Gott sollen an Gehirnwindungen erinnern.
Man weiß, dass sich Michelangelo intensiv mit der Anatomie des Menschen auseinandersetzte und Kenntnisse durch das Sezieren von Leichen gewonnen hatte, ob er in seinem Fresko Die Erschaffung Adams jedoch wirklich den Querschnitt eines menschlichen Gehirns darstellen wollte, bleibt fraglich.
Auch andere Mediziner beschäftigten sich mit Michelangelos Werk und kamen dabei zu einem anderen Schluss. Auch sie meinten ein Organ in der Gestalt des Gottesvaters und der ihn umwallenden Tücher zu erkennen – aber kein Gehirn, sondern vielmehr einen menschlichen Uterus. Das grüne Tuch soll ihrer Meinung nach eine frisch durchtrennte Nabelschnur darstellen.
Zusammenfassung
Obwohl er sich selbst als Maler für unzulänglich hielt, schuf Michelangelo mit den Deckengemälden der Sixtinischen Kapelle eines der bekanntesten Werke der Kunstgeschichte.
Obwohl es zu der Zeit nicht üblich war, setzte Michelangelo sein Konzept gegen die Ansprüche des päpstlichen Auftraggebers durch.
Die Erschaffung Adams ist das bekannteste der neun Deckengemälde, die Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle erschaffen hat. Alle zusammen nehmen eine Fläche von rund 520 Quadratmetern ein.
Teste dein Wissen im Quiz
A) vier Jahre
B) drei Wochen
C) 18 Monate
D) zehn Jahre
Richtige Antworten:
1. A) Sixtinische Kapelle, Vatikanstadt
2. B) Adam und Gott
3. D) Papst Julius II.
4. D) drei Wochen
5. A) vier Jahre