Mit 25 Jahren war Johann Wolfgang Goethe ein Star, dann folgten Jahre kreativer Dürre. Eine Reise nach Italien aber änderte alles. Sie wurde zum Ausgangspunkt einer ganzen literarischen Epoche: der Weimarer Klassik. Nach dieser Story weißt du, warum Goethe erst fliehen musste, um bei sich selbst anzukommen.
Das ist das wahre süße Leben! Johann Wolfgang von Goethe lehnt sich auf der Liege zurück und wendet sein Gesicht der Sonne zu. Das hier ist doch wirklich etwas anderes als das triste Dasein bei Hofe in Weimar. All die Verpflichtungen, denen er dort am Hof von Herzog Carl August nachgehen muss, fallen hier von ihm ab – hier im schönen Italien!
Goethe angelt sich eine Weintraube und lässt sie sich in den Mund fallen. Die Italiener wissen einfach zu leben. Doch nicht nur für das sinnliche, auch für das geistige Leben ist hier gesorgt. Dieser Ort ist für ihn ein wahrer Jungbrunnen und die pure Inspiration! Seine Reise hat ihn schon durch so viele Städte geführt – Verona, Venedig, Rom. Wie sehr bewundert er hier die Kunstwerke der Renaissance, die Werke eines Raffaels, die in so perfekter Harmonie stehen. Kein Zuviel an Leidenschaft, sondern die perfekte Balance von Vernunft und Gefühl ... Ja, Goethe weiß, dass er von nun an große Werke schaffen wird, die genau diesem Ideal entsprechen.
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Jetzt runterladen!Goethe ist 37 Jahre alt und darf mittlerweile das „von“ im Namen tragen, als er im Jahr 1786 nach Italien aufbricht. Sein großer Durchbruch mit den „Leiden des jungen Werthers“ liegt da bereits mehr als zehn Jahre zurück. Er ist zermürbt von der gesellschaftlichen Enge zu Hause in Weimar, müde der Beziehung zu Charlotte von Stein und vom Staatsdienst am Hof von Herzog Carl August, der ihn mit gleich mehreren Regierungsämtern betraut hat. Dort ist er zu sehr in Pflichten eingebunden, dort ist er mehr Politiker denn Poet. Goethe aber sehnt sich nach neuen Impulsen – und so wird seine Reise nach Italien auch zu einer Flucht aus einem alten Leben. Zwei Jahre lang bereist Goethe das wunderschöne Land, dessen Lebensart ihn ebenso prägen wird wie die Kunst der Antike und der Renaissance. Die Italienreise wird für Goethe Inspirationsquelle und Befreiung in einem – sie wird zu einem wichtigen Wendepunkt: Goethe beginnt nach zehnjähriger kreativer Dürrezeit nicht nur wieder mit dem Schreiben. Er verinnerlicht in Italien auch das Kunstideal der antiken Klassik: die Harmonie von Vernunft und Gefühl. Dies ist für Goethe fortan das Ideal, das er auch in seinen Werken anstrebt. Und mit diesem neuen kreativen Schub wird er in Deutschland Mitbegründer einer Epoche, die bedeutende Werke hervorbringen wird: die Weimarer Klassik.
Goethe muss also erst einmal fliehen, um wieder bei sich anzukommen. Erst die gesammelten Erfahrungen und Eindrücke seiner Bildungsreise über die Alpen machen ihn zu dem Goethe, den noch heute die ganze Welt bewundert: Den großen deutschen Dichterfürsten, der in seinem Gesamtwerk Intellekt und Poesie so wunderbar verbindet. Den Universalgelehrten, der nicht nur Gedichte, Dramen und Romane verfasst, sondern auch wissenschaftliche Texte, beispielsweise über die Farbenlehre. Goethe interessiert sich schlicht für alles: für Kunst und Wissenschaft, die Natur und den Menschen, für Logik und Leidenschaft.
Doch zu dieser Balance muss Goethe erst finden. Und das ist gar nicht so einfach, wenn man wie er bereits sehr früh sehr großen Erfolg hat. Seinen ersten literarischen Durchbruch hatte er als gerade einmal 23-Jähriger mit dem „Götz von Berlichingen“, zwei Jahre später machte ihn sein Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“ europaweit berühmt. Es ist die Zeit des Sturm und Drang – eine Strömung in der deutschen Literatur, in der junge Autoren an alten Konventionen rütteln. Und der junge Goethe mittendrin – gegen Autorität und Tradition. Sein „Werther“ hatte einen regelrechten Hype ausgelöst. Gerade junge Menschen identifizierten sich mit dem leidenschaftlichen und kompromisslosen Romanhelden, den der Liebeskummer letztlich in den Selbstmord treibt.
Goethes erste literarische Erfolge sind beseelt von den Idealen des Sturm und Drang, von Aufbruch und Leidenschaft. Als er 1786 nach Italien aufbricht, ist davon allerdings nur noch wenig zu spüren. Auch Goethe hatte sich über die Jahre den gesellschaftlichen Verhältnissen und höfischen Zwängen beugen müssen. Die Italienreise aber entfacht bei ihm wieder neue Leidenschaft. Er reist inkognito als „deutscher Maler Johann Philipp Möller”, meist allein mit der Postkutsche und ohne Diener oder Sekretär. Das ist ungewöhnlich für eine Person von Stand, schließlich ist Goethe seit 1782 geadelt!
Seine Reiseroute führt ihn von Karlsbad über Eger, München, Innsbruck, Bozen, Trient nach Malcesine am Gardasee, dann weiter nach Verona, Vicenza, Padua und Venedig (wo er 17 Tage verbringt). Weiter reist er dann über Ferrara und Bologna bis nach Rom, wo er vier Monate bleibt. Die meiste Zeit wohnt er im Hause des Malers Johann Heinrich Wilhelm Tischbein in der Via del Corso, wo dieser mit anderen deutschsprachigen Künstlern in einer Kreativgemeinschaft zusammenlebt. Heute beherbergt dieses Haus, die „Casa di Goethe”, ein Museum.
Tischbein beginnt in diesen Wochen jenes berühmte Goethe-Gemälde, auf dem der Dichter in Hut und wallendem weißen Mantel auf dem Trümmerteil eines antiken Bauwerks ruht, den Blick nachdenklich in die Ferne gerichtet. „Goethe in der Campagna” heißt das Bild.
Zusammen mit Tischbein reist Goethe schließlich weiter nach Neapel, wo er den gerade aktiven Vesuv besteigt und die antike Unglücksstadt Pompeji besichtigt. Per Schiff erreicht er die Insel Sizilien, besucht unter anderem Palermo, Catania und Agrigent. All seine Eindrücke hält er in seinen Reisetagebüchern fest, die er erst 1813–1817 in überarbeiteter Form unter dem Titel „Italienische Reise” veröffentlichen wird.
Auf dem Rückweg überwintert er in Rom, wieder in Tischbeins Haus, wo er neben Mal- und Zeichenübungen auch sein Drama „Egmont” fertigstellt.
Nach Ostern 1788 begibt er sich schließlich auf den Rückweg nach Weimar. Nun macht er auch Station in der mittelalterlichen Stadt Florenz in der Toskana, die er auf der Hinreise nur durcheilt hatte – zu stark war der Lockruf der Ewigen Stadt Rom gewesen. Noch im selben Jahr wird er die römische Antike in seinen „Römischen Elegien” hochleben lassen: einer Gedichtsammlung voller erotischer – damals also höchst unschicklicher und entsprechend verpönter – Abenteuer. Vier dieser Gedichte sind ihm dermaßen frivol geraten, dass Goethe sie vorsichtshalber zurückhält:
„Uns ergötzen die Freuden des echten nacketen Amors / Und des geschaukelten Betts lieblicher knarrender Ton”, heißt es da zum Beispiel. So etwas hätte im 18. und 19. Jahrhundert einen fürchterlichen Skandal ausgelöst, denn Nacktheit wurde direkt mit Prostitution in Verbindung gesetzt. Als die ersten 20, nicht ganz so verfänglichen Elegien 1795 in Friedrich Schillers Literaturzeitschrift „Die Horen” erscheinen, reagiert die bürgerliche Gesellschaft Weimars pikiert. Und der Philosoph und Theologe Johann Gottfried Herder lässt gar übermitteln, dass der Titel „Die Horen” nun mit einem „u” gedruckt werden müsse ...
Für Goethe sind die Römischen Elegien ein kreativer Akt persönlicher Befreiung von den Zwängen seiner sittenstrengen Zeit. Aber das hauptsächliche Thema, mit dem er sich in Italien ausgiebig beschäftigt, ist die Kunst der Renaissance. Sie wird wiederum bestimmt von dem Kunstideal der Antike, welches vor allem bedeutet: Ein Kunstwerk soll Vernunft und Leidenschaft in Einklang bringen. Und dasselbe gilt auch für den Menschen. Weder das Gefühl noch die Logik sollten dominieren. Allein die Harmonie von Verstand und Gefühl bewirkt wahre Schönheit!
Goethe ist davon tief beeindruckt. Noch in Italien vollendet er sein Drama „Iphigenie auf Tauris“. Es ist in vielerlei Hinsicht ein perfektes Beispiel für ein Werk, das dem klassischen Kunstideal folgt: Erstens nimmt es sich einen Stoff der Antike vor. Zweitens thematisiert es inhaltlich den Konflikt zwischen Gefühl und Vernunft. Und drittens befolgt es die formalen Regeln antiker Dramen. Es erfüllt beispielsweise die klassische Fünf-Akt-Struktur und die Einheit von Ort und Zeit.
Als Goethe 1788 nach Weimar zurückkehrt, hat er also nicht nur erotische Gedanken im Kopf und ein lupenreines klassisches Werk im Gepäck. Er ist auch bereit, in Deutschland eine neue Epoche – die Weimarer Klassik – einzuläuten. Eine Epoche, welche die leidenschaftlichen Ausbrüche des Sturm und Drang mit der vernunftbetonten Aufklärung in Einklang bringen wird. Oder anders gesagt: Goethe findet in Italien seine Mitte – in seinem Leben und Werk.
Neben der Italienreise ist es vor allem die Freundschaft zu dem zehn Jahre jüngeren Dichter Friedrich Schiller, die der Weimarer Klassik zu dieser bis heute einzigartigen Bedeutung verhilft. Und das, obwohl sich Goethe und Schiller zunächst nicht wirklich gut leiden können. Erst nach und nach findet zwischen den beiden ein intensiver geistiger Austausch statt, aus dem sich eine ebenso innige Freundschaft entwickelt. Diese Zusammenarbeit ist für beide Seiten extrem fruchtbar. In dieser Zeit schreibt Goethe unter anderem seinen klassischen Bildungsroman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ und Schiller seine klassischen Dramen, zum Beispiel „Maria Stuart“ und „Wilhelm Tell“. Und: Im Grunde ist es Friedrich Schiller zu verdanken, dass Goethe an einem Stück weiterarbeitet, für das er heute weltbekannt ist: den „Faust“. Eine erste Version, den sogenannten „Ur-Faust“, hatte Goethe bereits in den 1770er-Jahren verfasst, doch es ist Schiller, der Goethe ermutigt, daran weiter zu feilen. Auch wenn die Fertigstellung noch viele Jahre dauert und der „Faust I“ erst nach Schillers Tod erscheint – ohne ihn hätte sich Goethe vielleicht nie mehr an diese Mammutaufgabe gewagt. Der „Faust“ sollte Goethes wichtigstes Werk überhaupt werden.
Zusammenfassung
Johann Wolfgang von Goethe gilt als deutscher Dichterfürst und verkörpert den Inbegriff des deutschen Intellektuellen und Universalgelehrten wie kein anderer.
Als junger Autor war Goethe ein leidenschaftlicher Vertreter des Sturm und Drang und wurde mit gerade einmal 25 Jahren durch den Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“ europaweit berühmt.
Goethe bereiste von 1786 bis 1788 (und dann noch einmal 1790) Italien. Dort verinnerlichte er das Kunstideal der klassischen Antike. Der Italienaufenthalt führte bei ihm zu einem neuen Kunstverständnis, das Vernunft und Gefühl harmonisch vereint.
Damit wurde er Mitbegründer und gemeinsam mit Friedrich Schiller maßgeblicher Vertreter der literarischen Epoche der Weimarer Klassik. Ihr Kunst- und Menschenideal beruht auf einer Balance zwischen Vernunft und Leidenschaft. Der kreative Austausch der beiden Dichter führte zur Entstehung bedeutender Werke.
Wichtige Werke aus dieser Zeit sind: Iphigenie auf Tauris (Drama, 1779), Erlkönig (Ballade, 1782), Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96), Egmont (1787), Torquato Tasso (1790) Römische Elegien (1795), Der Zauberlehrling (1797), Faust. Eine Tragödie (1808), Italienische Reise (Reisebericht, 1816/1817).
Teste dein Wissen im Quiz
A) Karl August Förster
B) Clemens Brentano
C) Karl Philipp Moritz
D) Friedrich Schiller
Richtige Antworten:
1. D) Weimarer Klassik
2. A) Italienreise
3. B) Vernunft und Leidenschaft
4. C) Iphigenie auf Tauris
5. D) Friedrich Schiller
Als Goethe im Jahr 1786 nach Italien aufbrach, steckte er in einer kreativen Krise. Sein großer Durchbruch mit den „Leiden des jungen Werthers“ lag bereits mehr als zehn Jahre zurück. Er war zermürbt von der gesellschaftlichen Enge in Weimar, müde vom Staatsdienst am Hof von Herzog Carl August, der ihn mit gleich mehreren Regierungsämtern betraut hatte. Goethe aber sehnte sich nach neuen Impulsen – und so wurde seine Reise nach Italien auch zu einer Flucht aus einem alten Leben.
Goethe interessierte sich in Italien insbesondere für die Kunst der Renaissance. Sie wird wiederum bestimmt von dem Kunstideal der Antike, welches vor allem bedeutet: Ein Kunstwerk soll Vernunft und Leidenschaft in Einklang bringen. Und dasselbe gilt auch für den Menschen. Weder das Gefühl noch die Logik sollten dominieren; allein die Harmonie von Verstand und Gefühl bewirke wahre Schönheit.
Noch in Italien vollendete er sein Drama „Iphigenie auf Tauris“. Es ist in vielerlei Hinsicht ein perfektes Beispiel für ein Werk, das dem klassischen Kunstideal folgt: Erstens nimmt es sich einen Stoff der Antike vor. Zweitens thematisiert es inhaltlich den Konflikt zwischen Gefühl und Vernunft. Und drittens befolgt es die formalen Regeln antiker Dramen. Es erfüllt beispielsweise die klassische Fünf-Akt-Struktur und die Einheit von Ort und Zeit.
Mit seinen „Römischen Elegien”: einer Gedichtsammlung voller erotischer – damals also höchst unschicklicher und entsprechend verpönter – Abenteuer. Als die ersten 20 „Elegien” 1795 in Friedrich Schillers Literaturzeitschrift „Die Horen” erschienen, reagierte die bürgerliche Gesellschaft Weimars pikiert.