„Mehr Licht“ – das sollen die letzten Worte von Johann Wolfgang von Goethe gewesen sein. Das scheint mehr als passend für eine Person, die als wahre Lichtgestalt der deutschen Kultur gilt. Der Wahrheitsgehalt dieser letzten Worte? Umstritten. Aber Fakt ist, dass Leben und Werk Goethes immer wieder ineinandergriffen – auch in seinen letzten Lebensjahren. Nach dieser Story weißt du, warum Goethes unglückliche Liebschaften sein Alterswerk besonders beeinflussten.
Johann Wolfgang von Goethe ist verliebt – unglücklich verliebt. Seufzend sinkt er in seinen Sessel nieder. Er spürt ein plötzliches Stechen im Kreuz, kopfschüttelnd reibt er die schmerzende Stelle. Nun gut, er ist kein junger Mann mehr. Mit seinen 74 Lebensjahren hat er der 19-jährigen Ulrike von Levetzow einiges an Erfahrung voraus. Aber die Liebe in ihm brennt noch wie damals! Wie also konnte sie da seinen Heiratsantrag ablehnen? Ist er nicht ein angesehener, respektierter Mann? Hat nicht der Großherzog selbst für Goethe vorgesprochen? Und sollte die Liebe nicht über das Alter siegen?
Goethe hievt sich aus seinem Sessel hoch. Es knackt vernehmlich – nun gut. Ulrike will ihn nicht. Doch er weiß, wie er sie verewigen wird! Er wird ein Gedicht für sie schreiben. Und in jedes einzelne Wort wird er seine ganze Leidenschaft fließen lassen …
Die erste App, die dich wirklich schlauer macht.
Jetzt runterladen!Verliebt auch noch im hohen Alter? Absolut! Johann Wolfgang von Goethe gilt nicht nur als einer der größten deutschen Dichter und Intellektuellen aller Zeiten. Er war auch ein Mann der großen Empfindungen und oft bis über beide Ohren verliebt. Erfahrungen, die er immer wieder auch in seinen Werken verarbeitete. Und Ulrikes Absage war nun wirklich nicht der erste „Korb“, den Goethe in seinem langen Leben entgegennehmen musste.
Seine vermutlich erste Liebe war Käthchen Schönkopf, die Tochter eines Leipziger Gastwirts, in dessen Haus der junge Johann Wolfgang Goethe während seiner Studienzeit fast täglich zu Mittag aß. Der Standesunterschied schloss jedoch eine Heirat aus; tieftraurig verließ Goethe Leipzig und verarbeitete den Verlust in seinen „Annettenliedern“.
Um 1770 verliebte er sich in Straßburg heftig in die Pfarrerstochter Friederike Brion. Sie inspirierte ihn zu seinen „Sesenheimer Liedern“, die sich durch ihre empfindsame Lyrik von den damaligen Werken der Aufklärung abhoben. Nach einem Jahr trennten sich ihre Wege; Goethe ging nach Wetzlar und entbrannte dort in Liebe zu der Bürgerstochter Charlotte Buff. Leider war sie bereits verlobt – und wurde Goethes literarische Muse für seinen berühmte Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“. In Frankfurt am Main war Goethe das erste und einzige Mal verlobt: mit Anna Elisabeth Schönemann. Sie war die Tochter eines reichen Bankiers, der sich für seine Tochter eigentlich eine „bessere Partie“ wünschte. Auch Goethe fühlte sich im Hause Schönemann nicht besonders wohl und löste die Verlobung schließlich wieder auf.
1775 trat Goethe in den Dienst des Herzogs Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach und gehörte bald auch zu den Kreisen, in denen Herzogin Anna Amalia ihre künstlerischen Neigungen pflegte. Mit ihrer (verheirateten) Hofdame Charlotte von Stein verband den Dichter und Minister eine mehrjährige Beziehung, die jedoch nie körperlich gewesen sein soll. Nach seiner ersten Italienreise war Schluss. 1788 schließlich lernte er die 23-jährige Christiane Vulpius kennen, die bei einem Weimarer Hutmacher arbeitete. Eine Ehe mit ihr wäre unstandesgemäß gewesen, so hielt er seine Geliebte 18 Jahre lang aus seinem gesellschaftlichen Leben heraus. Sie war buchstäblich ans Haus gefesselt. Sein ältester Sohn August kam unehelich zur Welt, vier weitere Kinder starben früh. Erst 1806 legalisierte Goethe die „wilde Ehe“ durch Heirat.
Johann Wolfgang von Goethe erreichte mit 82 Jahren ein für damalige Verhältnisse fast biblisches Alter. Der Nachteil: Schon zu Lebzeiten musste er sich von vielen seiner Freunde und Angehörigen verabschieden. Im Jahr 1805 starb sein guter Freund Friedrich Schiller, mit dem Goethe eine enge und produktive Freundschaft verbunden hatte. 1816 verlor er seine langjährige Geliebte und Ehefrau Christiane, und 1830 musste er auch noch seinen Sohn August zur letzten Ruhe betten. Seine nun verwitwete Schwiegertochter Ottilie blieb mit ihrem Sohn Walther bei Goethe, den sie liebevoll „Vater” nannte. Klug und geistreich unterstützte sie ihn unter anderem bei der Ausarbeitung seines Faust II. Beistand und Rückhalt erfuhr der Dichterfürst auch durch seinen Berliner Altersfreund Carl Friedrich Zelter, mit dem er viele Interessen teilte und zahllose Briefe austauschte.
Goethe flüchtete sich nach Schicksalsschlägen immer wieder in die Arbeit. Oft zog er sich aus der Residenzstadt Weimar, die ihm eng und steif erschien, in die benachbarte Universitätsstadt Jena zurück. Auch in Erfurt, heute Landeshauptstadt von Thüringen, gefiel es ihm gut – so gut, dass er die Stadt an der Gera als das „thüringische Rom” bezeichnete. Die Leitung des Hoftheaters (heute Nationaltheater Weimar) hatte er abgegeben und sich auch von allen anderen Pflichten seines Ministeramts entlasten lassen. Aber das Leben eines Pensionärs war nicht seine Sache …
Goethe blieb produktiv und brachte noch im hohen Alter bedeutende Werke hervor. Leben und Werk gingen bei Goethe Hand in Hand. Immer wieder befeuerten Lebensereignisse, vor allem schmerzhafte, seine produktive Arbeit als Schriftsteller. So machte sich Goethe nach Schillers Tod daran, den ersten Teil seiner Tragödie „Faust“ zu vollenden. Schließlich hatte er lange genug an dem Werk gefeilt und sich mit seinem Freund darüber ausgetauscht. Endlich, nach fast 30 Jahren der Auseinandersetzung mit diesem Stoff, erschien 1808 die finale Fassung des Faust I. Ein Jahr später wurde der Roman „Die Wahlverwandtschaften“ veröffentlicht – jener Liebesroman, in welchem Goethe seine unerwiderte Liebe zu der jungen Minna Herzlieb verarbeitete. 1810 brachte er ein weiteres Großprojekt zu Ende: Er veröffentlichte seine „Farbenlehre“. Auch mit ihr hatte er sich annähernd 20 Jahre lang befasst, indem er vielfältige Betrachtungen und Analysen zu den Eigenschaften und der Wahrnehmung von Farben anstellte. Goethe, der Dichterfürst und Wissenschaftler: ein echtes Universalgenie.
Zwischen 1811 und 1830 schrieb Goethe seine Autobiografie, die unter dem Titel „Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit“ in vier Bänden erschien. Goethe offenbart darin, wie sein Leben und auch seine unglücklichen Liebschaften sein Werk beeinflussten. Und er betont, dass ihm das Schreiben immer auch eine Lebenshilfe war – es war seine Art, mit Schicksalsschlägen und Schmerz umzugehen. Zugleich ist seine Autobiografie aber auch mit Vorsicht zu genießen. Schließlich liefert sie uns genau das Bild von Goethe, das der Dichter selbst von sich zeigen wollte. Andere Werke wie die „Marienbader Elegie“ vermitteln dagegen einen tiefen und unmittelbaren Einblick in die Seele Goethes.
Als die 19-jährige Ulrike von Levetzow Goethes Heiratsantrag ablehnte, war der gestandene Mann Goethe tief getroffen. 1821 hatte der 72-Jährige die Tochter eines hohen Hofbeamten aus Mecklenburg im vornehmen Kurort Marienbad kennengelernt und auch die folgenden zwei Kuraufenthalte mit ihr und weiteren Freundinnen verbracht. 1823 machte er ihr einen Antrag – den Ulrike höflich ablehnte. Goethe ging mit diesem Schmerz auf die altbewährte Art und Weise um: Er schrieb. Er verfasste ein Gedicht, das 1827 unter dem Titel „Marienbader Elegie“ in seinem Gedichtband „Trilogie der Leidenschaft“ erschien. Dieser Band mit drei Dichtungen gilt als ein lyrisches Meisterwerk der deutschen Literatur. Vor allem das mittlere Gedicht, welches das Erlebnis mit Ulrike verarbeitet, gilt als das persönlichste und leidenschaftlichste, das Goethe je geschrieben hat. Es zeigt den Schmerz Goethes und in gewisser Weise auch seinen traurigen Abschied von der Liebe. Die Fähigkeit Goethes, große Leidenschaft zu empfinden, trug somit zur Entstehung eines seiner späten Meisterwerke bei.
In seinen letzten fünf Lebensjahren vertiefte sich Goethe ganz in seine Arbeit. Dazu zählte neben dem dritten Teil seines Romanzyklus um den bildungshungrigen Abenteurer Wilhelm Meister auch die Fortsetzung des legendären Faust-Stoffs. „Faust. Der Tragödie zweiter Teil” sollte erst einige Monate nach Goethes Tod erscheinen.
Goethe starb am 22. März 1832 in seinem Haus in Weimar, das heute das Goethe-Nationalmuseum der Stiftung Weimarer Klassik ist. Vermutlich erlag er einem Herzinfarkt mit nachfolgendem Lungenödem, das man damals „Stickfluss” nannte. Einen Tag später zeichnete Friedrich Preller der Ältere ein letztes Portrait Goethes auf dem Totenbett, das hager gewordene Gesicht von einem Lorbeerkranz umrahmt. „Geisteskräftig und liebevoll bis zum letzten Hauche, schied er von uns im Drei und Achtzigsten Lebensjahre”, heißt es in der Todesanzeige, die seine Schwiegertochter Ottilie ihm drucken ließ. Um seinen literarischen Nachlass kümmerte sich Johann Peter Eckermann, den Goethe testamentarisch als Hauptherausgeber aller noch nicht veröffentlichten Werke eingesetzt hatte. Eckermann wird häufig (und fälschlich) als „Sekretär” Goethes bezeichnet. Das war er nicht, zumindest nicht im Sinne eines Arbeitsverhältnisses. Eckermann verehrte den Dichterfürsten glühend und war ihm in dessen letztem Lebensjahrzehnt ein zuverlässiger Vertrauter.
Goethes Arzt Carl Vogel behauptete später, die letzten Worte des Sterbenden seien „Mehr Licht“ gewesen – obwohl er einräumen musste, in dem Moment des Todes gar nicht im Sterbezimmer gewesen zu sein. Goethes letzte Worte bleiben damit umstritten. Aber ob wahr oder nicht, fest steht: Wo Goethe war, da war immer auch das Licht der Erkenntnis. Dass es mit ihm erlischt – wen würde das verwundern.
Zusammenfassung
Johann Wolfgang von Goethes Leben und Werk gingen stets Hand in Hand. Schicksalsschläge wie Todesfälle, unerwiderte Liebschaften und Liebeskummer trieben ihn immer wieder zum Schreiben an.
In seiner Autobiografie „Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit“ offenbarte Goethe, wie sehr sich Leben und Werk gegenseitig beeinflussen.
Die späte unerwiderte Liebe zu der jungen Ulrike von Levetzow führte zur Entstehung der „Marienbader Elegie“. Das Gedicht erschien 1827 im Gedichtband „Trilogie der Leidenschaft“ und gilt als ein spätes Meisterwerk Goethes.
Seine angeblich letzten Worte – „Mehr Licht“ – sind umstritten.
Teste dein Wissen im Quiz
A) Seine Schwiegertochter Ottilie
B) Seinen Altersfreund Carl Friedrich Zelter
C) Seinen Arzt Carl Vogel
D) Seinen Vertrauten Johann Peter Eckermann
Richtige Antworten:
1. A) Schicksalsschläge und Liebeskummer
2. D) Wahrheit
3. C) Marienbader Elegie
4. B) Mehr Licht
5. D) Seinen Vertrauten Johann Peter Eckermann