Seine Schriften waren eine Reaktion auf das Massenelend der neu entstandenen Industriegesellschaft. In dieser Story erfährst du, wie der Philosoph und Ökonom Karl Marx in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Anwalt einer neuen sozialen Schicht wurde: der Arbeiterklasse.
Ein paar Sonnenstrahlen tauchen das schäbige Studierzimmer in warmes Licht. Jenny sitzt am Schreibtisch, den Kopf über ein Manuskript gebeugt. Geschrieben hat es ihr Mann Karl. Seine Handschrift ist eine einzige Katastrophe. Trotzdem geht Jenny die Abschrift wie immer gut von der Hand. Auch ihre Ideen wird sie mit einfließen lassen. Jenny schaut sich in ihrer kargen Behausung um. Ja, das Leben im Wohlstand hat sie längst hinter sich gelassen. Stattdessen hat sie sich für die Ehe entschieden. Geldnot ist an der Tagesordnung und ständig müssen sie umziehen, sogar das Land verlassen, weil es den Mächtigen nicht passt, was ihr Karl da zu Papier bringt. Jenny blättert zur nächsten Seite. Sie weiß, auch dieses Schriftstück wird kaum Geld, dafür aber viel Ärger bringen. Wie oft hatte sie ihrem Karl gesagt, er solle nur ja nicht zu gallicht und gereizt schreiben. Er solle die Wörter stellen, wie sie es selber wollen. Jenny lächelt. Er scheint auf sie gehört zu haben. Sie notiert den letzten Satz: „Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“
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Jetzt runterladen!Nicht nur die Spinning Jenny – die erste Spinnmaschine der Welt – hat eine große Bedeutung im Zeitalter der Industrialisierung. Es gibt noch eine zweite, überaus wichtige Jenny: die Ehefrau von Karl Marx. Jenny – eigentlich: Johanna Bertha Julie Jenny von Westphalen – entstammt einer Adelsfamilie. Und sie hat für den vier Jahre jüngeren Karl ihr Leben als Baronesse aufgegeben. Doch Moment. Eine Adelige an der Seite von Karl Marx, dem wichtigsten Vertreter des Kommunismus, einer Weltanschauung, die auf absoluter Gleichheit basiert? Ja, das muss kein Widerspruch sein. Karl Marx‘ Lebensthema ist die Überwindung der Klassenunterschiede – praktiziert in der eigenen Ehe.
Ja, Karl Marx ist anders. Alles an ihm. Und das hat unmittelbar mit der Zeit zu tun, in der er lebt. Die Industrialisierung bringt zwar wirtschaftlichen Aufschwung, aber eben auch Leid und Ungleichheit. Und mit ihr entsteht vor allem in den Städten eine ganz neue soziale Schicht: die Arbeiterklasse. Karl Marx wird zu ihrem Sprachrohr.
Aber wie kam es dazu?
Karl Marx wird im Jahre 1818 als Sohn des Rechtsanwalts Heinrich Marx und seiner Frau Henriette in der rheinland-pfälzischen Stadt Trier geboren. Er geht aufs Trierer Friedrich-Wilhelm-Gymnasium studiert in Bonn und Berlin; seine Doktorarbeit schreibt er an der Universität Jena über die „Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie”. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften und Philosophie peilt er eine akademische Laufbahn an, was allerdings nicht gelingt. Vorerst nähert er sich dem Kreis der „Junghegelianer“ an. Marx ist vor allem fasziniert von einem großen Denker seiner Zeit: dem Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Dieser war der Auffassung, dass die Geschichte der Menschheit einem ganz bestimmten Ablauf folgt. Dieser Prozess verläuft nach Hegel dialektisch. Das heißt, es braucht gegensätzliche Positionen, damit etwas Neues entstehen kann. Die Weltgeschichte vollzieht sich laut Hegel demnach in drei Schritten. Er nennt sie These, Antithese und Synthese. Die „These”, das sind die Regeln und Gewissheiten der jeweiligen Zeit. Sie existieren nur so lange, bis ihnen widersprochen wird. Dann kommt es zur „Antithese”. Und aus diesem Widerspruch entsteht wieder etwas völlig Neues: die Synthese.
Vereinfacht gesagt: Die Menschheit entwickelt sich weiter, weil Gegensätze aufeinandertreffen und miteinander zu einer neuen Entwicklungsstufe verschmelzen. Auch Marx war davon überzeugt, dass die Geschichte der Menschheit einer solchen Gesetzmäßigkeit folgt. Wo Hegel aber sehr abstrakt bleibt, wird Marx konkret. Er nimmt Hegel beim Wort und benennt den großen Gegensatz seiner Zeit: die Ausbeutung der Arbeiter. Sie sind es, die zur Zeit der Industrialisierung alles am Laufen halten, aber davon nicht wirklich profitieren. Die schlechten Arbeitsbedingungen in den Fabriken und Zechen, die beengten, feuchten und unhygienischen Arbeiterunterkünfte – das alles führt zu einer Verelendung eines großen Teils der Bevölkerung.
Marx beschreibt, wie sich zwei Schichten unversöhnlich gegenüberstehen: die sogenannte Bourgeoisie, also die wohlhabende, besitzende Klasse, und das Proletariat, die Arbeiterschaft. These und Antithese also. Und um diesen Widerspruch aufzulösen, gibt es für Marx nur eine Lösung: Es braucht einen Aufstand! Den Aufstand der Arbeiter!
1842 ist Karl Marx Chefredakteur der liberalen „Rheinischen Zeitung für Politik, Handel und Gewerbe” in Köln. Das liegt im damaligen Preußen. Dort herrscht eine strenge Zensur, echte Meinungsfreiheit gibt es nicht. Nach einem kritischen Artikel wird die Zeitung, für die er schreibt, von der preußischen Regierung verboten. Marx geht mit seiner frisch angetrauten Jenny nach Paris. Die liberale Stadt an der Seine ist in dieser Zeit ein Sammelbecken für politisch Verfolgte. Marx freundet sich dort unter anderem mit dem deutschen Dichter Heinrich Heine an und gibt zusammen mit Arnold Ruge die „Deutsch-Französischen Jahrbücher” heraus. Doch schon nach der ersten Doppelausgabe muss er auf Betreiben des preußischen Botschafters Frankreich auch schon wieder verlassen. Seine nächste Etappe: Brüssel. Dort kommt es dann zu einer wahrlich schicksalhaften Begegnung. Marx lernt Friedrich Engels kennen. Engels stammt aus einer Industriellenfamilie und hat seit Kindertagen in der Textilfabrik seines Vaters gesehen, was Marx an der kapitalistischen Produktionsweise anklagt: schlechte Bedingungen, Kinderarbeit, Armut und Elend. Gemeinsam gründen sie in Brüssel den „Deutschen Arbeiterverein”.
Was Marx und Engels dann im Brüsseler Exil für den „Bund der Kommunisten” verfassen, wird die Welt nachhaltig verändern. Es entsteht eines der meistverlegten Schriftstücke aller Zeiten: Das Manifest der Kommunistischen Partei. Die Menschheitsgeschichte beschreiben sie darin als eine Geschichte des Klassenkampfes. Die Sklaven haben gegen die Sklavenhalter gekämpft. Die Bauern gegen ihre Feudalherrn. Und nun sei es an der Zeit, dass die Arbeiter sich gegen die Fabrikbesitzer zur Wehr setzen. Für Marx und Engels war die Sache klar: Es braucht einen letzten großen Aufstand – und zwar weltweit, um die Geschichte zu einem guten Ende zu führen. Nach der Revolution käme es dann übergangsweise zu einer „Diktatur des Proletariats”. Die Arbeiter würden den Besitzenden die Produktionsmittel, also die Fabriken und Maschinen entreißen. Und schließlich würde eine klassenlose Gesellschaft entstehen, eine Gesellschaft ohne Ausbeutung, in der alle Menschen gleichberechtigt sind – der Kommunismus eben. Marx‘ Manifest ist also eine Anleitung zum Aufstand, verbunden mit dem berühmten Appell: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“
Gerade in England ist die Situation der Arbeiter immer unerträglicher geworden. Doch etwas übersieht Marx: Die Arbeiter wollen keinen Aufstand, sondern am wirtschaftlichen Aufschwung teilhaben. Statt zu revoltieren, gründen sie Gewerkschaften. Und auch die Fabrikbesitzer begreifen, dass zufriedenere Arbeiter produktiver sind.
1848 erscheint das Kommunistische Manifest in London. Und tatsächlich kommt es in diesem Jahr zu einer deutschen Revolution. Mit Marx‘ Schrift hat sie allerdings wenig zu tun. Denn bei dieser Revolution sind es nicht die Arbeiter, die sich im Sinne von Marx und Engels zusammenschließen. Es ist eine bürgerliche Revolution, ihre erklärten Ziele sind Demokratie und ein geeintes Deutschland. Denn noch ist das Land in lauter größere und kleinere Monarchien unterteilt und wird erst 1871 nach drei verheerenden Kriegen zu einem geeinten Reich zusammenwachsen. Die deutsche Revolution aber scheitert bereits 1849. Und Marx?
Der gibt in Köln die „Neue Rheinische Zeitung” heraus, die linksdemokratische Ansichten vertritt. 1849 wird er aus Deutschland ausgewiesen und geht nach London ins Exil. Zehn Jahre später wird er unter dem Titel „Zur Kritik der politischen Ökonomie” seine erste Analyse der Produktionsweise und Ideologie der bürgerlichen Gesellschaft veröffentlichen, die er zum Thema seines ersten Bandes seines berühmtesten Werks macht: „Das Kapital – Kritik der politischen Ökonomie”, erschienen 1867. Dazwischen gründet er die „Internationale Arbeiterassoziation” (auch „Erste Internationale” genannt) mit und schreibt Artikel für große Zeitungen, darunter die New York Daily Tribune.
Die Ideen von Marx und Engels werden so richtig erst im 20. Jahrhundert populär, als es auf mehreren Kontinenten zu kommunistischen Revolutionen kommt. In Ländern, an die Marx ursprünglich gar nicht gedacht hatte, weil sie das Industriezeitalter noch gar nicht durchlaufen hatten: landwirtschaftlich geprägte Staaten wie Russland oder China. In der Sowjetunion, der DDR und den anderen „sozialistischen Bruderstaaten” im europäischen Osten werden der „Marxismus-Leninismus” und die Lehren von Marx & Engels zur Staatsdoktrin, auch zusammengefasst unter dem Lehrbegriff „Wissenschaftlicher Sozialismus”, den Marx zur eigenen Abgrenzung von den gesellschaftlichen Utopien der sogenannten Frühsozialisten prägte. Auch zur Sozialdemokratie geht er auf Abstand. Als sich die Sozialdemokratische Arbeiterpartei 1875 in Gotha mit dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein zur „sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands” vereinigt, verfasst er eine geharnischte „Kritik des Gothaer Programms” der neuen Partei.
Von den kommunistischen Revolutionen, die in menschenverachtende Diktaturen führen, bekommt Karl Marx aber nichts mehr mit. Es stirbt 1883, keine zwei Jahre nach seiner Frau Jenny. Ein Freund kommentiert später: „Mit ihr starb er. Ihr Tod war sein Tod. Das wussten alle, die ihn kannten.“ Jenny war nicht nur eine Frau „an der Seite von“. Auch sie veröffentlichte Texte. Und steht damit auch für einen neuen Typus Frau. Denn bei aller Kritik: Die Industrielle Revolution sorgte auch dafür, dass sich die Rolle der Frau nach und nach veränderte.
Zusammenfassung
Karl Marx‘ Ideen waren eine Reaktion auf die soziale Ungerechtigkeit, die infolge der Industriellen Revolution entstanden war.
Zusammen mit Friedrich Engels verfasste er 1848 das „Kommunistische Manifest“. Marx und Engels gingen davon aus, dass die zunehmende soziale Ungleichheit zu einem Aufstand der Arbeiter führen würde. Diese Revolution würde schließlich eine klassenlose Gesellschaft hervorbringen – den Kommunismus.
1848 war auch das Jahr, in dem es zur deutschen Revolution kam. Die wurde jedoch vom Bürgertum angeschoben. Erst im 20. Jahrhundert wurden die Ideen von Marx und Engels in die Tat umgesetzt. Statt klassenloser Gesellschaften entstanden allerdings menschenverachtende Diktaturen – zum Beispiel nach der Chinesischen oder der Russischen Revolution.
Marx starb 1883 in London. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof Highgate.
Seine bekanntesten Werken sind das Kommunistische Manifest (zusammen mit Friedrich Engels in London verfasst; erschienen 1848) sowie „Das Kapital” (drei Bände 1867/1885/1894).
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Richtige Antworten:
1. D) Georg Wilhelm Friedrich Hegel
2. C) Kommunismus
3. A) In der Revolution
4. D) Sich vereinigen
5. B) London