Die pro-europäische Maidan-Bewegung war erfolgreich gewesen. Der pro-russische ukrainische Präsident war nach Moskau geflohen. Dass sich die Ukraine politisch an der Europäischen Union ausrichten wollte, gefiel dem Kreml ganz und gar nicht. Aber das Machtvakuum an der Spitze der Ukraine kam Wladimir Putin 2014 gerade recht für seinen nächsten Schachzug: die Besetzung der ukrainischen Halbinsel Krim im Schwarzen Meer. Damit begann der Ukraine-Krieg.
Auf den ersten Blick meint man, es sei Silvester. In der Stadt Simferopol auf der Krim zischen Feuerwerkskörper in den Nachthimmel und explodieren mit lautem Krachen. Die Menge ist in Feierlaune. In der Ferne hört man hupende Autokorsos. Eine junge Frau bewegt sich auf den Schultern eines Mannes zur Musik wie auf einem Festival. Andere schwenken Russlandfahnen oder blaue, weiße und rote Luftballons. Diese Menschen bejubeln eine umstrittene Volksabstimmung, in der sich angeblich weit über 90 Prozent der Bevölkerung für den Anschluss der Krim an Russland ausgesprochen haben. „Das ist ein Fest, eine Freude“, erzählt eine Frau einem Kamerateam der ARD. „Wir kommen nach Hause!“
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Jetzt runterladen!Kurz nach dem Ende der Maidan-Revolution 2014 passierte auf der Halbinsel Krim etwas Seltsames. Scheinbar aus dem Nichts heraus besetzten unbekannte Männer Ende Februar Gebäude von Militär, Verwaltung und Polizei. Sie waren bewaffnet und maskiert, trugen grüne Uniformen, aber keine Hoheitszeichen. „Grüne Männchen“ wurden sie bald spöttisch genannt. Russlands Präsident Wladimir Putin behauptete zunächst, nichts damit zu tun zu haben. Mit großer Wahrscheinlichkeit aber handelte es sich bei den „grünen Männchen” um russische Spezialeinheiten. Die Krim-Krise nahm ihren Lauf. Das besetzte Regionalparlament in Simferopol brachte die besagte Volksabstimmung auf den Weg und bestimmte den prorussischen Politiker Sergej Aksjonow zum neuen Ministerpräsidenten. Laut ukrainischer Verfassung hätte deren damaliger Präsident Petro Poroschenko zustimmen müssen. Er wurde aber nicht gefragt.
Stattdessen gab es eine gemeinsame Unabhängigkeitserklärung des „Obersten Rates der Autonomen Republik Krim” und des Stadtrats von Sewastopol. Diese sollte allerdings nur die formaljuristische Kulisse für den Beitritt zur Russischen Föderation formen. Und natürlich für das Referendum, das eigentlich im Mai stattfinden sollte, aber auf den 16. März vorgezogen wurde. Es brachte das erwünschte Ergebnis.
Unter russischer Militärbesatzung und ohne unabhängige Beobachter sprach sich die Bevölkerung der Halbinsel in einer umstrittenen Abstimmung angeblich fast geschlossen für einen Beitritt zur Russischen Föderation aus. Am 18. März unterzeichnete Wladimir Putin einen Vertrag über die Eingliederung der Krim in die Russische Föderation. Das von Bewaffneten „beschützte” Regionalparlament.
Der russische Präsident Putin nannte das „Rückholung“ und bezog sich darauf, dass die Mehrheit der Bewohnerinnen und Bewohner der Krim russische Wurzeln hat. Die Mehrheit in der internationalen Staatengemeinschaft nennt die Annexion der Halbinsel dagegen einen Bruch des Völkerrechts.
Das Völkerrecht, das sind Regeln, auf die sich die mehr als 190 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen geeinigt haben. An diese Regeln müssen sich alle Staaten der Welt halten. Das Völkerrecht darf man sich aber nicht als ein großes Regelbuch vorstellen. Vielmehr besteht es aus einer ganzen Reihe von Verträgen. Die wichtigste Quelle des Völkerrechtes ist die sogenannte UN-Charta: die Verfassung der Vereinten Nationen. Sie verbietet die Androhung oder Anwendung militärischer Gewalt und sieht vor, dass die Grenzen anderer Länder respektiert werden. Das nennt man territoriale Integrität. Mit der Annexion der Krim aber hat Russland mit diesen Regeln gebrochen. Die gewaltsame Einverleibung fremden Staatsgebiets war völkerrechtswidrig. Es war das erste Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, dass eine Großmacht ein Territorium eines anderen Staates besetzte. Die Folge: Die Vereinten Nationen erklärten die Volksabstimmung auf der Krim für ungültig. Der Westen, allen voran die USA und die Europäische Union, reagierte mit wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland.
Russland sieht die Krim als russisch an. In einer Rede sagte Putin: Die Krim sei für Russland der „strategisch wichtigste Faktor“ in der Region. Sie sei für Russen so wichtig wie der Tempelberg in Jerusalem für Juden und Muslime. Angeblich wurde auf der Krim im Jahr 988 Fürst Wladimir der Heilige getauft. Er gilt als ein wichtiger Herrscher des mittelalterlichen Großreichs „Kiewer Rus“ – sowohl Russen als auch Ukrainer sehen in ihm ihre historischen Wurzeln.
Bis ins späte 18. Jahrhundert allerdings war die Halbinsel das Herzstück des Khanats der Krimtataren, die ihrerseits unter der Oberherrschaft des Osmanischen Reichs standen. Im Russisch-Türkischen Krieg wurde das Krim-Khanat ein formell unabhängiger Staat unter dem Protektorat Russlands. Das blieb es allerdings nur für wenige Jahre, denn es stand der Siedlungs- und Expansionspolitik von Kaiserin Katharina II. im Weg. Eine sofortige Annexion wagte sie zwar nicht, weil sie keinen Krieg mit den europäischen Großmächten England, Frankreich und Preußen riskieren wollte. Die waren nämlich mit dem osmanischen Sultans im Bunde, um ein russisches Vordringen ins Mittelmeer zu verhindern. Einige Jahre später aber war die weltpolitische Lage günstig: In Nordamerika tobte der Unabhängigkeitskrieg der britischen Kolonien gegen ihre Regierung in London. Frankreich unterstützte die Aufständischen mit Truppen, Großbritannien hielt dagegen. Das band Truppen und Kriegsgerät, und Katharina die Große nutzte die Gelegenheit.
1783 erließ sie das Manifest über die „Annahme der Halbinsel Krim, der Insel Taman und der gesamten Kuban-Seite unter den russischen Staat”. Was folgte, war die Verdrängung der Krimtataren und deren Kultur durch die gezielte Besiedelung der Halbinsel und der angrenzenden Gebiete mit russischen Bauern. Fortan war die Krim „russisch”. Preußen und die Habsburgermonarchie Österreich waren zuvor mit Territorien des ehemaligen Großreichs Polen-Litauen beschwichtigt worden. Die Hafenstadt Sewastopol wurde Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte und erwarb sich im Zweiten Weltkrieg einen Heldenmythos, denn sie bot Hitlers Wehrmacht über 200 Tage die Stirn. In der Sowjetzeit war die Krim aber nicht nur Militärbasis, sondern auch beliebtes Urlaubsziel.
Bis 1954 gehörte die Halbinsel zu Russland beziehungsweise zur Sowjetunion. Doch dann überschrieb der Partei- und Staatschef Nikita Chruschtschow die Krim den Ukrainern – als Geschenk zum 300-jährigen Jubiläum der russisch-ukrainischen Einheit. Wladimir Putin bezeichnet dies heute als einen schweren historischen Fehler: Wie ein „Sack Kartoffeln“ habe die Krim den Besitz gewechselt, findet Putin heute. Die Annexion der Krim im Jahr 2014 sollte dies wohl korrigieren.
Kurz darauf eskalierte der Ukraine-Konflikt weiter – und zwar im Osten der Ukraine. Der geschasste Präsident und Russlandfreund Wiktor Janukowitsch, selbst aus der Region Donezk, hatte in der Gegend viel Rückhalt. Pro-russische Aktivisten besetzten Gebäude in verschiedenen Städten. Diese sogenannten Separatisten riefen die „Volksrepubliken” Donezk und Luhansk aus. Russland unterstützte die bewaffneten Milizen.
Die Krim schien verloren, doch die ukrainischen Gebiete im Osten, die sich jetzt „autonome Republiken” nannten, wollte die Regierung in Kyiv nicht aufgeben. Die ukrainische Armee versuchte gemeinsam mit Freiwilligen, die Gebiete unter Kontrolle zu bringen. Die Russen waren verdeckt auf Seiten der Separatisten am Konflikt beteiligt. Es gab Berichte über Lieferungen von schwerem Kriegsgerät, etwa auch einem Flugabwehrraketensystem. Damit schossen Separatisten wohl versehentlich ein Passagierflugzeug der Malaysia Airlines mit rund 300 Menschen an Bord ab.
Offiziell bestritt die Putin-Regierung stets, dass Russland im Krieg gegen die Ukraine sei. Es hieß etwa, russische Soldaten kämpften dort freiwillig oder seien im Urlaub. Oder sie hätten sich an der Grenze verlaufen.
Der Westen verhängte Wirtschaftssanktionen gegen Russland, versuchte aber auch zu vermitteln. Im Nachbarland Belarus, in der Hauptstadt Minsk, einigten sich Russland und die Ukraine auf die Minsker Abkommen. Die Vereinbarungen von 2014 und 2015 sahen Lösungen vor: etwa einen Waffenstillstand und einen Sonderstatus für die Separatistengebiete. Die Front wurde eingefroren: ein wackliger Status quo, dessen Waffenruhe immer wieder gebrochen wurde. Nachdem russische Schiffe im Asowschen Meer ukrainische Schiffe rammten und beschossen, verhängte Poroschenko für 30 Tage das Kriegsrecht.
Die Krim-Krise hatte allerdings noch eine Nebenwirkung, die Putin wohl nicht beabsichtigt hatte: Die Zahl der Ukrainer, die einen Beitritt ihres Landes zum westlichen Verteidigungsbündnis NATO befürworten, stieg kontinuierlich. Ende 2018 waren es laut Umfragen bereits 44 Prozent, und nur noch weniger als ein Drittel der Bevölkerung wäre direkt gegen einen NATO-Beitritt. Vor 2014 hingegen hatte eine deutliche Mehrheit einen Kurs der Neutralität favorisiert.
Im März 2019 gab es Präsidentschaftswahlen. Neuer Präsident wurde der politisch unerfahrene Wolodymyr Selenskyj. Er sollte das Land durch schwere Zeiten führen. Denn die Ukraine-Krise war nur ein bitterer Vorgeschmack auf das, was noch kommen sollte. Im Frühjahr 2022 weitete der russische Präsident Wladimir Putin seinen Angriffskrieg auf die gesamte Ukraine aus.
Als Reaktion auf die pro-europäische Maidan-Revolution besetzte Russland im Februar 2014 militärisch die ukrainische Halbinsel Krim.
Eine pro-russische Übergangsregierung hielt im März eine international nicht anerkannte Volksabstimmung auf der Krim ab. Im Anschluss wurde die Halbinsel als Landesteil in die Russische Föderation eingegliedert.
Mit der Annexion der Krim verstößt Russland gegen das Völkerrecht. Sie verletzt das in der UN-Charta verankerte Verbot der Androhung oder Anwendung militärischer Gewalt und das Völkerrechtsprinzip der territorialen Integrität.
Im Anschluss an die Annexion der Krim begann Russland mit dem Aufbau prorussischer bewaffneter Milizen in der Ost-Ukraine. Seit 2014 kämpften dort pro-russische Separatisten gemeinsam mit regulären russischen Truppen gegen ukrainische Streitkräfte.
Im Frühjahr 2022 weitete Russland seinen Angriffskrieg auf die gesamte Ukraine aus.
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A) Polen-Litauen
B) Habsburgermonarchie
C) Osmanisches Reich
D) Kiewer Rus
Richtige Antworten:
1. C) Krim
2. B) Nikita Chruschtschow
3. D) Widerrechtliche Aneignung fremden Staatsgebiets
4. A) Minsker Abkommen
5. C) Osmanisches Reich