Mit der Industriellen Revolution verändert sich auch die Lage der Frauen. Auch sie schuften nun wie die Männer in den Fabriken. Aber bekommen sie deswegen die gleichen Rechte? Nein, die Rechte der Frau müssen erst erkämpft werden. Die Anfänge der deutschen Frauenbewegung, wichtige Aktivistinnen und ein neues Frauenbild: Nach dieser Story weißt du mehr.
Frankfurt am Main. Die Stadt ist geschmückt. Die Glocken läuten und zahlreiche Bürger haben sich in den Straßen versammelt. Endlich ist es soweit. Die Wochen des Aufruhrs haben sich gelohnt. Der Ruf nach Demokratie und einem geeinten Deutschland wurde offenbar gehört. In der Paulskirche soll das neue demokratische Zeitalter ausgerufen werden. Die Nationalversammlung ist dort zusammengekommen, um eine Verfassung für ein einheitliches Deutschland zu entwerfen. Aber: Wo sind die Frauen? Unter den 831 Abgeordneten ist nicht eine einzige! Dabei haben Frauen revolutionäre Schriften verfasst, und auch sie sind auf die Barrikaden gegangen. Ah da! Auf den Zuschauertribünen. Da sind auch ein paar Frauen! Aber außer Zwischenrufen haben sie nichts zu melden...
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Jetzt runterladen!Am 18. Mai 1848 tagt in der Frankfurter Paulskirche erstmals ein gesamtdeutsches Parlament. Doch schon 14 Monate nach dieser berühmten Veranstaltung, die in die Geschichtsbücher als Deutsche Revolution von 1848 eingehen wird, ist dieser erste deutsche Demokratieversuch schon wieder Geschichte. Die Fürsten und Monarchen im Deutschen Bund wollen dann doch nichts von ihrer Macht abgeben. Sie lassen die Nationalversammlung verbieten und Aufstände niederschlagen. Was für eine Enttäuschung! Nicht nur für Frauen – aber eben auch für Frauen. Schwang doch beim Wort „Revolution“ auch eine Befreiung der Frau mit, ein Aufbruch in eine neue Zeit mit neuen Rechten.
Frauen spielen eine entscheidende Rolle für die Massenproduktion. Sie arbeiten 12 bis 14 Stunden – in Heimarbeit oder in Fabriken. Meist sind die Räume dunkel und schlecht belüftet, die Bezahlung ist dürftig. Männer bekommen für die gleiche Arbeit mehr Geld.
Und wie steht es um die Stellung der bürgerlichen Frau? Nun, sie schuftet zwar nicht in Fabriken, aber frei ist auch sie nicht. Argumentiert wird biologisch: SIE sei emotional, ER rational. Und daraus ergebe sich ganz natürlich, dass der Mann einen weitaus höheren gesellschaftlichen Wert habe! Also prägt der Mann das militärische und das Arbeitsleben, und die Frau kümmert sich um Haus und Kinder. Warum sollten Frauen also wählen dürfen? Wer keine „echten“ Pflichten hat, der hat auch keine Rechte – so einfach ist das.
Eine Frau, der es trotzdem gelingt, sich Gehör zu verschaffen, ist Louise Otto-Peters. Sie wird 1819 in Meißen geboren. Ihre Eltern, der Gerichtsdirektor Fürchtegott Wilhelm Otto und seine Frau Charlotte, geb. Matthäi, lassen Louise privat unterrichten. Denn für Mädchen dieser Zeit endet der Schulunterricht mit der Konfirmation, höhere Schulen sind dem männlichen Geschlecht vorbehalten. Die Teilnahme der Frauen am öffentlichen Leben ist schon gar nicht vorgesehen. Aber die junge Frau Louise Otto, die mit 16 Vollwaise wird, nimmt ihr Leben selbst in die Hand. Dank ihrer Erbschaft ist sie finanziell unabhängig. Nach dem Tod ihres Verlobten Gustav Müller verleiht sie als Schriftstellerin, Dichterin und einige Jahre später auch als Herausgeberin einer Zeitung für Frauen ihrem politischen Anliegen Ausdruck.
Es sind die Themen der Industriellen Revolution, die sie umtreiben: die harten und ungesunden Lebensverhältnisse der Arbeiterinnen. Zum Beispiel in ihrem Gedicht „Die Klöpplerinnen“ aus dem Jahr 1840. Es handelt von Frauen, die im Erzgebirge wie am Fließband Spitzen herstellen. Sie schreibt:
„Seht Ihr sie sitzen am Klöppelkissen / Die Wangen bleich und die Augen rot! / Sie mühen sich ab für einen Bissen, / Für einen Bissen schwarzes Brot!“
1842 erscheint ihr erster Roman „Ludwig der Kellner“, wenig später erklärt sie in einem Leserbrief: „Die Teilnahme der Frauen an den Interessen des Staates ist nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht.“ Der Brief erschien in den „Sächsischen Vaterlandsblättern“ des Demokraten Robert Blum.
Ihr 1846 erschienener Roman „Schloß und Fabrik“ widmet sich der bitteren Not und dem Aufbegehren der Industriearbeiter – und wird fast augenblicklich verboten. Louise Otto muss einige „gefährliche Stellen“ entschärfen, bevor das Werk wieder in den Verkauf darf. Von nun an wird sie sich umso mehr sozialkritisch engagieren – zunächst unter dem Pseudonym „Otto Stern“, weil Frauen als Publizistinnen noch immer nicht so recht für voll genommen werden. Von der Aufbruchsstimmung des Vormärz getragen, veröffentlicht sie 1847 die Gedichtssammlung „Lieder eines deutschen Mädchens“, die sie dem bekannten Dichter Alfred Meißner widmet und die ihr den Beinamen „Lerche des Völkerfrühlings“ einträgt.
Im März des Revolutionsjahrs 1848 wendet sie sich mit der „Adresse eines Mädchens an den hochverehrten Minister Oberländer, an die durch ihn berufene Arbeiterkommission und an alle Arbeiter“ an die sich gerade konstituierende sächsische Regierung in Dresden. Ihre Forderung: Für die Kommission, die Vorschläge zu Wirtschaftspolitik und Arbeitsorganisation erarbeiten soll, müssten auch Frauen benannt werden. Mitte des 19. Jahrhunderts ist eine solche Forderung ein Skandal ...
Die Revolution scheitert und die demokratische Bewegung wird reichsweit niedergeschlagen. Louise Otto macht weiter. Sie organisiert Versammlungen und gibt die „Frauen-Zeitung“ heraus, deren Motto lautet: „Dem Reich der Freiheit werb’ ich Bürgerinnen“. Als Frauenrechtlerin wird sie ein Netzwerk demokratischer Frauen- und Bildungsvereine in allen deutschen Teilstaaten schaffen. Der erste demokratische Frauen-Verein Sachsens entsteht 1849 in der erzgebirgischen Kleinstadt Oederan. Aber mit all ihren politischen Aktivitäten zieht sie auch schnell die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich.
Vor allem das Königreich Preußen, einer der mächtigsten Staaten im Deutschen Bund, hat etwas dagegen. Das preußische Vereinsgesetz von 1850 verbietet sogenannten „Frauenspersonen“ die Mitgliedschaft in politischen Vereinigungen und Versammlungen. Louise Ottos Frauen-Zeitung wird in Sachsen durch ein neues Pressegesetz quasi verboten. Dessen Paragraf 12 erlaubt nämlich nur noch Männern die verantwortliche Leitung einer Redaktion. „Lex Otto” wird dieser Paragraf denn auch genannt. Beirren lässt sich Louise davon nicht. Sie weicht mit ihrer Zeitung für zwei Jahre nach Gera in Thüringen aus und zieht schließlich, frisch verheiratet, mit ihrem Mann August Peters nach Leipzig. Dort gehören die beiden zur Redaktion der Mitteldeutschen Volks-Zeitung, Louise betreut das Feuilleton. 1865, ein Jahr nach dem Tod ihres Ehemanns August, gründet sie zusammen mit ihrer Freundin Auguste Schmidt den Leipziger Frauenbildungsverein samt dessen Vereinszeitung „Neue Bahnen”. Im gleichen Jahr organisiert sie hier auch die erste deutsche Frauenkonferenz. Auf dieser Konferenz wird der Allgemeine Deutsche Frauenverein (ADF) ins Leben gerufen, dessen Arbeit sie 30 Jahre lang als Vorsitzende prägen wird. Und: Der ADF wird zum Dachverband für zahlreiche neue Frauenbildungsvereine, die sich im gesamten Deutschen Reich gründen und miteinander vernetzen. Das bürgerliche Frauenleben wird zur organisierten Bewegung, die Frauenfrage zur öffentlichen Angelegenheit.
Die Gründung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins gilt als Initialzündung der organisierten Frauenbewegung. Ihre Aktivistinnen wollen keine Menschen zweiter Klasse sein. Sie wollen das gesellschaftliche Leben mitgestalten! Das bedeutet jedoch noch lange nicht, dass sich alle Frauen darüber einig sind, wo die Bewegung hingehen soll. Im späteren 19. Jahrhundert kristallisieren sich drei Gruppierungen mit unterschiedlichen Zielen heraus. Die Vertreterinnen der gemäßigten Richtung halten am traditionellen Frauenbild fest, setzen sich aber dafür ein, dass diese Rolle gesellschaftlich auch wertgeschätzt wird. Zu ihnen gehört etwa Henriette Goldschmidt, die 1911 – selbst bereits im hohen Alter – die „Hochschule für Frauen zu Leipzig” gründen wird: eine private Akademie für klassische Frauenberufe wie Erzieherin oder Krankenschwester.
Die zweite Gruppe steht in der Tradition der Arbeiterbewegung. Ihre Überzeugung: Wenn das Besitzbürgertum durch eine Revolution im Sinne von Karl Marx gestürzt wird, erledigt sich die Ungleichheit von selbst.
Der dritte, radikale Flügel der Frauenbewegung will das, was Frauen auch heute noch wollen: die absolute Gleichstellung. Frauen sollen alles machen können, was auch Männer dürfen: eine universitäre Ausbildung genießen, Berufe ausüben, die ihnen bisher vorenthalten sind – kurz: ein selbstbestimmtes Leben führen. Einig sind sich alle Gruppen, dass Frauen Zugang zu Bildung haben müssen. Darauf müssen sie aber noch lange warten. Denn deutsche Universitäten öffnen ihre Tore für Frauen erst ab 1900.
Zusammenfassung
Frauen galten zu Zeiten der industriellen Revolution als dem Mann gegenüber biologisch unterlegen. Im 19. Jahrhundert waren sie billige Arbeitskräfte in Fabriken oder passive Anhängsel wohlhabender Herren. Sie hatten Pflichten, aber kaum Rechte.
Frauen wie Louise Otto-Peters wollten sich damit nicht abfinden. Sie war eine der ersten Aktivistinnen der deutschen Frauenbewegung im 19. Jahrhundert, Schriftstellerin und Herausgeberin der „Frauen-Zeitung“.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kristallisierten sich drei Flügel in der Frauenbewegung heraus: der gemäßigte, der marxistische und der radikale. Ein gemeinsames Ziel war eine bessere Ausbildung für Mädchen und Frauen.
Teste dein Wissen im Quiz
Richtige Antworten:
1. B) Eröffnung der Frankfurter Nationalversammlung in der Paulskirche
2. D) Louise Otto-Peters
3. C) Allgemeiner Deutscher Frauenverein
4. B) Paragraf 12 des sächsischen Pressegesetzes
5. A) Vormärz