Deutschland im Herbst 1918: Der Erste Weltkrieg war verloren, die Friedensverhandlungen liefen bereits. Nur die deutschen Kriegsschiffe sollten weiterkämpfen. Aber die Besatzungen erhoben sich gegen ihre Befehlshaber. Wie aus einem lokalen Matrosenaufstand eine reichsweite Revolution wurde, erfährst du in dieser Story.
Auf dem deutschen Kriegsschiff scheint alles seinen normalen Lauf zu nehmen. Offiziere brüllen Befehle, Matrosen eilen auf ihre Posten. Jeder von ihnen weiß genau, was er zu tun hat. Als Erste werden wie vereinbart die Heizer aktiv und beginnen in aller Eile, die Feuer unter den Kesseln zu löschen. Weiter oben werden die Ankerwinden außer Betrieb gesetzt. Und auch an zahlreichen anderen Stellen sind die Matrosen damit beschäftigt, Maschinenteile unbrauchbar zu machen, die Technik zu zerstören, kurz: das ganze Schiff in einen nutzlosen Haufen Schrott zu verwandeln. Doch damit nicht genug, denn das Wichtigste steht noch aus: die Entwaffnung der Offiziere! Und noch ehe diese begreifen, was hier gerade passiert, sind sie schon von der eigenen Mannschaft umzingelt. Jedes Lächeln ist aus den Gesichtern der Männer verschwunden...
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Jetzt runterladen!Auf Befehlsverweigerung stand die Todesstrafe, doch die kriegsmüden Matrosen der deutschen Hochseeflotte auf der Nordsee nahmen dieses Risiko in Kauf. Denn während die Oberste Heeresleitung (OHL) die deutsche Niederlage längst eingestanden hatte und sich eilig bemühte, die anstehenden Friedensverhandlungen an die Politik abzudrücken, wollte die deutsche Seekriegsleitung noch immer nicht wahrhaben, dass der Erste Weltkrieg endgültig verloren war. Ende Oktober 1918 planten die Admiräle allen Ernstes einen nochmaligen Vorstoß Richtung England, eine letzte, sinnlose Schlacht. Die Matrosen wollten sich aber nicht in den sicheren Tod schicken lassen. Auf den großen Schiffen, die vor Wilhelmshaven ankerten, begannen die Mannschaften also damit, Maschinen und Kriegsgerät zu zerstören. Viele von ihnen wurden verhaftet. Doch die Meuterei auf den Schiffen war erst der Anfang. Der Unmut der Matrosen breitete sich wie ein Flächenbrand über weitere Küstenorte bis in die Stadt Kiel aus. Zahlreiche Arbeiter in Werften und Fabriken schlossen sich den Protesten an.
Und dann geschah etwas, was die Unruhen noch mehr befeuern sollte. Bei einer der Massenkundgebungen fielen plötzlich Schüsse. Eine Militärstreife erschoss am 3. November in Kiel sieben Demonstranten. Das war das Signal zum bewaffneten Aufstand. Am Abend des folgenden Tages war die Stadt in den Händen der Matrosen und Arbeiter. Sie bildeten einen Rat, der die politische Gewalt in der Hafenstadt übernahm. Einen solchen Arbeiter- und Soldatenrat hatten sie sich von den Russen abgeschaut. In Russland waren ein gutes Jahr zuvor nach der Oktoberrevolution solche Räte entstanden. Rat heißt auf Russisch übrigens Sowjet. So erklärt sich auch der spätere Name Sowjetunion. In einem solchen Rätesystem aber gab es keine Gewaltenteilung, also keine Unterscheidung zwischen Regierung, Parlament und Gerichten und auch keine Parteien.
Vorerst ging es den deutschen Revolutionären darum, dass Arbeiter und Soldaten überhaupt die Politik des Reichs mitgestalten konnten. Bislang sah es nämlich nicht danach aus. Die militärischen Führer der OHL, Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff hatten sich zwar dafür ausgesprochen, Abgeordnete demokratisch gesinnter Parteien in die Reichsleitung zu berufen. Damit wollten sie allerdings nur erreichen, dass diese Abgeordneten die Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen mit den Siegermächten übernehmen sollten. Die OHL selbst zog sich damit elegant aus der Verantwortung. Also war Anfang Oktober eine neue Regierung gebildet, an deren Spitze der parteilose, als liberal geltende Prinz Max von Baden trat. Er zwang Ludendorff zum Rücktritt; seinen Platz in der OHL übernahm ein Generalleutnant namens Wilhelm Groener. Der sollte den Rückmarsch der deutschen Truppen organisieren, während sich die Mehrheits-SPD (MSPD) darum bemühte, die Situation im eigenen Land zu stabilisieren und einen Bürgerkrieg zu verhindern. Denn die Stimmung in der hungernden Bevölkerung war explosiv.
Der Matrosenaufstand war nur der Zündfunke gewesen. In den folgenden Novembertagen wurde die Revolution von Kiel aus in alle Teile des Landes getragen. Auch in der Hauptstadt Berlin streikten die Arbeiter und demonstrierten auf den Straßen. Innerhalb kürzester Zeit war eine reichsweite Volksbewegung entstanden. In einer Stadt nach der anderen übernahmen Arbeiter- und Soldatenräte die Macht und erklärten die Provinzherrscher für abgesetzt. 22 Fürstentümer fielen nahezu ohne Blutvergießen in die Hände der Revolutionäre. Die Fürsten und Herzöge wurden aus den Ämtern gejagt oder dankten freiwillig ab. Zu ihnen sollte sich bald auch der deutsche Kaiser Wilhelm II. gesellen.
Am 9. November 1918 überschlugen sich in Berlin die Ereignisse. Streikende Arbeiter zogen zu Hunderttausenden aus den Industriegebieten zur Innenstadt. Es kam zu Straßenkämpfen. Unterdessen bemühten sich Wilhelm Groener und Reichskanzler Max von Baden, den Kaiser zum Abdanken zu überreden. Der Kaiser zögerte. Schließlich verkündete der Kanzler eigenmächtig die Abdankung des Kaisers. Jetzt aber stellte sich die große Frage: Welchen Weg sollte das Reich nun einschlagen? Einen Bürgerkrieg wie in Russland wollte die Mehrheits-SPD unbedingt verhindern, und vor allem sollte Deutschland keine kommunistische Rätediktatur werden, wie es die linke Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD) mit ihrem linksextremen Flügel, dem Spartakusbund, am liebsten errichten wollte. Deren Anhänger demonstrierten jetzt in ganz Berlin, schwenkten die roten Fahnen der Arbeiter- und Soldatenräte. Dennoch gelang es der MSPD, sich an die Spitze der der Revolution zu setzen, indem sie den Generalstreik ausrief.
Zehntausende Menschen harrten vor dem Berliner Reichstagsgebäude aus und warteten auf ein Signal. Und das ertönte dann auch – und zwar gleich doppelt! Der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann trat auf den Balkon des Reichstags – und verkündete mit lauter Stimme die Deutsche Republik. Keinen Moment zu früh. Denn er kam damit nur knapp einem anderen Politiker zuvor, der ebenfalls seine Vorstellungen einer neuen Staatsordnung unters Volk bringen wollte: Der Kommunist Karl Liebknecht. Er vertrat eine radikale Gegenposition zur Sozialdemokratie und rief nur zwei Stunden nach Scheidemann vom Balkon des Berliner Stadtschlosses die sozialistische Republik Deutschland aus.
Zwei Männer hatten also an diesem 9. November 1918 die Monarchie für beendet erklärt und die Republik ausgerufen. Wie diese Republik allerdings auszusehen hatte, darüber war man komplett unterschiedlicher Auffassung. Denn mit „Republik“ meinte der Kommunist Karl Liebknecht eine Räterepublik nach russischem Muster, eine „Freie Sozialistische Republik Deutschland”. SPD-Mann Scheidemann hingegen verstand darunter eine parlamentarische Demokratie.
Doch Liebknechts Balkon-Rede erzielte nicht die erwünschte Wirkung, sein Rückhalt im deutschen Volk war zu gering. Die tonangebende Kraft der Arbeiterbewegung war in jener Zeit die SPD, die Partei Philipp Scheidemanns. Deutschland sollte tatsächlich den Weg einer demokratischen Republik einschlagen – ein historischer Einschnitt in der deutschen Geschichte.
Zunächst aber brauchte die junge Republik eine funktionierende Regierung, die den Übergang vom Kaiserreich in eine demokratische Republik ausgestalten sollte. Daran entscheidend beteiligt waren vor allem zwei Parteien: Die MSPD und die USPD, die sich ein Jahr zuvor von der SPD abgespalten hatte und eine wesentlich linkere Politik vertrat. Trotz der Streitigkeiten gründeten führende Politiker beider Parteien am 10. November einen „Rat der Volksbeauftragten“.
Dieser Rat war eine Art Übergangsregierung, mit Politikern beider Parteien besetzt und von Friedrich Ebert geleitet, der den Prinzen von Baden als Reichskanzler abgelöst hatte. Diese Reichsregierung war allerdings auf die Unterstützung der Arbeiter- und Soldatenräte in den einzelnen Städten des Deutschen Reichs angewiesen. Denn diese Räte hatten Einfluss auf die Bevölkerung und stellten einen erheblichen Machtfaktor dar. Allerdings waren sie nicht gut miteinander vernetzt. Erst nach einigen Wochen schafften sie es, mit knapp 500 Delegierten in Berlin einen Reichsrätekongress abzuhalten. Darin setzten sich liberale Sozialdemokraten durch – der Weg für eine echte Demokratie unter einer neuen Regierung war frei. Als Termin für freie und direkte Wahlen wurde der 19. Januar 1919 festgesetzt. Doch um die politische Situation im Land zu stabilisieren, wurde auch die Unterstützung des Militärs benötigt. Das sollte zu einem folgenschweren Deal führen.
Friedrich Ebert, der neue Reichskanzler, stand vor schwierigen Aufgaben. Er musste die Revolution in demokratische Bahnen lenken und Ruhe im Land schaffen, um die Kriegswirtschaft wieder auf Friedensmodus umstellen, die Soldaten aus Frankreich zurückholen und die weiteren Waffenstillstandsbedingungen der Alliierten erfüllen zu können. Ganz ohne die alten Eliten des verflossenen Kaiserreichs, allen voran die Oberste Heeresleitung, würde das nicht funktionieren. Und im Grunde stimmten diese ja insoweit mit der Position der MSPD überein, als es eine Entwicklung wie in der Sowjetunion unbedingt zu verhindern galt!
General Groener und die Oberste Heeresleitung waren ihrerseits an einer Zusammenarbeit mit der neuen Regierung interessiert, denn sie wollten den weiteren Bestand des Heers und des Offizierskorps sichern. Die OHL würde damit in gewisser Weise auch weiterhin einen Fuß in der Tür zur Macht behalten. So kam es also, dass ein kaiserlicher General und ein sozialdemokratischer Reichskanzler ein geheimes Bündnis schlossen: Die Reichswehr sollte die politische Übergangsphase militärisch absichern, im Gegenzug würde die Oberste Heeresleitung die Befehlsgewalt über die Truppe behalten. Ein Deal, der das politische Klima der jungen Republik über Jahre hinweg vergiften sollte. Denn die Reichswehr war alles andere als demokratisch gesinnt, und schon gar nicht die ihr verbundenen Freikorps, überwiegend von Großgrundbesitzern und Industriellen finanzierte Privatarmeen. Beide vertraten die alte Ordnung − das gemeinsame Interesse mit den Sozialdemokraten bestand allein darin, die Kommunisten nicht an die Macht kommen zu lassen. Dieser Ebert-Groener-Pakt stellte ungute Weichen, was sich bereits wenige Wochen später zeigen und zum Bruch in der SPD führen sollte.
Um Weihnachten herum brachen in Berlin Kämpfe zwischen Matrosen und Reichswehr aus. Eigentlich ging es nur um ausstehenden Sold, aber damit trat genau jener Fall ein, den der Ebert-Groener-Pakt vorgezeichnet hatte. Die Unruhen wurden von Reichswehr und Freicorps blutig niedergeschlagen. Wütend verließ die USPD daraufhin den Rat der Volksbeauftragten. Neue Unruhen folgten im Januar 1919, als die jetzt MSPD-dominierte Übergangsregierung den Berliner Polizeipräsidenten Emil Eichhorn absetzte. Eichhorn gehörte der USPD an, und deren Anhänger betrachteten seine Absetzung als Angriff auf ihre Ziele der Revolution, die sie nun eben mit Gewalt durchsetzen wollten. Im Zuge dieser Januarkämpfe, die oft auch als „Spartakusaufstand” bezeichnet werden, wurden die beiden führenden Kommunisten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg von rechten Freikorps-Angehörigen ermordet.
In dieser aufgewühlten politischen Atmosphäre mussten nun aber die Vorbereitungen für die Verfassungsgebende Nationalversammlung getroffen werden, die am 19. Januar in der ersten freien Wahl vom Volk bestimmt wurden. Die Übergangsregierung musste ernsthaft um die Sicherheit der Abgeordneten fürchten, sollte die frisch gewählte Nationalversammlung in Berlin zusammentreten. So fiel der Blick auf die kleine, abgelegene Stadt Weimar in Thüringen. Nach diesem ersten Tagungsort sollte der entstehende Staat seinen Namen bekommen: Weimarer Republik. Und auch das neue Regelwerk, das die Abgeordneten dort im Weimarer Nationaltheater erarbeiteten, ist unter ihrem Namen bekannt: als die Weimarer Verfassung.
Zusammenfassung
Die Novemberrevolution 1918/19 war eine deutsche Revolution kurz vor dem Ende des Ersten Weltkriegs. Sie beendete die Monarchie in Deutschland.
Begonnen hatte die Revolution mit einem Matrosenaufstand. Diese weigerten sich, den bereits verlorenen Krieg fortzuführen und entfachten einen Protest, der sich von Kiel aus im ganzen Reich ausbreitete.
In Berlin kam es am 9. November 1918 zur doppelten Ausrufung der Republik. Der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann rief vom Balkon des Reichstages eine parlamentarische Republik aus, der Sozialist Karl Liebknecht nur wenige Stunden später eine Räterepublik.
Die demokratischen Kräfte setzten sich zunächst durch. Der Weg hin zu einer parlamentarischen Demokratie wurde eingeschlagen. Das Parlament der neuen Republik sollte am 19. Januar 1919 gewählt werden.
Nach dem ersten Tagungsort der Verfassungsgebenden Nationalversammlung sollte der entstehende Staat seinen Namen bekommen: Weimarer Republik.
Die Meuterei der Matrosen und die nachfolgenden revolutionären Ereignisse lieferten rechten Kräften später Argumentationsstoff für die sogenannte Dolchstoßlegende. Mit ihr gab der Chef der Obersten Heeresleitung und spätere Reichspräsident Paul von Hindenburg demokratischen Politikern und der hungernden Bevölkerung die Schuld am verlorenen Ersten Weltkrieg. Die harten Bedingungen des Versailler Vertrags sollten in der Folge zur Schwächung der jungen Weimarer Republik beitragen, die mit dem Aufstieg von Adolf Hitler an die Macht enden sollte.
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Richtige Antworten:
1. C) Deutsches Kaiserreich
2. B) Novemberrevolution
3. A) Kiel
4. B) Philipp Scheidemann
5. C) In Berlin
6. C) KPD