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Nürnberger Prozesse

So landeten die Nazis vor Gericht
Der Hauptkriegsverbrecher-Prozess war der erste der dreizehn Nürnberger Prozesse. Auf der Anklagebank, von links: Göring, Heß, von Ribbentrop, Keitel (vorne), Dönitz, Raeder, von Schirach und Sauckel (dahinter).
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Intro

Das hatte es zuvor noch nie gegeben: Ab November 1945 wurden erstmals Kriegsverbrecher für ihre persönliche Schuld zur Verantwortung gezogen. Die Nürnberger Prozesse gegen führende Vertreter der NS-Diktatur gelten als Meilenstein des Völkerrechts. Mit welchen Problemen die Richter dabei konfrontiert waren und welche Urteile sie fällten, erfährst du in dieser Story.

Kapitel 1: Auf der Anklagebank

Die Angeklagten nehmen im holzgetäfelten Schwurgerichtssaal Platz. Es sind 21 Männer, die meisten in dunklen Anzügen mit Schlips und Kragen. Sie sehen so grundsolide aus, als wären sie Teilnehmer einer Vorstandssitzung. Scheinbar ungerührt sitzen sie da. Sie halten sich für „nicht schuldig“, so haben sie es am Vortag einer nach dem anderen betont. Dem Mann aber, der nun an das Rednerpult tritt, wagen sie kaum in die Augen zu sehen.

Es ist der 21. November 1945, zweiter Tag des Hauptprozesses vor dem Internationalen Militärgerichtshof im Nürnberger Justizpalast. Der Amerikaner Robert H. Jackson ergreift als Hauptankläger das Wort: „Die Untaten, die wir zu beurteilen und zu bestrafen suchen, waren so ausgeklügelt, so böse und von so verwüstender Wirkung, dass die menschliche Zivilisation es nicht dulden kann, sie unbeachtet zu lassen – sie würde sonst eine Wiederholung solchen Unheils nicht überleben.“

Es sind Worte, die um die Welt gehen.

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Kapitel 2: Schwierige Rechtsgrundlage

Vom 20. November 1945 bis zum 1. Oktober 1946 verhandelte ein internationaler Militärgerichtshof in Nürnberg gegen Adolf Hitlers Führungselite, um sie für ihre Verbrechen gegen den Frieden und die Menschlichkeit zur Verantwortung zu ziehen. Die juristischen Voraussetzungen dafür mussten jedoch erst geschaffen werden, denn ein solches Gerichtsverfahren hatte es noch nie gegeben. Es gab nämlich damals überhaupt keine Rechtsgrundlage, auf der die nationalsozialistischen Kriegsverbrecher verurteilt werden konnten! Es gab weder einen internationalen Gerichtshof, der einen millionenfachen Völkermord ahnden konnte, noch war es jemals verboten worden, einen Krieg anzufangen.

Schon vor Kriegsende hatten die Alliierten – die USA, Großbritannien, die Sowjetunion und Frankreich – überlegt, wie sie die Hauptschuldigen der deutschen Angriffskriege in Europa zur Verantwortung ziehen konnten. Die Schreibtischtäter also: jene Männer, die von deutschem Boden aus die Gräueltaten von SS und Wehrmacht gegen die Völker der überfallenen Länder befohlen hatten. Aber genau darin lag das Problem. Denn diese Angeklagten unterlagen dem Recht ihres eigenen Landes – und das war das Unrechtssystem der Nationalsozialisten! Die Möglichkeit eines internationalen Strafgerichtshofs war demnach nicht gegeben. Schließlich einigten sich die Siegermächte auf eine Lösung: Ein internationales Militärtribunal sollte die Menschenrechtsgrundsätze der gesamten Zivilisation vertreten, die es schließlich immer schon gegeben hatte. Damit würden die Richter ein Recht anwenden, das überall auf der Welt und für alle Menschen gleichermaßen galt. Ein Strafrecht der Völker.

Kapitel 3: Lügner und Leugner

Den Vorsitz des Gerichts übernahm der erfahrene britische Jurist und Lordrichter Sir Geoffrey Lawrence. Die Angeklagten von Nürnberg waren ehemalige Nazi-Größen wie Reichsmarschall Hermann Göring, der oberste Wehrmachtkommandeur Wilhelm Keitel oder ein Mann namens Julius Streicher, der mit seinem Hetzblatt „Der Stürmer“ den Hass auf die Juden im Reich zu seinen schlimmsten Auswüchsen gebracht hatte. Die Ankläger brauchten eineinhalb Tage, um überhaupt alle Verbrechen vorzutragen, die die Nationalsozialisten während ihrer Diktatur begangen hatten. Da es ein faires Gerichtsverfahren sein sollte, wurde zuvor jedem einzelnen Angeklagten eingeräumt, sich schuldig oder nicht schuldig zu bekennen. Alle beantworteten die Frage mit „nicht schuldig“. Und dabei blieben sie, auch als die Ankläger im Gerichtssaal Originalaufnahmen aus den Konzentrations- und Vernichtungslagern präsentierten. Befehlshaber behaupteten, nur Befehlen gehorcht zu haben. General Alfred Jodl, Chef des Führungsstabs im Oberkommando der Wehrmacht, versuchte, den Angriffskrieg gegen die Sowjetunion mit der Behauptung zu rechtfertigen, dass er einen bevorstehenden Angriff auf das Deutsche Reich verhindern sollte. SS-Obergruppenführer Ernst Kaltenbrunner leugnete sogar seine eigene Unterschrift auf belastenden Dokumenten. Er war Chef des Gestapo-Reichskriminalpolizeiamts sowie des Reichssicherheitshauptamts der SS und befehligte vom Schreibtisch aus die sogenannten Einsatzgruppen, die im Hinterland der Ostfront rund eine Million Menschen ermordeten. Auch Alfred Rosenberg, als „anerkannter Parteiphilosoph” der NSDAP und maßgeblicher Schöpfer der NS-Rassenideologie angeklagt, wies jede Schuld von sich. Rudolf Heß, verantwortlich für eine Reihe von Gesetzen zur Entrechtung der jüdischen Bevölkerung und zur sogenannten „Verhütung erbkranken Nachwuchses” im Nazireich, täuschte gar einen fortschreitenden Gedächtnisverlust vor. Hans Frank, NS-Generalgouverneur für den nicht besetzten Teil von Polen und von Hinterbliebenen der Opfer seiner Massenmorde als „Schlächter von Polen” bezeichnet, trug mit seinen eigenen Tagebuch-Aufzeichnungen entscheidend zur Beweisaufnahme bei. Und als die Öffentlichkeit Ende Januar 1946 durch die Aussagen überlebender KZ-Gefangener die ganze Wahrheit über Auschwitz erfuhr, konnten nicht einmal mehr die Verteidiger wirksame Einwände gegen die Todesstrafe vorbringen.

Dann hatten die Angeklagten selbst das Wort. Vor allem Göring bewies in den Anhörungen, dass er zu keiner Einsicht oder gar Reue fähig war. Tagelang missbrauchte er den Gerichtssaal als Propagandabühne. Am Ende brachten ihn die Beweise für seine Mittäterschaft beim Holocaust doch noch zu Fall. Hitlers ehemaliger Architekt und Rüstungsminister Albert Speer ließ zumindest einen Ansatz der Reue erkennen. Er sagte: „Die Welt aber wird aus dem Geschehenen lernen, die Diktatur als Staatsform nicht nur zu hassen, sondern zu fürchten!“ Schuldig bekannt hatte er sich allerdings ebenso wenig wie die anderen Angeklagten.

Kapitel 4: Schwerwiegende Urteile

Nach fast einem Jahr Beweisaufnahme, Anhörungen und Verteidigungsreden folgte endlich die Urteilsverkündung: Zwölf ranghohe Militärs und Politiker des Dritten Reichs wurden in mehreren oder allen Anklagepunkten für schuldig befunden und zum Tod durch den Strang verurteilt, unter ihnen auch der Reichsinnenminister Wilhelm Frick sowie Fritz Sauckel, Reichsstatthalter in Thüringen und Verantwortlicher für die Zwangsarbeit im NS-Regime. Hitlers Reichsminister des Auswärtigen Joachim von Ribbentrop wurde als erster von ihnen im Nürnberger Justizgefängnis gehängt.

Andere erhielten für ihre NS-Verbrechen langjährige Haftstrafen, unter ihnen NS-Reichsjugendführer Baldur von Schirach, Großadmiral Karl Dönitz, Albert Speer und Erich Raeder, der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine. Drei der Angeklagten wurden freigesprochen: Franz von Papen, der in der Weimarer Republik entscheidend zum Machtübergabe an Hitler beigetragen hatte, der bekannte Rundfunk-Hetzer Hans Fritzsche sowie der bereits vor Kriegsbeginn entmachtete Reichsbankpräsident und Wirtschaftsminister Hjalmar Schacht. Nur an Göring konnte das Todesurteil nicht mehr vollstreckt werden: Er nahm sich vor seiner Hinrichtung selbst das Leben. Robert Ley, der Chef der Nazipartei NSDAP, hatte sich noch vor dem Prozess in seiner Zelle umgebracht. Martin Bormann, Leiter der Partei-Kanzlei, wurde in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Er galt seit seiner Flucht aus dem Führerbunker als verschollen, seine Leiche wurde erst 1972 in Berlin gefunden. Heinrich Himmler, der „Reichsführer SS”, hatte sich bereits am 23. Mai in britischer Gefangenschaft seiner Verantwortung durch Selbstmord entzogen: Er zerbiss eine Zyankalikapsel, als ein Militärarzt ihn untersuchen wollte.

Kapitel 5: Vorreiter für Den Haag

Auch wenn nicht alle Schuldigen gefasst und vor Gericht gestellt werden konnten: Die Nürnberger Prozesse trugen maßgeblich dazu bei, dass die Alliierten die Kriegsverbrechen der NS-Diktatur aufklären konnten, ohne sich auch nur in die Nähe des Vorwurfs einer “Siegerjustiz” rücken zu lassen. Sie beruhten auf der Londoner Charta, jenem visionären Völkerrechtsvertrag, der am 8. August 1945 von den Alliierten unterzeichnet wurde. Er legte die Prozessordnung für die internationalen und amerikanischen Militärgerichtshöfe fest, die eigens für die Nürnberger Prozesse ins Leben gerufen wurden. Sie wiederum waren zukunftsweisend für die Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch das Völkerstrafrecht. Dieses internationale Recht ermöglicht die Verfolgung und Verurteilung von Tätern nämlich auch dann, wenn die Gesetze ihres eigenen Staats ihre Verbrechen zulassen.

Das historische internationale Militärtribunal legte das Fundament für den Internationalen Strafgerichtshof, der seit 2002 von Den Haag (Niederlande) aus arbeitet. Er ist das weltweit einzige Gericht, das Verbrechen wie Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ahndet.

Am historischen Ort im Nürnberger Justizpalast befindet sich heute das Memorium Nürnberger Prozesse, eine Einrichtung der städtischen Museen. Es gibt jedem Gast die Möglichkeit, sich anhand historischer Ton- und Filmdokumente, Fotos und weiterer Schauobjekte selbst ein Urteil über die Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nazidiktatur zu bilden.

Kapitel 6: Nachfolgeprozesse

In den folgenden drei Jahren nach dem Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess gab es noch weitere Nachfolgeprozesse, die die USA allein gegen schuldige Nationalsozialisten führten. Die Nürnberger Prozesse hatten aber noch eine andere Wirkung: In diesem fairen Gerichtsverfahren wurde den Deutschen unmittelbar vor Augen geführt, wie ein Rechtsstaat mit Verbrechen umgeht. Es zeigte, wie eine Demokratie funktioniert. Und genau das mussten die Deutschen in den vier Besatzungszonen erst lernen: Demokratie! Eine gewaltige Aufgabe, der sich die vier Mächte auch in der weiteren Entnazifizierung stellten. Währenddessen begannen die Jahre, die als Nachkriegszeit einen besonderen Platz in der deutschen Geschichte einnehmen – auch, weil in dieser Zeit die Grundlagen der Bundesrepublik Deutschland erst geschaffen werden mussten...

Zusammenfassung

  • Noch vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs berieten die Siegermächte, auf welcher Rechtsgrundlage ranghohe Nationalsozialisten für begangene Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden konnten. Sie einigten sich auf ein internationales Militärtribunal.

  • Im Justizpalast von Nürnberg begannen am 20. November 1945 der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher des NS-Regimes. Er dauerte bis Oktober 1946.

  • Nach fast einem Jahr Prozessdauer wurden zwölf Hauptangeklagte zum Tode verurteilt. Die Übrigen erhielten langjährige Haftstrafen, drei wurden freigesprochen. Der ehemalige Reichsmarschall Hermann Göring beging vor der Vollstreckung seines Urteils Selbstmord.

  • Die Nürnberger Prozesse trugen maßgeblich zur Aufklärung der Kriegsverbrechen der NS-Diktatur bei. Sie legten das Fundament für den Internationalen Strafgerichtshof, der seit 2002 von Den Haag (Niederlande) aus arbeitet. Er ist das weltweit einzige Gericht, das Verbrechen wie Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ahndet.

Teste dein Wissen im Quiz

  1. Wo fanden nach Ende des Zweiten Weltkriegs die ersten Gerichtsprozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher des NS-Regimes statt?A) Nürnberg
    1. B) München
    2. C) Frankfurt
    3. D) Berlin
  2. Wie viele Hauptangeklagte wurden in den Nürnberger Prozessen zum Tode verurteilt?A) 12
    1. B) 14
    2. C) 19
    3. D) 24
  3. Welcher Hauptangeklagte der Nürnberger Prozesse hat sich vor der Vollstreckung der Todesstrafe selbst das Leben genommen?A) Wilhelm Keitel
    1. B) Rudolf Heß
    2. C) Albert Speer
    3. D) Hermann Göring
  4. Was für ein Gericht verhandelte zwischen November 1945 und Oktober 1946 gegen die  Hauptkriegsverbrecher des NS-Regimes?
    1. A) Der Oberste Gerichtshof der USA
    2. B) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
    3. C) Ein internationales Militärtribunal
    4. D) Ein Standgericht
  5. Für welches weltweit einzigartige Gericht legten die Nürnberger Prozesse das ideelle Fundament?
    1. A) Für den Gerichtshof der EU
    2. B) Für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag
    3. C) Für den Gerichtshof der Menschenrechte
    4. D) Für den Gerichtshof der Kurie

Richtige Antworten:

  1. A) Nürnberg
  2. A) 12
  3. D) Hermann Göring
  4. C) Ein internationales Militärtribunal
  5. B) Für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag

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