Ostdeutschland im Frühjahr 1946. Zwischen den Ruinen herrschte Aufbruchsstimmung. Viele Menschen setzten Hoffnung in eine neue, demokratische Gesellschaft. Aber diese Hoffnung sollte schon bald bitter enttäuscht werden …
April 1946, Admiralspalast in Ost-Berlin. Gut 1000 Menschen sind im großen Saal versammelt. Sie sind Delegierte der beiden größten deutschen Arbeiterparteien, die sich jahrzehntelang nur gestritten und bekämpft haben. Nun endlich wollen sie ihre Kräfte vereinen und zusammen in eine neue Zukunft gehen. Mit einem gemeinsamen Programm und einem gemeinsamen Ziel: einen demokratischen Staat aufzubauen. Das zumindest glauben die meisten der Delegierten dieses Vereinigungsparteitags, der nun auf seinen Höhepunkt zusteuert.
Ein Pressefotograf prüft schnell noch einmal seine Kamera. Es wäre eine Katastrophe, wenn sie ausgerechnet bei diesem Foto versagt... Da – es geht los! Zwei Männer nähern sich von verschiedenen Seiten dem Podium, auf dem das Präsidium des Parteitags versammelt ist. Die beiden Männer steigen die wenigen Stufen hinauf – der eine rechts, der andere links. Sie gehen aufeinander zu, bleiben voreinander stehen, wenden sich dem Publikum zu. Der Fotograf presst die Kamera ans Auge, stellt mit zitternden Fingern die Schärfe ein und hält den Atem an. Die beiden Männer auf der Bühne wechseln einen raschen Blick. Dann reichen sie einander die Hände – noch immer dem Saal zugewandt. Beifall brandet auf. Der Fotograf drückt auf den Auslöser. Und schießt ein Foto, das Geschichte schreiben wird.
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Jetzt runterladen!Die beiden Männer, die sich am 21. April 1946 in Ost-Berlin die Hand gaben, waren der Sozialdemokrat Otto Grotewohl und der Kommunist Wilhelm Pieck – die Parteichefs von SPD und KPD. Auf einem gemeinsamen Parteitag besiegelten sie mit ihrem historischen Handschlag die offizielle Vereinigung ihrer Parteien zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands – kurz: SED. Das war ein erstaunlicher Vorgang: Denn SPD und KPD, also Sozialdemokraten und Kommunisten, hatten sich jahrzehntelang nur gestritten und bekämpft.
Mit dieser Vereinigung schien ein alter Traum der Arbeiterbewegung in Erfüllung zu gehen: Endlich war die deutsche Linke vereint! Aber wie das halt so ist mit Träumereien: Am Ende wacht man auf! Denn dieser „Vereinigung“ war kräftig nachgeholfen worden, und zwar von der sowjetischen Militärverwaltung, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs über den Ostteil Deutschlands und Ost-Berlin bestimmte. Die Sowjets wollten die Kommunistische Partei zur führenden politischen Kraft aufbauen – und zwar nicht nur in ihrer Besatzungszone, sondern in ganz Deutschland!
Ohne die starke Mitgliederbasis der SPD wäre das aber schwierig geworden.
Schon zu Kaisers Zeiten waren die Sozialdemokraten die mitgliederstärkste Arbeiterpartei auf deutschem Boden gewesen. Eine Arbeiterpartei, die dem radikalen Kurs der Kommunisten äußerst misstrauisch gegenüberstand. Die deutschen Kommunisten hatten ihre Partei Ende 1918 gegründet. In diesem Jahr endete der Erste Weltkrieg, die Weimarer Republik wurde gegründet und in Russland stürzte die Novemberrevolution den Zaren vom Thron. Russland wurde eine Räterepublik. Und in Deutschland verfolgte die Kommunistische Partei denselben Kurs. An eine Zusammenarbeit mit den gemäßigteren Sozialdemokraten war also nicht zu denken – nicht einmal gegen Hitler, den man mit vereinten Kräften vielleicht hätte verhindern können. Stattdessen wurden beide Parteien im Nazireich verboten und durften erst nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Arbeit offiziell wieder aufnehmen. Würden sie sich nun weiter streiten oder hatten sie aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt?
Im Grunde, so dachten sich vor allem viele ostdeutsche Sozialdemokraten, gab es ja gemeinsame Ziele: Sie alle waren Antifaschisten und wollten ein friedliches Deutschland aufbauen. Irgendwie konnte man sich vielleicht zusammenraufen. Und tatsächlich: In ersten lokalen Treffen begannen die einstigen Feinde, nach einem gemeinsamen Nenner zu suchen. In Ostdeutschland angetrieben durch Stalins Sowjetmacht, im Westen gegen den Widerstand führender Demokraten und nicht zuletzt auch der Westmächte. Denn die sahen im Vormarsch des Kommunismus die größte Gefahr für den Frieden in Europa.
Auch viele Sozialdemokraten sahen die Vereinigungspläne skeptisch. Ihnen war nicht entgangen, dass die sowjetische Militärverwaltung alle wichtigen Schaltstellen mit KPD-Mitgliedern besetzte. Aber kurz vor dem Vereinigungs-Parteitag der SED im April 1946 schien es so, als hätten die Kommunisten wie der Wolf im Märchen Kreide gefressen: Ihre Vorschläge zum gemeinsamen Programm betonten traditionelle sozialdemokratische Werte, und alle wichtigen Parteiämter sollten paritätisch – also zu gleichen Teilen – mit Sozialdemokraten und Kommunisten besetzt werden. Anfangs funktionierte das auch; die neue Einheitspartei erhielt mit Pieck und Grotewohl sogar eine Doppelspitze. Doch bald sollten die kommunistischen Hardliner im Windschatten der Sowjetmacht ihr wahres Gesicht zeigen.
Schon mit der ersten Parteikonferenz im Januar 1949 leitete die SED-Spitze einen grundlegenden Wandel ein. Unter dem Einfluss der sowjetischen Besatzungsmacht orientierte sich die Partei nun streng an der offiziellen Ideologie und dem zentralistischen Führungsprinzip der Sowjetunion. Der Begriff „zentralistisch“ meint eine strenge Unterordnung aller Parteiebenen unter eine oberste Parteiführung. Als im Herbst desselben Jahres die Deutsche Demokratische Republik (DDR) gegründet wurde, verstand sich die SED bereits als die einzige rechtmäßige Staatspartei. Dafür sorgte vor allem ein fanatischer Kommunist namens Walter Ulbricht. Er pflegte die besten Kontakte zur sowjetischen Militärverwaltung. Das war auch kein Wunder, hatte Ulbricht doch etliche Jahre in der Sowjetunion gelebt, dort gegen Hitlers Armee gekämpft und sich politisch schulen lassen.
Zurück in Deutschland, begann er ziemlich schnell, die kommunistische Vormacht in der Einheitspartei auszubauen. Politische Gegner ließ er zum Schweigen bringen – auf die eine oder andere Weise. Betroffen waren auch Sozialdemokraten, die sich entweder von vornherein gegen die Zwangsvereinigung mit der KPD gestellt hatten oder nun, als SED-Mitglieder, allmählich erkannten, dass sich die Sozialistische Einheitspartei mit ihren Bezirks- und Kreisleitungen immer weiter von den Werten und Ideen der Demokratie entfernte.
Erinnerst du dich noch an das Grundprinzip der Demokratie: die Gewaltenteilung? Sie bedeutet, dass die Staatsmacht nicht in den Händen einer Person oder Institution liegt, sondern aufgeteilt wird in eine beschließende, eine ausführende und eine kontrollierende Instanz. In der DDR übte die SED alle drei Gewalten selbst aus. Auf ihren Parteitagen fasste sie Beschlüsse, die sie von den Abgeordneten eines Scheinparlaments – der Volkskammer – abnicken ließ. Das betraf zum Beispiel die Pläne, nach denen die Industriebetriebe ab 1949 ihre Produktion zu organisieren hatten. Ein sogenanntes Zentralkomitee hatte die Befehlsgewalt über sämtliche Parteiorgane. Und das zentrale Sekretariat der SED – „Politbüro“ genannt – übte eine Art Oberherrschaft über die Ministerien aus.
Sozialdemokraten hatten in all diesen Parteiorganen bald nichts mehr zu melden. Mit anderen Worten: Die SED warf sämtliche demokratischen Prinzipien und Umgangsformen über Bord. Und natürlich besaß sie auch das Meinungsmonopol. Zeitungen und Rundfunk hatten zu verbreiten, was die Partei vorgab. Wer Zweifel am neuen Kurs äußerte, wurde schikaniert oder ins Gefängnis gesperrt. Ulbricht als Erster Sekretär (Parteichef) unterschrieb sogar Todesurteile. Kurz: Die SED errichtete eine Parteidiktatur, in der sie nach Belieben schalten und walten konnte. Alles natürlich mit dem Segen der sowjetischen Besatzungsmacht, die noch bis 1955 die Oberhoheit über die DDR ausüben sollte.
Und die DDR-Bürgerinnen und -Bürger? Die wurden mit Propaganda bombardiert und mit Schulungen auf Linie gebracht. Alle Massenorganisationen von der Jugend bis hin zu den Gewerkschaften wurden unter die Kontrolle der SED und des von ihr verordneten „demokratischen Zentralismus“ gestellt. „Sozialistisch arbeiten, lernen und leben“ hieß die Parole, die bald alle Bereiche der Gesellschaft durchdrang. Was das in der Praxis bedeutete, bekam unter anderem die Landbevölkerung im Zuge der sogenannten Bodenreform zu spüren. Eine Reform mit ungeahnten Folgen – und einem überraschenden Ende ...
Zusammenfassung
Im April 1946 schlossen sich in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) die KPD und die SPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands – kurz SED – zusammen.
Diese Vereinigung geschah nicht freiwillig, sondern unter dem Druck der sowjetischen Besatzungsmacht. Propagiert wurde eine sozialistische Partei neuen Typs, aber das Ergebnis war eine Diktatur.
Die SED entwickelte sich in den Folgejahren zu einer stalinistisch geprägten Staatspartei der DDR. Ihre Parteifunktionäre bestimmten nach sowjetischem Vorbild über immer mehr Bereiche der Wirtschaft und Gesellschaft.
Die übrigen Parteien – CDU, Liberaldemokraten, Nationaldemokraten sowie die Bauernpartei – spielten bald nur noch eine untergeordnete Rolle und wurden als „Blockparteien“ bezeichnet. Sie sollten in der DDR nur noch dazu dienen, eine Mehrparteiendemokratie vorzutäuschen.
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Richtige Antworten:
1. D) SED
2. B) Berlin
3. C) KPD und SPD
4. A) Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl
5.D) Demokratischer Zentralismus
Sie stehen für den Zusammenschluss von KPD und SPD am 21. April 1946 in Ost-Berlin. An diesem Tag besiegelten der Sozialdemokrat Otto Grotewohl und der Kommunist Wilhelm Pieck in Ost-Berlin mit einem zeremoniellen Handschlag die offizielle Vereinigung ihrer Parteien. Der Auftritt der beiden Parteichefs war sorgfältig in Szene gesetzt worden. Ihre verschränkten Hände wurden zum symbolträchtigen Emblem der neuen Partei, die aus der Vereinigung von SPD und KPD hervorging: die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, kurz: SED.
Die Vereinigung der beiden Parteien geschah nicht aus freien Stücken. Sie war gesteuert von der sowjetischen Besatzungsmacht. Die Sowjets wollten der Kommunistischen Partei in Ostdeutschland und möglichst auch in den westlichen Besatzungszonen mehr Macht und Einfluss verschaffen. Dazu wurde einfach die stärkere Mitgliederbasis der SPD für eine neue Einheitspartei vereinnahmt.
Das Gründungsprogramm war an eines der frühen SPD-Programme von 1891 („Erfurter Programm“) angelehnt und betonte traditionelle demokratische Werte wie Wahlrecht oder Achtstundentag. Auch sollten alle wichtigen Parteiämter paritätisch – also zu gleichen Teilen – mit Sozialdemokraten und Kommunisten besetzt werden. Anfangs funktionierte das auch; die neue Einheitspartei erhielt mit Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl sogar eine Doppelspitze. Schon wenig später setzten die Zentralisierung der Partei nach sowjetischem Vorbild sowie die „Marginalisierung“ der Sozialdemokraten ein; sie wurden aus allen Schlüsselpositionen hinausgedrängt. 1968 schließlich wurde der Führungsanspruch der SED in der DDR endgültig festgeschrieben.
Ja. Zum Beispiel wurden in Hamburg und München gemeinsame Aktionsprogramme verabschiedet und in Wiesbaden gab es einen Aufruf zur Vereinigung beider Parteien. Am SED-Vereinigungsparteitag in Ost-Berlin nahmen auch Delegierte aus den westlichen Besatzungszonen teil. Die SED bestand übrigens offiziell in ganz Berlin, also auch in den drei Westsektoren. Erst der Mauerbau 1961 trennte sie. Der westliche Teil gründete sich später zur „Sozialistischen Einheitspartei Westberlins“ (SEW) um. Politisch blieb sie auf dem Kurs der SED und wurde von dieser bis zum Mauerfall mit jährlichen Millionenspenden unterstützt. Die Deutsche Einheit bescherte ihr den finanziellen Ruin. Sie benannte sich noch in „Sozialistische Initiative“ (SI) um, beschloss aber dann im März 1991 ihre Auflösung.
Ja, die gab es: CDU, Liberaldemokraten, Nationaldemokraten und die Bauernpartei. Sie spielten aber nur eine untergeordnete Rolle und wurden als „Blockparteien“ bezeichnet. Sie sollten in der DDR nur noch dazu dienen, eine Mehrparteiendemokratie vorzutäuschen.
Zunächst fügte sie ihrem Namen den Zusatz „Partei des Demokratischen Sozialismus“ hinzu und nannte sich somit „SED-PDS“. Am 4. Februar 1990 gründete sie sich neu als „PDS“ und legte damit den alten, belasteten Namen aus DDR-Zeiten ab. Im Juli 2005 folgte ein weiterer Namenswechsel in „Die Linkspartei.PDS“. Zwei Jahre später ging sie zusammen mit der „Wahlalternative Arbeit & Soziale Gerechtigkeit“ in der Partei Die Linke auf, die es letztlich auch in die Parteienlandschaft der wiedervereinigten Bundesrepublik Deutschland schaffte.