Es ist das wohl bekannteste Orgelstück der Welt und ein echter Ohrwurm. Wer den Anfang hört, dem läuft es womöglich eiskalt den Rücken hinunter. In dieser Story erfährst du nicht nur, warum das so ist, sondern auch, wieso gerade eine Kirchenorgel das Leben von Johann Sebastian Bach für immer veränderte.
Arnstadt in Thüringen im Jahr 1703. Strahlend steigt der 18-jährige Johann Sebastian Bach aus der Kutsche. Er wurde eigens aus Lüneburg hierherbestellt, um die neue Kirchenorgel zu überprüfen und sie bei der festlichen Einweihung zu präsentieren. Dieser Auftrag ist etwas Besonderes für den frischgebackenen Schulabsolventen: Er darf reisen und bekommt dafür auch noch stolze zehn Taler. Was für ein Glücksfall!
Gewissenhaft prüft und justiert er das Instrument in der Arnstädter Kirche – eine gewaltige Konstruktion aus Pfeifen, Pedalen und Gebläse. Bach ist begeistert von diesem Meisterwerk der Technik. Und so führt er es bei der Einweihungsfeier mit gebührendem Respekt und großer Freude vor, wobei er auch einige Musikstücke aus seinem persönlichen Repertoire spielt.
Als er sich nach getaner Arbeit auf die Rückreise vorbereitet, ahnt er nicht, welche weitreichenden Folgen dieser kurze Besuch für ihn haben wird.
Die erste App, die dich wirklich schlauer macht.
Jetzt runterladen!Die Ratsherren von Arnstadt waren tief beeindruckt vom virtuosen Orgelspiel des jungen Mannes und boten ihm prompt die großzügig bezahlte Organistenstelle an. Bach überlegte nicht lange und zog nach Arnstadt, wo er in den folgenden Jahren seine ersten Werke komponieren sollte.
Der Weg bis zu dieser Anstellung war allerdings nicht leicht gewesen. Der kleine Johann Sebastian wuchs in einer Eisenacher Musikerfamilie auf und lernte schon früh, Orgel und Violine zu spielen. Doch kurz nach seinem zehnten Geburtstag starb seine Mutter und nur wenige Monate später auch sein Vater. Johann Sebastian zog zu seinem 14 Jahre älteren Bruder Johann Christoph, der als Organist arbeitete und sich der weiteren musikalischen Ausbildung des jüngeren Bruders annahm. Mit 15 besuchte Bach die Schule des Michaelisklosters in Lüneburg, wo Musizieren an der Tagesordnung war. Bachs Interesse ging jedoch weit über die Musik hinaus. Wurde irgendwo eine Orgel repariert oder gewartet, schaute er ganz genau zu, um die Mechanik und den technischen Aufbau des Instrumentes zu verstehen. Diese Faszination für die Königin der Instrumente sollte sein Leben lang anhalten und auch sein späteres Schaffen als Thomaskantor in Leipzig prägen.
Von 1703 bis 1707 lebte der junge Bach in Arnstadt. In dieser Zeit soll er sich besonders intensiv mit der musikalischen Gattung der „Toccata“ befasst haben. Dabei handelt es sich um eine sehr alte Bezeichnung für Instrumentalstücke, die meist für Tasteninstrumente wie Klavier und Orgel geschrieben sind und oft als Einleitung längerer Werke dienen. Was die Toccata auszeichnet, ist der Wechsel zwischen einzelnen Tonfolgen und vollstimmigen Akkorden, die eine breite Klangfläche erzeugen. Bei Bach liefert diese einleitende Toccata das gesamte Tonspektrum, aus dem schließlich die sogenannte Fuge hervorgeht.
Die Fuge ist ein Musikstück mit mehreren Stimmen. Der Begriff „Stimme“ beschränkt sich dabei nicht nur auf singende Menschen. Stimmen können auch von Instrumenten erzeugt werden. Die Orgel oder das Klavier etwa haben ein solch großes Tonregister, dass sie gleich mehrere Stimmlagen abdecken können. Vom tiefen Bassregister bis zum hohen Sopran lassen sich somit mehrere Stimmen spielen. Sie können parallel erklingen oder zeitversetzt wie in einem Kanon.
Doch zurück zur Fuge: Die Fuge ist im Grunde eine Weiterentwicklung des Kanons. Auch sie besteht aus mehreren Stimmen, nur wird die Hauptmelodie nicht einfach wiederholt, sondern auf vielfältige Weise variiert. So kann zum Beispiel der Rhythmus der Hauptmelodie verändert werden oder aber ihr melodischer Verlauf. Die erste Stimme eröffnet das Stück mit der Hauptmelodie. Danach beginnt die zweite höhere Stimme, die Hauptmelodie zu variieren.
Schon der Begriff „Fuge“ gibt einen ersten Hinweis auf diese besondere Anordnung der Stimmen: Er kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie „Flucht“ oder „Weglaufen“. Und tatsächlich klingt die Fuge etwas so, als würden mehrere Stimmen voreinander fliehen oder einander hinterherjagen. In einer Art rhythmischem Wettlauf wird das Fugenthema vielfach imitiert und verarbeitet. Es hat etwas von einer spielerischen Improvisation, die sich über alle Stimmen erstreckt.
Einem breiten Publikum wurde Bachs „Toccata und Fuge in d-Moll“ erst in der Stummfilm-Ära bekannt, also rund 200 Jahre nach ihrer Entstehung. Denn in den ersten Lichtspielhäusern auch in Deutschland wurde das lautlose Geschehen auf der Leinwand musikalisch am Klavier untermalt. Und sobald sich etwas Schauriges anbahnte, spielte der Pianist gern Bachs Toccata und Fuge in d-Moll an. Später ist das Orgelwerk auch in einigen Tonfilmen wie „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ zu hören, womit es endgültig den Stempel Gruselmusik weghatte.
Was aber macht dieses Werk klassischer Musik so besonders spannungsreich und unheimlich? Ein Grund ist der Einsatz von verminderten Akkorden. Das sind Akkorde, deren Aufbau eine bestimmte Reibung und damit Spannung erzeugt. Denn mit Tönen ist es wie mit Farben: Liegen sie zu nah beieinander, fangen sie an, sich zu beißen. Liegt zum Beispiel ein d-Moll-Akkord vor und werden wichtige Töne darin um die kleinste Stufe verschoben bzw. vermindert, so entsteht eine Spannung, die geradezu nach Auflösung schreit.
Noch deutlicher aber wird sie, wenn dieses Werk auf einer Kirchenorgel gespielt wird. Schon Ausmaß und pure Masse dieses imposanten Instrumentes scheinen sich jeder Form von Leichtigkeit zu verweigern. Hier werden die Töne durch eine verzögernde Mechanik und durch gewichtige Tastenanschläge hervorgerufen, bevor sie sich anschließend machtvoll im hohen Kirchenraum ausdehnen. Vermutlich verbinden viele Menschen mit tiefen Orgeltönen eher düstere Bilder: Verdammnis, Hölle und Dämonen. Und zahlreiche Gruselfilme haben ihr Übriges getan, um solche musikalischen Klischees zu festigen.
Wer hätte damals gedacht, dass der neue Organist in der Arnstädter Kirche einmal Generationen von Musikern in den deutschen Landen und Europa beeinflussen wird. Selbst Mozart und Beethoven haben mit den Werken von Johann Sebastian Bach das Tastenspiel und die Grundlagen der Komposition gelernt. Dafür sorgte nicht zuletzt seine Stückesammlung „Das Wohltemperierte Klavier“. Es gilt als das einflussreichste Lehrwerk aller Zeiten und beginnt mit dem berühmten „Präludium in C-Dur“.
Zusammenfassung
Bachs Toccata und Fuge d-Moll / d Minor BWV 565 ist ein frühes Orgelwerk des Komponisten und inzwischen das wohl bekannteste Orgelwerk der Welt.
„Toccata“ ist eine sehr alte Bezeichnung für ein instrumentales Stück, bzw. Vorspiel. Und eine „Fuge“ ist eine Kompositionsform für mehrere Stimmen. Die Hauptmelodie, das sogenannte Fugenthema, wird in bestimmter Abfolge von mehreren Stimmen variiert und verarbeitet.
Die Fuge ist typisch für die Barockmusik und wurde von Johann Sebastian Bach erheblich geprägt.
Bachs Toccata und Fuge in d-Moll erlangte rund 200 Jahre nach ihrer Entstehung große Popularität. Das lag daran, dass sie oft zur Untermalung von unheimlichen Spielfilmszenen eingesetzt wurde.
Der italienische Komponist Ferruccio Busoni arbeitete das Orgelwerk zu einem virtuosen Klavierkonzert um. Der Dirigent und Arrangeur Leopold Stokowski schuf eine Orchesterfassung, mit der Walt Disney 1940 seine abendfüllenden Zeichentrickfilm „Fantasia“ untermalte.
Teste dein Wissen im Quiz
Richtige Antworten:
1. B) Orgel
2. C) Kompositionsform für mehrere Stimmen
3. B) Barock
4. D) Toccata und Fuge d-Moll, BWV 565
5. A) Bach-Werke-Verzeichnis