Hast du schon mal auf jemanden oder etwas gewartet, ohne zu wissen, ob der, die oder das Erwartete überhaupt auftaucht? In Samuel Becketts Theaterstück „Warten auf Godot“ erleben die beiden Protagonisten genau das. Wer aber ist dieser Godot eigentlich? Bis heute lädt das Werk zu Spekulationen ein. Wieso? Warte ab …
Die Abenddämmerung senkt sich auf eine Landstraße und einen Baum, den einzigen weit und breit. Wladimir betrachtet erst das karge Gewächs, dann seinen Freund Estragon, der davor auf einem Stein sitzt und verzweifelt versucht, seinen Schuh auszuziehen. Er flucht und jammert vor Schmerz. Wie oft hat Wladimir ihm schon gesagt, dass er die Schuhe regelmäßig ausziehen soll. Nur weil sie Landstreicher sind, müssen sie die Dinger doch nicht Tag und Nacht tragen.
Endlich hat Estragon seinen geschwollenen Fuß befreit und steht mühsam auf. Er humpelt ein paar Schritte vorwärts, den Blick zum Horizont gerichtet, und sagt:
„Komm, wir gehen.“
Wladimir ist entsetzt: „Wir können nicht.“
„Warum nicht?“
„Wir warten auf Godot.“
„Ach ja!“ Estragon erinnert sich, dann fügt er hinzu: „Bist du sicher, dass es hier ist?“
„Was?“, entgegnet Wladimir wirsch.
„Wo wir warten sollen.“
„Er sagte, vor dem Baum.“
Nachdenklich starren die beiden auf die abgestorbene Weide. Ist dies womöglich gar nicht der richtige Ort? Oder nicht die richtige Zeit? Sind sie nicht schon gestern hier gewesen?
„Und wenn er nicht kommt?“, fragt Estragon schließlich.
„Kommen wir morgen wieder“, antwortet Wladimir.
Estragon ist beruhigt: „Ja, und dann übermorgen … und so weiter.“
Die erste App, die dich wirklich schlauer macht.
Jetzt runterladen!Wladimir und Estragon treffen sich an einer einsamen Landstraße unter einem abgestorbenen Baum und warten. Sie warten auf jemanden, von dem sie nichts wissen. Nicht einmal, ob er überhaupt existiert. Das ist die Handlung oder vielmehr die Nicht-Handlung in Samuel Becketts Zweiakter „Warten auf Godot“. Darin wird das Leben selbst zu einem einzigen Wartezustand.
Das Stück des irischen Schriftstellers Samuel Beckett gilt zusammen mit „Die kahle Sängerin“ von Eugène Ionesco als Inbegriff des Absurden Theaters. Bereits Anfang 1949 fertiggestellt, erlebte es erst 1953 am Pariser Théâtre de Babylone seine Erstaufführung – drei Jahre nach der „kahlen Sängerin“.
Als Zutaten für die surreale Szene verwendet Beckett die Ungewissheit seiner beiden Hauptfiguren, ein überaus trostloses Bühnenbild sowie einsilbige, teils zusammenhanglose Dialoge. Dabei spüren wir als Zuschauer in jedem Moment, wie verunsichert die beiden Wartenden sind: Was, wenn Godot gar nicht kommt? Wie lange sollen wir noch auf ihn warten? Wie lange warten wir denn schon? Und warum?
Fragen, die Didi und Gogo, wie sie sich fast liebevoll nennen, ebenso quälen wie die sinnlose Langeweile in dieser Einöde. Da taucht plötzlich ein Mann auf, der sich als Pozzo vorstellt und der seinen schwer beladenen Sklaven Lucky wie einen Esel an der Leine führt. Lucky ist sichtlich erschöpft, wird aber permanent von seinem Herrn herumkommandiert und schließlich zum lauten Denken aufgefordert. Luckys Reaktion: Er würfelt in einem schier endlosen Monolog Wissensschnipsel ohne jeden Sinn und Zusammenhang durcheinander und ist nur mit Müh und Not zu stoppen.
Kaum sind Herr und Sklave wieder abgezogen, erscheint ein Junge mit der Botschaft, dass Godot heute nicht kommen wird, aber am am nächsten Tag ganz sicher. Die beiden Wartenden machen Anstalten zum Aufbruch, bleiben dann aber unentschlossen stehen. Damit endet der erste Akt. Unwillkürlich fragen wir uns als Zuschauer: Gibt es diesen Godot wirklich? Wird er also doch noch seinen großen Auftritt haben?
Weit gefehlt. Im zweiten Akt geht das Warten weiter. Um die Leere zu füllen, ersinnen die beiden Männer ulkige Spiele. Wladimir stimmt das Endlos-Kinderlied „Ein Hund kam in die Küche und stahl dem Koch ein Ei“ an, und Estragon fantasiert irgendwann von Millionen Toten, deren Stimmen er zu hören glaubt. Vermutlich eine Anspielung auf die Schrecken des Zweiten Weltkriegs.
Pozzo und Lucky tauchen wieder auf; der eine ist inzwischen blind und der andere stumm geworden. Keiner der Vier kann sich so recht erinnern, ob und wann sie die anderen schon einmal gesehen haben. Becketts Stück endet schließlich damit, dass der Botenjunge erneut auftritt und verkündet, Godot werde heute nicht kommen. Es ist derselbe Junge, er kann sich aber nicht erinnern, Wladimir und Estragon jemals schon einmal getroffen zu haben. Wladimir wird wütend und fordert den Jungen auf, sich am nächsten Tag gefälligst an ihn zu erinnern.
Schließlich denken die beiden Männer sogar darüber nach, sich an dem Baum aufzuhängen. Doch was, wenn der Ast bei dem einen abbricht und der andere sich deshalb nicht mehr erhängen kann? Das Risiko, dass einer von ihnen einsam zurückbleibt, ist zu groß. Außerdem haben sie keinen Strick. Also beschließen sie, zu gehen – nur um dann doch am Rand der Bühne wieder stehen zu bleiben: „Morgen hängen wir uns auf. Es sei denn, Godot käme.“ – „Und wenn er kommt?“ – „Sind wir gerettet.“
An der Interpretation seines Stücks hat sich Samuel Beckett selbst nicht beteiligt. Wenn er gefragt wurde, um wen es sich bei diesem Godot handele, antwortete er: „Wenn ich wüsste, wer Godot ist, hätte ich es in dem Stück gesagt.“ Folglich wurde tüchtig spekuliert und um Antworten auf all die Fragen gerungen, die Becketts Stück sonst noch aufwirft. Bedeutet Godot womöglich „kleiner Gott“? Zusammengesetzt aus dem englischen God und der französischen Verniedlichungssilbe -ot? Immerhin wirkt die trostlose Einöde, in der Wladimir und Estragon warten, wie ein Ort zwischen Leben und Tod, an dem sie auf ihren Erlöser hoffen. Die Orientierungs- und Ratlosigkeit der beiden Männer wurde aber auch als Bezug auf den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen interpretiert. Viele Menschen waren in der Nachkriegszeit zutiefst erschüttert, weshalb Themen wie Einsamkeit und die Frage nach dem Sinn des Lebens einen Nerv trafen.
Düstere, tragikomische Lebenserfahrungen sind ein typisches Merkmal des literarischen Werks von Samuel Barclay Beckett. 1906 geboren, wuchs er in einem Vorort von Dublin als Sohn einer Krankenschwester und eines gutverdienenden Vermessungsingenieurs hugenottischer Abstammung zweisprachig auf. Später schrieb er seine Werke wahlweise in Englisch oder Französisch, er beherrschte beide Sprachen perfekt. Neben dem Schreiben war er aber auch sportlich erfolgreich: Als Cricket-Spieler erster Klasse schlug er für die Dublin University den Ball und schaffte es sogar in den „Wisden Cricketer’s Almanack“, die „Bibel des Crickets“. Nachdem Beckett 1969 den Nobelpreis für Literatur erhielt, verkündeten die Wisden-Herausgeber stolz, ihr Almanach sei der einzige auf der Welt, der einen echten Nobelpreisträger in seinen Listen führe.
Die meiste Zeit seines Lebens hat Samuel Beckett aber in Frankreich verbracht. Nach der Besetzung durch die deutsche Wehrmacht 1940 schloss er sich einer Widerstandsgruppe der französischen Résistance an. In den 1930ern hatte er einige Monate in Deutschland verbracht und eine tiefe Abneigung gegen das Hitlerregime entwickelt. Sie hielt ihn davon ab, sich ins friedliche, sichere Irland zurückzuziehen. Doch die Widerstandsgruppe wurde verraten und Beckett flüchtete mit seiner Partnerin Suzanne zu Fuß in das südfranzösische Dorf Roussillon, wo die beiden bis zum Kriegsende blieben. In „Warten auf Godot“, das er auf Französisch schrieb, erwähnt er das Dorf.
Das ereignisarme, aber hintergründige Bühnenstück ist sein bekanntestes Werk und einer der größten Bühnenerfolge der Nachkriegszeit. Dabei erhielt es zunächst durchwachsene Kritiken. Nach der US-amerikanischen Uraufführung in Miami wurde es als „kommunistisch, atheistisch und existenzialistisch“ abgestempelt. Am New Yorker Broadway hingegen erlebte es mehr als 100 Aufführungen, an seinem Pariser Heimattheater sogar mehr als 400, obwohl nur 25 geplant gewesen waren. Beckett wurde schlagartig weltberühmt. Ihm sei, so schrieb die irische Kritikerin Vivian Mercier, „das theoretisch Unmögliche“ gelungen: „ein Stück, in dem nichts passiert, das das Publikum dennoch an seinen Sitzen kleben lässt“. Und da der zweite Akt nur eine etwas andere Wiederholung des ersten sei, habe er sogar „ein Stück geschrieben, in dem zweimal nichts passiert.“ Vielleicht deswegen wurde der Titel „Warten auf Godot“ so populär, dass er in vielen Ländern zum geflügelten Wort für einen ungewissen Wartezustand geworden ist.
Was die beiden vergeblich Wartenden Estragon und Wladimir jedoch mit allen Menschen zu jeder Zeit und an jedem Ort verbindet, sind die Gefühle von Sehnsucht, Hoffnung und Erwartung sowie der Wunsch nach Zusammengehörigkeit.
In der Suche nach dem ultimativen Glück sind hingegen die Protagonisten des Stücks „Ping Pong“ gefangen. Autor Arthur Adamov erzählt darin, wie zwei Freunde ihr Lebensglück buchstäblich verspielen.
Zusammenfassung
„Warten auf Godot“ (Originaltitel: „En attendant Godot“; engl. „Waiting for Godot“) ist nicht nur das bekannteste Werk des späteren Literaturnobelpreisträgers Samuel Beckett, sondern vermutlich auch das populärste Werk des Absurden Theaters.
Das Stück handelt von zwei Landstreichern, die in einer unwirklichen Szenerie vergeblich auf jemanden namens Godot warten.
Monotonie, Orientierungslosigkeit, Ungewissheit und teils unzusammenhängende Dialoge über bedeutungsvolle wie banale Themen machen den absurden Charakter des Stückes aus.
In „Warten auf Godot“ wird die Suche des Menschen nach dem Sinn des Lebens berührend in Szene gesetzt.
Samuel Beckett hat sich an der Interpretation seines Stückes nicht beteiligt. Stattdessen hat er die Spekulationen befeuert. Auf die Frage, wer Godot sei, antwortete er: „Wenn ich wüsste, wer Godot ist, hätte ich es in dem Stück gesagt.“
Das Stück wurde am 23. Januar 1953 im Théâtre de Babylone in Paris uraufgeführt. Die Deutschland-Premiere des Bühnenstücks fand am 8. September desselben Jahres im Schlosspark Theater Berlin statt. Die deutsche Buchausgabe (übersetzt von Elmar Tophoven) ist beim Suhrkamp Verlag erschienen.
Teste dein Wissen im Quiz
Richtige Antworten:
1. B) Dramatiker des Absurden Theaters
2. D) In Paris
3. C) Für das Absurde Theater
4. A) Vergebliches Warten auf etwas Unbestimmtes
5. B) Existenzielle Sinnfragen und Einsamkeit
„Warten auf Godot“ ist ein Bühnenstück, das als ein Paradebeispiel für das Absurde Theater gilt. Der Zweiakter handelt von zwei Männern, die an einem nicht näher bezeichneten öden Ort vergeblich auf eine unbestimmte dritte Person namens Godot warten. Mit diesem Kammerspiel gelang dem irischen Schriftsteller Samuel Beckett 1953 an dem kleinen Pariser Théâtre de Babylone der internationale Durchbruch.
Samuel Barclay Beckett, geboren 1906 in Dublin, war ein irischer Schriftsteller und bedeutender Vertreter des Absurden Theaters. Bekannte Werke von ihm sind neben „Warten auf Godot“ unter anderem die Stücke „Endspiel“, „Glückliche Tage“ und „Das letzte Band“. Im Jahr 1969 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.
Wenig. Die beiden Männer führen in einer unwirklichen Szenerie neben einem kahlen Baum (dem im zweiten Akt dann ein paar einzelne Blätter wachsen) eine höchst sinnlose und verlorene Unterhaltung. Zwischendurch treten Besucher auf: ein Herr mit seinem Sklaven und ein Botenjunge, der den beiden Wartenden mitteilt, dass Godot erst morgen kommen wird. Die Wartenden beschließen dann, nach Hause zu gehen, verharren jedoch an Ort und Stelle.
In „Warten auf Godot“ geht es unter anderem um existenzielle Krisen und Sinnfragen sowie die Vereinzelung und Orientierungslosigkeit des Menschen. Das Stück behandelt die Suche nach dem Sinn des Lebens aus der Perspektive des Existenzialismus. Diese Weltanschauung besagt, dass der Mensch erst durch sein eigenes Handeln zu dem wird, was er ist.
Das wird in Samuel Becketts Bühnenstück nicht beantwortet. Ebenso wenig hat der Autor selbst jemals das Geheimnis gelüftet. Interpretationsversuche sehen in dem ominösen „Godot“ eine Anspielung auf Gott, möglicherweise in einer Wort-Zusammensetzung aus dem englischen „God“ und der französischen Verkleinerungsform „-ot“, was sich als „kleiner Gott“ übersetzen lässt.
Der Titel des gleichnamigen absurden Dramas von Samuel Beckett ist in vielen Ländern zum geflügelten Wort geworden. „Warten auf Godot“ steht umgangssprachlich für ein zweck- oder aussichtsloses Warten auf eine Person oder die Veränderung einer Situation, die als ungewollt empfunden wird.