Vor gut 100 Jahren entstand in Deutschland eine neue Architektur- und Designbewegung. Das Bauhaus brachte erstmals Handwerk und Kunst in einer Schule zusammen. In dieser Story erfährst du, warum diese Bewegung so radikal neu war und warum sie bis heute stilprägend ist.
Er hat es geschafft. Walter Gropius kann sein Glück kaum fassen. Endlich hat er den Ort gefunden, an dem er seine Ideen umsetzen kann. Hier in Weimar, wo wenige Monate zuvor die erste deutsche parlamentarische Demokratie ins Leben gerufen wurde, darf auch Gropius etwas radikal Neues ausprobieren. Es ist Frühjahr 1919, und die Regierung erlaubt ihm, dem umtriebigen Architekten aus Berlin, eine Schule zu eröffnen. Sie soll die Kunst des Bauens völlig neu lehren. Gropius spürt den Aufbruch förmlich. Er setzt sich hin und notiert seine Ideen: vier Seiten, die als das „Bauhaus-Manifest“ in die Geschichte eingehen werden. Eine Art Lehrplan, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat.
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Jetzt runterladen!Was Walter Gropius niederschreibt, ist eine kleine Revolution. Dieses Manifest bricht mit der Tradition der akademischen Lehre, in der es hierarchisch und streng getrennt nach Fächern zugeht. Gropius und seine Mitstreiter – viele sind junge Künstler, Architekten, Bildhauer, Designer – wollen Verkrustungen in Bildung und Gesellschaft aufbrechen. Sie suchen nach praktischen Antworten auf eine Welt, in der Industrialisierung und Technik inzwischen Leben und Arbeit bestimmen. Die Gruppe um Gropius lehnt die verkitschte Salonkunst des 19. Jahrhunderts ab; verschnörkelte Fassaden und überladen verzierte Gebrauchsgegenstände empfindet sie als ästhetische Zumutung. Ihr Credo: Weg mit nutzlosem Dekor! Der moderne Mensch braucht praktische Gegenstände und Häuser. Gropius drück es in seinem Manifest so aus: „Architekten, Bildhauer, Maler, wir alle müssen zum Handwerk zurück!” Ein Satz mit Sprengkraft.
Denn Gropius stellt Kunst und Handwerk auf eine Stufe. Eine Idee, die nicht alle gut finden. Geht es vielen zeitgenössischen Künstlern doch gerade darum, sich vom einfachen Handwerk abzugrenzen. Gropius sieht das anders. Er will, dass Künstler und Handwerker in seiner neuen Schule auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Sein Konzept sieht Werkstätten vor, in denen sich Kunst und Handwerk, Theorie und Praxis, ja sogar Arbeit und Vergnügen gegenseitig befruchten. Eine Kunstgewerbeschule mit Metallwerkstatt, Weberei, Buchbinderei und mehr. Sein Vorbild sind die mittelalterlichen Bauhütten, in denen Künstler und Handwerker gemeinsam Gesamtkunstwerke wie Kathedralen errichteten. Der Name „Bauhaus“ verweist auf diese Tradition.
Gropius’ Experiment startet dann auch wie geplant am 1. April 1919.
Gropius kennt genug fortschrittliche Künstler und Gestalter, er braucht nicht lange zu trommeln, um die ersten Lehrer für seine neue Schule in Weimar zu gewinnen. Auch an interessierten Studenten mangelt es dank fleißig verteilter Flugblätter nicht. Nach den Erschütterungen des Ersten Weltkriegs herrscht Offenheit für Neues. Es ist eine Zeit des Aufbruchs. Und die Liste der Bauhaus-Dozenten liest sich dann auch, wie ein Who-is-Who der Künstler. Dabei sind die Maler Paul Klee, Wassily Kandinsky und Johannes Itten, der Bildhauer und Bühnenbildner Oskar Schlemmer, der Grafiker und Maler Lyonel Feininger und der experimentierfreudige Fotograf László Moholy-Nagy.
Wobei: Strenggenommen gibt es in dieser neuen Schule am Horn oberhalb des Goethe-Parks weder Professoren noch Studenten. Denn hier heißen die Dozenten „Meister der Form“. Sie teilen sich den Lehrauftrag mit einem Handwerker, auch „Werkmeister“ genannt. Georg Muche ist einer von ihnen, er wird später die Weberei leiten. Gelehrt wird auch nicht in „Ateliers“, sondern in Werkstätten. Und statt „Studenten” gibt es am Bauhaus Schüler bzw. Lehrlinge, die einen Vorkurs bzw. eine Vorlehre absolvieren und am Ende ihrer Ausbildung einen Meisterbrief erlangen können.
Der allgemeine Anspruch der Bauhäusler lautet: Designen und Bauen, und zwar mit unterschiedlichen Materialien. Die neuen Bauhauskünstler machen sich dann auch sogleich ans Werk. Kandinsky und Klee betreuen die Werkstatt für Wand- und Glasmalerei, der Bildhauer Gerhard Marcks die für Töpferei, Lyonel Feininger führt die Druckerei und Oskar Schlemmer kümmert sich um die Bildhauerklassen. In den lichtdurchfluteten Räumen der Werkstätten wird emsig gehämmert, geklopft, gesägt, gepinselt. Das Ganze wirkt wie eine große Arbeits- und Lebensgemeinschaft – abends treffen sich Gesellen und Meister bei Jazzmusik oder Theateraufführungen.
Freies Experimentieren ist angesagt, es gibt nicht den einen Stil. Gesucht ist: eine einfache Formensprache für alltagstaugliches Gestalten und Bauen. Die Bauhaus-Devise lautet: Form follows Function – also: Die Form folgt aus der Funktion. 1921 bekommt die Weimarer Schule Impulse aus der holländischen Künstlergruppe De Stijl. Ein neues Konzept industrieller Gestaltung hält Einzug in die Weimarer Schule; „Kunst und Technik – eine neue Einheit” lautet das Motto. Technisches Design für die industrielle Produktion wird die weitere Bauhaus-Arbeit beflügeln, aber auch für innere Spannungen sorgen. Doch bald schon müssen Meister und Schüler eine neue Heimat finden...
Im Jahr 1923 kann sich die Öffentlichkeit vom kreativen Geist des Bauhaus Weimar in einer großen Ausstellung überzeugen, der sogenannten Bauhauswoche. Den angereisten Zeitungsreportern und Kunstkritikern stellen die Meister auch ihr erstes Musterhaus vor. Der helle kastenartige Beton-Bungalow soll eine praktische, kostengünstige Antwort sein auf die Wohnungsnot der Nachkriegszeit. Der Ansatz der Bauhaus-Architekten: Häuser auf ihre Würfelform reduzieren, alles Überflüssige weglassen. Allerdings stößt dieser radikale Funktionalismus zunächst auf wenig Gegenliebe, die meisten Betrachter empfinden das schlichte Haus als kalt, gar abstoßend. Wenig überzeugt reagiert auch die neu gewählte thüringische Landesregierung. Die mehrheitlich Nationalkonservativen kürzen dem staatlichen Bauhaus radikal die Mittel. Walter Gropius muss sich eine neue Heimstatt für seine Schule suchen und findet sie 1925 in Dessau. Hier entstehen in den Jahren 1925 und 1926 die „Meisterhäuser" nach Entwürfen von Walter Gropius, die sich die Künstler nach ihren eigenen Vorstellungen einrichten und selbst bewohnen.
Im Jahr 1928 aber zieht sich Gropius von seinem Posten als Direktor des Bauhaus Dessau zurück. Inzwischen beschäftigt sich seine Werkstatt an der Hochschule für Gestaltung hauptsächlich mit Alltags- und Industriedesign. Unter dem Motto „Volksbedarf statt Luxusbedarf“ entstehen echte Designklassiker, die bis heute geschätzt werden. So wie der berühmte Freischwinger-Stuhl von Ludwig Mies van der Rohe, die Teekanne aus Silber und Ebenholz von Marianne Brandt oder die Leuchte aus Glas und Metall von Wilhelm Wagenfeld. Doch auch in Sachsen-Anhalt weht bald ein anderer politischer Wind. Die Nationalsozialisten geben immer stärker den Ton an; 1931 gewinnt die NSDAP die Gemeindewahl in Dessau und verbietet die Bauhaus-Schule. Auch der Versuch, in Berlin als private Schule weiter zu existieren, scheitert 1933 an den Nationalsozialisten. Es gibt willkürliche Hausdurchsuchungen, Lehrer und Schüler werden bedroht und verhaftet. Das Bauhaus muss schließlich aufgelöst werden. Etliche Mitglieder fliehen ins Ausland – und tragen den Bauhaus-Geist und die Ideen seines Gründers in die Welt. Die bekanntesten Meister treffen sich schließlich in den USA wieder, unter ihnen Josef Albers, Marcel Breuer, Herbert Bayer, Walter Peterhans, Ludwig Mies van der Rohe und Walter Gropius selbst.
Erst nach Kriegsende kehrt das Bauhaus in sein Ursprungsland zurück. Einige Bauhäusler kommen aus dem Exil an ihre ehemaligen Wirkungsstätten zurück, die sich nun allesamt auf DDR-Gebiet befanden. Tatsächlich zeigt sich das Regime anfangs recht aufgeschlossen, wenngleich sich das kulturpolitische Klima durch staatliche Lenkungsversuche rasch verschlechtert. Bis Mitte der Fünfzigerjahre werden in der DDR-Industrie etliche Designentwürfe für Geschirr, Glas und mehr umgesetzt; im Wohnungsbau findet sich die soziale Komponente der Bauhaus-Architektur zumindest teilweise wieder, bis alles in der sogenannten „sozialistischen Baukunst” aufgeht. Die Sechzigerjahre erleben erste größere Bauhaus-Ausstellungen in Dessau und Weimar, 1976 wird die Dessauer Schule feierlich wiedereröffnet. 1979 entsteht in einem von Gropius entworfenen Gebäude in Berlin-Tiergarten das Bauhaus-Archiv, welches heute die weltweit größte Sammlung zur Geschichte des Bauhauses beherbergt.
Ab 1996 schließlich wird eine ganze Reihe Bauhaus-Gebäude in das UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen. Darunter sind die restaurierten Meisterhäuser in Dessau-Roßlau, in Weimar das Haus am Horn und die ehemalige Kunst- und Kunstgewerbeschule (heute Bauhaus-Universität). 2017 kommt das Gebäude der ehemaligen Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes in Bernau dazu.
2019 schließlich eröffnet die Weimarer Klassik Stiftung im Rahmen der Feier „100 Jahre Bauhaus” in der Goethe- und Schiller-Stadt das Bauhaus-Museum. Und auch in Dessau-Roßlau öffnet im Jubiläumsjahr das Bauhaus Museum Dessau seine Pforten.
Zusammenfassung
Das Bauhaus war eine Kunstschule, gegründet vom Architekten Walter Gropius in der damaligen Thüringer Residenzstadt Weimar. Er brachte erstmals Kunst und Handwerk in einer Schule zusammen.
Gropius wurde 1919 Nachfolger von Henry van de Velde als Direktor der Großherzoglich-Sächsischen Hochschule für Bildende Kunst und gab ihr den Namen „Staatliches Bauhaus in Weimar”. Der Name nimmt Bezug auf mittelalterliche Bauhütten, in denen Künstler und Handwerker zusammen arbeiteten.
1925/26 zog das Bauhaus nach Dessau um. Zwei Jahre später übernahm der Schweizer Architekt Hannes Meyer die Leitung. Sein Nachfolger wurde Ludwig Mies van der Rohe, der das Bauhaus bis zu dessen Schließung 1933 führte.
Im Bauhausstil geben klare Formen den Ton an. Das Praktische und die Funktionalität stehen im Vordergrund.
1925 wurde das Bauhaus aufgrund zunehmenden politischen Drucks nach Dessau verlegt. Mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten begann schließlich der Niedergang des Bauhauses in Deutschland. Mehr als 80 Bauhäusler verließen Deutschland und nahmen ihre Ideen und Modelle mit ins Exil. Unter anderem in den USA erlebte das Bauhaus eine neue Blüte.
Erst nach dem Ende des NS-Regimes kehrte es nach Deutschland zurück. Vor allem die DDR-Industrie machte sich Design-Entwürfe der Schule zu Eigen.
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Richtige Antworten:
1. B) Walter Gropius
2. D) In Weimar
3. A) Kunst und Handwerk
4. D) Funktionalität
5. C) Klare Formen