Als Architektur- und Designschule existierte das Bauhaus nur 14 Jahre in Deutschland. 1933 zwangen es die Nationalsozialisten zur Aufgabe. Dennoch hat das Bauhaus mit seinem fortschrittlichen Lehrkonzept über Deutschland hinaus Spuren hinterlassen. Warum es besonders in den USA ein Hoch erlebte, erfährst du in dieser Story.
Es ist Herbst 1933. Josef Albers steht am Fuß der Black Mountains nahe der Kleinstadt Asheville in North Carolina, einem der amerikanischen Südstaaten. Er atmet die frische Bergluft ein und lässt seinen Blick über die sanften Hügel der nahezu unberührt wirkenden Natur schweifen. Mit seiner Frau Anni ist der ehemalige Bauhaus-Lehrer aus Hitlerdeutschland in die USA ausgewandert. Denn er hat eine Einladung bekommen, hier, an diesem frisch gegründeten privaten College, zu unterrichten. An einer Hochschule, die sich einer ganz neuen Form der Lehre verschrieben hat. Hier, am Black Mountain College, geht es um das Lehren und Lernen von- und miteinander. Hier steht der Mensch im Mittelpunkt, hier gibt es Platz für kreative Experimente und neue Technik. Ja, hier hat die Bauhaus-Idee wieder eine Zukunft.
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Jetzt runterladen!Der deutsche Maler Josef Albers war Lehrer am Bauhaus gewesen. Dann aber hatten die Nationalsozialisten nach ihrer Machtübernahme dafür gesorgt, dass die Designschule schließen musste. Schließlich wird Amerika Josef Albers neue Heimat. Und am Black Mountain College fühlt er sich sofort am richtigen Platz. Tatsächlich kann er dort das Lehrkonzept weiterführen, das Handwerk und Design verbindet. In Werkstatt-Projekten können alle mit allen lernen, und von allen. Ohne Wettstreit, ohne Zensuren. Das Black Mountain College wird zwar nur 24 Jahre existieren, doch mit seiner fortschrittlichen Wissensvermittlung ist es seiner Zeit voraus – und bringt ganz nebenbei bedeutende Künstler hervor: den späteren Pop-Art-Künstler Robert Rauschenberg zum Beispiel, nur EIN berühmter Schüler von Josef Albers. Seine Frau Anni Albers entwarf Webmuster für die Industrie und verkaufte ihre handgewebten abstrakten Wandbilder an reiche Privatkunden.
Auch Bauhaus-Gründer Walter Gropius und sein Mitstreiter Marcel Breuer siedeln samt Lehrkonzept in die USA über, ebenso der Architekt und dritte Bauhaus-Direktor Ludwig Mies van der Rohe sowie der Fotokünstler László Moholy-Nagy. Sie können auf ein solides Netzwerk an Kontakten, Künstlern und Dozenten zurückgreifen, das sie aus ihren Karrieren in Europa mitbringen. Und sie finden im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ den idealen Boden für ihre fortschrittlichen Ideen.
Nicht von ungefähr: In den Vereinigten Staaten der Dreißigerjahre herrschte eine ganz ähnliche Aufbruchsstimmung, wie sie ein Jahrzehnt zuvor auch Deutschland geprägt hatte. Es war die Zeit des New Deal, jener Serie von Wirtschaftsreformen, welche die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise überwinden helfen sollte. Die Arbeiterbewegung war im Aufwind und junge Menschen aller Schichten waren entsetzt über die Ausbreitung des Faschismus in Europa. Auf das Bauhaus wiederum war man schon Ende der 1920er aufmerksam geworden. Alfred Barr, einer der Mitbegründer des Museum of Modern Art in New York, hatte auf einer Reise nach Europa auch die Meisterhäuser in Dessau bewundert und dort prominente Künstler wie die Avantgardisten Lyonel Feininger, Paul Klee und Wassily Kandinsky, den Designer Xanti Schawinsky oder den Bildhauer und Bühnenbildner Oskar Schlemmer kennengelernt. Nun möchte Barr den neuen, modernen Stil in die amerikanische Kultur holen. 1932 initiieren er und sein Mitstreiter Philip Johnson, Leiter der Architekturabteilung, die Ausstellung „Modern Architecture. The International Style“ im MoMA. Sie präsentiert Arbeiten von Architekten aus 29 Ländern, darunter maßstabsgetreue Modelle der Bauhaus-Architektur, großformatige Fotografien und Design-Exponate. Die Ausstellung fasst moderne europäische Stile, darunter das Bauhaus, unter dem Titel „The International Style“ zusammen. Damit hat das Bauhaus eine prominente Bühne und wird zu einem wichtigen Architektur-Trend erklärt. Die Folge: Amerikanische Bildungsstätten wollen etwas vom Glanz dieser trendigen Europäer abbekommen. Als nach 1933 die ersten Bauhaus-Emigranten in Amerika eintreffen, wird ihnen der rote Teppich ausgerollt.
Die Bauhäusler bekommen Einladungen an wichtige Institute. Gropius beispielsweise wird Professor am Institute of Design der Harvard University (Graduate School of Design). László Moholy-Nagy gründet das New Bauhaus in Chicago, das später mit dem Illinois Institute of Technology fusioniert, und holt prominente Lehrer wie György Kepes zu sich. Auf diese Weise entstehen in den USA gleich mehrere Bauhaus-Ableger. Diese Institute lehren allerdings keine simplen Kopien des deutschen Bauhaus-Stils. Vielmehr entwickeln sie eigene Lehrpläne, die sich mal mehr, mal weniger an den Idealen des Bauhaus ausrichten.
Neben ihrer Lehrtätigkeit arbeiten Gropius und Mies van der Rohe aber auch als Architekten. Ein Beispiel für Gropius´ Schaffen in Amerika ist sein Mitwirken an einem New Yorker Wolkenkratzer aus den 60er-Jahren, dem Pan Am Building (heute MetLife Building). In Lincoln, Massachusetts, baut er sich und seiner Familie ein eigenes Haus: das Gropius-Haus. Mies van der Rohe setzt sich 1951 mit den Lake Shore Drive Apartments, zwei Wohnhochhäusern, in Chicago ein imposantes Denkmal aus Glas und Stahl. In den Vorstädten planen Walter Gropius, Marcel Breuer und Hilde Reis Musterhäuser für wohlhabende Amerikaner. Breuer baut außerdem 1966 das Whitney Museum of American Art in New York – auch Breuer-Building genannt. So führen sie den Bauhaus-Stil nicht nur in der theoretischen Lehre ein, sondern erschaffen ganz konkret funktionale, schnörkellose Bauten. Das Bauhaus habe die Moderne in den USA „dramatisch beschleunigt”, wird das Magazin „Design Observer“ zum 100-jährigen Bauhaus-Jubiläum schreiben.
Gleichzeitig erkennt die Wirtschaft schon in den 1940er-Jahren, wie sich mit weiteren Bauhaus-Produkten – etwa Breuers berühmten Stahlrohrmöbeln – Geld verdienen lässt. Die amerikanische Öffentlichkeit hingegen ist weit weniger von dem kühlen Bauhaus-Stil angetan. Ein Kritiker spottet über Walter Gropius, dass dieser auch noch die Badewanne in der Küche zwischen Spüle und Eckschrank einbauen würde, nur weil es ihm wegen der geometrischen Form dort besser passe...
In Deutschland bewahren Stiftungen das Erbe von Walter Gropius und seinen Kollegen. Das Jubiläum 100 Jahre Bauhaus 2019 feierten die Städte Weimar, Dessau und Berlin mit Sonderschauen. Man diskutierte, welche Spuren das Bauhaus hinterlassen hat. Und man fragte sich, was das Bauhaus eigentlich war. Eine Kunstschule? Ein Stil? Eine Idee?
Wohl von allem etwas. Den einen Bauhaus-Stil jedenfalls gibt es nicht. Festhalten kann man jedoch verbindende und typisch Bauhaus-Merkmale: Zum Beispiel die klare, reduzierte Formensprache ohne Schnörkel und Verzierungen. Eine Teekanne braucht keine Dekoration, aber ein integriertes Teesieb. Ein Fabrikgebäude braucht große Fenster, die Licht und Luft hereinlassen. „Form follows Function“ lautet der Lehrsatz dazu. Und: In der Bauhaus-Lehre sind Kunst und Handwerk gleichberechtigt. Dadurch finden neue Techniken und neue Materialien Verwendung.
Für eine Schule, die nur 14 Jahre in Deutschland existierte, ist die langjährige Gültigkeit dieser Prinzipien selbst nach der Schließung der Schule 1933 beachtlich. Ihre kunstpädagogischen Konzepte wurden von vielen Ausbildungsstätten von Künstlern und Designern übernommen, weil sie die Kreativität in viel höherem Maße fördern konnten als die bisherigen Ausbildungsformen. Mit dem Namen „Bauhaus” wurde also eine Art Marke geschaffen, die vom eigentlichen „gebauten Haus” bis zur Teekanne, zum Stuhl oder zur Leuchte alles in einem gedachten Gesamtkunstwerk vereinte. Diese Marke wurde schnell Kult und konnte damit überall auf der Welt funktionieren.
Zusammenfassung
Mehrere deutsche Bauhaus-Meister wanderten während des NS-Regimes in die USA aus. Mit ihrem Wissen und ihrem guten Ruf machten sie Karriere an Design- und Kunsthochschulen.
1933 erhielt Bauhaus-Lehrer Josef Albers eine Einladung, am neu gegründeten Black Mountain College in North Carolina zu unterrichten. Diese Hochschule ist für ihre zukunftsweisende Wissensvermittlung sehr bekannt geworden und hatte weitreichenden Einfluss. Hier konnte Albers den freien, kreativen Geist des Bauhaus weiterleben lassen.
Gründer Walter Gropius und Bauhaus-Architekten wie Marcel Breuer oder Ludwig Mies van der Rohe hinterließen in den USA vielfältige Spuren. Sie machten nicht nur als Institutsleiter Karriere, sondern wirkten auch an berühmten Bauten mit.
Teste dein Wissen im Quiz
Richtige Antworten:
1. B) Harvard University
2. D) Das Pan Am Building (heute MetLife Building)
3. C) „The International Style“
4. A) Josef Albers
5. B) László Moholy-Nagy