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Bret Easton Ellis American Psycho

Mit den Augen eines Unmenschen
Dunkler Mann porträtiert mit grauenhaftem bösen Auge. Spooky männliches Gesicht, das sich im Schatten versteckt, unheimlich beängstigender Ausdruck
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Inhalte

Intro

Dieser Roman ist extrem. Ein echter Schocker. Denn mit „American Psycho“ von Bret Easton Ellis begeben wir uns in den Kopf eines blutrünstigen Serienmörders. Hier kommt einiges zusammen: Schneidende Kapitalismuskritik, Sexorgien und Gewaltexzesse. Und wusstest du, dass das Buch in Deutschland sogar sechs Jahre lang verboten war?

Kapitel 1: Glaub nicht, was du siehst!

„Patrick, ich weiß, dass mein Leben ohne dich … viel leerer wäre.“

Jean wirft ihm einen treuherzigen Blick zu, nur kurz, dann nippt sie wieder verlegen an ihrem Frappuccino. Jean ist seine Sekretärin und himmelt ihn an. Er kann also nicht behaupten, dass ihn ihr Geständnis überrascht. Doch es amüsiert ihn. Wenn er Jean jetzt erzählen würde, wie viele Frauen er schon getötet hat und was in seinem Kühlschrank liegt – bestimmt würde sie ihre Aussage überdenken. Wahrscheinlicher aber ist, dass sie ihm gar nicht glauben würde. Die Menschen glauben doch sowieso nur, was sie sehen und was sie glauben wollen. Jean sieht vor sich einen Mann in einem perfekt sitzenden Anzug, die Rolex am Handgelenk, gepflegte Fingernägel und ein gewinnendes Lächeln. 

Den echten, den wahren Patrick sieht sie nicht. „He, Jean“, würde der ihr am liebsten ins Ohr flüstern, „was du da siehst, ist nur eine Idee, ein abstrakter Entwurf, aber kein wahres Ich, nur eine Erscheinung, etwas Schemenhaftes, und obwohl ich in der Lage bin, mein kaltes Starren zu verbergen, und du mir die Hand schütteln kannst und dabei Fleisch spürst, das dein Fleisch umschließt, und vielleicht sogar das Gefühl hast, unser Lebensstil sei vergleichbar: Ich bin einfach nicht da.“

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Kapitel 2: Ein amerikanischer Alptraum

Der 27-jährige Ich-Erzähler in dem Roman „American Psycho“ lebt seinen ganz eigenen amerikanischen Traum. Tagsüber ist er der erfolgreiche Wallstreet-Banker in einer Welt, in der Geld, Luxus und emotionale Kälte regieren, nachts der Psychopath, der in derselben Welt bestialisch mordet. Ein Psychopath ist ein Mensch mit einer schwer gestörten Persönlichkeit. Er empfindet keine Gefühle wie Liebe oder Anteilnahme gegenüber anderen Menschen. Stattdessen umgarnt er sie mit vorgespielter Freundlichkeit und benutzt sie dabei eiskalt für seine eigenen Zwecke. Dieser Patrick Bateman löscht Leben aus, um sich selbst lebendig zu fühlen. Seine Motive: innere Leere und Langeweile. Und wir als Lesende sehen bei jeder seiner abartigen Hinrichtungen zu. Nicht mit einem gewissen Sicherheitsabstand, sondern mit den nüchternen Augen eines völlig gefühlsleeren Täters, der seine Umwelt wie einen Film wahrnimmt – ganz so, als gehöre er gar nicht dazu. 

Kein Wunder also, dass der Roman „American Psycho“ bei seinem Erscheinen 1991 heftige Kontroversen auslöste. Es hagelte Verrisse; und in vielen Ländern durfte das Buch nicht verkauft werden. Auch in Deutschland stand es sechs Jahre lang auf dem Index. Dem Autor Bret Easton Ellis, der sogar etliche Morddrohungen erhielt, wurden jugendgefährdende Gewaltdarstellung, Sexismus und kalkulierte Provokation vorgeworfen. Zu Recht?

Kapitel 3: Im Herzen des Kapitalismus

Patrick Bateman ist jung, reich, durchtrainiert und perfekt gestylt. Ein lupenreiner Yuppie der achtziger Jahre. Er und seine Kollegen schwelgen im Luxus und reden aneinander vorbei über das, was ihr Leben ausmacht. Statussymbole, Fitnessstudios, Koks, Sex und das große Geld bestimmen für sie die Welt. Wie ein Besessener schwadroniert Patrick Bateman über Designermöbel, Musikalben, Pflegeprodukte oder Anzüge. Markennamen werden wie Perlen aneinandergereiht. Was dann zum Beispiel so klingt: „Ich trage einen Zweiknopfanzug aus reiner Wolle mit Bundfaltenhose von Luciano Soprani, ein Baumwollhemd von Brooks Brothers und einen seidenen Schlips von Armani. McDermott hat seinen Schurwollanzug von Lubiam an, dazu ein Leinen-Einstecktuch von Ashear Bros., ein Baumwollhemd von Ralph Lauren und einen Seidenschlips von Christian Dior.“ Leben im Warenkorb: Für Bateman und seinesgleichen haben Markennamen mehr Bedeutung als die Namen von Kollegen und Bekannten. Denn in dieser Welt des Überflusses sind echte zwischenmenschliche Beziehungen Mangelware. Seite um Seite rauschen Belanglosigkeiten an uns Lesern vorbei, darunter auch immer wieder dieselbe Frage: „Und wo gehen wir essen?“ Die Jagd nach dem besten Tisch im angesagtesten Restaurant wird zur Metapher für das sinnentleerte Dasein zwischen Konsum und Luxus. 

Als Schauplatz für seinen Roman hat der US-Amerikaner Bret Easton Ellis die Wallstreet in Manhattan gewählt. Hier schlägt das Herz des Kapitalismus in den Achtzigerjahren, hier vergöttern junge Karrieristen den skrupellosen Geschäftsmann Donald Trump, hier wird das Leben von Materialismus und Egozentrik definiert. Und manch einer mutiert dabei zum Monster. Bei Ellis ist es der Wallstreet-Banker und Serienmörder Patrick Bateman. Sein Name ist ein Wortspiel, das auf gleich zwei fiktive Figuren verweist: Die eine ist Norman Bates, der Serienkiller aus dem Hitchcock-Film Psycho, die andere ist Batman, der milliardenschwere Racheengel.

Kapitel 4: Hölle ohne Ausgang

Viel und kontrovers wurde über die Gewaltdarstellungen in „American Psycho“ diskutiert. Doch bis zum ersten bestialischen Sexualmord dauert es fast das halbe Buch. Bis dahin machen die Lesenden nur mit Patrick Batemans fadem Leben und Erleben Bekanntschaft. Bateman konsumiert, dröhnt sich voll mit Drogen, Sex und Luxus. Doch nichts davon hilft gegen die ihn quälende Leere und Langeweile. Schließlich geht er dazu über, andere zu quälen. Er foltert, verstümmelt, tötet, verspeist sogar seine Opfer, wobei er genauso detailversessen und gefühllos vorgeht wie sonst auch. Aber nicht einmal in seiner blutigen Sinnsuche wird Bateman wahrgenommen. Er zappelt in seiner persönlichen Hölle, deren Tür sich am Anfang des Romans mit dem Dantes-Zitat „Abandon all hope ye who enter here“ („Lasst alle Hoffnung fahren, ihr, die ihr hier eintretet“; aus der „Göttlichen Komödie“) geöffnet hat und im letzten Satz „This is not an exit“ fest verschlossen bleibt. Als Bateman seinem Anwalt von den nächtlichen Gräueltaten erzählt, glaubt der ihm nicht. Niemand glaubt ihm, weil sich schlicht niemand für irgendjemanden interessiert.

Und was glauben wir als Lesende? Sind all die brutalen Bilder, die Bateman uns beschreibt, die Verbrechen eines Psychopathen, oder entspringen sie nur dessen krankhafter Fantasie? Eine Antwort darauf liefert der Roman nicht. Auch eine andere Frage kann nur jeder für sich selbst beantworten: Musste der Autor die Taten eines Serienkillers derart plakativ darstellen? Gibt es keine andere Möglichkeit, um uns das Monsterhafte dieses in seiner eigenen Hölle gefangenen Anti-Helden vor Augen zu führen?

Bret Easton Ellis hat sich für das Mittel des Tabubruchs entschieden. Damit ist ihm ein beklemmendes Panorama der menschlichen Kälte, Sinn- und Hoffnungslosigkeit gelungen. Die deutsche Literaturkritikerin Elke Heidenreich schrieb in der Frankfurter Rundschau: „In einer Medienwelt, die jedes Thema lächelnd in drei Minuten abhandelt – vom Holocaust über die Salatbar zum Krieg  – ist dieses Buch ein Schuss ins Herz, Picassos Guernica vergleichbar.“

Tabus einer ganz anderen Kategorie knöpft sich die britisch-deutsche Autorin Charlotte Roche in ihrem Roman „Feuchtgebiete” vor: Anstelle verstörender Gewaltdarstellungen gibt sie schamlose Einblicke in die Körperöffnungen der Heldin.

Zusammenfassung

  • In seinem 1991 erschienenen Roman „American Psycho“ lässt uns der US-amerikanische Autor Bret Easton Ellis die Welt mit dem emotionslosen Blick des Serienmörders Patrick Bateman sehen. 

  • Schauplatz des Romans ist die Wallstreet in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Hier führt der Anti-Held des Romans ein sinnentleertes Dasein in einer menschenfeindlichen Umgebung zwischen Konsum und Luxus. 

  • Patrick Batemans Detailversessenheit und Gefühlskälte spiegeln sich auch in den monströsen Beschreibungen der Sex-, Folter- und Mordszenen wider.

  • Bret Easton Ellis‘ dritter Roman ist eine scharfe Kritik an einer ich-bezogenen, konsumorientierten Gesellschaft, in der materielle Werte mehr zählen als Menschlichkeit. »Eine literarische Markierung des ausgehenden 20. Jahrhunderts«, heißt es im Einband-Text des Verlags.

  • In Deutschland war das Buch „American Psycho“ aufgrund der krassen Gewaltdarstellungen sechs Jahre lang verboten. Umstritten ist es bis heute.

  • Erschienen ist es unter anderem 2006, aus dem Englischen übersetzt von Clara Drechsler und Harald Hellmann, lieferbar bei Kiepenheuer & Witsch.

  • 2000 wurde „American Psycho“ mit Christian Bale in der Hauptrolle verfilmt. Regie führte Mary Harron. Es gibt auch mehrere Hörbuch-Fassungen, gelesen unter anderem von Moritz Bleibtreu (2007) und David Nathan (2018). Als E-Book ist es seit 2023 ebenfalls bei KiWi erhältlich.

  • Weitere Werke von Bret Easton Ellis sind unter anderem: „Einfach unwiderstehlich“, „Die Informanten“, „Lunar Park“ und „The Shards“.

Teste dein Wissen im Quiz

  1. Wer schrieb den Roman „American Psycho“?
    1. A) Elke Heidenreich
    2. B) Hubert Winkels
    3. C) Bret Easton Ellis
    4. D) Irvine Welsh
  2. Aus wessen Sicht ist der Roman „American Psycho“ geschrieben?
    1. A) Aus der Sicht einer Partnerin
    2. B) Aus der Sicht eines Staatsanwalts
    3. C) Aus der Sicht eines Opfers
    4. D) Aus der Sicht eines Serienmörders
  3. Wo und wann spielt der Roman „American Psycho“?
    1. A) Im Wallstreet-Milieu der 1980er Jahre
    2. B) Auf Kuba in den 1960ern
    3. C) Am Nordpol in den 2000ern
    4. D) In Chile in den 1970ern
  4. Warum ist der Roman „American Psycho“ bis heute umstritten? 
    1. A) Weil der Autor unter Plagiatsverdacht steht
    2. B) Wegen der detaillierten Gewaltdarstellungen
    3. C) Wegen kultureller Aneignung
    4. D) Weil er zu Kaufsucht führen könnte
  5. Welche erzählerischer Perspektive verwendet Bret Easton Ellis in seinem Roman „American Psycho“?
    1. A) Personaler Erzähler
    2. B) Neutraler Erzähler
    3. C) Auktorialer Erzähler
    4. D) Ich-Erzähler

Richtige Antworten: 
1. C) Bret Easton Ellis 
2. D) Aus der Sicht eines Serienmörders 
3. A) Im Wallstreet-Milieu der 1980er Jahre 
4. B) Wegen der detaillierten Gewaltdarstellungen
5. D) Ich-Erzähler

FAQs

Wer schrieb „American Psycho“?

Autor des Romans ist Bret Easton Ellis (geb. 1964 in Los Angeles), der in der Nähe von Beverly Hills lebt. Ellis wollte eigentlich Musiker werden und begann ein Musikstudium in Vermont. Mehr und mehr fühlte er sich jedoch zum Schreiben hingezogen und legte 1985 seinen ersten Roman „Unter Null“. Zwei Jahre später zog er nach New York City, wo er „American Psycho“ schrieb. Der Roman machte ihn zum Kultautor. Sein Werk wird oft als nihilistisch charakterisiert, was bedeutet: Alle positiven Ideale, Werte und Ziele werden rundweg abgelehnt. Die meisten seiner Romanfiguren sind rücksichtslos und oberflächlich, gesellschaftliche Normen interessieren sie nicht. Heute lebt er in der Nähe von Beverly Hills.

Worum geht es in „American Psycho“ von Bret Easton Ellis?

Der Ich-Erzähler Patrick Bateman ist ein besonders arroganter Vertreter der amerikanischen Oberschicht. Deren Lebensinhalt besteht in Designermode, Sex, Drogen und Lifestyle, dabei bleiben ihre Individuen gesichtslos und austauschbar. Zutiefst gelangweilt von der eigenen Oberflächlichkeit wird Bateman zum Serienmörder. Allerdings lässt der Romanautor offen, ob sich sein Anti-Held all seine abartigen Gewaltexzesse aufgrund einer psychischen Krankheit nur einbildet.

Was ist typisch für die Romane von Bret Easton Ellis?

Typisch für Ellis’ Romane sind Wiederholungen (wie etwa das ständige Zitieren aus einer Trash-TV-Show, die der Anti-Held jeden Morgen schaut) sowie diverse Querverbindungen zu früheren Romanen. Oft knüpft der Autor an Ereignisse aus anderen seiner Geschichten an oder lässt dieselbe Person in verschiedenen Romanen und Rollen auftreten. Ein anderer Kunstkniff ist der Verwandte. So hat zum Beispiel Patrick Bateman aus „American Psycho“ einen Bruder namens Sean, der die Hauptrolle in „Einfach unwiderstehlich“ spielt. Und in „Lunar Park“ (2006) ersteht der psychopathische Serienmörder Bateman persönlich wieder auf – und verfolgt seinen eigenen „Schöpfer“.

Warum war „American Psycho“ in Deutschland und weiteren Ländern verboten?

Dem Autor Bret Easton Ellis wurden jugendgefährdende Gewaltdarstellung, Sexismus und kalkulierte Provokation vorgeworfen. Nach der Erstveröffentlichung 1991 in den USA durfte das Buch in vielen Ländern nicht verkauft werden, in Deutschland stand es ab 1995 auf der Liste jugendgefährdender Medien. Der Verlag Kiepenheuer & Witsch klagte dagegen und gewann 2001 vor dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen. Heute gilt der Roman in der Literaturkritik als Metapher auf den unregulierten globalisierten Kapitalismus und auf die Yuppie-Gesellschaft im Amerika der 80er-Jahre, die von Luxuskonsum auf der einen und innerer Leere auf der anderen Seite gekennzeichnet war.

Was ist ein „Yuppie“?

Der Begriff ist eine zusammensetzende Abkürzung (Akronym) für „young urban professional“ und bedeutet soviel wie „jung, städtisch und gut ausgebildet“. Er entstand im Amerika der 1980er-Jahre für erfolgreiche Jungmanager, die sich durch exklusive Kleidung, Luxus-Accessoires und Lifestyle von der übrigen Welt abzuheben suchen. Konsum und materieller Wohlstand sind ihr Lebensinhalt, der in „angesagten“ Treffs, übertriebenem Körperkult, teuren Autos und Luxus-Apartments vorgeführt wird.

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