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Flauberts Madame Bovary

Wird hier der Ehebruch verherrlicht?
Das Bild zeigt eine Frau im historischen Kleid, die aus dem Fenster eines im Stil des 19. Jahrhunderts eingerichteten Zimmers blickt, was an die literarische Figur Madame Bovary erinnern könnte
Flauberts Madame Bovary
Flauberts Madame Bovary
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Intro

Als dieser ungewöhnliche Roman 1856 erscheint, steht die französische Leserschaft Kopf: Ein unbekannter Autor hat es gewagt, seine Titelheldin Ehebruch begehen zu lassen, ohne sie dafür moralisch zu verurteilen. Nach dieser Story weißt du, warum sich Gustave Flaubert sogar vor Gericht verantworten musste und was seinen Roman „Madame Bovary“ zu einem außergewöhnlichen Meisterwerk macht.

Kapitel 1: Im Rausch der Gefühle

Verzückt betrachtet Emma ihr Spiegelbild. Haben diese schwarzen Augen schon jemals so betörend geglänzt? Noch immer spürt sie das Begehren des edlen Rodolphe und den angenehmen Schauer, den seine gehauchten Liebesschwüre in ihr auslösten. „Ich habe einen Geliebten.“ Welch verwirrender Gedanke. Doch im selben Moment wird sie von einem so starken Gefühl des Glücks erfasst, dass ihr schwindelt. Ach, Rodolphe … Nach ihrem gemeinsamen Ausritt ist Emma davon überzeugt: Dieser gutaussehende und so geistreiche Mann wird sie aus der stickigen Ehe mit dem glanzlosen Landarzt Charles Bovary befreien. Wie düster war jeder einzelne Tag dieser Ehe in der trostlosen Provinz … Nun aber hat der Lichtstrahl der Liebe sie berührt. Nun wird auch sie jene leidenschaftliche Hingabe empfinden wie all die Heldinnen ihrer Romane. Mit einem wohligen Seufzer überlässt sich Emma den romantischen Bildern, die ihre Zukunft verzaubern werden.

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Kapitel 2: Rettungsanker Ehebruch

„Madame Bovary“ wurde 1856 zunächst als Fortsetzungsroman in einer Zeitschrift veröffentlicht – und zwar in zensierter Fassung. Die Geschichte einer lebenshungrigen jungen Frau, die an ihrer Ehe mit einem biederen Landarzt im langweiligen Dorf Yonville im Norden Frankreichs schier verzweifelt und in die Arme gleich zweier Liebhaber flüchtet: Unerhört war das, was ihnen der noch unbekannte Autor Gustave Flaubert da präsentierte. Lebensnah und mit boshaftem Sarkasmus zwischen den Zeilen ließ er kein gutes Haar an der heiligen Institution Ehe. Und den Ehebruch der Hauptperson beschrieb er so kühl und wertungsfrei, als handele es sich um einen Spaziergang im Garten! Die Öffentlichkeit war empört. Kurz darauf wurde Flaubert sogar angeklagt. Die Staatsanwaltschaft warf ihm „Verstoß gegen die guten Sitten“ und „Verherrlichung des Ehebruchs“ vor. Der Prozess schadete Flaubert allerdings nicht. Im Gegenteil. Nachdem er 1857 freigesprochen worden war, weil die Richter in Flauberts neutraler Schilderung keine sittenwidrige Absicht erkennen konnten, erschien sein Roman noch im selben Jahr als Buch. Es sollte, vielleicht gerade wegen des Skandals, sein größter Publikumserfolg werden.

Kapitel 3: Verdächtig objektiv

Wer Gustave Flauberts dreiteiligen Roman heute liest, wird nichts Anstößiges darin entdecken. Doch mit „Madame Bovary“ hatte der Autor ein schonungslos realistisches Abbild der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Werte vorgelegt. Die Ehe galt im 19. Jahrhundert als unantastbare Lebensform. Sie bestimmte das Familienmodell und regelte das Zusammenleben, wobei die Rolle der Frau die der duldsamen Gemahlin und sorgenden Mutter war. Niemand stellte dies in Frage. Eine Frau mit individuellen Bedürfnissen, die den Fesseln ihrer unglücklichen Ehe entkommen will? Das passte nicht ins Bild und schon gar nicht in die Auswahl schicklicher Romanstoffe. Flaubert hat sich darüber hinweggesetzt. Und als wäre das nicht schon provokant genug, wählte er für seinen Roman, zu dem ihn ein Zeitungsbericht über einen ganz ähnlich gelagerten Fall inspiriert hatte, auch noch einen neuartigen literarischen Stil: die personale Erzählperspektive.

Grundsätzlich werden in der Literatur vier verschiedene Erzählperspektiven unterschieden: die des Ich-Erzählers, die neutrale, die auktoriale und die personale Perspektive.
Der Ich-Erzähler ist selbst Teil des Geschehens. Er verkörpert eine der handelnden Personen und stellt die Romanhandlung aus seiner Perspektive dar. Der neutrale Erzähler wiederum schlüpft in keine der Figuren. Er weiß im Grunde nichts über sie, sondern berichtet nüchtern darüber, was vor sich geht. Der auktoriale – „allwissende“ – Erzähler ist ebenfalls nicht Teil der Geschichte, sondern blickt wie durch eine Kamera von außen auf die Handlung und sogar in die Köpfe der Protagonisten hinein. Anders als der neutrale Erzähler weiß er alles über die Figuren.

Ja, und dann gibt es – wie eben bei „Madame Bovary“ – den personalen Erzähler. Er springt quasi von Figur zu Figur und erzählt die Handlung aus der Sicht des jeweiligen Charakters. Egal ob dieser „gut“ oder „böse“ ist: Der personale Erzähler bleibt gegenüber seiner Romanfigur völlig neutral. Er erzählt ausschließlich das, was die jeweilige Person selbst weiß, fühlt und erlebt. Das erzeugt Spannung und versetzt die Lesenden mitten in die Lebens- und Gefühlswelt der Figuren hinein.

Kapitel 4: Die enttäuschte Ehefrau

Die personale Erzählweise ermöglichte es Flaubert, nicht nur in die Rolle der empfindsamen Emma zu schlüpfen, sondern auch den gleichförmigen, einzig der Pflicht gehorchenden Alltag in der französischen Provinz abzubilden. Flaubert hat somit nicht nur den ersten großen Ehebruchroman geschrieben, sondern auch das erste große Werk des französischen Realismus. Die Vertreter dieser Literaturepoche, die bis in die 1890er-Jahre dauern sollte, spiegelten die gesellschaftlichen Verhältnisse wider, indem sie diese möglichst wirklichkeitsgetreu darstellten und sich dabei jeder Wertung enthielten. Diesem Vorbild folgten unter anderem Leo Tolstoi mit „Anna Karenina“ und Theodor Fontane mit „Effi Briest“.

Auch die Leserinnen und Leser von „Madame Bovary“ werden in Emmas Leben, Sehnen und Leiden hineinversetzt, damit sie sich am Ende selbst ein Urteil über ihr Handeln bilden können. Was also halten wir von dieser Emma Bovary, die aus ihrer als öde empfundenen Ehe ausbricht? Aus heutiger Sicht weckt sie am ehesten Verständnis und Mitgefühl, während sich die Leserschaft zu „ihrer“ Zeit Mitte des 19. Jahrhunderts wohl gehörig über die moralische Verworfenheit dieser Person erregt haben dürfte.

Dabei fängt alles eigentlich ganz harmlos an. Emma, die Tochter des wohlhabenden Bauern Théodore Rouault, verspricht sich von der Ehe mit dem verwitweten Landarzt Charles Bovary ein ereignisreiches Leben in gesellschaftlich besseren Kreisen. Doch was sie bekommt, ist das typische, untätige Dasein der bürgerlichen Ehefrau, und das auch noch auf dem Dorf. Abendgesellschaften, Hauskonzerte, Theaterbesuche? Fehlanzeige. Im Garten herumspazieren und Liebesromane lesen sind noch die spannendsten Tätigkeiten für sie, während ihr Mann arbeitet.

Zum Glück freundet sich das Paar bald mit dem Apotheker Homais an. In dessen Haus lebt auch der junge Léon, der Emmas Interesse an Musik und Literatur teilt. Die beiden fühlen sich in einer Art Seelenverwandtschaft zueinander hingezogen. Doch als Léon nach Paris umzieht, fühlt Emma einen bitteren Trennungsschmerz und versucht ihre Langeweile zu betäuben, indem sie sich luxuriöse Einrichtungsgegenstände und Kleider nach der neuesten Mode zulegt. Zufriedenheit ist lieferbar, Kaufsucht ersetzt Liebe. Zwar hat sie kein eigenes Geld, aber der Händler Lheureux gewährt ihr großzügig Kredit. Zumindest vorerst noch.

Kapitel 5: Der Verführer

Emma hat unterdessen eine Tochter zur Welt gebracht. Aber die kleine Berthe ist ihr eher eine Last, sie empfindet keine Liebe für das Kind. Wohl aber für den äußerlich gutaussehenden und charmanten Gutsbesitzer Rodolphe. Er verführt sie zum Ehebruch, den Flaubert eindeutig zweideutig anhand eines „Ausrittes“ beschreibt. Endlich, so glaubt Emma, hat sie die Liebe ihres Lebens gefunden. Sie macht ihrem Galan teure Geschenke, die sie ebenso wie ihre Kleider und Luxusgegenstände auf Pump kauft. Doch für Rodolphe ist sie nur eine Liebelei, keine feste Beziehung. Er lässt sie in dem Glauben, mit ihr nach Italien durchbrennen zu wollen. Doch am vereinbarten Tag lässt er sie eiskalt sitzen. Emma versinkt in Schwermut und wird krank. Als ihr nichtsahnender Ehemann sie zur Ablenkung ins Theater nach Rouen ausführt, trifft sie dort Léon wieder. Kopfüber stürzt sie sich in die nächste Affäre. Ihrem Mann lügt sie vor, sie würde Klavierstunden nehmen, um Zeit für die heimlichen Treffen mit Léon zu gewinnen.

Aber wir ahnen es schon: Das geht nicht lange gut. Ausgerechnet der Händler Lheureux bringt das Schulden- und Lügengebäude zum Einsturz, als er endlich das Geld für Emmas zahlreiche Einkäufe haben will. Léon kann ihr nicht helfen, und Rodolphe interessiert sich nicht für die Probleme seiner abgelegten Bettgenossin.

Kapitel 6: Bis zum bitteren Ende

Ob „Anna Karenina“, „Effi Briest“ oder eben „Madame Bovary“: In keinem der Ehebruch-Romane des Realismus gibt es ein Happy End. Vielmehr gehen die Ehebrecherinnen daran zugrunde, dass sie von der Gesellschaft geächtet werden. So sieht auch Emma Bovary schließlich keinen anderen Ausweg mehr als den Tod. Qualvoll stirbt sie an dem Arsenik, das sie heimlich in Homais’ Apotheke eingesteckt hat. Wird Emma also zuletzt für ihren Ehebruch bestraft? Oder ist ihr Tod eine Anklage gegen die damals übermächtigen Zwängen der Ehe, unter denen vor allem die Frauen zu leiden hatten? Konfrontiert Flaubert seine Leser also mit der Rechtlosigkeit von Frauen in der bürgerlichen Gesellschaft? Immerhin lässt er seine Titelheldin sinnieren: „Ein Mann ist doch wenigstens sein freier Herr. Ihm stehen alle Leidenschaften und alle Lande offen, er darf (…) sich auch die allerfernsten Glückseligkeiten erobern. Ein Weib liegt an tausend Ketten.“

Zusammenfassung

  • „Madame Bovary“ (erschienen im Jahr 1857) war nicht nur das Roman-Debüt des französischen Schriftstellers Gustave Flaubert, sondern auch der erste große Ehebruchroman des 19. Jahrhunderts. Darauf folgten unter anderem Leo Tolstois „Anna Karenina“ und Theodor Fontanes „Effi Briest“.

  • Der Gesellschaftsroman „Madame Bovary“ zeichnet ein detailreiches Bild von der bürgerlichen Frau im 19. Jahrhundert. Autor Gustave Flaubert thematisiert darin das unglückliche Leben einer empfindsamen jungen Frau, die Ehebruch begeht – ohne sie für ihr Handeln zu verurteilen. Die Öffentlichkeit war empört, und Flaubert wurde wegen „Verherrlichung des Ehebruchs“ angeklagt.

  • Neu war auch Flauberts sachlich-objektiv beschreibender Stil, womit er die Literaturepoche des Realismus begründete. Die personale Erzählperspektive ermöglichte es ihm, zwischen den Rollen und Figuren zu wechseln und sie wirklichkeitsnah abzubilden. In dieser Beziehung gilt auch sein letzter vollendeter Roman „L’Éducation sentimentale“ als stilbildend für den modernen europäischen Roman.

  • Flaubert war zudem ein Meister des Wortspiels, das er oft dazu nutzte, seinen Lesern zwischen den Zeilen ironische Fingerzeige zu geben. Aus diesem Grund haben seine Werke den Ruf, extrem schwer übersetzbar zu sein.

  • Deutsche Ausgaben erschienen unter anderem in Übersetzungen von Maria Dessauer (Insel Verlag), Ilse Perker und Ernst Sander bei Reclam sowie Elisabeth Edl (Dt. Taschenbuchverlag München und 2012 als Neuübersetzung im Hanser Verlag).

  • „Madame Bovary“ wurde auch als Hörbuch aufgenommen und in mehreren Ländern verfilmt, unter anderem in den USA, Großbritannien, Indien und Deutschland.

Teste dein Wissen im Quiz

  1. Wer schrieb den Roman „Madame Bovary“?
    1. A) Charles Dickens
    2. B) Mario Vargas Llosa
    3. C) Gustave Flaubert
    4. D) Stendhal (Marie-Henri Beyle)
  2. Welchen Beruf hat die Titelheldin in Gustave Flauberts Roman „Madame Bovary“?
    1. A) Ärztin
    2. B) Lehrerin
    3. C) Übersetzerin
    4. D) Keinen
  3. Was war neu an Gustave Flauberts Roman „Madame Bovary“?
    1. A) Realistische, wertungsfreie Schilderungen
    2. B) Zeitsprünge und Ortswechsel
    3. C) Reisebeschreibungen
    4. D) Religiöse Themen
  4. Welche Literaturepoche begründete Flaubert mit seinem Roman „Madame Bovary“? 
    1. A) Barock
    2. B) Realismus
    3. C) Moderne
    4. D) Romantik
  5. Welches Werk von Gustave Flaubert gilt neben „Madame Bovary“ als stilbildend für den modernen Roman?
    1. A) Salammbô
    2. B) Bouvard et Pécuchet
    3. C) Die Versuchung des heiligen Antonius
    4. D) L’Éducation sentimentale

Richtige Antworten: 
1. C) Gustave Flaubert 
2. D) Keinen
3. A) Realistische, wertungsfreie Schilderungen
4. B) Realismus
5. D) L’Éducation sentimentale

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