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Charlotte Roche Feuchtgebiete

Scham und Ekel
Das Bild zeigt ein heruntergekommenes Badezimmer mit intensiver Graffiti-Bemalung an Wänden und Spiegeln, beleuchtet durch Neonlichter. Zwei Waschbecken stehen im Vordergrund, und der Raum wirkt vernachlässigt und schmutzig.
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Inhalte

Intro

Missglückte Intimrasur, Hämorrhoiden wie Blumenkohlröschen, Avocadokerne als Liebeskugelersatz: der Debütroman der deutschen Autorin Charlotte Roche überschreitet Grenzen aller Art. Trotz oder gerade wegen seiner Tabuthemen wurde „Feuchtgebiete“ in Deutschland zum Bestseller des Jahres 2008 ernannt. In dieser Story erfährst du, warum es die Heldin des Romans mit der Körperhygiene nicht so genau nimmt und weshalb das Buch bei Literaturkritikern umstritten ist.

Kapitel 1: Tampon-Experimente

„Ich baue mir, wenn ich meine Tage habe und auf Klo sitze, selber meine Tampons aus Klopapier. Da bin ich sehr stolz drauf. Ich habe eine spezielle Wickel- und Knicktechnik entwickelt, damit sie lange da drin bleiben und das Blut aufhalten können. [...] 

Ein paar Mal war ich bei meinem Frauenarzt, weil ein Tampon in mir verloren gegangen war. [...] Das ist natürlich ein weiterer Nachteil meiner selbst gebastelten Tampons: Das helltürkisfarbene Schnürchen zum Rausziehen fehlt. Meine Finger sind eher kurz, und wenn ich in meiner Muschi was suche, komme ich nicht sehr weit. Wenn ich in dieser Situation in Papas Haus war, musste ich ein paar Mal Papas schicke Holzgrillzange zum Suchen benutzen. [...] Genauso wie ich die Grillzange nicht reinige, bevor ich sie in mich reinstecke, mache ich sie auch nicht sauber, wenn sie nach meinem gynäkologischen Eingriff zurück auf Papas Grilltisch wandert. Bei einem Grillfest mit Freunden der Familie habe ich immer ein breites Grinsen im Gesicht.“

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Kapitel 2: Eine schamlose Rebellin

Dies sind Originalpassagen aus Charlotte Roches Roman „Feuchtgebiete“. Helen Memel heißt die 18-jährige Ich-Erzählerin, die es mit der Körperhygiene nach eigenem Bekunden nicht so genau nimmt. In vielen Bereichen lehnt sie Hygiene sogar rundweg ab. Tagelang nicht waschen? Die eigenen Ausscheidungen probieren? Für die selbsternannte „Ausscheidungsrecyclerin“ ein Muss.

Helens Mutter hat alles versucht, um aus ihrer Tochter ein sauberes Mädchen zu machen. Doch die junge Frau hat ein Faible für Körperflüssigkeiten, weshalb übertriebenes Waschen für sie tabu ist. Das ist aber auch das einzige Tabu, das Helen für ihren eigenen Körper gelten lässt. Allen anderen sagt sie den Kampf an. Bei ihr wird nichts von dem, was unter der Gürtellinie liegt und in Körperöffnungen steckt, totgeschwiegen oder totparfümiert. Nichts wird weggewischt, nichts unter den Teppich gekehrt. Kein Schamhaar und kein Popel. Helen Memel ist eine Rebellin, die sich dem gesellschaftlichen Hygienewahn und ästhetischen Diktaten total verweigert. Da ihr Scham und Ekel fremd sind, wenn es um Körperliches geht, erzählt sie entsprechend schamlos von ihren Selbstversuchen. Ob nun mit Masturbation, Muschiduft, Schmutzwürstchen oder glitschigen Avocadokernen als Liebeskugeln. Doch hinter dem hemmungslosen Sexualleben und dem drastischen Witz der rebellischen Heldin verbirgt sich auch eine zarte, eine verletzliche Seite.

Kapitel 3: Der Körper als Mittel zum Zweck

Helen Memel liegt im Krankenhaus. Genauer gesagt in der Proktologie – der Abteilung für Krankheiten des Enddarms, um ihre Hämorrhoiden operieren zu lassen. Für Helen aber ist diese Situation, die gleichzeitig als Hintergrund des handlungsarmen Romans dient, in ganz anderer Hinsicht bedeutsam: Sie hofft, dass ihre geschiedenen Eltern in der gemeinsamen Sorge um sie, die Tochter, wieder zueinander finden. Hier an ihrem Krankenbett in der Inneren Abteilung von Mariahilf. Helens Mission lautet deshalb: Die Entlassung bis dahin mit allen Mitteln verhindern!

In solchen Momenten kommt eine psychologische Ebene zum Vorschein, die Helens provokant-trotzige Haltung und bisweilen selbstzerstörerische Genusssucht erklärt. Als Scheidungskind und Tochter einer selbstmordgefährdeten Mutter fühlt sie sich verlassen. Und sobald sie allein ist, quält sie das Gefühl der Einsamkeit. So wird die Sehnsucht nach einer heilen Familie schließlich zur fixen Idee der verletzlichen Heldin. In ihrer Verzweiflung schreckt Helen nicht einmal davor zurück, sich selbst Schmerzen zuzufügen, um ihr Ziel zu erreichen: Zuerst unterdrückt sie mit allen Mitteln den Stuhlgang, der die Entlassung aus der Klinik zur Folge hätte, dann reißt sie sich die frische Wunde am After auf, wobei sie fast verblutet. Wieder ist ihr Körper Mittel zum Zweck. Diesmal aber weder zur Selbstbefriedigung noch zur Provokation. Diesmal will sie die Entlassung aus dem Krankenhaus so lange hinauszögern, bis ihre Eltern sich versöhnt haben. Die Schmerzen nimmt Helen dafür genauso hin wie jede andere körperliche Reaktion auch.

Kapitel 4: Literarisch wertlos oder lesenswert?

Als ihr Romandebüt „Feuchtgebiete“ im Jahr 2008 in Deutschland erschien und die Bestsellerlisten stürmte, war Charlotte Roche schon keine Unbekannte mehr. Zehn Jahre zuvor war sie Fernsehmoderatorin der Independence-Musiksendung „Fast Forward“ beim Musiksender Viva Zwei geworden, hatte 2002 den Bayerischen Fernsehpreis und zwei Jahre später den renommierten Grimme-Preis erhalten. 2007 moderierte sie die Eröffnungsgala der Internationalen Filmfestspiele Berlin. Es folgten Engagements als Moderatorin bei unterschiedlichen privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern, Auftritte in Musikvideos, Kolumnen in der Süddeutschen Zeitung und zwei von ihr eingesprochene Hörbücher. Zusammen mit ihrem Ehemann Martin Keß produzierte sie in Frankfurt am Main außerdem den preisgekrönten Podcast „Paardiologie“.

Die drastischen Beschreibungen und die teils aggressiv-obszöne Sprache in ihrem Roman „Feuchtgebiete“ sind für manche nur schwer zu ertragen, für die anderen hat die Lektüre etwas von einer Erfrischungskur. Die einen finden den Roman abstoßend, die anderen genial. „Ein echter Volksbestseller“, heißt es im Klappentext, „von Bild bis Zeitmagazin euphorisch besprochen“ und – in der Erstausgabe zumindest – mit Testimonials von Silvia Bovenschen und Roger Willemsen geschmückt. Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki hat den Roman hingegen als „ekelig“ und „literarisch wertlos“ abgetan. Stilistische Raffinesse, Rückblenden oder mehrere Handlungsebenen sucht man in diesem Werk tatsächlich vergebens. Die Ich-Erzählerin spricht einfach aus, was sie denkt, radikal offen und ohne falsche Scham. 

Das hat etwas Zudringliches. Die feministische Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen nennt es „angenehm unzimperlich“. So ist es vielleicht genau das, was „Feuchtgebiete“ - jenseits aller Regeln der hohen Literatur  zu einem lesenswerten Buch macht: Der Mut der Autorin, dorthin zu sehen, wo andere verschämt weggucken. Das auszusprechen, was andere nicht mal zu denken wagen. Und sich hinter ihre Protagonistin zu stellen, wohl wissend, dass viele Stimmen über sie richten werden. Und wenn Literatur die Kunstform ist, die es ermöglicht, das Innerste sichtbar zu machen, dann hat Charlotte Roche dies mit ihrem Roman „Feuchtgebiete“ kompromisslos umgesetzt.

Zusammenfassung

  • Charlotte Roche schrieb mit „Feuchtgebiete“ einen viel diskutierten Roman, der 2008 beim Dumont Buchverlag Köln erschien und monatelang an der Spitze der Spiegel-Bestsellerliste stand. 

  • Die Ich-Erzählerin Helen Memel rebelliert darin höchst unmädchenhaft gegen Hygienewahn, ästhetische Zwänge und falsche Scham, experimentiert mit Ausscheidungen, Sexualität und Ekelgrenzen. 

  • Die Protagonistin hat aber auch eine zarte, verletzliche Seite, denn sie leidet unter der Trennung der Eltern, fühlt sich oft verlassen und einsam. 

  • Den Roman zeichnen eine radikale Offenheit, Grenzüberschreitungen und eine aggressiv-obszöne Sprache aus. 

  • Charlotte Roche plädiert mit ihrem Debüt als Autorin für einen unverkrampften Umgang mit allem Körperlichen. Sie bewies den Mut, dorthin zu sehen, wo andere schamhaft weggucken.

  • 2011 erschien ihr zweiter Roman „Schoßgebete“ beim Münchener Piper Verlag. Beide Bücher erschienen auch als Hörbuch.

  • 2013 kam die Verfilmung in die Kinos und wurde mit fast einer Million Zuschauern einer der erfolgreichsten deutschen Filme des Jahres. Eine Theaterversion von „Feuchtgebiete“ wurde 2008 am Neuen Theater Halle uraufgeführt.

Teste dein Wissen im Quiz

  1. Wer schrieb den im Jahr 2008 erschienenen Roman „Feuchtgebiete“?
    1. A) Simone de Beauvoir
    2. B) Emma Becker
    3. C) Charlotte Roche
    4. D) Alice Schwarzer
  2. Wogegen rebelliert die Ich-Erzählerin Helen in dem Roman „Feuchtgebiete“?
    1. A) Exzessiven Medienkonsum
    2. B) Übertriebene Hygiene und falsche Scham
    3. C) Atomkraft
    4. D) Veganismus
  3. Worunter leidet die Ich-Erzählerin des Romans „Feuchtgebiete“ auf emotionaler Ebene?
    1. A) Unglückliche Liebe
    2. B) Kleptomanie
    3. C) Peinliche Geschlechtskrankheit
    4. D) Trennung ihrer Eltern 
  4. Wie heißt die Hauptperson in „Feuchtgebiete“?
    1. A) Carla
    2. B) Emma
    3. C) Helen
    4. D) Charlotte
  5. Wie heißt der zweite Roman von Charlotte Roche?
    1. A) „Schoßgebete“
    2. B) „Feuchtgebiete II“
    3. C) „Popograbscher“
    4. D) „Trockenrasen“

Richtige Antworten: 
1. C) Charlotte Roche
2. B) Übertriebene Hygiene und falsche Scham
3. D) Trennung ihrer Eltern 
4. C) Helen
5. A) „Schoßgebete“

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