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Der Report der Magd

Du sollst gebären und sonst nichts!
Das Bild zeigt eine düstere Szenerie mit Figuren in roten Umhängen, die in einer unwirtlichen Landschaft mit toten Bäumen und einem rot gefärbten Fluss stehen. Die Atmosphäre ist nebelig und gibt dem Ganzen einen mysteriösen oder okkulten Anstrich.
Der Report der Magd
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Intro

Stell dir eine Gesellschaft vor, in der Frauen absolut keine Rechte haben. Du denkst an das Mittelalter? Oder die Zeit der Sklaverei? Margaret Atwood verlegt dieses Szenario in ihrer Dystopie „Der Report der Magd“ in unsere Zukunft: genauer gesagt, in die Zukunft der Vereinigten Staaten von Amerika nach einer nuklearen Katastrophe.

Kapitel 1: Dein Körper gehört mir

Desfred streicht ihr langes rotes Kleid glatt und setzt sich an das Fenster ihres Zimmers. Es ist seltsam, dass sie an diesen Raum als „ihr“ Zimmer denkt – denn das ist er nicht. Sie ist hier im Haus des Kommandanten nur die Magd, nicht die Ehefrau. Und ihre Funktion ist fest definiert: Desfred, als eine der wenigen noch fruchtbaren Frauen im Staat Gilead, hat nur eine Aufgabe: Kinder gebären. Ihr rotes Kleid und ihre weiße Haube weisen sie jederzeit als Magd aus. Das ist alles, was sie nun ist und sein darf. 

Desfred schließt die Augen und atmet tief ein und aus. Heute Abend wird die Vergewaltigung stattfinden, die sie die „Zeremonie“ nennen. Die Magd muss sich zwischen die Beine der Ehefrau des Kommandanten legen und er wird versuchen, sie zu schwängern. Natürlich ist die Anwesenheit der Ehefrau reine Symbolik. Es geht allein um Desfreds Körper. Sie ist in dieser Welt nicht mehr als ein Gefäß  – eine Gebärmutter auf Beinen. Sie öffnet die Augen und blickt aus dem Fenster. Sie denkt an die Ehefrau des Kommandanten und spürt mit einem Mal Mitleid: Wer von ihnen beiden, fragt sie sich, hat eigentlich das schwerere Los gezogen?

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Kapitel 2: Religiöser Totalitarismus

Eine Gesellschaft, in der Frauen nicht nur von Männern, sondern auch von anderen Frauen unterdrückt werden – dieses Schreckensszenario hat die preisgekrönte kanadische Autorin Margaret Atwood in ihrer Dystopie „Der Report der Magd“ aus dem Jahr 1985 entworfen. Beschrieben wird ein zukünftiges Amerika, in welchem sich nach einer radioaktiven Katastrophe eine religiös-fundamentalistische Sekte an die Macht geputscht hat. Sie nennt sich „Söhne Jakobs“ und verwandeln die ehemaligen Vereinigten Staaten in ein totalitäres Regime. Die von ihnen geschaffene Republik heißt Gilead und ist geprägt von totaler Kontrolle und männlichen Machtstrukturen. Frauen haben in dieser patriarchalischen Gesellschaft nichts mehr zu sagen. Sie haben keine Rechte, dürfen keinen Beruf mehr ausüben und nicht über Geld verfügen – alles unter Berufung auf das Alte Testament der Bibel. Darin heißt es: Die Frau sei dem Mann untertan und solle still sein. „Selig sind die Sanftmütigen“ – dieses Bibelzitat wird ihnen auf Schritt und Tritt eingetrichtert. Aber den dazugehörigen zweiten Halbsatz unterschlägt man ihnen: „... denn ihrer ist das Himmelreich.“ Schließlich sollen die Frauen ihre Rolle in diesem System akzeptieren und nicht über ein besseres Leben nachdenken.

Kapitel 3: Die Frau als Gefäß

Auch die Frauen haben übrigens eine feste Rangordnung: Die Ehefrauen stehen über allen anderen, ihre Ehemänner gehören zumeist der Führungsschicht an und ermöglichen ihnen ein Leben im Wohlstand – freilich nur solange sie sich an die Regeln halten. Den Ehefrauen unterstehen die sogenannten Marthas, die in den reichen Haushalten als Köchinnen und Putzfrauen arbeiten müssen, sowie die in Rot gekleideten Mägde. Das sind jene wenigen Frauen, die nach der nuklearen Katastrophe noch in der Lage sind, Kinder zu gebären. Und genau das ist ihre einzige Funktion: Eine Magd wird reduziert auf ihre Fruchtbarkeit. Sie gehört immer einem Mann – ihrem Besitzer. Sie trägt sogar dessen Namen – mit der Vorsilbe „Des“, wie ein Gegenstand: Eigentum des Fred. Ihren eigenen Namen darf sie nicht mehr führen. Und in einer entwürdigenden, einer Szene des Alten Testaments nachgespielten „Zeremonie” muss sie einmal im Monat zwischen den Beinen der Ehefrau den sexuellen Akt über sich ergehen lassen. Alles natürlich für das große Ziel: den Fortbestand der Menschheit. Dafür wurden die Mägde in einer speziellen Einrichtung, dem „Roten Zentrum“, von sogenannten „Tanten“ gedrillt – den Erfüllungsgehilfinnen des Systems. Sie machen die Mägde mit Psychoterror, Gehirnwäsche und körperlicher Züchtigung gefügig. Damit führt Margaret Atwood ihre Leserinnen gedanklich zu einer wichtigen Frage: Wie ist es um die Solidarität unter Frauen bestellt, wenn Frauen selbst zu Unterdrückerinnen werden?

Kapitel 4: Ausbruch unmöglich?

Tatsächlich spielt die Solidarität in der Romanhandlung eine große Rolle. Denn die Hauptfigur, die Magd Desfred, ist zunächst im Haushalt des Kommandanten Fred Waterford auf sich allein gestellt. Doch nach und nach offenbaren sich ihr andere Mägde. Zum Beispiel ihre „Gefährtin“ Emily („Desglen“), die sie zunächst für eine besonders gläubige und angepasste Frau hält. Dann aber, an dem Tag, als die Magd Janine im Haus ihrer Herrschaft ihr Kind zur Welt bringt, outet sich Emily als Mitglied einer geheimen Gruppe namens „Mayday“. Diese Untergrundorganisation schmuggelt Frauen über die Grenze nach Kanada.

Und Desfred stellt fest, dass auch die „Marthas“ geheime Verbindungen pflegen. Es gibt also noch Solidarität unter den Frauen und damit auch Hoffnung für Desfred – wenn sie sich nur dazu überwinden kann, anderen zu vertrauen. Denn Misstrauen und Isolation ist es, was man erntet, wenn Grausamkeit und Unterdrückung gesät werden – das ist die kraftvolle Botschaft von Margaret Atwoods Dystopie. Ihr geht es also nicht nur um totale Kontrolle und sexuelle Ausbeutung. Sie wirft auch die Frage auf, ob ein totalitäres System in der Lage ist, die Solidarität unter den von ihm Unterdrückten wirklich vollständig vernichten kann. Und beantwortet sie letztlich mit Nein.

Kapitel 5: Ein verlogenes System

Margaret Atwood ist seit Jahrzehnten für gesellschaftskritische Romane und Sachtexte bekannt und mehrfach preisgekrönt. Vor allem das Thema der persönlichen Freiheit liegt ihr am Herzen. In „Der Report der Magd“ zeichnet sie nicht nur eine komplexe Welt, sie stellt auch zutiefst menschliche Fragen. Mit ihrer einfühlsamen Sprache und genauen Beobachtungsgabe führt sie die Leser*in dabei direkt in die Gefühls- und Gedankenwelt der Heldin Desfred hinein. Genau das macht ihren „Report“ so mitreißend.

Desfred muss immer wieder an ihren Mann Luke denken, dessen Schicksal nach der misslungenen Flucht vor den Putschisten ungewiss ist. Wenigstens erfährt sie, dass ihre gemeinsame kleine Tochter noch lebt: in einem der Erziehungszentren Gileads, in dem die Mädchen auf ihre künftige Rolle als gläubige, unterwürfige Dienerinnen der Männergesellschaft vorbereitet werden. Ihre alte Freundin Moira, die bei einem Fluchtversuch gefasst und grausam gefoltert wurde, trifft Desfred in einem Bordell wieder, in das der Kommandant sie hinter dem Rücken seiner Frau Serena Joy heimlich mitnimmt. Ein Bordell? Ja, denn den männlichen Machthabern von Gilead ist ihre eigene fundamental-religiöse Welt, die sie erschaffen haben, längst zu langweilig geworden. Der Ausflug in den Sündenpfuhl unterstreicht im Roman noch einmal deutlich die Scheinheiligkeit des Systems, denn Frauen werden für „Ehebruch“ öffentlich hingerichtet. Wobei es offiziell nicht „Hinrichtung“ heißt, sondern „Errettung“. Denn die „Söhne Jakobs“ morden nicht nur im Namen des Glaubens, sie verbiegen auch die Sprache.

Und Serena Joy? Auch sie erkennt allmählich, wie hohl und verlogen diese ach so gläubige Welt ist. Aber sie kann nicht aus ihrer Rolle ausbrechen. Immerhin ist sie mittlerweile von der Unfruchtbarkeit ihres Ehemanns überzeugt – ein Sakrileg! Denn in Gilead ist es grundsätzlich die Schuld der Frau, wenn sie nicht schwanger wird. Serena ersinnt eine List: Sie überredet Desfred zu einem ebenso heimlichen Treffen mit dem Fahrer Nick: Er soll ihr das ersehnte Kind machen! Was bleibt der Magd übrig: Sie muss das gefährliche Spiel mitspielen ...

Kapitel 6: Offenes Ende

Das Ende lässt die Autorin offen. Desfred wird von Polizisten in einen schwarzen Van gesetzt und mitgenommen. Aber Nick, das „Auge“, gibt ihr einen geheimen Wink: „Vertrau mir“, raunt er ihr zu. Ob sie vom Geheimdienst festgenommen oder von einer Untergrundorganisation gerettet wird, bleibt im Dunkeln. Immerhin verrät Margaret Atwood, dass die Republik Gilead nur für einige Jahrzehnte existieren wird. Im Epilog versetzt sie uns nämlich in ein geschichtswissenschaftliches Symposium, das aus einer etwas ferneren Zukunft auf den untergegangenen Staat zurückblickt.

Der Roman wurde 1987 von Helga Pfetsch ins Deutsche übersetzt und in den 1990er Jahren verfilmt. Die deutsche Fassung trägt den Titel „Die Geschichte der Dienerin“, Regie führte Volker Schlöndorff. 2017 dann startete das Videoportal Hulu eine erfolgreiche US-amerikanische Serien-Adaption unter dem Originaltitel „The Handmaid's Tale“ mit Elisabeth Moss als June Osborne, Joseph Fiennes als Fred, Yvonne Strahovski als Serena Joy und Ann Dowd in der Rolle der diabolischen Tante Lydia. Die von Bruce Miller in mittlerweile fünf Staffeln produzierte Fernsehserie war die erste Serie auf einer Streaming-Plattform, die mit einem Emmy ausgezeichnet wurde.

Ihre aktuelle Popularität in den USA und zahlreichen weiteren Ländern verdankt sie insbesondere der Debatte um das sogenannte Abtreibungsrecht. Im Juni 2022 hat der Supreme Court, das oberste Gericht der USA, mit konservativer Mehrheit das seit 1973 geltende verfassungsmäßige Recht auf Schwangerschaftsabbruch gekippt und Entscheidungen darüber wieder der Verantwortung der einzelnen Bundesstaaten unterstellt. Das Urteil löste US-weite Proteste aus. Und viele Demonstrantinnen gingen in roten Roben und weißen Hauben auf die Straßen – gekleidet wie die Mägde in „The Handmaid's Tale“.

Kapitel 7: Die Zeuginnen

Es sind Themen wie Gleichberechtigung und die Freiheit der/des Einzelnen, durch die ihr Werk bis heute nichts an Aktualität verloren hat. Eindringlich führt uns die kanadische Autorin vor Augen, wie schnell selbstverständlich geglaubte Dinge wie Demokratie und Menschenrechte hinweggefegt werden können. Atwoods düstere Zukunftsvision sticht dabei durch eine starke weibliche Perspektive aus den Dystopien männlicher Autorenkollegen hervor. Ihr Plädoyer für mehr Solidarität gerade unter Frauen macht den „Report der Magd“ deshalb zu einem so eindrücklichen und besonderen Leseerlebnis.

Mittlerweile hat Margaret Atwood eine Fortsetzung ihrer Dystopie unter dem Titel „The Testaments“ (deutsch: „Die Zeuginnen“) veröffentlicht. Darin zeichnet sie in Form von Aussagen der beteiligten Personen die Entstehungsgeschichte der Gilead-Gesellschaft nach: Wie konnte aus einem freiheitlichen Amerika ein mörderischer, totalitärer Staat werden? Was veranlasste die „Tanten“ dazu, diesem Staat bei der Unterdrückung ihrer Geschlechtsgenossinnen zu helfen? Wie rechtfertigen sie dies vor sich selbst? Und was wird letztlich zum Untergang Gileads führen? „Es gibt Gründe, bei diesen Regimen optimistisch zu sein“, sagte Atwood bei der Vorstellung des neuen Romans 2019 in London. „Denn sie haben eine Tendenz, nicht zu überdauern“.

Ähnliches gilt wohl auch für Ray Bradburys „Fahrenheit 451“. Auch in seinem Zukunftsstaat sind Bücher verboten, und zwar für alle. Das Bedrückendste dabei ist jedoch: Keine diktatorische Regierung hat das Lesen abgeschafft – die Menschen haben es von sich aus getan …

Zusammenfassung

  • „The Handmaid's Tale – Der Report der Magd“ spielt in einer fiktiven Republik Gilead in einem Nordamerika der Zukunft.

  • In Gilead haben Frauen keine Rechte mehr. Zu ihrer Unterdrückung missbrauchen die herrschenden Kommandanten die christliche Religion.

  • Die sogenannten Mägde haben in diesem System nur eine Funktion: Sie werden zum Gebären missbraucht und sexuell ausgebeutet.

  • Die kanadische Autorin Margaret Atwood entwirft in ihrem Roman ein beklemmendes System der Überwachung und Unterdrückung, in dem auch die Solidarität unter Frauen weitgehend verloren gegangen ist. Denn auch Frauen helfen dabei, andere Frauen zu unterdrücken.

  • Das Ende lässt sie offen, aber mit Hoffnung gebendem Ausblick. Denn einige Jahrzehnte später ist Gilead bereits Geschichte.

Teste dein Wissen im Quiz

  1. Was ist das Werk „Der Report der Magd“ von Margaret Atwood?
    1. A) Liebesroman aus den USA von 1850
    2. B) Englisches Sittengemälde von 1775
    3. C) Historischer US-Roman von 1920
    4. D) Dystopie aus Kanada von 1985
  2. Worum geht es in dem Roman „Der Report der Magd“ von Margaret Atwood?
    1. A) Eine Gesellschaft ohne Männer 
    2. B) Gesellschaft, in der Frauen keine Rechte haben
    3. C) Den Dritten Weltkrieg
    4. D) Liebesgeschichte einer Magd im Mittelalter 
  3. Welche Themen behandelt Margaret Atwood in ihrem Roman „Der Report der Magd“?
    1. A) Staatliche Kontrolle und sexuelle Ausbeutung der Frau
    2. B) Antisemitismus und Judenverfolgung
    3. C) Technologie und Datenmissbrauch
    4. D) Globale Erwärmung und Naturkatastrophen
  4. Welche Aufgabe haben die „Mägde“ in der Dystopie „Der Report der Magd“?
    1. A) Sie sind religiöse Führerinnen des Staates
    2. B) Sie sollen Kinder gebären
    3. C) Sie sind für den Haushalt verantwortlich
    4. D) Sie pflegen die Kranken und Schwachen
  5. Wofür liefert Margaret Atwoods Roman „Der Report der Magd“ ein kraftvolles Plädoyer?
    1. A) Toleranz gegenüber anderen Religionen
    2. B) Mehr politische Teilhabe
    3. C) Stärkeres Umweltbewusstsein
    4. D) Gleichberechtigung und Solidarität unter Frauen

Richtige Antworten: 
1. D) Dystopie aus Kanada von 1985
2. B) Gesellschaft, in der Frauen keine Rechte haben
3. A) Staatliche Kontrolle und sexuelle Ausbeutung der Frau
4. B) Sie sollen Kinder gebären
5. D) Gleichberechtigung und Solidarität unter Frauen

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