Frankreich schlagen und dann gegen Russland marschieren: Das war der Plan. Aber die Ereignisse sollten sich völlig anders entwickeln, als es der Schlieffen-Plan vorgesehen hatte. Am französischen Fluss Marne wurde der anfängliche Siegeszug der deutschen Westarmeen von den Feinden gnadenlos gestoppt. In dieser Story erfährst du, warum bereits die Erste Schlacht an der Marne im September 1914 als Wendepunkt des Ersten Weltkriegs gilt, der trotzdem noch vier grauenvolle Jahre lang dauern sollte…
Erschüttert blickt der deutsche Kaiser Wilhelm II. auf die Begräbnisstätte – ein eilig zugeschüttetes Soldatengrab. Es wird Wilhelms letzter Besuch an der Westfront in Frankreich sein. Denn Ruhmesmeldungen sind hier längst nicht mehr zu holen. Der Kaiser blickt über zerschossene Dörfer und verwüstete Felder, an deren Rändern verbrannte Baumreste in den Himmel ragen. Erschöpfte Soldaten hocken in verschlammten Schützengräben, Verwundete stöhnen, Scharen von Raben lassen ihr Krächzen über der schrecklichen Szenerie ertönen. Sie sind die einzigen Gewinner dieses gegenseitigen Abschlachtens. Die Leichen sind für sie ein gefundenes Fressen. Ja, der deutsche Angriffsplan ist auf furchtbare Weise gescheitert. Der schnelle deutsche Vormarsch durch Nordfrankreich auf Paris, mit dem die Franzosen in die Zange genommen und innerhalb weniger Wochen besiegt werden sollten, steckt seit Herbst 1914 in einem zermürbenden Stellungskrieg fest. Sind das die „herrlichen Zeiten“, die Kaiser Wilhelm den Deutschen mit hochtrabenden Worten versprochen hat?
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Jetzt runterladen!Am Ufer der Marne sollte sich das Blatt für die deutschen Angreifer bereits im September 1914 unwiderruflich wenden. Dabei hatte es noch wenige Wochen zuvor aus deutscher Sicht nach einem schnellen Sieg ausgesehen. Trotz aller Transportschwierigkeiten und Gegenangriffe waren die beiden deutschen Armeen relativ flott nach Frankreich vorgedrungen, wobei sie eine Schneise der Zerstörung durch das neutrale Belgien gezogen hatten. Und bei jedem neuen Erfolgserlebnis wurden in der Heimat die Kirchenglocken geläutet. Alles erinnerte an den glorreichen Krieg gegen Frankreich von 1870 und 1871, in dessen Folge das Deutsche Reich entstanden war. Genau an diesen Siegeszug wollte Kaiser Wilhelm II. im August 1914 anknüpfen: Seine Armeen sollten die Franzosen hinterrücks umfassen, einkesseln, vollständig vernichten – und das in möglichst kurzer Zeit. Aber die Franzosen hatten ja nun die bündnistreuen Briten an ihrer Seite. Und die nutzten jede Gelegenheit, um sich zu sammeln und ihre Lücken mit Soldaten aus den Kolonien aufzufüllen. War es also nur noch eine Frage der Zeit bis zum entscheidenden Gegenangriff oder gar der großen Gegenoffensive?
Je länger Deutschlands Armeen in Frankreich beschäftigt waren, desto schwieriger wurde die Lage in Ostpreußen an der russischen Grenze. Der deutsche Generalstabschef Helmuth von Moltke stand schwer unter Druck. Immerhin hatte der Schlieffen-Plan ja genau diesen nun drohenden Zweifrontenkrieg verhindern sollen. einen schnellen Feldzug im Westen vorgesehen, um dann die Armeen nach Osten verlegen und gegen den eigentlichen Feind Russland kämpfen zu können. Doch sowohl die 1. als auch die 2. Armee verloren immer mehr an Stärke. Truppen wurden für Sicherungen und Belagerungen abgezweigt; hinzu kamen die gewaltigen Märsche und die erbärmliche Versorgungslage, weil sich die Frontlinie mehr und mehr in die Länge zog. Kurzum: Die deutschen Armeen wurden anfälliger. Und das registrierten die Franzosen und Briten natürlich genau, die sich mit Russland im Militärbündnis Triple Entente zusammengefunden hatten. Die deutsche Heeresleitung hingegen bekam in ihrem weit entfernten Hauptquartier in Luxemburg kaum aktuelle Informationen über die Geschehnisse an der Front. Wer gerade wo stand, gesiegt oder verloren hatte, geriet allmählich zum Rätselraten, denn die Kommunikation der Deutschen war schlicht katastrophal, der Funkkontakt schlecht, und das Telefon- und Telegrafennetz hatten die französischen Truppen wohlweislich selbst zerstört. Nicht einmal Generalstabschef Moltke ahnte, welche Gefahr seinen wichtigen rechten Flügel tatsächlich bedrohte. Er glaubte, dass alles bestens laufe und zog Ende August sogar Truppenteile ab, um sie an die Ostfront gegen Russland zu schicken – ein weiterer folgenschwerer Fehler.
Immerhin: Noch Anfang September wirkte der massive und schnelle Vorstoß der Deutschen durchaus wie geplant. Der rechte Heeresflügel hatte die französische Armee bei St. Quentin abgewehrt und setzte dem fliehenden Feind nach, woraufhin der französische Heereschef Joseph Joffre wutschnaubend etliche Mitglieder seines Generalstabs ihrer Posten enthob.
Doch kurz darauf geriet der ausgefeilte Schlieffen-Plan völlig außer Kontrolle: Der Anführer der 1. Armee, General Alexander von Kluck, führte seine Truppen viel zu früh nach Süden. Zu schwach und langgezogen entwickelte sich die Frontlinie in den großen Weiten Frankreichs. Die französische Regierung hatte Paris zwar schon vorsichtshalber Richtung Bordeaux verlassen, doch die Deutschen nahmen die Hauptstadt nicht ein. Stattdessen schwenkten die beiden Armeen beim Fluss Marne nach Osten auf Lothringen zu. Die Franzosen erfuhren davon, stießen in die Flanke der Deutschen hinein – und das britische Expeditionskorps zwängte sich in die entstandene Lücke der beiden deutschen Armeen. Der Schlieffen-Plan war nun endgültig gescheitert, die Einkesselung des Feindes fehlgeschlagen. Alles schlug ins genaue Gegenteil um: Denn nun versuchten Franzosen und Briten ihrerseits, die Deutschen zu umfassen.
Deren Kommunikation klappte auch diesmal nicht. Der Funkkontakt war miserabel, und das Telefon- und Telegrafennetz hatten die Franzosen wohlweislich selbst zerstört. Moltke schickte deshalb am 8. September seinen Adjutanten, Oberstleutnant Hentsch, an die Front. Er sollte die Lage auskundschaften und die fünf deutschen Armeen koordinieren. Doch diese recht schwammige Anweisung sah Hentsch als direkte Handlungsaufforderung an. Er fuhr wie gewünscht zur Front, erlebte die leidenden Soldaten, die zurückweichenden Truppen und kämpfte sich von einer Armeeleitung zur anderen durch. Doch es war Karl von Bülow von der 2. Armee, der den Ausschlag gab. Seine Beurteilung der Gefahr veranlasste Hentsch zum Rückzugsbefehl – und damit brach der rechte Flügel auf. Am 11. September reiste General von Moltke dann doch noch persönlich an und ordnete den generellen Rückzug an. Zu diesem Zeitpunkt aber war die 1. Armee noch auf Angriffskurs. Und schließlich erstarrten die Armeen beider Seiten in einem Stellungskrieg, dessen Schützengräben und Stacheldrahtverhaue sich von der belgischen Küste bis zur Schweizer Grenze zogen. Dauerbeschuss aus schweren Maschinengewehren und stundenlanges Trommelfeuer der Artillerie bestimmten von nun an das Kriegsgeschehen.
Die Woche vom 5. bis zum 12. September 1914 ging als die Erste Schlacht an der Marne in die Geschichte ein. Warum die Erste? Weil es an dem Fluss kurz vor Ende des Krieges noch eine zweite Schlacht geben sollte - die diesmal entscheidende! Dass französische Soldaten schon diese erste Schlacht gewannen, lag an dem unerwarteten Rückzug der deutschen Truppen. Frankreich spricht daher auch vom „Wunder an der Marne". Die deutsche Oberste Heeresleitung indes versuchte noch, die Niederlage zu verschweigen, denn sie wusste gleichermaßen um die katastrophale Signalwirkung für die Heimat. Der Regierung in Berlin wurde sogar verkündet, die Schlacht „stehe günstig", und anderslautende Feindmeldungen seien schlicht „falsch". Ein echter Fake der Weltgeschichte also! Geholfen hat’s natürlich nicht – und nur einen Tag später war Generalstabschef von Moltke seinen Posten los. Wegen des verfrühten Rückzugs der 2. deutschen Armee von der Marne wurde er als Generalstabschef abgesetzt und durch Erich von Falkenhayn ersetzt.
Zusammenfassung:
Zwischen dem 5. und dem 12. September 1914 verloren die deutschen Armeen die Erste Schlacht an der Marne gegen Franzosen und Briten. Diese Schlacht gilt als erste Wendemarke des Ersten Weltkriegs.
Der Schlieffen-Plan der Deutschen war gescheitert, weil es ihnen nicht gelang, die Franzosen großräumig zu umfassen und rasch zu besiegen, um danach an die Ostfront zu marschieren.
Ein schlechtes Kommunikationsnetz sowie Truppenabzüge an die Ostfront trugen zur Schwächung der beiden deutschen Armeen bei. Als sich die deutschen Soldaten überraschend zurückzogen, war die Schlacht für die Franzosen entschieden. Sie nennen es bis heute das „Wunder an der Marne“.
Wegen des frühzeitigen Rückzugs wurde Generalstabschef Helmuth von Moltke kurzerhand seines Postens enthoben.
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Richtige Antworten:
1. B) Helmuth von Moltke
2. A) Wunder von der Marne
3. B) Seine Entlassung
4. C) Erich von Falkenhayn
5. D) Die Erste Schlacht an der Marne