Von Paris aus beobachtete Heinrich Heine sehr genau, was in seiner deutschen Heimat geschah. Und er sah, wie in dieser Epoche des Vormärz dort die Unzufriedenheit immer größer wurde. In dieser Story erfährst du, wie Heine den unzufriedenen Arbeitern bereits vier Jahre vor Ausbruch der Deutschen Revolution eine Stimme gab.
Die Weber sind wütend, sehr wütend. Wieder stehen sie vor der Villa der Fabrikanten, den Gebrüdern Zwanziger. Wieder rufen sie ihre Forderungen. Sie wollen höhere Löhne! Gerechtere Löhne! Diese Großhändler machen sich die Taschen voll, verdienen mit den Stoffen, die sie herstellen, viel Geld – und sie, die Weber, sollen sich mit einem Hungerlohn abfinden? Nein. Genug ist genug! Die Weber stürmen die Villa, zerstören Möbel. Sie verwüsten Warenlager, zerreißen Handelsbücher. Am dritten Tag des Aufruhrs aber schlagen die Truppen des preußischen Königs den Aufstand blutig nieder. Die Proteste der Arbeiter verstummen, ihre Botschaft aber ist in der Welt. Und es ist Heinrich Heine, der den aufständischen Arbeitern ein Denkmal setzt.
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Jetzt runterladen!Im frühen 19. Jahrhundert setzte auch im deutschen Raum die Industrialisierung ein. Neben den kleinen Handwerksbetrieben entstanden immer mehr große Fabriken. So konnten zum Beispiel Textilien schneller und in großer Stückzahl gefertigt werden. Die Folge: Die Preise fielen und damit auch die Löhne der Weber. Die meisten von ihnen waren Heimarbeiter. Sie erhielten Garn und webten daraus Stoffe für die Großfabrikanten. Der Preisverfall nahm ihnen den Lebensunterhalt. Und immer häufiger entlud sich der Unmut der Arbeiter in kleineren Aufständen.
Ein etwas größerer Aufstand gegen die Ausbeutung fand dann im Sommer 1844 im preußischen Schlesien statt. Einige Weber stürmten Fabriken und auch Häuser der Fabrikbesitzer. Die Berichte über die Proteste erreichten auch den im Pariser Exil lebenden Heine. Wenige Wochen nach den Aufständen thematisierte er die Unruhen in seinem Gedicht „Die schlesischen Weber“. Es war also hochaktuell.
In Paris verkehrte Heine auch in Kreisen der frühen Arbeiterbewegung. Er war dort mit den Begründern des Kommunismus, mit Friedrich Engels und Karl Marx, befreundet. Marx war Redakteur der deutschen Zeitschrift „Vorwärts“. Und darin erschien auch erstmals Heines Gedicht über den Weberaufstand, ursprünglich unter dem Titel „Die armen Weber“.
Und dieses Gedicht hatte es in sich:
Im düstern Auge keine Träne,
sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne
Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch
wir weben hinein den dreifachen Fluch
Wir weben, wir weben.
Ein Fluch, dem Götzen, zu dem wir gebeten
in Winterskälte und Hungersnöten
wir haben vergebens gehofft und geharrt
er hat uns geäfft, gefoppt und genarrt
Wir weben, wir weben.
Ja, Heines Weber sind wütend. Sie sind allerdings nicht nur wütend auf die Fabrikbesitzer. Mehr noch. Sie sind vor allem wütend auf das System dahinter, auf Kirche, König und Vaterland. Und genau das macht Heines Gedicht so radikal anders. Heines Weber greifen die bestehende Ordnung an, sie verfluchen Kirche, König und Vaterland.
Ein Fluch dem König, dem König der Reichen
den unser Elend nicht konnte erweichen
der den letzten Groschen von uns erpreßt
und uns wie Hunde erschießen läßt
Wir weben, wir weben.
Ein Fluch dem falschen Vaterlande
wo nur gedeihen Schmach und Schande
wo jede Blume früh geknickt
wo Fäulnis und Moder den Wurm erquickt
Wir weben, wir weben!
Der dreifache Fluch. Er trifft die drei Säulen des Systems, die drei Mächte, unter denen das einfache Volk im 19. Jahrhundert am meisten zu leiden hatte: erstens die Geistlichkeit, welche die Hoffnung auf christliche Nächstenliebe unerfüllt lässt. Zweitens die Herrschenden und insbesondere König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, der den Weberaufstand 1844 blutig niederschlagen ließ. Er hat kein Ohr für die Not der Heimarbeiter, die sich Gerechtigkeit von ihm erhofft hatten. Den Zorn auf ihn betont der Dichter mit einer Anapher, einer Wortwiederholung in der ersten Verszeile: „Ein Fluch dem König, dem König der Reichen”. In der vierten Strophe schließlich fluchen die Weber dem falschen Vaterlande”, mit dem sie sich nicht mehr identifizieren können. Kein Staatsdiener nimmt ihre Interessen wahr, wenn sie von den Großhändlern immer weniger Geld für ihre Tuche bekommen. Die früh geknickte Blume steht in vielen Gedichtinterpretationen für alles Neue und Fortschrittliche, das die Macht des Adels schmälern könnte. Jeder freiheitliche Gedanke wird von der Zensur im Keim erstickt – wie Heine selbst ja am eigenen Leib zu spüren bekam. Und mit „Fäulnis und Moder” charakterisiert er die Korruption, welche die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer macht.
Heinrich Heine dichtet sein Weberlied auf ganz neue Art. Hier schwelgt niemand mehr verträumt in seiner romantischen Welt – hier geht es um knallharte Realität, um die Sorgen der einfachen Menschen. Und Heine nutzt eine klare Sprache; auf die gewohnte Ironie verzichtet er völlig. Es ist ihm offensichtlich Ernst. In Heines Weber-Gedicht sinniert kein lyrisches Ich, das einsam in den Anblick einer idyllischen Landschaft versunken ist, sondern ein trotziges „Wir“, eine soziale Gruppe.
Heines Botschaft ist eindeutig: Die Weber, das sind wir alle.
In der letzten Strophe scheint sich ein Hoffnungsschimmer anzukündigen, ein Ausblick auf eine grundlegende Veränderung. Nur mehr von „Altdeutschland” ist die Rede, das falsche Vaterland soll bald der Vergangenheit angehören. Dafür wollen die Weber kämpfen, selbstbewusst und beharrlich. Ihr Zorn fühlt sich bedrohlich an; die einfache Tätigkeit des Webens wird zum Symbol des unermüdlichen Kampfes. Die Ballade nimmt Fahrt auf:
Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht,
Wir weben emsig Tag und Nacht –
Altdeutschland, wir weben Dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch,
Wir weben, wir weben!
Und die Botschaft kam an – nicht nur bei den Arbeitern, sondern auch bei den Herrschenden.
Das Gedicht über die schlesischen Weber erschien in einer Zeit, die man auch „Vormärz“ nennt. Gemeint sind damit die Jahre vor der Deutschen Revolution, die im März 1848 im Deutschen Bund ausbrach. Sie war die erste deutsche Revolution, die allerdings schon nach wenigen Monaten scheiterte.
Heines Weberlied wurde vier Jahre vor Ausbruch dieser deutschen Revolution gedruckt; es war also ein erster Vorbote für das, was noch kommen sollte. Wegen seines aufrührerischen Tons wurde das Gedicht sofort verboten. Es verbreitete sich aber auf Tausenden von Flugblättern und wurde zu einer Art Kampflied gegen Ausbeutung und Unterdrückung.
Einige Jahre später wollte Heine seine „Weber“ in einen Gedichtband aufnehmen, doch sein Hamburger Verleger warnte ihn vor möglichen Konsequenzen. So war zum Beispiel der Journalist und Schriftsteller Eduard Meyen verhaftet worden, weil er das Gedicht öffentlich aufgesagt hatte.
Deutschen Boden konnte Heine also ganz sicher nicht mehr betreten. Der Schriftsteller war endgültig an sein Exil in Frankreich gebunden.
Doch auch aus anderen Gründen sollte er dort bleiben müssen. Denn bald schon konnte er nicht einmal mehr seine Pariser Wohnung verlassen ...
Zusammenfassung
Heines Gedicht „Die schlesischen Weber“ thematisiert den Weberaufstand im Sommer 1844 in Schlesien.
Heine artikuliert darin die Sorgen der einfachen Arbeiter und nahm sehr früh die soziale Frage in den Blick.
Heines Gedicht wurde in Preußen sofort verboten, verbreitete sich aber auf Flugblättern. Es wurde zu einem Kampflied gegen Unterdrückung.
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Richtige Antworten:
1. B) „Die schlesischen Weber“
2. D) Vormärz
3. D) Ironie
4. A) Bessere Arbeits- und Lebensbedingungen
5. A) Buch der Lieder