Viele Künstler nutzen ihr eigenes Leben als Vorlage für ihre Werke und verarbeiten in ihnen Ereignisse, die sie besonders beschäftigen. In dieser Story erfährst du, worüber die mexikanische Malerin Frida Kahlo so verzweifelt war, dass sie ihren ganzen Schmerz in ein Gemälde einfließen ließ.
„Wir können aber doch Freunde bleiben.“ Der Satz trifft sie wie ein Dolchstoß. Wie soll sie darauf nur reagieren? Fridas Gesicht ist versteinert, ihr Körper unfähig sich zu bewegen. Gut, dass sie schon sitzt. Ihre Gefühle fahren Achterbahn. Sie hatte es kommen sehen. Oft haben sie schon darüber gesprochen und es einander in heftigen Streitereien als Drohung an den Kopf geworfen. Die Trennung… nur eine Frage der Zeit. Und dennoch tut es weh. So weh. Diego war – nein, ist – die Liebe ihres Lebens. Egal, was in den letzten Jahren zwischen ihnen passiert ist.
Frida blickt auf und ihrem Ehemann direkt ins Gesicht. Sie erkennt die Gefühle, die ihn plagen. Reue und Verzweiflung, aber zugleich auch Liebe und Zuneigung. Noch nie hat er etwas vor ihr verbergen können. In seinen großen Augen schwimmen Tränen. „Nun gut, mein Unkenfrosch, dann soll es so sein. Lassen wir uns scheiden.“ Fridas Stimme ist fest, als sie ihn noch einmal mit seinem Kosenamen anspricht. Weinen wird sie erst später, wenn Diego ihr Atelier verlassen hat und sie wieder allein ist.
„Du wirst sehen, es ist das Beste für uns“, versucht sich Diego die Scheidung schön zu reden. „Und du kannst dich jetzt voll auf deine Kunst konzentrieren, noch besser und erfolgreicher werden!“ Fridas markante Augenbrauen wandern ein Stück die Stirn hinauf. Da hat er wohl recht. Aus Schmerz kann oft Großes entstehen. Wer wüsste das besser als sie?
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Jetzt runterladen!„Meine Malerei trägt die Botschaft des Schmerzes in sich“, sagte die Künstlerin Frida Kahlo einmal über ihr Werk. Genaugenommen war es sogar Schmerz, der sie zum Malen gebracht hatte. Denn erst seit ihrem schweren Unfall im Jahr 1925 hatte sie die Malerei für sich entdeckt. Zumeist malte Frida sich selbst und bannte ihr körperliches und seelisches Leiden auf die Leinwand. Sie beschäftigt sich fast exzessiv mit ihrem von dem Unfall gezeichneten Körper, mit dem Tod, aber auch mit der Liebe. Ihre Gemälde sind daher teils düster, manchmal auch pessimistisch und erschreckend, oft aber sind sie auch farbenprächtige und sinnliche Hymnen an das Leben.
Fridas Bilder sind wie ihre gemalte Autobiographie, und so gibt auch eines ihrer bekannteste Gemälde, Die zwei Fridas (spanisch: Las dos Fridas), einen tiefen Einblick in ihr Seelenleben. Das Ölgemälde wurde 1939 und somit im Jahr ihrer Scheidung von Diego Rivera fertig. Es illustriert all das Herzweh, das Frida wegen dieser Trennung empfand. Auf den ersten Blick wirkt das Bild schlicht, sowohl in seinem Aufbau als auch in seiner Farbigkeit. Erst bei genauem Hinsehen offenbaren sich all die versteckten Symbole und die Geschichte, die Frida Kahlo erzählen will. Zwei Frauen, genauer gesagt zwei Fridas, sitzen Hand in Hand auf einer Bank in einem anscheinend leeren Raum. Schnell gewinnt man den Eindruck, dass man es hier mit einer gespaltenen Persönlichkeit zu tun hat. Und tatsächlich wollte Frida Kahlo ihre Zwiespältigkeit darstellen. Sie verweist zugleich auf ihre südamerikanische (ihre Mutter hatte indigene und spanische Wurzeln) und europäische (ihr Vater Guillermo Kahlo war Deutscher) Herkunft, auf ihre Verzweiflung und ihre Stärke, auf ihr Leben mit und ohne Diego. Sie scheint auf der Suche nach Frieden mit sich selbst und einem Leben in Harmonie zu sein. Aber kann es das für sie geben?
Hinter den beiden Fridas braut sich nämlich ein Unwetter zusammen. Die Stimmung ist dramatisch aufgeladen. Die vom Betrachter aus rechts sitzende Frida ist in die traditionelle Tracht des Volkes der Tehuana gekleidet. Dieses mexikanische Gewand trug die in Coyoacán geborene Frida Kahlo besonders gern, es wurde ihr Markenzeichen. Einerseits stellte sie mit diesen Kleidern ihre Verbundenheit zu ihrem Heimatland und zur mexikanischen Kultur zur Schau, andererseits verwies sie damit auf die spezielle Bedeutung der Tracht. Sie wurde nämlich vornehmlich in der matriarchalisch geprägten Region Tehuantepec getragen – hier hatten die Frauen das Sagen, beherrschten Handel und Geschäfte. Auch Frida wollte diese Frauenpower demonstrieren und ihre weibliche Stärke betonen. Sie wusste sich in der Tracht gekonnt zu inszenieren, schuf so ein Bild von sich, das man noch heute kennt.
Diese mexikanisch gekleidete rechte Frida hält ein Medaillon in der Hand. Darauf ist ein Kinderbild des geliebten Diegos zu erkennen. Fast mütterlich nannte Frida ihren Ehemann oft „mein kleiner Junge“. Egal, was er auch anstellte, sie hielt an dem Bild des unschuldigen Kindes fest und verzieh dem ganz und gar nicht unschuldigen Mann alles. Eine Ader verbindet das Medaillon mit Riveras Bild direkt mit ihrem Herzen. Und von diesem führt eine weitere Ader zu dem nur noch halben Herzen der linken Frida - der europäischen Frieda (so die ursprüngliche Schreibweise ihres Namens, den sie erst später in Frida änderte). Die Verbindung zu Diego ist hier gekappt, die Ader endet offen. Statt des Medaillons hält sie eine medizinische Klemme in der Hand, mit der sie die Blutung zu stoppen versucht. Diego wurde ihr gewaltsam genommen, von ihr abgeschnitten. Blut spritzt auf das weiße Kleid, das an das Hochzeitskleid von Fridas Mutter Matilde Calderón erinnert.
Für die realistische Darstellung des Herzen hatte Frida Kahlo sogar anatomische Lehrbücher studiert. Zugleich dient das blutende Herz als ein Verweis auf die aztekische Kultur, in der es als Symbol für ein erbrachtes Opfer zu lesen ist.
Obwohl Frida Kahlo selbst ihre Malerei nie als surrealistisch ansah, wurde ihr Gemälde Die zwei Fridas (englisch The two Fridas) doch 1940 auf der großen Surrealismus-Ausstellung in Mexiko Stadt gezeigt. Bis 1947 blieb dieses äußerst persönliche Bild in Kahlos Besitz, dann wurde es an das Instituto Nacional de Bellas Artes verkauft. Seit 1966 wird es im Museo de Arte Moderno in Mexiko-Stadt ausgestellt.
Frida, so wird es in dem doppelten Selbstporträt dargestellt, war auf extreme Weise mit Diego verbunden. Er war lebenswichtig für sie, er war ihre Lebensader. Sie hatte sich an ihn gekettet – obwohl sie eigentlich eine selbstbewusste, starke Frau war. Ohne ihn blieb ihr nur noch ihr halbes Herz. Wie groß ihre Verzweiflung über das Scheitern der Ehe mit ihm war, wird noch durch die Größe des Gemäldes deutlich: Die mexikanische Künstlerin malte ansonsten nämlich kleinformatige Bilder – Die zwei Fridas aber ist stattliche 1,73 Meter breit. Warum aber war es zu dieser so einschneidenden Trennung gekommen?
Die wahren Gründe für die Scheidung im November 1939 werden wohl ein ewiges Geheimnis der beiden bleiben. Einerseits soll Diego mit dem wachsenden Erfolg Fridas nicht klargekommen sein, sie hingegen irgendwann nicht mehr mit seinen ständigen Liebschaften außerhalb der Ehe. Sogar mit ihrer jüngeren Schwester Cristina hatte er eine Affäre, was Frida in tiefe Depressionen stürzte. Sie zahlte ihm seine Untreue letztlich mit gleicher Münze zurück und betrog ihn u.a. mit dem gemeinsamen Freund Leo Trotzki, einem russischen Revolutionär und Kommunisten. Weitere Affären sollten folgen, aber gerade die mit Trotzki wog für Diego so schwer, dass er Frida nicht verzeihen wollte.
Die Beziehung der beiden war von Anfang an von Höhen und Tiefen geprägt und immer von Schmerz durchzogen. Das Leiden, so scheint es, war ein zentraler Punkt in Frida Kahlos Leben. Immer und immer wieder versuchte Frida schwanger zu werden. Nach mehreren Fehlgeburten und Abbrüchen, die für sie teils lebensbedrohlich waren, gab sie auf. Die Folgen ihres Unfalls quälten Frida zeitlebens. Sie hatte chronische Schmerzen, musste sich oft in ärztliche Behandlung begeben, und natürlich litt auch ihre Seele unter diesen immensen Belastungen. Spätestens als sie zu Alkohol und Drogen griff, um ihre Leiden besser ertragen zu können, wurde wohl auch für Diego das Leben mit ihr zu beschwerlich.
In dem Gemälde Die zwei Fridas dramatisierte die Künstlerin ihr Alleinsein. Doch zugleich schuf sie ein Bild der Selbstheilung: Frida bewacht, tröstet und stärkt sich selbst. Diese Interpretation legte Frida Kahlo selbst nahe, als sie von der Entstehung des Gemäldes erzählte und dabei von ihrer Phantasiefreundin aus Kindertagen berichtete. Als sie neun Jahre alt war, erfand sie sich nämlich eine Freundin, die immer dann erschien, wenn Frida sie brauchte – wenn sie Probleme hatte oder Beistand in schwierigen Situationen benötigte. In genau so einer Situation fand sich die mittlerweile erwachsene Frau nun wieder: sie war ganz allein auf der Welt. Niemand, der ihr Schutz und Trost bieten könnte – außer sie selbst. Frida konnte die ihr eigene Stärke nutzen und steckte ihre Energie in ihre Kunst. Auch ohne Diego an ihrer Seite konnte sie erfolgreich sein, sich künstlerisch weiterentwickeln. In gewisser Weise hatte Rivera also recht, als er sagte, dass die Scheidung sie zu einer größeren Künstlerin machen würde. Menschlich jedoch blieb sie von ihm abhängig. Und so heirateten die beiden 1940 ein zweites Mal.
Zusammenfassung
Frida Kahlo verarbeitete in ihrem Gemälde Die zwei Fridas die Scheidung von ihrem Mann Diego Rivera. Die Ehe der beiden war geprägt von Liebe und Leidenschaft, aber auch von Schmerz und Verzweiflung.
Das Ölgemälde Die zwei Fridas ist das größte ihrer Werke und versinnbildlicht so ihren großen Schmerz.
Eine der beiden Fridas trägt die traditionelle Tracht der Tehuana-Frauen. Dieses mexikanische Gewand trug Frida Kahlo besonders gern und machte es zu ihrem Markenzeichen.
Teste dein Wissen im Quiz
Richtige Antworten:
1. B) Diego Rivera
2. A) Museo de Arte Moderno, Mexiko-Stadt
3. D) Tehuana-Tracht
4. C) Ihre Fantasiefreundin
5. B) Unkenfrosch