Eine Welt, in der Bücher nicht gelesen, sondern verbrannt werden – ist das nicht eine schreckliche Vorstellung? Der Autor Ray Bradbury entwirft in seinem Roman „Fahrenheit 451“ eine solche Zukunft. Nach dieser Story weißt du, warum in dieser düsteren Zukunftsvision die Feuerwehr Feuer legt und wie es die Menschen trotzdem schaffen, die verbotenen Geschichten weiterzugeben.
Guy Montag liebt es, wenn Dinge brennen. Er steht da, nah am Feuer, Funken tanzen um ihn herum. Sein Schutzanzug hält die größte Hitze ab – doch er spürt sie trotzdem, diese beruhigende Wärme, hört das Knistern der Flammen, die alles verzehren. Guy Montag ist ein Feuerwehrmann – und sein Job ist es, Feuer zu legen. Er umklammert den Flammenwerfer fester und denkt zurück an das Mädchen Clarisse, seine Nachbarin. Was war das für eine verrückte Frage, die sie ihm neulich gestellt hat: Ob Feuerwehrmänner früher nicht Feuer gelöscht hätten? Was für ein Blödsinn. Er schüttelt den Kopf und grinst, die Flammen spiegeln sich in seinen Augen. Nein, seine Aufgabe ist eine andere – und sie ist wichtig. Er und die anderen Feuerwehrleute sind dazu da, Brände zu legen. Sie verbrennen Bücher. Und warum auch nicht? Bücher haben dem Land und seiner Bevölkerung nichts als Ärger gebracht – nur Grübeleien, Melancholie und Tränen. Bis sich die Menschen ohnehin nicht mehr für sie interessiert haben. Wer soll sie also vermissen? Montag schaut den Funken nach, einige Papierfetzen sind dabei, sie steigen auf in den Himmel – mal schwarz, mal glühend. Nein, denkt Montag: Niemand wird die Bücher vermissen ...
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Jetzt runterladen!Kann es wirklich so weit kommen? Kann es sein, dass wir einmal in einer Gesellschaft leben, in der Bücher unnötig geworden sind? In der sie sogar verboten und verbrannt werden? Der US-amerikanische Autor Ray Bradbury entwarf eine solche Zukunft in seinem Roman „Fahrenheit 451“. Der Titel kommt nicht von ungefähr. 451 Grad Fahrenheit entspricht knapp 233 Grad Celsius – die in Bradburys Roman angenommene Temperatur, bei der Papier Feuer fängt. Und Guy Montag hat die Aufgabe, es zu verbrennen.
Im Salamander, dem Einsatzwagen, rast er mit seinen Kollegen zum Fundort, wenn wieder einmal illegale Bücher gemeldet wurden. Sei es in einer alten Bibliothek oder bei jemandem, der heimlich Bücher versteckt. Dann muss auch sein Haus niedergebrannt werden. Ob Shakespeare, die Bibel oder Platon – die Kulturgeschichte der Menschheit geht in Flammen auf. Wie es dazu kommen konnte? Bradburys Antwort ist erschreckend: In seiner Dystopie ist es nämlich nicht etwa so, dass eine totalitäre Regierung urplötzlich sämtliche Bücher verboten hat. Nein, viel schlimmer: Das Bücherverbot ist die Folge einer gesellschaftlichen Entwicklung, die allmählich eintrat und ganz von selbst Fahrt aufnahm. Die Menschen hatten sich immer weniger für Bücher interessiert. Sie hatten immer weniger gelesen. Viel verlockender war es, sich mit schnell konsumierbaren Kurzinformationen versorgen zu lassen. Werbung, Konsum und banale Unterhaltung ersetzten nach und nach die konzentrierte und ausführliche Auseinandersetzung mit Texten. Und jene Menschen, die dies doch taten, galten als Querulanten. Denn sie kritisierten, fragten nach und wiesen auf Missstände und Gefahren hin. Andere versanken in Grübeleien und wurden unzufrieden. Die Lesenden kamen nicht zurecht mit der Entwicklung dieser Gesellschaft und die Konsumierenden nicht mit den Lesenden. Das war der Punkt, an dem der Staat die Bücher verbot.
Die Gesellschaft in „Fahrenheit 451“ hat nicht nur Bücher aus ihrem Alltag verbannt. Es gibt auch keinen Raum mehr für kritisches Denken und Diskussionen. Die Menschen leben in einer Welt, in der sie über Radio-Ohrhörer und Television ununterbrochen mit stets positiven Kurznachrichten und bunten Werbesendungen berieselt werden. In allen Räumen hängen riesige Bildschirme, auf denen einfältige Serien und die Interaktion mit virtuellen „Familien“ für durchgehende Unterhaltung sorgen. Konsum und Massenmedien bestimmen den Alltag, der keinen Raum mehr zum Nachdenken lässt. Wer in dieser schnelllebigen Gesellschaft zu Fuß geht oder auch nur zu langsam Auto fährt, macht sich verdächtig. TV-Sendungen müssen immer krassere Knalleffekte liefern, um die Konsumenten zufriedenzustellen: live übertragene Menschenjagden, Morde vor laufender Kamera. Es ist eine abgestumpfte, verrohte Gesellschaft, die gleichzeitig eine Art Selbstzensur betreibt: Alles, was eingehendere Beschäftigung und Nachdenken erfordert, gilt als gefährlich. Es könnte die Menschen beunruhigen, sie „unglücklich“ machen.
Was aber ist aus Neugier, Selbstverwirklichung und dem Wunsch nach neuen Erfahrungen geworden? All das schlummert nach wie vor in den Menschen. Allein es braucht einen Auslöser. Für den Feuer legenden Feuerwehrmann Montag ist es seine siebzehnjährige Nachbarin Clarisse McClellan. Sie vertritt nicht die vorgefertigten Ansichten aus den Massenmedien, sondern stellt Fragen. Sie fragt ihn, ob er glücklich ist und ihm wird klar: Nein, das ist er nicht. Hat er jemals eins der Bücher gelesen, die er verbrannt hat? Und gibt es überhaupt jemanden, den er liebt? Montag ist zunächst irritiert, dann aber fasziniert von diesem Mädchen und ihrer Art, die Welt infrage zu stellen. Seine Neugier ist geweckt.
Eines Tages wird er vollends aus seinem Alltagstrott gerissen, als er bei einem Einsatz miterlebt, wie eine alte Dame sich mitsamt ihren „illegalen“ Büchern selbst verbrennt. Er will verstehen, was sie zu solch einem Schritt bewogen hat, und nimmt heimlich eine Bibel mit. Er beginnt zu lesen, beschafft sich weitere Bücher. Und plötzlich, so bemerkt er, hat er Worte gefunden für das Unbehagen, das schon lange in ihm schlummerte. Ist er der Einzige, der so empfindet? Er versucht, sich seiner Frau Mildred anzuvertrauen, erzählt ihr von der alten Dame, die mit ihren Büchern gestorben ist. Doch Mildred sagt nur: „Na und?“ Viel wichtiger ist ihr der vierte Bildschirm, den sie endlich in ihrem Wohnzimmer installieren lassen will.
Trotzdem gibt es sie noch, die kritischen Geister. Die Menschen, die sich an die Welt erinnern, wie sie war, bevor sie der selbstgewählten Verdummung und Verrohung anheimfiel. Einer von ihnen ist der alte ehemalige Literaturprofessor Faber. Von ihm erfährt Montag, dass es Menschen gibt, die das Kulturgut der Menschheit retten wollen. Und zwar, indem sie Bücher auswendig lernen. Faber und Montag wollen fortan mittels winziger Funkgeräte in Kontakt bleiben. Währenddessen verrät Montags Frau Mildred ihn an die Behörden. Und Montag wird gezwungen, sein eigenes Haus abzubrennen.
„Burning bright“ ist dieser dritte Teil des Romans überschrieben. Ein Titel, der im Deutschen soviel wie „hell brennend“ bedeutet und voller Symbolik steckt. Montag brennt tatsächlich sein Haus nieder und damit alles, was er mit seiner Frau Mildred geteilt hat. Er lässt sein bisheriges Leben in Flammen aufgehen. Probleme soll man verbrennen, so hat er es gelernt. Noch vor Ort kommt es zur Auseinandersetzung zwischen ihm und seinem Vorgesetzten Captain Beatty, der hämisch ankündigt, dass Professor Faber sein nächstes Opfer sein werde. Da sieht Montag Rot. Er verbrennt Beatty mit seinem Flammenwerfer und flieht. Polizeihubschrauber steigen auf, um die Verfolgungsjagd zu filmen; sie wird live im Fernsehen übertragen. Ein mechanischer Hund hetzt ihn. Ein paar Jugendliche versuchen, ihn zu überfahren. Montag entkommt mit Mühe.
Faber lotst den Flüchtenden zu den Büchermenschen, die schon lange in der Wildnis leben. Ihr Wortführer Granger erklärt Montag, was sie sich zur Aufgabe gemacht haben: Sie haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sie sich den Wortlaut sämtlicher Bücher merken können, die sie lesen. Später wollen sie dieses Wissen wiederbeleben. Auf einem tragbaren TV-Gerät sehen sie das Ende der Verfolgungsjagd, die von Polizeihubschraubern gefilmt und live übertragen wird. Weil die Polizei nicht zugeben darf, dass Montag entkommen ist, wird einfach ein Unbeteiligter erschossen.
Aber die Tage der Spaßgesellschaft sind gezählt. Der Krieg, der nie in den Medien erwähnt wurde, um niemanden zu beunruhigen, erreicht die Stadt, aus der Montag geflüchtet ist. Bomben machen sie dem Boden gleich und töten fast alle Menschen. Die Rebellen machen sich auf den Weg dorthin. Sie wissen, dass sie gebraucht werden – für den Neuanfang ...
Der Mensch selbst wird bei Bradbury zum Träger und Retter der Kultur. Der Trägheit der Massen wird so das reflektierte, denkende, mutige Individuum entgegengestellt: etwas, das niemals komplett aus einer Gesellschaft entfernt werden kann. Das ist die positive Botschaft, die Ray Bradbury in seiner düsteren Gesellschaftsvision aussendet.
„Fahrenheit 451“ basiert auf einer Kurzgeschichte mit dem Titel „The Fire Man“, die Ray Bradbury 1951 auf einer gemieteten Schreibmaschine im Keller einer Bibliothek schrieb und in einer Science-Fiction-Zeitschrift veröffentlichte. Sie baute er zu dem Roman aus, der 1953 erschien.
Es war die Zeit des Kalten Krieges zwischen den USA und der Sowjetunion. Die Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten lagen kaum zwei Jahrzehnte zurück. In der westlichen Welt der Fünfzigerjahre wuchs die Angst vor der Ausweitung des Kommunismus in Ost- und Südostasien. Die US-Regierung fürchtete eine kommunistische Unterwanderung im eigenen Land und nahm insbesondere Intellektuelle und Kunstschaffende unter Generalverdacht. Ein Senator namens McCarthy ließ zahlreiche Schauprozesse gegen angebliche Staatsverräter führen, Berufsverbote wurden verhängt.
Vor diesem Hintergrund wurde „Fahrenheit 451“ für viele zum Synonym für Zensur und Unterdrückung. Bradbury selbst sah den Schwerpunkt seines Werks jedoch woanders: Er wolle mit seiner Geschichte vor der Verdrängung der Bücher durch das Fernsehen warnen, sagte er. Zu seiner Zeit war das Fernsehen DAS Massenmedium schlechthin. Für Bradbury wurde es zum Symbol der monotonen Berieselung, Ablenkung und geistigen Abstumpfung. Im Jahr 2001 bekräftigte er in einem Interview: „Fahrenheit 451 handelt nicht von Zensur, sondern von dem verblödenden Einfluss der lokalen Fernsehnachrichten und der Verbreitung von Großbildschirmen.“
Seit seiner Erstausgabe wurde „Fahrenheit 451“ immer wieder neu veröffentlicht und lebhaft diskutiert. Der ehemalige US-Präsident Barack Obama würdigte den Autor an dessen Todestag im Jahr 2012 mit den Worten: „Bradburys Gabe, Geschichten zu erzählen, hat unsere Kultur verändert und unsere Welt erweitert. Er hat verstanden, dass unsere Vorstellungskraft ein Werkzeug zum Besseren ist, ein Vehikel für Veränderungen.“
Was vermag die Vorstellungskraft des Menschen noch zu leisten? Sie kann aktuelle Tendenzen auf fantasievolle, bildhafte Art aufgreifen und darstellen. Der britische Autor George Orwell tat genau das in seiner hochpolitischen Fabel „Die Farm der Tiere“. Darin warnte er vor Stalinismus und Faschismus – indem er Tiere sprechen ließ.
Zusammenfassung
„Fahrenheit 451“ ist ein gesellschaftskritischer Roman über eine Zukunft, in der Bücher verboten sind und verbrannt werden. Der Titel spielt auf die im Roman angenommene Temperatur an, bei der Papier Feuer fängt.
Statt zu lesen und selbst zu denken stehen in dieser Welt passiver Medienkonsum, Ablenkung und die Flucht in virtuelle Realitäten im Mittelpunkt – Themen, die heute hochaktuell sind.
Der US-amerikanische Schriftsteller Ray Bradbury warnte damit schon in den 50er-Jahren vor den Auswirkungen eines übermäßigen Konsums von Massenmedien.
Selbstständiges Denken, Wissensdurst und die Vorstellungskraft des Einzelnen können jedoch nie und nirgends vollständig unterdrückt werden – auch diese Botschaft liefert Bradbury in seinem zeitlosen Science-Fiction-Roman.
Der Roman „Fahrenheit 451“ erschien 1953 in den USA – in einer Zeit, die einerseits vom Kalten Krieg der Großmächte USA und Sowjetunion sowie andererseits von wirtschaftlicher Aufbruchstimmung und technologischem Fortschritt geprägt war. Heute, im Zeitalter von Smartphone, Streamingdiensten und Künstlicher Intelligenz, haben wir eine Medienverfügbarkeit erreicht, die derjenigen im Roman entspricht.
In Deutschland ist Bradburys Dystopie unter anderem als Taschenbuch im Heyne Verlag und als vollständig überarbeitete Neuausgabe von Diogenes erhältlich.
Mitte der 60er Jahre wurde der Roman von François Truffaut mit Oskar Werner und Julie Christie in den Hauptrollen verfilmt.
Teste dein Wissen im Quiz
Richtige Antworten:
1. D) 1953
2. B) Bücher lesen
3. A) Mediale Dauerberieselung
4. C) Bücher verbrennen
5. D) Vor Kulturverlust