Deutschland im 19. Jahrhundert ist geprägt von Judenfeindlichkeit und Zensur. Das bedeutet, dass staatliche Stellen entscheiden, was gedruckt werden darf und was die Menschen lesen sollen. Für den freiheitsliebenden Heinrich Heine kein guter Ort, um zu schreiben. In dieser Story erfährst du, warum er als junger Mann erst fliehen musste, um anzukommen.
Heinrich Heine ist deprimiert. Schon wieder eine Absage! Die Stelle als Professor an der Universität München hätte er so gerne gehabt. Es ist zum Verzweifeln. Er ist jetzt über 30, Jurist mit Examen, hat einen Doktortitel. Er möchte in der deutschen Gesellschaft Fuß fassen. Gerne hätte er einen soliden Beruf. Ein festes Einkommen. Doch die Türen bleiben ihm verschlossen. Als Jurist darf er immer noch nicht arbeiten, obwohl er doch zum Christentum übergetreten ist. Einem Freund schreibt er: „Ich bin jetzt bei Christ und Jude verhasst. Ich bereue sehr, dass ich mich getauft habe, ich habe seitdem nichts als Unglück.“
Ja, er weiß: Die ganzen Absagen – sie haben auch mit seiner Arbeit als Schriftsteller zu tun. Immer wieder eckt er mit seiner Kritik an den deutschen Verhältnissen an. Nein, in diesem Land kann er keine Karriere machen – weder als Jurist noch als Dichter. All die Spießbürger, die ewig Gestrigen, die Monarchen, die Zensoren! Zu starr, zu verschlafen ist dieses Deutschland. Er muss hier raus. Weg! An einen Ort, wo ein freiheitlicher Wind weht. In die Stadt der Revolution. Nach Paris!
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Jetzt runterladen!Heinrich Heine – aufgewachsen in Düsseldorf, studiert in Bonn und Berlin, promoviert in Göttingen – war ein Mensch, der sich nach Freiheit und Demokratie sehnte. Freiheit und Demokratie aber hatten es Anfang des 19. Jahrhunderts in Heines deutscher Heimat schwer. Deutschland war kein einheitliches Land, sondern ein loser Bund aus vielen kleinen Fürstentümern und Königreichen – Österreich und Preußen an der Spitze. Heine hatte in seiner Jugend große Hoffnung in Napoleon gesetzt. Der hatte nach dem Ende der Französischen Revolution von 1789 bis 1799 zwar fast ganz Europa mit Krieg überzogen, aber zumindest ein wenig vom Geist der Revolution, von Freiheit, Einheit und Brüderlichkeit, wehte unter seiner Fremdherrschaft auch durch die deutschen Gebiete. Doch nach dem Sturz Napoleons 1814 war damit Schluss. Noch im selben Jahr versammelten sich die Staatsmänner Europas für mehrere Monate in Wien, um die Grenzen in Europa neu zu ordnen. Dieser Wiener Kongress stellte die alten Verhältnisse wieder her, die vor der Französischen Revolution geherrscht hatten. Deshalb nennt man diese Phase „Restauration“. Die Könige und Fürsten im Deutschen Bund bekamen ihre Macht zurück und versuchten nun mit allen Mitteln, freiheitliche Ideen zu unterdrücken und demokratische Bewegungen im Keim zu ersticken.
Ein Freigeist wie Heine war ihnen da natürlich ein Dorn im Auge. Immer wieder musste Heine mit seinem Hamburger Verleger Julius Campe Texte umformulieren, Passagen streichen oder herumtricksen, damit seine Bücher an der Zensur vorbeikamen.
Heine war Mitgründer der literarischen Bewegung „Junges Deutschland“, einer losen Gruppe junger Schriftsteller und Dramatiker. Sie setzten sich für demokratische Freiheitsrechte ein, und auch Heine teilte weiterhin die Werte der Französischen Revolution. Er bewunderte Frankreich, hielt es für das modernere Land. Und ihm war auch nicht entgangen, dass dort die freiheitliche Bewegung mit der Julirevolution 1830 wieder Fahrt aufnahm. Sehnsüchtig blickte er in die Ferne. In seiner deutschen Heimat aber wurde es immer schwieriger zu schreiben. Hinzu kam der allgegenwärtige Antisemitismus, der es dem 33-Jährigen unmöglich machte, als Jurist Fuß zu fassen oder überhaupt eine sicher bezahlte Arbeit zu finden. Nicht einmal der Übertritt zum Christentum hatte geholfen.
1831 hatte Heine endgültig genug. Er kehrte Deutschland den Rücken und zog nach Paris. Hier begann seine zweite Schaffensphase; die quirlige Stadt an der Seine inspirierte den deutschen Dichter zu einer ganzen Flut von politischen Schriften, Gedichten und Prosa-Werken. Noch fühlte er sich nicht im Exil. Aber wenige Jahre später waren seine Schriften in allen Ländern des Deutschen Bundes verboten. Und Heine sollte seine alte Heimat nur noch zweimal wiedersehen.
In Paris arbeitete Heinrich Heine hauptsächlich als Journalist. Seinen ersten Artikel schrieb er über die Gemäldeausstellung im Pariser Salon, wo ihn besonders das gewaltige, heute weltberühmte Revolutionsgemälde „Die Freiheit führt das Volk” von Eugène Delacroix faszinierte.
Er war Korrespondent für französische, aber auch für deutsche Zeitungen, allen voran die beiden wichtigsten Zeitungen beider Länder: die Pariser „Revue des Deux Mondes” und die „Augsburger Allgemeine Zeitung”. Für Letztere schrieb er eine Artikelserie, die im Dezember 1832 unter dem Titel „Französische Zustände” bei Hoffmann und Campe in Buchform erschien. Sie gilt als Meilenstein der deutschen Literatur- und Pressegeschichte, denn mit ihr wurde Heine zum Vorreiter des Feuilletons (übersetzt: „Blättchen”). Heute ist das Feuilleton, der Kulturteil einer Zeitung, eines der fünf klassischen Ressorts neben Politik, Wirtschaft, Lokalem und Sport.
Heine wurde im Pariser Exil zum Mittler zwischen den kulturellen Welten beider Länder. Den Deutschen brachte er Frankreich nahe, den Franzosen erklärte er Deutschland. Er wollte ihnen ein aktuelleres Bild der deutschen romantischen Literatur nahebringen als es zum Beispiel Madame de Staël in ihrem einflussreichen Werk „De l’Allemagne” („Über Deutschland” von 1813 gezeichnet hatte. 1833/34 verfasste er sein dreibändiges Werk „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland”. Darin schreibt er: „Deutschland ist ein Land, in dem man viel über die Vergangenheit redet und wenig über die Zukunft”. Und am Ende warnt er die Franzosen so ironisch wie visionär vor dem deutschen Nationalismus: „Der Gedanke geht der That voraus, wie der Blitz dem Donner. Der deutsche Donner ist freilich auch ein Deutscher und ist nicht sehr gelenkig, und kommt etwas langsam herangerollt; aber kommen wird er, und wenn Ihr es einst krachen hört, wie es noch niemals in der Weltgeschichte gekracht hat, so wißt: der deutsche Donner hat endlich sein Ziel erreicht.”
In den literarischen Salons von Paris traf er auf viele bekannte Künstler und Denker. Schriftsteller wie Victor Hugo, Alexandre Dumas und Honoré de Balzac wurden seine Freunde, ebenso die Schriftstellerin George Sand, der Komponist Frederic Chopin und nicht zuletzt der Philosoph Karl Marx. Mit ihm teilte Heine revolutionäre Ideen und Ansichten; beide beeinflussten einander in ihren Werken, auch wenn sie nicht immer gleicher Ansicht waren.
Heine verstand sich als freier, politisch unabhängiger Dichter und Journalist. Er war ein politischer Mensch, sah sich aber zeit seines Lebens keiner bestimmten politischen Strömung verpflichtet. Ging es um Kunst und Dichtung, war ihm die Qualität des Werks stets wichtiger als der politische Hintergrund des Autors. Das trug ihm auch Kritik ein, unter anderem die eines früheren Freundes aus Junges-Deutschland-Zeiten: Ludwig Börne. Börne, der sich mit seinen radikal republikanischen Schriften inzwischen einen Namen gemacht hatte, warf Heine in seinen „Briefen aus Paris” (1830–1833) Charakterschwäche und politische Prinzipienlosigkeit vor. Ein Dichter, so schrieb er, habe im Kampf um Freiheitsrechte stets klare Position zu beziehen. Der Streit zwischen den beiden früheren Jungdeutschen gipfelte in einer wütend-sarkastischen „Denkschrift” Heines, die allerdings erst 1840 erschien. Leser des Buchs waren entsetzt, weil Heine darin über privateste Dinge aus dem Leben des mittlerweile verstorbenen Börne lästerte. Das Werk sei „das Nichtswürdigste, was jemals in deutscher Sprache geschrieben wurde”, polterte der junge Friedrich Engels, der spätere Mitverfasser des „Kommunistischen Manifests”. Der Frankfurter Kaufmanns Salomon Strauß hieb Heine sogar eine Ohrfeige auf offener Straße, woraufhin dieser Genugtuung in Form eines Pistolenduells forderte. Der pikante Hintergrund: Strauß und dessen Ehefrau Jeanette Wohl hatten Börne jahrelang in ihrem Haus beherbergt, weil er ein alter Freund und Liebhaber Jeanettes gewesen war. Zum Glück traf Strauß im Duell schlecht und Heine gar nicht ...
Kein Ruhmesblatt für den Spötter Heine. Denn so moralinsauer, wie er jene Dreiecksbeziehung ans Licht der Öffentlichkeit zerrte, ist er selbst gar nicht gewesen. Schließlich machte er keinen Hehl daraus, dass er regelmäßig ins Bordell ging. In Paris interessierte er sich auch für die Bewegung der Saint-Simonisten. Die waren so etwas wie die Hippies des 19. Jahrhunderts: Sie kritisierten die überkommene Gesellschaftsordnung und wollten eine Art religiös angehauchten Sozialismus aufbauen. Ihnen schwebte eine Gesellschaft ohne Privateigentum vor, in der jedes Mitglied nach seinen Fähigkeiten zum gemeinschaftlichen Wohlstand beitragen sollte. Zu ihren Idealen zählte auch die freie Liebe. Das gefiel Heine. Bei einer Frau aber wollte er dann doch für immer bleiben: Sie hieß Augustine Mirat und war eine einfache Schuhverkäuferin. Sie war 18 Jahre jünger als er. Heine gab ihr den Namen „Mathilde“, sie nannte ihn ihren „Henri“. 1841, unmittelbar vor besagtem Duell, heirateten sie.
Ja, Heine liebte Paris. Doch was in seiner deutschen Heimat passierte, trieb ihn weiterhin um. Das zeigt auch eines seiner berühmtesten Gedichte. Es erschien im Jahre 1843 und heißt „Nachtgedanken“ – gedruckt wurde es auch in einer deutschen Zeitung. Die ersten Verse sind wohl tausendfach zitiert worden. Sie lauten:
Denk ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
Und meine heißen Tränen fließen.
Na klar, typisch Heine. Er weint hier um seine rückständige deutsche Heimat. Doch Moment! Diese Interpretation halten einige Heine-Kenner für eines der größten Missverständnisse der Literaturgeschichte. Sie sagen: Dieses Gedicht sei keine bittere Kritik am Vaterland. Heine habe sich einfach nur nach seiner Mutter gesehnt.
Tatsächlich geht es im weiteren Verlauf des Gedichtes viel um Heines Mutter Betty, die in dieser Zeit als Witwe in Hamburg lebte. Nach seinem Umzug nach Paris hatte er sie zwölf Jahre nicht mehr gesehen. Im Gedicht heißt es:
Nach Deutschland lechzt ich nicht so sehr,
Wenn nicht die Mutter dorten wär;
Das Vaterland wird nie verderben,
Jedoch die alte Frau kann sterben.
Gottlob! durch meine Fenster bricht
Französisch heitres Tageslicht;
Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen,
Und lächelt fort die deutschen Sorgen.
Politisches Gedicht oder bloße Liebeserklärung an die Mutter? Ganz genau wissen wir es nicht. Möglicherweise hat Heine, der Meister der Ironie, hier bewusst eine falsche Fährte gelegt. Es würde zu ihm passen.
Ein anderes Gedicht Heines lässt weit weniger Raum für Interpretation. Es kritisiert ziemlich deutlich die deutschen Verhältnisse. Heine schrieb es, als er nach zwölf Jahren Exil erstmals wieder seine alte Heimat besuchte. Es heißt: „Deutschland, ein Wintermärchen“.
Zusammenfassung
Von 1815 an unterlag die deutsche Literatur der Zensur. Es war die Zeit der Restauration, der Wiederherstellung alter Machtverhältnisse, wie sie vor der Französischen Revolution in Europa geherrscht hatten. Freiheitliche Gedanken wurden unterdrückt.
Heinrich Heine konnte deshalb in Deutschland nicht frei schreiben und veröffentlichen. Auch als Jurist durfte er noch immer nicht arbeiten. Also ging er ins Exil nach Paris.
In Paris arbeitete Heine vor allem als Korrespondent und kritisierte weiterhin die Zustände in seiner deutschen Heimat.
Heine starb auch in Paris, seine Ruhestätte befindet sich auf dem Montmartre-Friedhof.
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Richtige Antworten:
1. B) Wiener Kongress
2. D) Paris
3. A) „Deutschland, ein Wintermärchen“
4. C) Ludwig Börne
5. D) „Mathilde“
1831 kehrte Heine Deutschland den Rücken und zog nach Paris. Hier begann seine zweite Schaffensphase; die quirlige Stadt an der Seine inspirierte den deutschen Dichter zu einer ganzen Flut von politischen Schriften, Gedichten und Prosa-Werken. Noch fühlte er sich nicht im Exil. Aber wenige Jahre später waren seine Schriften in allen Ländern des Deutschen Bundes verboten.
In seiner deutschen Heimat wurde es für Freigeister wie ihn immer schwieriger zu schreiben. Hinzu kam der allgegenwärtige Antisemitismus, der es dem 33-jährigen Heine unmöglich machte, als Jurist Fuß zu fassen oder überhaupt eine sicher bezahlte Arbeit zu finden. Nicht einmal der Übertritt zum Christentum hatte geholfen.
Heine teilte die Werte der Französischen Revolution von 1789. Er bewunderte Frankreich, wo die freiheitliche Bewegung mit der Julirevolution 1830 wieder Fahrt aufnahm. In den Ländern des Deutschen Bundes aber unterlag Literatur der Zensur. Es war die Zeit der Restauration, der Wiederherstellung alter Machtverhältnisse, wie sie vor der Französischen Revolution in Europa geherrscht hatten. Freiheitliche Gedanken wurden unterdrückt.
Heine liebte Paris. Doch was in seiner deutschen Heimat passierte, trieb ihn weiterhin um. Das zeigt auch eines seiner berühmtesten Gedichte. Es erschien 1843 und heißt „Nachtgedanken“. Die ersten Verse sind wohl tausendfach zitiert worden. Sie lauten: Denk ich an Deutschland in der Nacht, Dann bin ich um den Schlaf gebracht, Ich kann nicht mehr die Augen schließen, Und meine heißen Tränen fließen.
In Paris arbeitete Heinrich Heine hauptsächlich als Journalist. Er war Korrespondent für französische, aber auch für deutsche Zeitungen, allen voran die beiden wichtigsten Zeitungen beider Länder: die Pariser „Revue des Deux Mondes” und die „Augsburger Allgemeine Zeitung”. Für Letztere schrieb er eine Artikelserie, die im Dezember 1832 unter dem Titel „Französische Zustände” in Buchform erschien. Sie gilt als Meilenstein der deutschen Literatur- und Pressegeschichte., denn mit ihr nahm Heine das Feuilleton vorweg, das heute eines der fünf klassischen Ressorts einer jeden Zeitung ist.