Durch groß angelegte Impfkampagnen konnten viele Krankheiten eingedämmt werden. Und manchmal konnte nur noch eine Impfpflicht das Schlimmste verhindern. In dieser Story erfährst du, welche Anstrengungen zur Umsetzung einer Impfpflicht notwendig waren und warum eine weltweite Krankheit auch weltweit bekämpft werden musste.
Niemals hätte er damit gerechnet, berühmt zu werden. Wie soll er auch ahnen können, dass sein Name einmal um die Welt gehen wird? Denn Nachrichten aus Ostafrika sorgen im Jahr 1977 meist nur dann für Schlagzeilen, wenn es um Gewalt oder Dürrekatastrophen geht. Der 23-jährige Krankenhauskoch Ali Maow Maalin lebt im Wüstenstaat Somalia, einem der letzten Länder der Welt, die noch von Pocken heimgesucht werden. Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht seit zehn Jahren rigoros gegen diese hoch ansteckende Infektionskrankheit vor, jeder Verdachtsfall wird mit einer Massenimpfung bekämpft. Doch Ali hat sich aus Angst vor der Impfung gedrückt. Und dann ist es passiert: Er hat sich angesteckt. Er bekommt Kopfschmerzen, auf seiner Haut bilden sich Pusteln, es geht ihm von Tag zu Tag schlechter. Fiebernd liegt Ali auf seinem Bett und muss mit dem Schlimmsten rechnen. Wird er an der Seuche sterben, wie so viele andere vor ihm? Und: Wie viele Menschen um sich herum hat er selbst schon angesteckt? Ach, wäre er doch nur rechtzeitig dem Aufruf zur Impfung gefolgt...
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Jetzt runterladen!Glücklicherweise erlebte der ungeimpfte somalische Koch einen vergleichsweise leichten Krankheitsverlauf. Nach wenigen Wochen hatte er sich von den Pocken erholt. Den Behörden gelang in dieser Zeit die logistische Meisterleistung, alle Kontaktpersonen des Krankenhauskochs teils über große Entfernungen zu finden, sie zu isolieren und ihr gesamtes Umfeld zu impfen. Insgesamt wurden bei dieser Aktion bis Ende 1977 fast 55.000 Menschen geimpft! So wurde die Seuche eingedämmt, es gab keine weiteren Ausbrüche. Ali Maow Maalin ist bis heute der letzte Mensch auf der Welt, der an natürlich erworbenen Pocken erkrankte. Später sollte er einer der wichtigsten lokalen Impfkoordinatoren der WHO werden. Mit der erfolgreichen Kampagne in Ostafrika ist es der Menschheit zum ersten und bisher einzigen Mal gelungen, eine Pandemie dauerhaft zu besiegen. Doch für diesen großen Erfolg der Weltgemeinschaft mussten zunächst auch tiefe ideologische Gräben überwunden werden.
Die politischen Weichen für die global angelegte Impfkampagne der WHO waren bereits zehn Jahre vorher gestellt worden – mitten im sogenannten Kalten Krieg. Die beiden Supermächte USA und Sowjetunion belauerten einander auf allen Ebenen – politisch, militärisch, wirtschaftlich. Doch auch die größten Hardliner auf beiden Seiten wussten, dass eine weltweite Krankheit auch weltweit bekämpft werden muss, um sie auszurotten. Aus diesem Grund unterstützten beide Großmächte ab 1967 das ambitionierte Programm, mit dem die Weltgesundheitsorganisation die Pockenpandemie durch Massenimpfungen besiegen wollte. Für die verpflichtende Impfung gegen die Pocken, die damals noch in 45 Ländern wüteten, stellte die WHO rund 2,4 Milliarden Impfdosen bereit. So viele wie möglich sollten davon verabreicht werden. Die größte Herausforderung war es, den Impfstoff auch in die abgelegensten Regionen der Erde zu bringen. Aber die Kampagne war höchst professionell geplant. Sobald von irgendeinem Ort eine Pockeninfektion gemeldet wurde, reiste eines der zahlreichen mobilen Impfteams dorthin – egal ob per Flugzeug, mit Geländewagen, in Booten oder wenn es sein musste auch auf Eseln oder Kamelen.
Von der Bevölkerung wurde die Impfpflicht gut angenommen und die Impfquote war hoch. Die Kommunikation auf internationaler Ebene hatte ebenso funktioniert wie die Mund-zu-Mund-Propaganda vor Ort. Bis ins kleinste Dorf war die Nachricht vorgedrungen: Bei Geimpften hat das Pockenvirus keine Chance. Es war also gelungen, die Menschen von der Notwendigkeit einer Schutzimpfung zu überzeugen. Und der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: Am 8. Mai 1980 erklärte die Weltgesundheitsorganisation die Pocken für weltweit ausgerottet. Durch eine allgemeine Impfpflicht war es gelungen, vermutlich viele Millionen Menschen vor der Tod bringenden Krankheit zu schützen. Nach dem Sieg über die Pandemie wurde sie wieder aufgehoben.
In Deutschland sind seit Aufhebung der Pocken-Impfpflicht die meisten Impfungen freiwillig. Der Staat mit seinen Institutionen wie dem Bundesgesundheitsministerium, dem Robert-Koch-Institut (RKI) und der Ständigen Impfkommission (STIKO) geben lediglich Impfempfehlungen heraus. Eine Ausnahme bildet eine einrichtungsbezogene Impfpflicht gegen die Masern, die 2019 im Bundestag beschlossen und in zwei Stufen mit einer Übergangsfrist zum 31. Juli 2022 eingeführt wurde. Im Mai 2020 lehnte das Bundesverfassungsgericht einen Eilantrag mehrerer Eltern gegen die Masern-Impfpflicht ab. Sie hatten mit der körperlichen Unversehrtheit ihrer Kleinkinder und möglichen Nebenwirkungen der Impfung argumentiert. Aber es blieb dabei: Alle Kinder in Kitas und Schulen müssen ihren Impfschutz gegen die hochgradig ansteckende und oft mit schweren Komplikationen einhergehende Infektionskrankheit haben. Oder einen Genesenennachweis. Anderenfalls sind sie von der Kitabetreuung ausgeschlossen. Aber was ist mit Schulkindern? Denn der Schulbesuch ist doch ebenso Pflicht? Nun, die Lösung hier heißt: Bußgeld. Bis zu 2500 Euro können laut Infektionsschutzgesetz (IfSG) verhängt werden.
Diese einrichtungsbezogene Impfpflicht gilt ebenso für Beschäftigte in Arztpraxen, Krankenhäusern, Pflegeheimen und Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete. Also nur bestimmte Berufsgruppen brauchen den Impfnachweis, um ihrer Arbeit nachgehen zu dürfen.
Noch während Gesundheitsminister und Politiker im Deutschen Bundestag über die verpflichtende Masernimpfung beratschlagten, zog eine weltweite neue Bedrohung herauf: die Corona-Pandemie. Täglich schreckten neue DPA-Nachrichten über Infektionszahlen und Todesopfer die Bevölkerung, Beschäftigte im Pflegebereich arbeiteten bis zur Erschöpfung, die Gesundheitsämter kamen mit der Registrierung und Quarantänekontrolle aller betroffenen Personen kaum noch hinterher, die Krankenhausgesellschaft schlug Alarm. Der einzige Ausweg schien die vorübergehende Schließung aller Einrichtungen und Geschäfte zu sein, die nicht der täglichen Lebensmittelversorgung dienten: der sogenannte Lock down. Bewohner*innen von Pflegeeinrichtungen durften nicht mehr besucht werden. Allen war klar: Es musste schnellstmöglich ein Impfstoff her, um die Corona- bzw. Covid-19-Pandemie einzudämmen. Tatsächlich dauerte es nur wenige Monate, bis nicht nur ein, sondern gleich mehrere Impfstoffe gegen SARS-CoV-2, so der wissenschaftliche Name des Coronavirus, entwickelt waren.
Gleichzeitig schieden sich die Geister der Bevölkerung über Risiken und Nebenwirkungen der Impfstoffe. Der größte Teil der Bevölkerung ließ sich im Lauf des Jahres 2021 bereitwillig und mehrfach impfen, auch um endlich wieder am neu erwachten gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilhaben zu können. Andere demonstrierten dagegen. Der Bundestag debattierte unterdessen über eine Corona-Impfpflicht. SPD und Grüne in der Ampelkoalition wollten diese ab März 2022 für über 60-Jährige einführen, die CDU-CSU im Herbst anhand der dann herrschenden Infektionslage über eine verpflichtende Corona-Schutzimpfung entscheiden, die FDP lehnte eine Impfpflicht ab, solange es nicht zur völligen Überlastung des Gesundheitssystems käme. Am Ende und nach hitzigen Debatten blieb es bei einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht, um besonders gefährdete Menschengruppen auf passivem Wege zu schützen. Diese Regelung ist seit dem 1. Januar 2023 wieder außer Kraft, auch weil sich die Omikron-Variante mit milderen Krankheitsverläufen durchgesetzt hatte.
Zusammenfassung
Durch eine Impfpflicht konnte bis 1980 mit den Pocken erstmals eine Infektionskrankheit vollständig ausgerottet werden. Nach dem erfolgreichen Ende der global angelegten Kampagne wurde die Impfpflicht wieder aufgehoben.
Dieser Erfolg der Kampagne der Weltgesundheitsorganisation WHO war nicht selbstverständlich, denn dafür mussten auch die beiden damaligen und auf vielen Ebenen miteinander konkurrierenden Supermächte USA und Sowjetunion zusammenarbeiten.
In Deutschland sind seit Aufhebung der Pocken-Impfpflicht die meisten Impfungen freiwillig. Eine Ausnahme bildet eine einrichtungsbezogene Impfpflicht gegen die Masern, die 2019 im Bundestag beschlossen und in zwei Stufen mit einer Übergangsfrist zum 31. Juli 2022 eingeführt wurde.
SPD und Grüne in der Ampelkoalition wollten ab März 2022 eine Corona-Impfpflicht für über 60-Jährige einführen. Die Gesetzesinitiative fand jedoch nicht die erforderliche Mehrheit. Eine einrichtungsbezogene Impfpflicht für Beschäftigte im Pflegebereich lief Ende 2022 aus.
Teste dein Wissen im Quiz
Richtige Antworten:
1. A) 1980
2. D) Die WHO
3. C) Einrichtungsbezogene Impfpflicht
4. A) IfSG
5. B) Ende 2022