In Friedrich Schillers Drama „Kabale und Liebe“ steht ausgerechnet ein bürgerliches Mädchen im Mittelpunkt des Geschehens. Fünf Jahre vor Ausbruch der französischen Revolution rüttelte Schiller damit bereits kräftig an der alten Ordnung. Nach dieser Story weißt du, warum das dem Adel überhaupt nicht gefallen hat – und dass Schiller selbst auch unglücklich verliebt war.
Luise tritt ins Zimmer und legt das Buch beiseite. Das Mädchen stößt einen Seufzer aus und wendet sich dem Vater zu. Der Musiker Miller ahnt bereits, was nun kommen wird.
„Ist er dagewesen?“, fragt Luise. Der Vater weiß sofort, von wem die Rede ist. Es geht um den jungen Baron Ferdinand von Walter, der bei Miller Musikunterricht nimmt. Und ganz nebenbei hat er seiner schönen Tochter Luise den Kopf verdreht!
Miller atmet tief durch, bevor er seiner Tochter wieder einmal gut zuredet. So sehr er es sich auch wünschen würde – eine Ehe zwischen einem Adligen und einer Bürgerlichen, das ist einfach unmöglich!
Doch seine Luise ist ein kluges Kind, und so räumt sie gleich ein: „Aber nein, ich will ihn ja jetzt nicht, mein Vater! Dieser karge Tautropfen Zeit – schon ein Traum von Ferdinand trinkt ihn wollüstig auf. Ich entsag' ihm für dieses Leben. Doch dann, wenn die Schranken des Unterschieds einstürzen – wenn von uns abspringen all die verhassten Hülsen des Standes – Menschen nur Menschen sind. Ich bringe nichts mit mir, als meine Unschuld; aber der Vater hat ja oft gesagt, dass der Schmuck und die prächtigen Titel wohlfeil werden, wenn Gott kommt, und die Herzen im Preise steigen. Ich werde dann reich sein.“
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Jetzt runterladen!Das Drama „Kabale und Liebe“ sollte ursprünglich „Luise Millerin“ heißen. Der Dichter Friedrich Schiller wollte es nämlich nach seiner Hauptfigur – der gleichnamigen Musikertochter – benennen. Sein Schauspielfreund August Wilhelm Iffland riet Schiller jedoch zu einem publikumswirksameren Titel. Und so wurde das Stück „Kabale und Liebe“ genannt. „Kabale“ – ein altes Wort für „Intrige“ – das sollte die Menschen neugierig machen. Und sie wurden nicht enttäuscht. Denn Schillers Stück überraschte vor allem durch seine Figurenkonstellation. Schiller rückte nicht wie sonst üblich Adelige, Fürsten oder Könige ins Zentrum seiner Geschichte, sondern eine junge Bürgerliche mit Namen Luise. Sie ist die tragende und tragische Figur des Stücks. Das hatte es bisher noch nicht gegeben!
Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein galt im Schauspiel nämlich die sogenannte Ständeklausel. Nach dieser war die Tragödie ausschließlich dem Adel vorbehalten, was die handelnden Personen in Theaterstücken anbetraf. Bürgerliche Figuren durften nur in der Komödie agieren. Das spiegelte die damalige Realität wider: Seit dem Mittelalter waren die Gesellschaften in Europa nach Ständen gegliedert. Ein Mensch wurde in einen Stand hineingeboren und gehörte diesem unveränderlich an. Der Erste Stand umfasste den Klerus, also Kirche und Geistliche. Den Zweiten Stand bildete der Adel und den Dritten Stand die Bürger und Bauern – die Untertanen also. Sie hatten nach damaliger Auffassung im „ernsten“ Theater nichts zu suchen. Mit anderen Worten: Die ernstzunehmende Kultur beanspruchte der Adel für sich.
Im vorrevolutionären Frankreich wurde diese Ständeklausel längst in Frage gestellt, so etwa von Denis Diderot in seiner Schrift „De la poésie dramatique“ von 1758. In den deutschen Landen war es der Dichter und Dramatiker Gotthold Ephraim Lessing, der auch das Bürgertum mit seinen Problemen auf der Bühne zu Wort kommen ließ. Mit „Miss Sara Sampson“ schrieb er 1755 das erste Bürgerliche Trauerspiel der neueren deutschen Literatur. Eine neue literarische Form war geboren, und das Stück „Kabale und Liebe“ gilt als ein besonders gelungenes Beispiel dafür.
Als literarisches Vorbild für Schillers Werk gilt wiederum Lessings Trauerspiel „Emilia Galotti“, das 1772 uraufgeführt wurde. Beide Trauerspiele thematisieren den Ständekonflikt zwischen Adel und Bürgertum, in beiden spielen patriarchalische Väter eine Rolle, denen die „Familienehre“ wichtiger ist als Glück und Leben ihrer Töchter.
Schiller schrieb „Kabale und Liebe“ 1783, im Jahr darauf wurde es uraufgeführt. Fünf Jahre vor der französischen Revolution thematisierte und kritisierte Schiller damit das herrschende Ständesystem. Ja, er rief geradezu zur Emanzipation des Bürgertums auf, indem er eine Bürgerliche zur Heldin seines Trauerspiels machte. Auch, weil er selbst über seine eigenen Standesgrenzen hinaus verliebt war. Schiller war gerade erst aus Württemberg geflohen, weil ihn sein Landesherr, der Herzog Karl Eugen, mit einem Schreibverbot belegt hatte. Er kam bei der Adligen Henriette von Wolzogen unter – und verliebte sich in ihre Tochter Charlotte. Natürlich war sie unerreichbar für ihn, den nichtadeligen Dichter. Es war diese traurige Erkenntnis, die der Freigeist Schiller in der Geschichte der Luise Miller verarbeitete. Denn wie richtig konnte eine Ständeordnung sein, wenn sie sich so starr und unüberwindbar der Erfüllung einer ehrlichen Liebe in den Weg stellte?
Das Stück „Kabale und Liebe“ ist also nicht nur eine bewegende Geschichte einer verhinderten Liebe, sondern auch ein sozialkritisches Stück. Es stellt nicht allein die gesellschaftliche Ordnung mit ihren unüberbrückbaren Standesunterschieden in Frage, sondern auch die Doppelmoral der herrschenden Schicht, die ihren Reichtum durch Ausbeutung des Volks erlange. Das unterstreicht der Dichter auch durch den Gegensatz der Szenenschauplätze: In regelmäßigem Wechsel agieren die Personen mal in Luises einfachem Zimmer, mal im protzigen Saal des Präsidenten. Und: Schiller stellt typische Praktiken des Adels an den Pranger, wie zum Beispiel die durchaus verbreitete Angewohnheit adliger Herren, sich bürgerliche Mädchen als Geliebte zu nehmen und sie dann nach Belieben wieder fallen zu lassen.
Eine solche Rolle sieht Ferdinands Vater, der Präsident von Walter, in Schillers Stück auch für Luise vor: Sein Sohn Ferdinand soll das Mädchen als Geliebte nehmen, aber heiraten soll er eine Adlige: nämlich Lady Milford, eine Dame von fürstlichem Geblüt, die durch ein äußerst unglückliches Familienschicksal zur Mätresse des Fürsten geworden ist. Sie hat Einfluss bei Hofe, und sie liebt Ferdinand! Eine gute Partie für seinen Sohn, findet der Präsident, und auch seine eigene Macht bei Hofe würde dadurch zunehmen! Schnell wird die Verlobung bekanntgegeben.
Doch Ferdinands Vater hat die Rechnung ohne seinen Sohn gemacht. Denn Ferdinand liebt Luise wirklich und will sie heiraten, Standesgrenzen hin oder her. Er steht zu ihr. Doch ihre Liebe wird vereitelt, eben durch eine „Kabale“ – das alte Wort für Intrige. Eingefädelt wird diese Kabale von Wurm, dem Sekretär des Präsidenten von Walter. Dieser Mann, den Schiller als unansehnlich, kriecherisch und verschlagen charakterisiert, will das Mädchen Luise nämlich für sich haben. So bringt er den Präsidenten auf die Idee, Luises Eltern zu verhaften. Das verzweifelte Mädchen wird nun von den beiden Intriganten gezwungen, einen falschen Liebesbrief an einen angeblichen Nebenbuhler – den Hofmarschall von Kalb – zu schreiben. Sie muss schwören, niemals die Wahrheit zu verraten. Nur so könne sie ihre Eltern vor dem Todesurteil bewahren, behaupten die beiden Intriganten.
Der falsche Brief wird dem Sohn des Präsidenten zugespielt, und das Unheil nimmt seinen Lauf. Ferdinand rast vor Eifersucht und will Luise keinem anderen überlassen. Und so endet schließlich die Geschichte mit dem Tod der Liebenden: Sie beide werden an einer vergifteten Limonade sterben, die Ferdinand selbst zubereitet hat. Im Todeskampf offenbart ihm Luise ihre Unschuld, denn nun ist sie von dem unseligen Schweigegelübde befreit ...
„Kabale und Liebe“ rührt den Betrachter einerseits durch seine grausamen und tragischen Wendungen. Die Liebenden, die unfrei sind in ihrer Liebeswahl, werden aufs Grausamste geprüft und können dem äußeren Druck nicht standhalten. Auf der anderen Seite wagte es Schiller, der Dichter der Freiheit, nach seinem Erfolgsdrama „Die Räuber“ einmal mehr, die Mächtigen zu kritisieren und hitzige Diskussionen anzustoßen.
Die Zeit dafür war reif, und das schlug sich in den Werken vieler Dichter und Schriftsteller nieder. Es war die Zeit der Aufklärung, als deren wichtigster deutschsprachiger Vertreter Gotthold Ephraim Lessing gilt. Sein „Nathan der Weise“, das wohl bekannteste und bedeutendste Ideendrama der Aufklärung, wurde ein Jahr vor Schillers „Kabale und Liebe“ uraufgeführt. Dieses wiederum gilt als typisches Werk des Sturm und Drang – jener literarischen Strömung, deren meist junge Vertreter mit viel Emotion und oftmals tränenreichen Liebesgeschichten ein Gegengewicht zur kühlen Vernunft der Aufklärung schaffen wollten.
Doch war für Schiller das Leben tatsächlich nur ein Tal der Tränen und ein ständiger Kampf? O nein! Der junge Dichter sollte bald ein freudiges Werk verfassen, das zur Hymne eines ganzen Kontinents werden sollte: die Ode an die Freude …
Zusammenfassung
„Kabale und Liebe“ ist ein Drama von Friedrich Schiller und zugleich ein typisches Werk für die Epoche des Sturm und Drang. Denn die Hauptfigur Ferdinand handelt impulsiv und von seinen Gefühlen bestimmt; außerdem übt das Werk deutliche Kritik an der bestehenden Ordnung – am Adel und an der Ständegesellschaft.
In „Kabale und Liebe“ geht es um eine Liebe, die Standesgrenzen überwinden will. Ein junger Adliger verliebt sich in Luise (je nach Ausgabe auch Louise), eine Tochter aus bürgerlichem Hause. Durch Intrigen seines Vaters und dessen Sekretärs wird die Liebe vereitelt.
Weil in „Kabale und Liebe“ bürgerliche – und nicht adlige – Hauptfiguren auftreten, gilt Schillers Stück als ein Paradebeispiel des so genannten bürgerlichen Trauerspiels.
Schiller verarbeitete darin wohl auch eine selbst erlebte, unerwiderte Liebe zu einer Adligen und plädierte für mehr Freiheit – auch und gerade in Fragen der Liebe.
„Kabale und Liebe“ wurde 1784 veröffentlicht und im selben Jahr uraufgeführt. Ursprünglich sollte das Stück einfach nur „Luise Millerin“ heißen, wurde dann aber zwecks höherer Publikumswirksamkeit umbenannt.
Spätere bedeutende Werke Schillers sind unter anderem „Don Karlos“ (1798), „Maria Stuart“ (1800), „Die Jungfrau von Orleans“ (1801) und „Wilhelm Tell“ (1804).
Teste dein Wissen im Quiz
A) Dem Adel wird Doppelmoral vorgeworfen
B) Sexuell freizügige Darstellungen
C) Blasphemie und Gotteslästerung
D) Eine sehr emanzipierte weibliche Hauptfigur
Richtige Antworten:
1. D) Bürgerliches Trauerspiel
2. A) Liebe zwischen einem Adligen und einer Bürgerlichen
3. C) Die Bürgerliche Luise Miller
4. B) Die Unfreiheit in der Ständegesellschaft
5. A) Dem Adel wird Doppelmoral vorgeworfen