Hast du dich schon einmal gefragt, woher die Reality-TV-Serie „Big Brother“ ihren Namen hat? Big Brother Is Watching You! Das ist ein Slogan aus dem Roman „1984“ von George Orwell und bedeutet nicht weniger als die totale Überwachung des Menschen. In dieser Story erfährst du, welch düstere Vision der britische Schriftsteller entworfen hat und warum sie noch immer erschreckend aktuell ist.
London im April 1984. Winston Smith kauert sich in die Nische seines Wohnzimmers. Der Televisor kann ihn dort nicht sehen. Dieser vom Staat in allen Haushalten installierte Sender und Empfänger berieselt seine Zuhörer unablässig mit Nachrichten des herrschenden Krieges und zeichnet gleichzeitig alles auf, was in der Wohnung passiert. Privatsphäre gibt es nicht mehr – weder im Handeln noch im Denken. Dafür sorgen die Partei und ihre Gedankenpolizei, die sich jederzeit in den Teleschirm einwählen kann. Und niemand weiß, zu welchen Zeiten dies geschieht.
Winston presst sich noch enger in die Nische und holt aus einer Schublade einen kleinen Gegenstand hervor. Etwas, das die Gedankenpolizei auf keinen Fall sehen darf – etwas streng Verbotenes: ein Tagebuch. Winston will das Büchlein nach und nach mit seinen Gedanken füllen – auch wenn er noch gar nicht weiß, was er eigentlich zu sagen hat. „Ich bin es nicht mehr gewohnt, frei zu denken ...“, stellt er nicht ohne Schrecken fest. Winston greift zu einem Federhalter und taucht die Feder in die Tinte. Ein zögerlicher erster Strich, dann beginnt er seine Gedanken aufzuschreiben. Winston Smith wird in den nächsten Minuten ein Verbrechen begehen, eines, das mit dem Tode bestraft wird ...
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Jetzt runterladen!Winston Smith muss mit dem Schlimmsten rechnen, weil er etwas tut, was totalitäre Regime hassen: Er fängt an, selbst zu denken. Und schreibt seine Gedanken dann auch noch auf. Der Staat aber, in dem Winston lebt, fürchtet nichts mehr als Bürger mit freien Gedanken, Träumen und Möglichkeiten. Diese Dystopie entwirft der englische Autor George Orwell in seinem Werk „1984“. Eine Dystopie ist im Grunde eine negative Utopie. Sie nimmt den Leser mit in eine schreckliche Zukunftsvision. Doch als George Orwell seinen Roman in den 1940er-Jahren schreibt, fantasiert er nicht wild drauf los. Er, der Sozialist, orientiert sich an den totalitären Tendenzen, die zu jener Zeit in ganz Europa herrschen: der Faschismus in Italien und Deutschland, die kommunistische Diktatur in der Sowjetunion. Er hatte erlebt, wie Kontrolle und Propaganda in den Zweiten Weltkrieg mündeten.
Es sind die beiden großen Ideologien des 20. Jahrhunderts, die Orwell in seinem Roman 1984 aufgreift und weiterdenkt: der Faschismus und der Kommunismus. Orwell entwirft eine Gesellschaft, die von einer einzigen Partei überwacht und kontrolliert wird. An deren Spitze: eine allmächtige Führerfigur, die an die Diktatoren Hitler und Stalin erinnert: Big Brother, der Große Bruder. Ihm untersteht die sogenannte Gedankenpolizei. Denn ein totalitärer Überwachungsstaat gibt sich nicht damit zufrieden, die Verhältnisse zu ändern. Es will den Menschen selbst ändern. Es will in die Köpfe. Es will die totale Kontrolle – auch und gerade über die Gedanken.
Ein solches System will die Deutungshoheit darüber, was richtig und falsch ist. In Orwells Dystopie gibt es keine objektive Wahrheit mehr. Die herrschende Partei in Ozeanien hat das Prinzip des sogenannten „Doppeldenk“ eingeführt: Eine Lüge wird solange wiederholt, bis sie zur Wahrheit wird. Dafür sorgt ein eigenes Ministerium – das heißt ausgerechnet „Ministerium für Wahrheit“. Und genau in diesem Wahrheitsministerium arbeitet die Hauptfigur Winston Smith. Sein Job ist es, die Geschichte zu „ändern“ und aus Lügen „Wahrheiten“ zu machen. Doch dann passiert, was nicht passieren darf: Der Wahrheitsverdreher beginnt, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen ...
Winston Smith soll also aus Lüge Wahrheit machen. Im Ministerium für Wahrheit ist Smith dafür zuständig, alte Zeitungsberichte so anzupassen, dass sie den Vorgaben des Staates und der herrschenden Partei entsprechen. Und diese überwacht nicht nur die Vergangenheit, sondern auch jeden einzelnen Aspekt der Gegenwart. Eine Gedankenpolizei spioniert die Bürger aus, über Mikrofone und Bildschirme werden die Menschen überwacht, abgehört und gleichzeitig mit politischer Propaganda berieselt. Die Mitglieder der herrschenden Partei müssen sich im „Zwiedenken“ üben (in Neuübersetzungen „Doppeldenk“, engl. „doublethink“), das bedeutet, die müssen ständig zwischen „zwei Wahrheiten hin- und herschalten“.
Die allwissende Instanz dahinter ist die Führerfigur Big Brother, die aber nie als tatsächliche Gestalt in Erscheinung tritt. Ihr Leitspruch: „Big Brother is watching you“ – „Der große Bruder beobachtet dich“. Dieser knappe, aber wirkungsvolle Slogan drückt die totale Überwachung des Staats wohl am einprägsamsten aus. Doch Winston Smith beginnt, sich zunehmend gegen diese Kontrolle zu wehren. Auslöser für diesen Wandel ist ein zutiefst menschliches Gefühl: Es ist die Liebe. Natürlich. Winston verliebt sich in die rebellische Julia. Und von da an hat Big Brother ein Problem. Denn die Liebe lässt sich zwar verbieten, aber nicht kontrollieren. Die Gefühle werden zur Triebfeder für den Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung. Und gemeinsam versuchen Winston und Julia Kontakt zu einer Untergrundorganisation aufzunehmen – mit dramatischen Folgen.
Denn der vermeintliche Untergrundkämpfer O’Brien ist in Wahrheit ein fanatisches Parteimitglied. Winston wird verhaftet und so lange gefoltert, bis er Julia verrät. Zu allmächtig sind die Methoden. So muss der Leser in verstörender Weise miterleben, wie der Wille der beiden gebrochen und ihre Liebe zum „Großen Bruder“ mit einer Gehirnwäsche erzwungen wird.
Auch fast 80 Jahre nach Erscheinen ist Orwells dystopischer Roman erschreckend aktuell. Bildschirme, die beobachten und abhören – wer wird da nicht an Smartphones und Sprachassistenten erinnert, die immer lauschen? Auch die Instrumentalisierung von Sprache hat heute Konjunktur. In „1984“ nennt Orwell es „Neusprech“. Big Brother erfindet eine Sprache, die Worte tilgt, verändert oder so sehr vereinfacht, dass kritisches Denken nahezu unmöglich wird. Und Orwell, der 1936 auf der Seite der Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg kämpfte, wirft im Lauf der Handlung auch die Frage auf, ob Big Brother die Bombenangriffe der anderen Machtblöcke auf Ozeanien nicht eigens inszeniert, um eine Rechtfertigung für die Überwachung der eigenen Bevölkerung zu haben.
Der ein oder andere fühlt sich bei der Lektüre von „1984“ an heutige Populisten erinnert, die sogenannte Alternative Fakten solange wiederholen, bis sie für tatsächliche Wahrheiten gehalten werden. Es ist daher kein Zufall, dass „1984“ immer wieder ein Revival erlebt. So tauchte der Roman 2013 zur Zeit des NSA-Skandals wieder auf den Bestsellerlisten auf, als der Whistleblower Edward Snowden die Überwachung durch amerikanische Nachrichtendienste ans Tageslicht brachte. Und auch 2017, als die Beraterin von US-Präsident Donald Trump, Kellyanne Conway, von „alternativen Fakten“ sprach, landete der Roman prompt wieder auf Platz 1. Und seit dem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 stellt die Propaganda in der Russischen Föderation den Angriffskrieg als „Befreiung“ und „Friedensmission“ dar – und Orwells „1984“ schoss auf einen neuen Spitzenrang in den russischen Verkaufslisten.
Kontrolle und Manipulation, die Verdrehung von wahr und falsch, Überwachung und Propaganda – für all das hat uns George Orwell sensibilisiert.
Doch „1984“ ist nur eine von vielen Dystopien, die vor gesellschaftlichen Fehlentwicklungen warnen. Eine andere heißt „Schöne neue Welt“. Doch die Welt, die darin beschrieben wird, ist alles – nur nicht schön …
Zusammenfassung
George Orwells Roman „1984“ (Originaltitel: „Nineteen Eighty-Four“) ist eine Dystopie, eine negative Utopie, die die Schrecken eines totalitären Systems thematisiert.
„1984“ (Erstveröffentlichung: 1949) entstand vor dem Hintergrund der zwei großen politischen Ideologien des 20. Jahrhunderts: Hitlers Faschismus und Stalins Kommunismus.
Orwells Werk thematisiert die totale Überwachung, den Personenkult und die Verdrehung der Wahrheit in einem totalitären Staat. Andersdenkende werden manipuliert, gefoltert und beseitigt.
Orwells Vision hat eine erschreckende Aktualität. Sie findet sich zum Beispiel in der Diskussion um „alternative Fakten“ oder im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Das Buch wurde 1956 unter dem Titel „Neunzehnhundertvierundachtzig“ in Großbritannien erstmals verfilmt, eine zweite Verfilmung folgte im Jahr 1984.
Weitere wichtige Werke Orwells sind „Die Farm der Tiere” („Animal Farm“, 1945), „Reise durch Ruinen. Reportagen aus Deutschland und Österreich“ (1945), „Mein Katalonien“ („Homage to Catalonia“, 1938) und „Erledigt in Paris und London“ („Down and Out in Paris and London“, 1933)
Orwells „1984“ ist in der EU und dem Vereinigten Königreich Großbritannien gemeinfrei, in Kanada, Australien und Russland hat es den (ähnlichen) Status „Public Domain“. In den USA soll das Werk erst ab 2044 diesen Status erhalten.
Teste dein Wissen im Quiz
A) Totalitäre Systeme und staatliche Überwachung
B) Unterdrückung und Ausbeutung der Frau
C) Verfolgung und Diskriminierung der Juden
D) Umweltverschmutzung und Ressourcenausbeutung
Richtige Antworten:
1. A) Bekannteste und bedeutendste Dystopie
2. C) Zukünftige Gesellschaft unter staatlicher Überwachung
3. B) Ein Mann kämpft gegen ein totalitäres System
4. C) Großer Bruder
5. A) Totalitäre Systeme und staatliche Überwachung