Geballte Fäuste, rollende Augen, heisere Schreie, Besucher, die einander umarmen: Das waren laut Zeitzeugen die Reaktionen im Publikum bei der Uraufführung von Friedrich Schillers „Die Räuber“. Was an dem Stück so besonders war? Es machte einen Verbrecher zum Helden und feierte den zivilen Ungehorsam. Nach dieser Story weißt du, warum ausgerechnet dieses Stück den jungen Friedrich Schiller über Nacht zum Star machte – und warum es ihm später sogar eine Haftstrafe einbrachte.
Karl Moor blickt seine Freunde an, einen nach dem anderen. Hat er richtig gehört? Was schlagen sie ihm da vor? Eine Räuberbande wollen sie gründen, sich verschanzen in den böhmischen Wäldern – und er soll ihr Hauptmann sein? Karl schwirrt der Kopf. Eben noch hatte er einen schrecklichen Brief in Händen gehalten. Was musste er da lesen? Enterbt sei er? Und verstoßen? Er soll nie wieder in das gräfliche Schloss heimkehren, denn der Vater verzeiht ihm sein liederliches Leben nicht. Karl schnaubt – aber was soll‘s! Er braucht die Vergebung des alten Mannes nicht! Umso größer ist nun sein Drang nach Taten. Schon rufen seine Freunde – „Es lebe der Hauptmann!“ – und recken die Fäuste in die Luft.
Karl läuft ein Schauer über den Rücken, dann stimmt er mit ein: „Ich habe keinen Vater mehr, ich habe keine Liebe mehr, und Blut und Tod soll mich vergessen lehren, daß mir jemals etwas teuer war! (...)
Tretet her um mich ein Jeder, und schwöret mir Treu’ und Gehorsam zu
bis in den Tod…“
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Jetzt runterladen!Der Anführer einer Räuberbande wird zum Helden und Sympathieträger eines Stücks – darf man das? Im Frühjahr 1782 sorgt das in den deutschen Landen für einen waschechten Skandal. Der Name des jungen unbekannten Dichters, der plötzlich in aller Munde ist, lautet Friedrich Schiller. Und die Reaktionen, die sein Drama „Die Räuber“ bei der Uraufführung in Mannheim beim Publikum hervorruft, sind legendär. Karl Moor und seine Räuberbande, die aufbegehren gegen die trockene Vernunft der Aufklärung, die sich erheben über Gesetze und Konventionen – sie werden von der Jugend frenetisch gefeiert! So etwas hatte man noch nie auf einer deutschen Theaterbühne zu sehen bekommen. Diese gewaltige Sprache, diese großen Gefühle, dieser Mut zum zivilen Ungehorsam!
Und Schiller selbst? Der wird mit seinem provokanten Stück prompt zum neuen Liebling der literarischen Bewegung des Sturm und Drang, jener Periode des ausgehenden 18. Jahrhunderts, in der junge Autoren gegen die Idealisierung der Vernunft anschreiben. Das große Gefühl, die mutige Tat, ungezügelte Leidenschaften – das wollen die Stürmer und Dränger sehen. Und Schiller gibt ihnen mit seinen Räubern mehr als genug davon! Er feiert in seinem Stück den Mut zur Freiheit und den kompromisslosen Kampf für Selbstbestimmung – auch wenn man es dafür mit den Mächtigen aufnehmen muss.
Gegen die Mächtigen aufbegehren: Das hat Schiller auch im echten Leben getan. Schon als Knabe hatte er unter der Willkür der Obrigkeit gelitten. Sein Landesherr Herzog Karl Eugen war auf den begabten 14-Jährigen aufmerksam geworden und steckte ihn in seine Karlsschule, ein militärisch organisiertes Elite-Internat bei Stuttgart. Der sensible Heranwachsende litt sehr unter den dortigen Erziehungsmethoden und dem harten Drill. Auch sein Medizinstudium absolvierte er nur auf Befehl des Herzogs. Drei Anläufe brauchte er für den Doktortitel und landete schließlich als Regimentsmedicus bei der Herzoglich Württembergischen Armee. Eine ungeliebte und zudem noch schlecht bezahlte Stellung ohne Aufstiegschancen.
In dieser Zeit traf Schiller auf der Festung Hohenasperg den Dichter Christian Friedrich Daniel Schubart, der für seine scharfen Schriften gegen Kirche und Adel bekannt war und gerade eine zehnjährige Kerkerstrafe verbüßte. Schubarts Verbrechen? Er hatte den Verkauf württembergischer Untertanen für Englands Kolonialkriege verurteilt und die Mätresse des Herzogs beleidigt. In seiner Erzählung „Zur Geschichte des menschlichen Herzens“ gibt es eine Anekdote über zwei ungleiche Brüder und deren Vater-Sohn-Konflikte. Sie inspirierte Schiller zu seinem Räuber-Drama. Seine Hauptfigur schaute sich der junge Dichter von einem historischen Vorbild ab: dem Räuberhauptmann Nikol List, der im späten 17. Jahrhundert allerhand Kirchen und Herrschaftssitze ausraubte. Beim Versuch, seiner habhaft zu werden, erschoss er zwei Beamte aus Sachsen und wurde schließlich auf extrem grausame Weise hingerichtet.
Das Drama war Schillers Befreiungsschlag – und genau deswegen entfernte er sich auch ohne Erlaubnis des Herzogs aus der Garnison und reiste heimlich nach Mannheim, um die Uraufführung seines Werks am 13. Januar 1782 mitzuerleben. Nach einem weiteren illegalen „Ausflug“ wurde er für zwei Wochen in Arrest genommen, und der Herzog untersagte ihm jedes weitere „Komödienschreiben“. Schiller hatte nun endgültig genug. Noch im selben Jahr floh er zusammen mit seinem Freund, dem Musiker Andreas Streicher, außer Landes.
In der folgenden Zeit konnte er sich nur mühsam über Wasser halten. Vorübergehend kam er bei einer alten Freundin in Thüringen unter, später versuchte er sich noch einmal als Theaterautor – erfolglos diesmal. Die Schulden wurden immer drückender, und dann wurde Schiller auch noch krank. Trotzdem schrieb er unbeirrt weiter. „Don Karlos“, „Maria Stuart“ sowie „Kabale und Liebe“ sind Werke aus dieser Zeit. Endlich, 1785, fand er in Leipzig eine neue Heimstatt und die dringend benötigte finanzielle Unterstützung: bei seinem Fan und späteren Freund, dem Schriftsteller und Juristen Christian Gottfried Körner.
Ungehorsam zugunsten der eigenen Ideale und Freiheit, das war für Schiller also keine Theorie. Und so handeln auch seine Dramenfiguren. Karl Moor, der ältere Sohn des Grafen Maximilian von Moor, ist idealistisch, leidenschaftlich und der erklärte Lieblingssohn des Grafen. Der jüngere Sohn Franz ist das genaue Gegenteil: Vom Vater mit wenig Liebe bedacht, ist Franz ein kalter und spröder Mann des Verstandes und der Intrige. Er neidet Karl alles: das Erbe, die Zuneigung des Vaters und seine schöne Verlobte Amalia von Edelreich. Zugegeben, man könnte Mitleid mit Franz haben, den die Umstände und die Vernachlässigung durch den Vater vielleicht so hart gemacht haben. Doch seine Grausamkeit und Skrupellosigkeit, sein überbordender Hass und seine Intrigen ersticken dieses Mitleid schnell.
Franz fädelt es schließlich mit einem gefälschten Brief ein, dass der alte Moor seinen Sohn Karl enterbt und verstößt. Karl studiert in Leipzig, wo er zugegebenermaßen ein ziemliches Lotterleben führt. Im Kreis seiner Freunde erfährt er von der Intrige seines Bruders Franz, und prompt gründen die Freunde eine Räuberbande und wählen Karl zu ihrem Anführer. Ein Schwur soll sie unlösbar aneinander binden.
Franz glaubt unterdessen, seinen Konkurrenten für immer los zu sein. Um sich das Erbe zu sichern, präsentiert er dem alten Grafen Moor noch mehr Lügen über den „verlorenen Sohn“. Schließlich macht sich auch noch an dessen Verlobte Amalia heran. Doch die durchschaut das falsche Spiel und weist ihn zurück. Schließlich ersinnt Franz einen noch perfideren Plan: Ein gewisser Hermann soll dem Alten die Nachricht vom Tod seines Ältesten überbringen. Der bricht zusammen und liegt da, als wäre er selbst tot. Franz lässt seinen eigenen Vater in den Hungerturm werfen und glaubt sich am Ziel.
Karl hat sich in den böhmischen Wäldern inzwischen die Achtung der Räuberbande erworben. Auch sein ehemaliger Konkurrent Moritz Spiegelberg akzeptiert ihn scheinbar endlich als Chef. Spiegelberg ist brutal und skrupellos, gewinnt aber auch neue Bandenmitglieder. Einer der Neuen ist Kosinsky, der ein ganz ähnliches Schicksal wie Karl und eine Geliebte namens Amalia hat. Karl sieht darin einen Wink der Vorsehung. Der Wunsch, seine geliebte Amalia wiederzusehen, wird übermächtig. Mit Kosinskys Hilfe gelangt er verkleidet ins Schloss Moor und trifft seine Verlobte, die ihn nicht erkennt. Unterdessen versucht Spiegelberg, die Räuber gegen ihren Hauptmann aufzubringen. Doch einer von ihnen, Schweizer mit Namen, ersticht den Aufwiegler. Karl rettet seinen Vater aus dem Hungerturm, ohne sich ihm zu erkennen zu geben. Der Alte erzählt ihm vom Verrat seines jüngeren Sohns, und Karl beschließt: Franz muss gefangen und zur Verantwortung gezogen werden.
Die Räuber belagern das Schloss. Franz sorgt sich um sein Seelenheil und lässt den Geistlichen Moser rufen, ist aber nicht in der Lage, zu beten. Schließlich erdrosselt er sich vor Angst mit seiner eigenen Hutschnur. Karl offenbart Amalia und seinem alten Vater nun endlich seine Identität. Amalia vergibt ihm, der alte Herr aber fällt vor Entsetzen tot um. Und weil Karl seinen Räubern die Treue geschworen hat, kann er seine Verlobte nicht zum Traualtar führen. Am Ende ist auch sie tot, und der unglückliche Räuberhauptmann beschließt, seine Schuld mit einer letzten guten Tat zu sühnen: Ein armer Tagelöhner mit elf Kindern soll ihn der Staatsmacht ausliefern und das Kopfgeld dafür kassieren ...
Die Brüder Karl und Franz Moor stehen für zwei grundverschiedene Geisteshaltungen: Karl steht für Leidenschaft und Tatkraft; er ist ein stürmischer Rebell und damit der Inbegriff des Sturm und Drang. Franz symbolisiert die vernunftorientierte Aufklärung, er ist kalt und berechnend und handelt stets aus Kalkül. Und schnell wird auch klar, auf welcher Seite Schiller steht: Er gibt dem großen Gefühl den Vorzug vor dem Verstand. Sein Held ist zwar ein Krimineller, doch er hat ein großes Herz und einen moralischen Kompass. Schließlich hadert der Räuber Karl immer wieder mit den Gewalttaten seiner Freunde, versucht sie zu zähmen und zu erreichen, dass sie nur von den Reichen stehlen. Franz hingegen ist gierig, skrupellos, der Prototyp eines machthungrigen Adligen: Er will alles und glaubt, dass ihm alles zusteht; der Titel, das Schloss, die Frau. Schiller klagt hier also den Machtmissbrauch des privilegierten Adelsstandes an.
„Die Räuber“ ist damit nicht nur ein Stück über einen freiheitsliebenden Kämpfer, es hat auch eine politische Aussage. Es stellte die Ständegesellschaft, den Absolutismus und die Macht der Herrschenden infrage – ein echt heißes Eisen!
Ursprünglich hatte Schiller seine „Räuber“ als zeitgenössisches Lesedrama entworfen. Räuberbanden hat es im späten 18. Jahrhundert durchaus noch in den deutschen Landen gegeben. Um das Drama auf die Bühne bringen zu können, musste Schiller allerdings auf Wunsch des Mannheimer Intendanten Wolfgang Heribert Freiherr von Dalberg eine Reihe von Änderungen an Handlung und Schauplätzen einarbeiten. Unter anderem wurde die Handlung nun ins Mittelalter verlegt. Später bearbeitete er sein Drama nochmals in einer Trauerspielfassung, über die er in einer Selbstrezension schrieb: „Man findet aus diesem Generabriß des Stücks, daß es an wahren dramatischen Situationen ungemein fruchtbar ist; daß es selbst aus der Feder eines mittelmäßigen Schriftstellers nicht ganz uninteressant fließen; daß es in den Händen eines bessern Kopfs ein Originalstück werden müsse: frage sich nun, wie hat es der Dichter bearbeitet?“
Selbstbestimmung und Freiheit blieben Schillers Themen. Er wusste aber auch, dass die Freiheit nicht nur gegen Fürsten oder den Adel überhaupt erkämpft werden musste. Auch im Privaten – ja, auch in der Liebe – waren die Menschen im 18. Jahrhundert nicht frei. Das bekam auch Schiller zu spüren und schrieb ein Drama, das wieder einmal alle Regeln brechen sollte. Es heißt: „Kabale und Liebe“.
Zusammenfassung
Das Stück „Die Räuber“ war Friedrich Schillers erstes Drama. Er veröffentlichte es zunächst anonym, 1782 wurde es dann in Mannheim uraufgeführt.
In Schillers furiosem Debüt werden zwei Brüder, Karl und Franz Moor, zu Rivalen. Beide kämpfen für ihre persönliche Freiheit – allerdings mit ganz unterschiedlichen Mitteln.
Schiller machte den Räuber und Gesetzlosen Karl Moor zu einem Sympathieträger – das war ganz schön gewagt! Das Stück wurde Schillers Durchbruch und machte ihn zu einem Star des Sturm und Drang.
Schiller idealisierte den Kampf für Freiheit und Selbstbestimmung. Damit kritisierte er den Absolutismus und griff die Machtposition des Adels an.
Schillers Lieblingsthema Freiheit war stark biografisch motiviert. Als Untergebener des Herzogs Karl Eugen war er unfrei in seiner Berufswahl, was ihn sehr unglücklich machte.
Weitere bedeutende Werke Schillers, in denen er sich mit Freiheit und selbstbestimmtem Leben beschäftigt, sind Maria Stuart (1800) und Wilhelm Tell (1804).
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Richtige Antworten:
1. D) Drama
2. A) Sturm und Drang
3. C) Räuberhauptmann Karl Moor
4. B) Gesetz vs. Freiheit
5. A) Eigene Unfreiheit