Raffael war noch keine 20 Jahre alt, da galt er schon als großes Talent. Seine Malkünste überzeugten sogar den Papst. Mit welcher großen Aufgabe Raffael betraut wurde und was die Philosophen der Antike damit zu tun haben? Das erfährst du in dieser Story.
Michelangelo ist verflucht schlecht gelaunt. Dieser Raffael hat‘s nun also auch nach Rom geschafft. Raffael, der Schöne, der Talentierte, der immer freundlich und charmant ist. Michelangelo kann‘s nicht mehr hören. Schon in Florenz hat er einen großen Bogen um den Kerl gemacht – warum sollte das hier anders sein? Raffael aber besteht darauf, Michelangelo zu treffen. Ihn, den Schöpfer der David-Statue. Angeblich soll er sogar Raffaels großes Vorbild sein. Pah! Michelangelo beißt sich vor Zorn auf die Lippe. Wenn er es zuließe, dass Raffael Zugang zu ihm und zur Sixtinischen Kapelle erhielte, würde der ihm doch nur die besten Ideen klauen. Was kann dieser Bursche denn schon? Der hat doch allerhöchstens das Talent, große Maler wie ihn zu imitieren. Michelangelo ist es ein Rätsel, was der Papst an Raffael findet – diesem Möchtegernkünstler aus Urbino...
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Jetzt runterladen!Raffaello Santis Ruf war ihm vorausgeeilt. Als Maler schöner Madonnen hatte er sich in Florenz einen Namen gemacht und auch seine Talente als sensibler Porträtmaler unter Beweis gestellt. Doch der kunstsinnige Papst Julius II. hatte eine ganz andere Aufgabe für den jungen Maler im Sinn, als er ihn 1508 nach Rom holte: Raffael sollte die Wände seiner Privatgemächer im Vatikanpalast mit Fresken schmücken.
Dort arbeiteten bereits andere Künstler in den päpstlichen Wohnräumen, den sogenannten Stanzen. Er war nur einer von Vielen, sogar sein ehemaliger Lehrer Perugino malte hier. Raffael aber störte es nicht, mit Malerkollegen zusammenzuarbeiten. Im Gegenteil. Schließlich konnte er sich auf diese Weise erst die Technik der Freskomalerei aneignen – davon hatte er nämlich keine Ahnung. Und da Raffael stets zuvorkommend und höflich war, vertrauten ihm die älteren Künstler nur zu gerne ihre Kenntnisse und Tricks an.
Zur selben Zeit wie Raffael arbeitete aber auch Michelangelo im Vatikan. Der Papst hatte seinen Lieblingskünstler damit beauftragt, die Decke in der Sixtinischen Kapelle zu gestalten. Der kauzige Michelangelo hatte ebenfalls kaum Ahnung von Freskenmalerei, als er den päpstlichen Auftrag bekam. Bislang war er ja hauptsächlich als Bildhauer tätig gewesen. Doch anstatt wie Raffael andere um Rat zu fragen, probierte er lieber selbst herum. Mit dem Ergebnis, dass Michelangelos erste Deckengemälde Schimmel ansetzten und ihm der Kalkputz auf die Nase bröckelte. Auch deshalb wollte er außer engen Mitarbeitern niemanden in die Kapelle kommen lassen – und schon gar nicht den allseits beliebten und offenbar ehrgeizigen Raffael. Nach einigen Rückschlägen gelangen Michelangelo seine Gemälde in der Sixtinischen Kapelle übrigens so gut, dass sie als Meisterwerke der italienischen Hochrenaissance heute weltberühmt sind.
Der aufmerksame Raffael indes lernte schnell, worauf es bei der Freskenmalerei ankam – und so dauerte es nicht lange, bis er die anderen Maler in den Schatten stellte: Seine Technik war geradezu meisterhaft, vor allem aber war es sein einzigartiger Stil, der die Menschen verzauberte. Der Papst war sogar derart angetan von der Arbeit dieses Nachwuchskünstlers, dass er alle anderen Maler nach Hause schickte. Für einen Mann allein war die Arbeit in den Stanzen allerdings viel zu umfangreich, weshalb sich Raffael von Mitarbeitern und Schülern helfen ließ. So baute er sich allmählich eine florierende Werkstatt auf, während sein Ansehen in Rom und darüber hinaus Jahr für Jahr zunahm. Kein Wunder also, dass auch der Nachfolgepapst Leo X. nicht auf die Dienste dieses begnadeten Künstlers verzichten wollte …
Die Wandbilder in der Stanza della Segnatura – dem Arbeitszimmer des Papstes – waren Raffaels Erstlingswerke im Vatikan. Entstanden zwischen 1508 und 1511 zeigen sie sein gesamtes Können. Vier seiner bekanntesten Fresken sind hier zu sehen, darunter Die Schule von Athen.
Papst Julius II. nutzte den Raum als Bibliothek und Arbeitszimmer. Hier unterzeichnete er unter anderem seine Gnadenakte. In dem Saal fanden die Versammlungen des höchsten Gerichts des Heiligen Stuhls, der Segnatura Gratiae et Iustitiae, statt. Dieses Gericht, dessen Vorsitz der Papst innehatte, gab dem Zimmer seinen Namen. Der Inhalt der Wandbilder orientierte sich an dieser Funktion des Zimmers und wurde höchstwahrscheinlich von einem Theologen ausgearbeitet. Dargestellt werden sollten die drei höchsten Prinzipien des menschlichen Geistes, nämlich die Ideale des Guten, des Wahren und des Schönen.
Während sich das Fresko Die Schule von Athen mit dem Thema Philosophie, also der rationalen Wahrheit, beschäftigt, wenden sich die anderen drei Wandbilder in der Stanza della Segnatura der Theologie als dem übernatürlich Wahren, der Poesie als dem Schönen und der Gerechtigkeit als dem Guten zu. Mit dieser Repräsentation der Fähigkeiten des Geistes zeigte Raffael zugleich die Ideale der päpstlichen Herrschaft von Julius II. auf: Wissenschaft, Bildung und Gerechtigkeit.
Obwohl sich auf diesem gewaltigen Wandgemälde so viele verschiedene Figuren befinden, wirkt es ausgewogen. Denn Raffael gelang es, lebendige Bewegungen mit in sich ruhender Harmonie zu vereinen. Sein Malstil war klar und fast zeichnerisch, sein Sinn für eine bühnenähnliche Bildkomposition des Freskos ausgeprägt. Man hat tatsächlich das Gefühl, direkt vor einer großen Theaterbühne zu stehen – nur ein Schritt und man ist mittendrin im Geschehen.
Raffael vereinte in seinem Fresko Die Schule von Athen die klügsten und inspirierendsten Geister aller Zeiten. Und er malte ihre Versammlung bewusst an die Wand des Raumes, in dem der Papst über Recht und Unrecht entschied – möge er sein Urteil stets im Sinne der Weisesten fällen.
Das Gemälde zeigt also eine Versammlung der größten Denker der Antike, die in einer mächtigen Wandelhalle zusammengekommen sind. Sie ist von Licht und Leben erfüllt. Hier herrscht Bewegung. Körperlich wie geistig. In kleinen Gruppen stehen Alt und Jung beisammen. Energisch wird diskutiert und gestikuliert. Gedanken werden niedergeschrieben, neue Erkenntnisse geboren, alte Ideen über den Haufen geworfen.
Im Zentrum des Bildes aber kommen zwei Männer auf uns zu: Platon und sein Schüler Aristoteles. Sie sind der Mittelpunkt des Geschehens und schreiten durch ein Spalier aus Menschen. Ob sie diese überhaupt bemerken? Fraglich, denn offenbar sind sie ins Gespräch vertieft. Mehr noch: Raffaels Bild zeigt genau jenen Moment, in dem Aristoteles seinem Lehrer Platon widerspricht. Denn wer genau hinsieht, dem fällt etwas auf: zwei gegensätzliche Handbewegungen. Platon deutet mit dem Zeigefinger der rechten Hand nach oben, zum Himmel. Aristoteles’ offene rechte Hand zeigt in einer Gegenbewegung nach unten, zur Erde. Es sind nur winzige Gesten, die aber gegensätzlicher nicht sein könnten. Sie offenbaren die Unterschiede zwischen dem Philosophen Platon, dem Idealisten und seinem Schüler Aristoteles, dem Realisten. Platon trägt sein Werk „Timaios“ unterm Arm – seine Lehre über die Weltentstehung. Und Aristoteles hält seine „Ethica“ auf den Oberschenkel gestützt – sein Werk über die Grundlagen und Ziele menschlichen Handelns. Während sich Platon auf die abstrakte Welt der Ideen bezieht und auf den Himmel zeigt, verweist Aristoteles auf die Erde. Er steht quasi auf dem Boden der Tatsachen und glaubt nur an das, was sich auch beobachten und beweisen lässt.
Und wer sind die all die anderen Männer auf dem Gemälde? Viele von ihnen sind berühmte Dichter und Denker, Philosophen und Wissenschaftler der Antike – ein wahres Who is who der Gelehrsamkeit und Weisheit. Angefangen von Sokrates und Pythagoras über Archimedes, Diogenes und Euklid bis hin zu Zarathustra. Sie alle haben sich in Raffaels Schule von Athen versammelt. Eine Schule, die es so übrigens nie gab. Die abgebildeten Persönlichkeiten lebten alle zu unterschiedlichen Zeiten. In der Antike war Athen aber tatsächlich der Ort, an dem sich mehrere Philosophenschulen befanden, in denen die wichtigsten Persönlichkeiten ihrer Zeit zusammenkamen.
Raffael verewigte aber nicht nur die Prominenz der Antike in dem Fresko, sondern, wie schon Giorgio Vasari feststellte, auch die Großen seiner Zeit. So erinnert etwa die prächtige gemalte Renaissance-Architektur, in der sich die Philosophen aufhalten, an Donato Bramantes Entwürfe für die Neugestaltung St. Peters. Und einige der dargestellten Figuren tragen gar die Gesichtszüge von weiteren Renaissance-Persönlichkeiten, wie mehrere Kunsthistoriker nachweisen konnten. Platons Antlitz etwa ähnelt dem von Leonardo da Vinci, und Heraklit, der niedergedrückte Philosoph, der allein an einem Marmorblock hockt und schreibt, hat viel Ähnlichkeit mit Michelangelo. Sogar seine Stiefel sollen denen des grimmigen Genies nachempfunden sein. Aber Raffael wäre nicht Raffael, wenn er sich nicht auch selbst ein Plätzchen im Reigen der Großen gegönnt hätte: Ganz außen, am rechten Bildrand, fast verdeckt von einem weißgekleideten Mann, steht ein Jüngling mit schwarzer Kopfbedeckung. Nachdenklich scheint er einem Gespräch zwischen Ptolemäus, seines Zeichens Geograph und Astronom, und Zoroaster, einem persischen Astronom und Philosophen, zu lauschen. Doch sein Blick geht an ihnen vorbei. Fast schüchtern blickt er nämlich aus dem Gemälde hinaus und uns entgegen – Raffael, der ewig jugendliche geniale Künstler. Sich zur Seite stellte Raffael den Maler Sodoma. Beide malten sie später Fresken in der Villa Farnesina.
Zusammenfassung
Im Jahr 1508 wurde Raffaello Sanzio von Papst Julius II. nach Rom geholt, um die Wände der päpstlichen Gemächer mit Fresken zu schmücken.
Raffael arbeitete zunächst mit anderen Künstlern zusammen, von denen er die Technik der Freskomalerei lernte – die er mit seinem Können aber schon bald in den Schatten stellte.
Der große Michelangelo arbeitete zur selben Zeit wie Raffael im Vatikan, doch wollte er partout keinen Kontakt zu dem beliebten Nachwuchskünstler haben. Er befürchtete zu Recht, dass der ihm seine Ideen klauen könnte.
Das Fresko Die Schule von Athen ist eines von insgesamt vier Gemälden in der sogenannten Stanza della Segnatura und veranschaulicht die Suche nach der Wahrheit.
Auf diesem Wandgemälde hat Raffael alle Geistesgrößen der Antike, aber auch seiner Zeit zusammenkommen lassen und meisterlich zu einem harmonischen Ganzen vereint.
Teste dein Wissen im Quiz
A) 1500
B) 1510
C) 1508
D) 1502
Richtige Antworten:
1. A) Stanza della Segnatura
2. D) Michelangelo
3. C) Platon und Aristoteles
4. A) Renaissance
5. C) 1508