Raffael war nicht nur zu seiner Zeit ein Superstar. In dieser Story erfährst du, wie seine Sixtinische Madonna einige Jahrhunderte später zu einem richtigen Kultbild wurde.
„Macht Platz für den großen Raffael!“ Aufgeregt steigt August III., Kurfürst von Sachsen und König von Polen, von seinem Thron und schiebt den schweren Sessel eigenhändig zur Seite. Endlich ist das Meisterwerk bei ihm! Zwei Jahre lang musste August darauf warten. Zwei lange Jahre des zähen Verhandelns und der diplomatischen Kniffe. Sogar den Papst hat er erst zum Verkauf überreden müssen. Und der endgültige Preis ist auch nicht ohne: Wurde jemals eine solche Summe für ein einzelnes Kunstwerk ausgegeben? Aber das ist dem Fürsten egal. Raffaels bezaubernde Madonna wird seine Gemäldesammlung zu der bedeutendsten im ganzen Land machen … Ach was! Weltberühmt wird sie werden.
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Jetzt runterladen!Dem leidenschaftlichen Kunstliebhaber Kurfürst August III. gelang im Jahre 1754 ein echter Coup. Er holte Raffaels Sixtinische Madonna nach Dresden, wo sie für großes Aufsehen sorgte und schnell zum berühmtesten Gemälde des italienischen Renaissance-Künstlers werden sollte. Dichterfürst Goethe schwärmte, sie sei die „Königin der Frauen“, gemalt von einem „Wunderpinsel“. Über die Jahrhunderte hinweg setzten sich zahlreiche Maler, Schriftsteller, Musiker und Fotografen mit dieser Kultfrau auseinander. Vor allem in Deutschland wurde sie zu einer Ikone! Noch heute ist die Sixtina in der Gemäldegalerie Alte Meister in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) zu bewundern. Der Kurfürst sollte also recht behalten: Raffaels Meisterwerk Die Sixtinische Madonna verhalf seiner Dresdener Sammlung tatsächlich zu Weltruhm - und zwar nachhaltig. Neben Leonardo da Vincis Mona Lisa und Sandro Botticellis Venus gehört sie zu den wohl bekanntesten Frauendarstellungen der Kunstgeschichte.
Aber nicht nur das Gemälde ist außergewöhnlich, sondern auch seine Entstehungsgeschichte. Denn den Auftrag für das Gemälde bekam Raffael von – nun ja – von fast ganz oben …
Es war im Jahr 1512, als Papst Julius II. mit einem besonderen Auftrag an Raffael herantrat. Seit fast vier Jahren war dieser junge Maler schon in seinen Diensten und schmückte die Wände der päpstlichen Gemächer in Rom mit herrlichen Fresken. Nun wollte der Heilige Vater der Klosterkirche San Sisto ein Gemälde schenken, um der Stadt Piacenza seinen Dank auszudrücken. Immerhin hatte sie ihm geholfen, die französischen Truppen abzuwehren, und sich wieder dem Vatikan angeschlossen. Dieser Bund sollte nun feierlich besiegelt werden – mit einem Gemälde des hochtalentierten Raffael. Der Papst wünschte sich von ihm ein Madonnenbildnis für den Hochaltar von San Sisto.
Sofort machte sich Raffael an die Arbeit und schuf das gut 5 Quadratmeter große Ölgemälde. Doch statt wie damals üblich auf Holztafeln zu malen, hatte er eine Leinwand verwendet. Vermutlich, weil das Malen auf Leinwand schneller ging. Vor allem aber lässt sich ein solches Gemälde leichter transportieren. Immerhin musste das Werk ja mehr als 500 Kilometer zurücklegen. Sein Zielort, die Kirche San Sisto, war dem heiligen Sixtus geweiht. Daher auch der Name des Gemäldes: Die Sixtinische Madonna. Raffael hat diesen heiliggesprochenen Papst aus dem 3. Jahrhundert auf seinem Gemälde verewigt, ihm allerdings die Züge seines Auftraggebers verliehen. Inklusive Rauschebart. Die Wahl war auch auf ausgerechnet dieses Heiligen gefallen, um auf eine familiäre und historische Verbindung des aktuellen Papst Julius II. hinzuweisen: denn sein Onkel war unter dem Namen Papst Sixtus IV. bekannt geworden.
Im Zentrum des Gemäldes aber steht dennoch sie: die Madonna.
Tatsächlich war Raffael schon zu Lebzeiten bekannt für seine wunderbaren Madonnenbilder. Während seiner zwanzigjährigen Schaffenszeit widmete er sich immer wieder diesem Thema. Wie kein anderer schaffte er es, seinen realistisch gestalteten Figuren ein gefühlvolles Seelenleben einzuhauchen, dass jeden Betrachter berührte. Seine Madonnen, Jesusknaben und Heiligen wohnt etwas überaus Menschliches inne – sie sind keine starren Figuren mehr, wie sie einst Perugino, Raffaels Lehrer, gemalt hatte, sie sind auch keine fernen Lichtgestalten mehr, sondern Wesen wie du und ich.
Anmutig schwebt die Gottesmutter auf einer flauschigen Wolke. Der dunkelgrüne Samtvorhang, der unsere alltägliche Welt von der göttlichen zu trennen scheint, ist zur Seite gezogen, um den Blick auf diese himmlische Erscheinung freizugeben. Dieser gemalte Vorhang erinnerte an die damalige Praxis, Altäre zeitweise zu verhüllen bzw. zu enthüllen: Das alltäglich Irdische und das göttliche Himmlische können so zusammenkommen oder wieder getrennt werden. Wie bei einer Theaterbühne konnte der Vorhang für die Messen effektvoll zur Seite gezogen werden.
Ein wunderschönes Geschöpf ist Raffaels Madonna, doch ihr zartes Gesicht drückt Sorge aus; still und melancholisch ist ihr Blick. Um ihren Kopf bauscht sich der Schleier im Wind, während sie das Jesuskind schützend in ihren Armen hält. Das Sinnbild der Mutterliebe. Vertrauensvoll schmiegt sich der Kleine an sie. Aber auch er blickt ernst: Kann seine Mutter ihn wirklich beschützen?
Zur Rechten der Madonna kniet der heilige Papst Sixtus, zu erkennen an der Papstkrone. Sichtlich erschüttert betrachtet er Mutter und Kind, denn er weiß, welches Schicksal den Sohn Gottes erwartet. Und so zeigt seine rechte Hand denn auch auf etwas, das jenseits des Bildes ist: auf das Kreuz, das dem Gemälde ursprünglich gegenüber hing. Damit erklären sich auch die sorgenvollen Mienen von Mutter und Kind: Sie blicken dem Schicksal entgegen, das unausweichlich auf Jesus wartet – der Opfertod am Kreuz. Geschickt hat Raffael sein Kunstwerk auf diese Weise mit dem Kirchenraum verbunden. In ihrem Ausstellungsraum im Dresdner Zwinger fällt diese Verbindung von Kunst und Architektur jedoch weg.
Doch wer ist die hübsche junge Frau, die links von Maria kniet? Nun, es handelt sich um die heilige Barbara, deren Überbleibsel in der Kirche San Sisto verwahrt sind. Die beiden Heiligen und Maria mit dem Kind bilden eine Art Pyramide: Oben die Gottesmutter, zu ihren nackten Füßen der heilige Sixtus und die heilige Barbara. So ein geometrischer Bildaufbau war typisch für Gemälde der Hochrenaissance und wurde von Raffael auch deshalb geschätzt, weil er seinen Werken damit die gewünschte Symmetrie und Harmonie verleihen konnte.
Erst auf den zweiten Blick entpuppen sich die scheinbaren Wölkchen im Hintergrund der Sixtinischen Madonna von Raffael als lauter kleine Engelsköpfe, die Maria und das Jesuskind umhüllen. Eine malerische Meisterleistung. Sehr gut zu erkennen sind hingegen zwei pausbäckige Engelchen am unteren Bildrand. Es sieht aus, als lümmelten sie am Bühnenrand, während sie der Szene darüber zuschauen. Sie wirken wie Mittler zwischen Himmel und Erde. Ihre Flügelchen machen sie zu himmlischen Wesen, ihre Haltung aber zu kleinen Menschenkindern. Gütig blickt die heilige Barbara auf die beiden Putten hinab. Doch die Lausbuben scheinen sich zu langweilen. Oder denken sie darüber nach, was sie als nächstes anstellen könnten? Ihnen fehlt die Ernsthaftigkeit der vier anderen Figuren. Raffael ist es tatsächlich gelungen, die christliche Botschaft in seinem Gemälde mit einer Prise Humor zu würzen: Nicht nur die beiden gelangweilten Engel lockern das Ganze auf, sondern auch die viel zu dünne Gardinenstange, die sich unter dem Gewicht des schweren Vorhangs biegt. Wie irdisch wäre es doch, wenn sie am Ende brechen würde. Die beiden Engelbengel fänden es bestimmt zum Kugeln …
Die beiden spitzbübischen Engel vom unteren Bildrand machten dann auch eine ganz eigene Karriere. Losgelöst von der Madonna und den zwei Heiligen wurden sie zu einem beliebten Bildmotiv und ihre Reproduktionen finden sich schier überall. Heute hocken sie auf Tassen, Bettwäsche, Regenschirmen und natürlich in Poesiealben.
Um Raffaels Kultbild vor den Wirren des Zweiten Weltkriegs und einer möglichen Zerstörung zu schützen, versteckte man das Gemälde in einem Eisenbahntunnel bei Großcotta. Zwar überstand das Werk des Meisters aus Florenz den Krieg dort unbeschadet in einer Holzkiste, die mit Vorhängeschlössern gesichert war, doch wurde sie dort nach dem Krieg von sowjetischen Truppen gefunden. Zusammen mit anderen Kunstschätzen, die in Tunneln und Steinbrüchen versteckt wurden, brachte man Die Sixtinische Madonna dann nach Moskau. Dort wurde sie restauriert und ausgestellt, bevor sie im Sommer 1955 die Heimreise nach Dresden antrat.
Im August 2022 machte die Sixtina dann erneut Schlagzeilen: Mitglieder der Letzten Generation klebten sich an den Rahmen des Meisterwerkes um auf den Klimawandel und seine Folgen aufmerksam zu machen. Das Gemälde blieb unbeschadet.
Zusammenfassung
Raffaels Gemälde Die Sixtinische Madonna war ein Auftragswerk von Papst Julius II. und wurde im Jahr 1513 für die neue Klosterkirche in Piacenza gemalt.
Die Klosterkirche war dem heiligen Sixtus geweiht. Nach ihm ist Raffaels Madonnenbildnis benannt.
Maria und das Jesuskind stehen im Mittelpunkt des Bildes. Flankiert werden sie von den zwei Heiligen Sixtus und Barbara. Dieser pyramidenartige Bildaufbau ist typisch für Raffael und die Hochrenaissance.
Im Jahr 1754 kaufte Kurfürst August III. das Gemälde für einen horrenden Preis und holte es zu sich nach Dresden. Dort ist es noch heute zu bewundern.
Ein Detail des Gemäldes machte eine eigenständige Karriere: Die beiden Engel am unteren Bildrand sind heute ein beliebtes Motiv für alles, was sich bedrucken lässt.
Teste dein Wissen im Quiz
A) Bergwerk Altaussee
B) Eisenbahntunnel bei Großcotta
C) Schloss Neuschwanstein
D) Bankgebäude in Zürich
Richtige Antworten:
1. C) Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden
2. A) Julius II.
3. C) Klosterkirche San Sisto, Piacenza
4. D) Madonna und Jesuskind
5. B) Eisenbahntunnel bei Großcotta