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Sokrates

Er lehrte den Zweifel
“Socratis Abschied”( Sokrates trinkt den Schierlingsbecher). Kupferstich von Matthäus Merian d. Ä.(1593–1650). Aus: Johann Ludwig Gottfried, Historische Chronica, Frankfurt a. M. (M.Merian) 1630, S. 143; spätere Kolorierung.
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Intro

Wusstest du, dass der große Philosoph Sokrates wusste, was er alles nicht wusste? „Ich weiß, dass ich nicht weiß“, hat er gesagt. In dieser Story erfährst du, was er mit diesem berühmten Ausspruch wirklich gemeint hat, und warum er für die herrschenden Politiker deswegen eine Bedrohung darstellte.

Kapitel 1: Der Tod ist besser als das falsche Leben

Sokrates weiß, dass er gleich sterben wird. Er ist bei vollem Bewusstsein, als das Gift des Schierlingsbechers zu wirken beginnt. Noch spürt er nur ein Brennen im Hals und ein leichtes Taubheitsgefühl in den Lippen. In wenigen Augenblicken wird das Nervengift in sein Rückenmark kriechen. Es wird erst die Füße, dann die Beine, schließlich Unterleib, Brust und Atem lähmen. Sokrates wird ersticken – bei vollem Bewusstsein.

Mit zusammengekniffen Augen blickt er auf den Becher in seinen Händen. Immerhin: Wer kann schon seinen eigenen Tod bewusst erfahren? Und steckt nicht in jeder Grausamkeit, selbst im eigenen Tod, eine Erkenntnis? Sokrates schaut sich in seiner Zelle um. Seit Wochen wird er hier gefangen gehalten. Bis zuletzt haben seine Freunde ihn zur Flucht überreden wollen. Ha! Flucht?! Nein, nein. Das wäre unrecht, und Unrecht tun ist schlimmer als Unrecht erleiden. Und überhaupt: Es geht doch nicht um ihn. Es geht um Gerechtigkeit, darum, zweifeln zu dürfen – an sich, an der Welt, an allem. Schon bei Gericht hätte er statt des tödlichen Giftes die Verbannung wählen können – und was dann? Nein, selbst der Tod ist erträglicher als ein falsches Leben. Das Gift wirkt. Und Sokrates weiß, dass er jetzt sterben muss. Nicht, weil es seine Feinde so wollen, sondern weil er die Neugier, die Gerechtigkeit, ja, weil er den Zweifel über alles stellt – sogar über das eigene Leben ...

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Kapitel 2: Wissen, was man nicht weiß

Sokrates war 70 Jahre alt, als er im Jahr 399 vor Christus in einem Athener Gefängnis im Beisein seiner engsten Freunde den Becher mit dem tödlichen Gift nahm. Das Volksgericht im Stadtstaat Athen hatte ihn dazu verurteilt. Dabei war er doch eigentlich nur ein einfacher Steinmetz. Ein harmloser, alter Mann mit weißem Bart, der nichts weiter tat, als über die öffentlichen Plätze Athens zu schlendern und den Menschen Fragen zu stellen. Das konnte er nämlich besonders gut: Fragen stellen. Manchmal naiv, meist fordernd, aber immer auf den Punkt. Und er tat es nicht in den Studierzimmern, sondern auf der Agora, dem zentralen Versammlungs-, Fest- und Marktplatz Athens. Er tat es in den Straßen, in den Bogengängen der öffentlichen Gebäude und an den Schanktischen. Er lehrte Männer und Frauen gleichermaßen. Überall, wo Menschen zusammenkamen, da war auch Sokrates. Mitten in der Öffentlichkeit verwickelte er vorzugsweise ehrgeizige Nachwuchspolitiker in Widersprüche und zeigte ihnen auf, wie viel ihnen noch an Verständnis für die inneren und äußeren Belange des Staatswesens fehlte.

Mit seiner endlosen Fragerei wollte Sokrates niemanden in ein schlechtes Licht rücken, er wollte sich auch nicht im Rededuell als überlegen erweisen. Ihm ging es um nichts als die Wahrheit, weil er die Wahrheit über alles stellte – sogar über sein eigenes Leben. Deshalb gab er sich auch nie mit einer bestimmten philosophischen Lehre zufrieden.

„Ich weiß, dass ich nicht weiß“: Dieser von seinem Schüler Platon überlieferte Ausspruch ist der Kern seiner Philosophie. Sokrates war überzeugt: Nur wer erst einmal davon ausgeht, eigentlich nichts zu wissen, kann zu echter Erkenntnis gelangen. Denn bevor ein neuer Gedanke entstehen kann, muss der alte erst einmal bezweifelt werden. Sokrates wusste: Jeder Erkenntnis geht ein Zweifel voraus. Er lehrte also den Zweifel – und genau darin sollten die führenden Politiker Athens bald die größte Bedrohung sehen.

Kapitel 3: Geburtshelfer der Erkenntnis

Nicht nur das Infragestellen überkommener Gewissheiten brachte Sokrates Ärger ein, sondern auch die Art und Weise, wie er es tat. Sokrates war kein Philosoph im klassischen Sinne – er verfasste keine wortgewaltigen und in sich geschlossenen Theoriegebäude. Dadurch aber, dass er sich selbst als jemanden verstand, der es nicht besser weiß als die anderen, wurde er dennoch zu einem großartigen Lehrer. Und er hatte eine ziemlich schlaue Methode: Eine Fragetechnik. Sokrates, Sohn einer Hebamme, nannte sie passender Weise „Mäeutik“, zu deutsch „Hebammenkunst“. Er vermittelte Erkenntnis nicht durch Belehrung, sondern brachte sein Gegenüber durch gezielte Fragen dazu, selbst zur Erkenntnis zu gelangen. Er half ihm bei der „Geburt“ eines Gedankens. 

Das bedeutet für die Philosophie des geistigen Geburtshelfer Sokrates aber auch, dass es nie eine absolute, unumstößliche Wahrheit geben konnte. War ein Gedanke erst einmal in der Welt, musste auch dieser hinterfragt werden. Für Sokrates war Wissen also immer ein Wissen auf Zeit. Wissen war ein Erkenntnisprozess mit offenem Ende. Ein Prozess, an dessen Anfang für Sokrates der immer wiederkehrende Grundsatz stand: „Ich weiß, dass ich nicht weiß.“ 

Sokrates’ Philosophie bestand also nicht darin, eine Theorie zu entwickeln, die über jeden Zweifel erhaben war. Nein. Seine Theorie war der Zweifel selbst. Sein Leben und seine Philosophie waren beherrscht von der Frage, worin das gute – das richtige – Leben besteht. In jungen Jahren hatte er die Schriften der berühmten Denker seiner Zeit studiert, doch sie konnten ihm keinen Aufschluss darüber geben. Auch und gerade die sogenannten „Sophisten“ – sie waren so etwas wie Privatlehrer, die gegen Bezahlung Unterricht in vielen Wissensgebieten gaben – befragte er eindringlich. Doch wenn es um Fragen ging wie: Was ist Gerechtigkeit? Was ist Tugend? Was ist  moralisch richtiges Handeln? – dann mussten alle irgendwann passen. Sie verwickelten sich in Widersprüche, und Sokrates gewann den Eindruck, dass niemand allgemeingültige Definitionen dieser Begriffe geben konnte.

Kapitel 4: Ein rätselhafter Orakelspruch

Warum aber zog Sokrates mit seiner Methode des Philosophierens so viel Unmut auf sich? Sein Schüler Platon erklärte dies durch die folgende Geschichte: Eines Tages habe einer seiner Freunde das berühmte Orakel des Gottes Apollon gefragt, ob es jemanden gebe, der weiser sei als Sokrates. Das Orakel antwortete: Niemand ist weiser als Sokrates. Der reagierte verwirrt: Er, der NICHT weiß, soll der Weiseste sein? Um die Behauptung des Orakels auf die Probe zu stellen, suchte er die angeblich weisesten Männer auf, die er kannte, insbesondere solche, die selbst viel von ihrem Wissen und ihrer Weisheit hielten. Und er löcherte sie mit den grundlegendsten und schwierigsten Fragen – und bekam natürlich wieder keine zufriedenstellenden Antworten. Da verstand Sokrates den Sinn des Orakelspruchs: Er selbst wusste nicht MEHR als all die weisen Männer seiner Zeit. Doch im Gegensatz zu ihnen wusste er immerhin, was er NICHT wusste.

Die Ausgefragten aber, alles politisch einflussreiche Männer, fühlten sich bloßgestellt – und das auch noch von einem Sonderling, der so gar keinen Wert auf gesellschaftliches Ansehen, ja noch nicht einmal auf eine gepflegte Erscheinung legte. Von einem Mann, der keine Angst davor hatte, sich mit seiner endlosen Fragerei lächerlich zu machen. Sein Spruch vom Wissen über das Nichtwissen provozierte die Weisen und Gelehrten seiner Zeit. Und: Wenn dieser Mensch alles in Frage stellte – würde er nicht irgendwann auch die gesellschaftliche Ordnung umstürzen? Also klagten sie ihn an.

Kapitel 5: Recht und Unrecht

Wie unbeliebt sich der große Zweifler bei einigen seiner Zeitgenossen gemacht hatte, zeigt eine 423 v. Chr. uraufgeführte Komödie namens „Die Wolken“ aus der Feder des Dichters Aristophanes. Darin streiten die Anwälte der „rechten“ (guten) Sache und der „unrechten“ (schlechten) Sache in einer wüsten Auseinandersetzung darüber, wessen Lehre die bessere ist. Die Figur des Sokrates schwebt an einem Bühnenkran ins Geschehen ein, wird von einem Chor als „Erhabenheitsschwätzer“ beleidigt und als Spottbild eines verrückten Wissenschaftlers dargestellt. Am Ende der Komödie gewinnt die unrechte Seite: Ein Sohn ermordet seinen Vater.

Das Stück war zwar satirisch gemeint, ließ aber bereits die Vorurteile und Vorwürfe anklingen, die Jahre später zu Sokrates’ Gerichtsprozess und Verurteilung führen sollten: Er missachte die Götter und verderbe die Jugend. Sokrates hingegen war der Überzeugung, dass wirkliche Erkenntnis nur im Austausch, im Dialog gewonnen werden konnte – und zwar mitten im Herzen der Attischen Demokratie: auf den öffentlichen Plätzen von Athen.

Das gegen ihn verhängte Urteil wegen „Gottlosigkeit“ und „Verführung der Jugend“ akzeptierte Sokrates nicht; vor Gericht hatte er umfassend belegt, wie haltlos die Anklage gegen ihn war. Andererseits lehnte er das Angebot seines Freundes Kriton ab, ihm zur Flucht zu verhelfen. Denn das hätte seinen persönlichen Werten widersprochen: Er hielt es für unrecht, sich der Hinrichtung durch Flucht zu entziehen, auch wenn das Urteil noch so ungerecht war.

Seine letzten Tage verbrachte der Verurteilte in seiner Gefängniszelle im Kreis seiner Schüler und Freunde bei Erörterungen philosophischer Fragen. Er starb für seine Überzeugung, und seinem Schüler Platon zufolge ging er vollkommen ruhig und gleichmütig in den Tod. Die Hinrichtungsszene sollte über Jahrhunderte hinweg ein beliebtes Motiv in der Kunst werden; unter anderem findet sie sich im Ölgemälde „Der Tod des Sokrates“ von Jacques-Louis David aus dem Jahr 1787.

Kapitel 6: Sein Vermächtnis

Sokrates hinterließ Unsterbliches: die Neugier, den Zweifel, die großen Fragen nach dem gerechten Leben. Aus einem alten, etwas wunderlichen Mann, der auf Marktplätzen Athens zu viele Fragen stellte, war der bedeutendste Philosoph der Antike geworden. Er gilt sogar als der Gründervater der abendländischen Philosophie. Und dass, obwohl er selbst vermutlich nicht einen einzigen Gedanken aufgeschrieben hat. 

Das aber taten glücklicherweise seine Schüler. Was wir heute über das Leben und Denken dieses herausragenden Philosophen wissen, beruht auf den Schriften anderer Philosophen nach ihm. Besonders seine Schüler Platon und Xenophon sorgten dafür, dass Sokrates‘ Lehren nie in Vergessenheit geraten sollten. Dazu hielten sie unter anderem seine Fragen und Antworten in den sogenannten Sokratischen Dialogen für die Nachwelt fest.

Dazu gehört auch die Verteidigungsrede, mit der Sokrates seinen Richtern während seines Prozesses im Jahr 399 v. Chr. nachwies, dass sie in allen Punkten der Anklage im Unrecht seien. Diese „Apologie des Sokrates“ wurde von Platon in literarischer und teils fiktiver Form verfasst. Sie gilt als das bedeutendste überlieferte Werk aus der Frühzeit der klassischen griechischen Philosophie.

Den Tod des Sokrates schildert Platon in seinem Dialog „Phaidon“, das inmitten einer erzählenden Rahmenhandlung das letzte Gespräch des Verurteilten mit seinem Philosophenkollegen Phaidon von Elis und einigen seiner Schüler wiedergibt. Und dieser Dialog hat es in sich, geht es darin doch um nichts Geringeres als die „unsterbliche Seele“! In Platons „Phaidon“ begründet Sokrates in den letzten Stunden vor seiner Hinrichtung, dass der Tod etwas Gutes sei: nämlich die Befreiung der Seele von dem vergänglichen Leib, in dem sie gefangen war. Und noch etwas ließ Sokrates zuversichtlich in den Tod gehen: Er hatte stets nach seiner Überzeugung gelebt, dass die Entscheidungen und Taten des Menschen nicht nur sein irdisches Dasein beeinflussten, sondern auch alles, was seiner Seele im Jenseits widerfahren werde. Folglich müsse der Mensch sein Leben lang danach streben, so gut wie nur möglich zu sein. Ein Aspekt, der sich bis heute in sämtlichen Glaubenslehren rund um den Erdball wiederfindet.

Und auch die europäischen Aufklärer des 17. und 18. Jahrhunderts schätzten den antiken Philosophen, für den Erkenntnisgewinn stets ein offener Prozess war. Der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau schrieb über Sokrates: „Dieser gerechte Mann würde unsere eitlen Wissenschaften verachten!“

Zusammenfassung

  • Sokrates war ein berühmter Philosoph im antiken Griechenland, der als Gründervater der modernen Philosophie gilt.

  • Er musste sterben, weil er alles hinterfragte und Athens Politiker in ihm eine Gefahr für die bestehende Ordnung sahen.

  • Im Zentrum seines Denkens stand der Zweifel: „Ich weiß, dass ich nicht weiß.“ Hinterfragen war für Sokrates die Grundvoraussetzung allen Wissens.

  • Sokrates’ Methode war es, durch gezieltes Nachfragen zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Das nannte er Hebammentechnik. Er half seinem Gegenüber bei der Geburt eines neuen Gedankens.

  • Sokrates war ein Philosoph ohne Werk. Alles, was wir heute wissen, wissen wir durch die Schriften seiner Schüler – unter anderem durch Platon.

Teste dein Wissen im Quiz

  1. Wer war Sokrates?
    1. A) Ein spartiatischer Feldherr
    2. B) Ein persischer Baumeister
    3. C) Ein römischer Konsul
    4. D) Ein griechischer Philosoph
  2. Wie starb Sokrates?
    1. A) Bei einem Schiffsunglück
    2. B) Durch das Schwert
    3. C) Am Schierlingsbecher
    4. D) An Altersschwäche
  3. Wie nennt sich die spezielle Fragetechnik, mit der Sokrates seine Philosophie lehrte?
    1. A) Minuskel
    2. B) Mäeutik
    3. C) Mäander
    4. D) Mähen
  4. In welcher Form wurden philosophische Lehren des Sokrates überliefert?
    1. A) Sokratische Dialoge
    2. B) Stein von Rosetta
    3. C) Apokryphe
    4. D) Personenbezogene Daten
  5. Was ist eine Apologie?
    1. A) Ein Satzzeichen
    2. B) Ein Evangelium, das nicht in der Bibel steht
    3. C) Ein Monument in den USA
    4. D) Eine Verteidigungsrede oder -schrift

Richtige Antworten: 
1. D) Ein griechischer Philosoph
2. C) Am Schierlingsbecher
3. B) Mäeutik
4. A) Sokratische Dialoge
5. D) Eine Verteidigungsrede oder -schrift

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