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Soziale Marktwirtschaft

Die optimale Wirtschaftsordnung?
Portrait Ludwig Erhard
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Inhalte

Intro

Ja, Ordnung muss sein. Aber welche? Das fragten sich auch die Deutschen nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Die freie Marktwirtschaft hatte 1929 in eine Weltwirtschaftskrise geführt, die Planwirtschaft nach sowjetischem Muster in die Diktatur. Ein dritter Weg musste her!

Kapitel 1: Schwarz auf Weiß

Deutschland im Sommer 1949. Alfred eilt durch die dunklen Gänge der Druckerei. Er ist Schriftsetzer, und in fünf Minuten beginnt seine Schicht. Die Zeitung von morgen ist sein täglich Brot. Viel geschlafen hat Alfred nicht. Wieder einmal hat er die halbe Nacht damit verbracht, den Schmuck seiner Oma gegen eine Extraration Kartoffeln zu tauschen. Dafür muss er jedes Mal raus aufs Land. Aber er hat keine Wahl. Von den 250 Mark Monatslohn ist Mitte des Monats kaum etwas übrig. Endlich hat Alfred die große Halle mit den Setzmaschinen erreicht. An seiner Maschine angekommen atmet er tief durch, wischt sich den Schweiß von der Stirn, greift mit der einen Hand zum Setzkasten und mit der anderen zum Winkelhaken. Geübt setzt er die Titelseite der morgigen Ausgabe. Bleibuchstabe für Bleibuchstabe. In dem Artikel geht es um die Partei CDU. Sie verkündet ihr Wahlprogramm für die anstehende Bundestagswahl. Na, prost Mahlzeit, denkt Alfred. Ihm knurrt der Magen. Nur noch schnell die Überschrift setzen: „S...o...z...i...a...l...e Marktwirtschaft statt Planwirtschaft.“ Zack, fertig, doch, Moment mal. Alfred hält inne. Soziale Marktwirtschaft? Was, bitteschön, soll das denn sein?

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Kapitel 2: Der dritte Weg

Dass der Schriftsetzer Alfred im Sommer 1949 noch nie etwas von einer sozialen Marktwirtschaft gehört hatte, ist kein Wunder. Denn der Politiker Ludwig Erhard, der diesen Begriff populär gemacht hat, musste damals erst einmal seine eigene Partei von dieser Wirtschaftsform überzeugen. Das hatte er auf einem CDU-Parteitag 1948 getan. Damals war die CDU nämlich alles andere als ein glühender Anhänger der Marktwirtschaft. Ja, man mag es aus heutiger Sicht kaum glauben, aber die konservative Partei träumte von einem „christlichen Sozialismus“. Ab 1948 aber setzte sich der marktwirtschaftliche Flügel um Ludwig Erhard durch. Erhard war allerdings kein Verfechter einer reinen Marktwirtschaft; er wollte keinen Laissez-Faire-Liberalismus im Sinne von Adam Smith – getreu dem Motto: Der Markt wird es schon richten. Und eine zentrale Planwirtschaft mit verstaatlichten Produktionsmitteln nach sowjetischem Vorbild wollte Erhard erst recht nicht. Stattdessen setzte er auf einen dritten Weg, auf eine Marktwirtschaft mit sozialem Ausgleich: eine soziale Marktwirtschaft. 

Aber was heißt das eigentlich genau? Nun, eine Marktwirtschaft wird von Angebot und Nachfrage gelenkt, und der Preis signalisiert Verbrauchern und Unternehmen, was sie kaufen und was sie produzieren sollen. Diesen Mechanismus will auch die soziale Marktwirtschaft beibehalten, aber die Probleme des absolut freien Markts sollen durch den Staat ausgeglichen werden. 

Das bedeutet, dass der Staat mit seiner Ordnungspolitik die Rahmenbedingungen im Wirtschaftssystem festlegt, um schädliche Konjunkturschwankungen zu vermeiden. Mehr noch: Der Staat kann auch aktiv in das Marktgeschehen eingreifen. Zerstörerischer Wettbewerb auf Kosten der Arbeiter oder der Umwelt soll auf diese Weise verhindert werden. Die Tarifautonomie, also das Recht der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, eigenständig Tarifverträge auszuhandeln, ist übrigens direkt im Grundgesetz der Bundesrepublik verankert.

Zu den Aufgaben des Staates gehört es außerdem, Preisabsprachen sogenannter Kartelle und eine zu große Marktmacht einzelner Unternehmen zu verhindern. Und wer nicht selbst für sich sorgen kann, dem soll die Gemeinschaft mittels der Sozialversicherungen helfen. Kurz gesagt: Das Ziel der sozialen Marktwirtschaft ist es, ein optimales Gleichgewicht zwischen Markt und Mensch zu finden. Sie soll für fairen Wettbewerb, soziale Gerechtigkeit und für soziale Sicherheit sorgen. Soziale Marktwirtschaft heißt also: So viel Staat wie nötig und so viel Markt wie möglich!

Mit dieser Idee überzeugte Erhard erst seine Partei und dann auch die Mehrheit der Deutschen. Die CDU gewann den Wahlkampf 1949. Sie wurde stärkste Partei und Konrad Adenauer der erste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Und Ludwig Erhard? Der Mann mit Zigarre wurde Wirtschaftsminister und der Inbegriff des deutschen Wirtschaftswunders...

Kapitel 3: Wohlstand für alle

Dass sich die Wirtschaftsordnung einer Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland etabliert hat, war jedoch nicht selbstverständlich. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg fehlte es im Land an so gut wie allen Gütern. Die Verwaltung des Mangels stand deshalb an oberster Stelle. Umgesetzt wurde sie mithilfe der Zentralverwaltungswirtschaft oder auch „Zwangswirtschaft“, die noch aus der Zeit der Nationalsozialisten stammte und nach Kriegsende zunächst fortgeführt wurde. 

Das aber änderte sich mit Ludwig Erhard, der von 1963 bis 1966 Bundeswirtschaftsminister war. 

Erhard wurde Ende des 19. Jahrhunderts in Fürth geboren und seine Karriere war stark von den beiden Weltkriegen beeinflusst. Da er 1918 schwer verwundet worden war, konnte er nicht mehr im Geschäft der Familie arbeiten und widmete sich stattdessen der ökonomischen Forschung. Nach dem Zweiten Weltkrieg galt Erhard bereits als Wirtschaftsexperte. Er war 1945 Wirtschaftsminister in Bayern geworden und stieg schließlich zum „Direktor der Verwaltung der Wirtschaft der drei westlichen Besatzungszonen” auf und rief 1948 das „Ende der Zwangswirtschaft“ aus. Waren Preise und Löhne bisher mithilfe eines riesigen bürokratischen Apparates festgelegt worden, so waren die meisten Güter in Deutschland von nun an den Kräften des Markts unterworfen. Von nun an war eine freie Preisbildung möglich. Die Grundsatzentscheidung für eine Marktwirtschaft in Deutschland war somit getroffen. 

Erhards Wirtschaftsreformen trugen zu einem wirtschaftlichen Aufschwung bei, der heute auch als deutsches Wirtschaftswunder bezeichnet wird. Deshalb gilt Ludwig Erhard als Vater dieses Wunders. Ein Wunder, das es allerdings ohne die Amerikaner nie gegeben hätte. Ihr Marshallplan – ein europaweites Wirtschaftsförderungsprogramm – und natürlich die Währungsreform mit Einführung der D-Mark machten den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft erst möglich. Die Grundlagen für den beispiellosen Aufschwung legte schließlich die von Erhard propagierte soziale Marktwirtschaft. Erfunden aber hat er sie nicht…

Kapitel 4: Ein Wunder mit vielen Vätern

Die Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft gehen zurück auf die sogenannte Freiburger Schule. In den 1930er Jahren entwickelte Walter Eucken zusammen mit anderen Ökonomen den sogenannten Ordoliberalismus, der dir vielleicht eher als Neoliberalismus bekannt ist. Die Freiburger Wissenschaftler haben also den klassischen Liberalismus – wie wir ihn bei Adam Smith kennengelernt haben – weiterentwickelt. Schließlich hatten Walter Eucken und Co. während der Weltwirtschaftskrise nach 1929 erlebt, was ein ungezügelter Kapitalismus alles anrichten kann. Und genau daraus zogen sie ihre Lehren. Zwar hielten sie weiterhin an den Grundsätzen einer freien Marktwirtschaft fest, kamen aber zu der Überzeugung, dass bestimmte Eingriffe in den Markt durchaus notwendig sind. Ihr Liberalismus brauchte einen rechtlichen Rahmen, eine Ordnung, was im Lateinischen Ordo heißt. Und diese ordnende Hand im Ordoliberalismus war der Staat. 

Auf diesem Prinzip basiert auch die soziale Marktwirtschaft. Walter Eucken und Co. waren somit ihre Vordenker, Ludwig Erhard setzte sie in die Konjunkturpolitik um. Dabei half ihm allerdings ein weiterer Mann: der Wirtschaftsprofessor Alfred Müller-Armack. Als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium tüftelte er die neue Wettbewerbsordnung für die entstehende Bundesrepublik Deutschland aus. Auf Müller-Armack geht im Übrigen auch der Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ zurück. Doch sie wird immer mit dem Namen Ludwig Erhard verbunden sein. Denn sein Slogan „Wohlstand für alle!“ war es, der das Thema soziale Marktwirtschaft in der deutschen Bevölkerung populär machte. So wurde Erhard zum Sinnbild des Aufschwungs – und im Jahr 1963 sogar Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland.

Zusammenfassung

  • Die soziale Marktwirtschaft wurde in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg von Wirtschaftsminister Ludwig Erhard und dessen Staatssekretär Alfred Müller-Armack eingeführt.

  • Sie vereinigt die Vorteile des freien Markts mit den sozialen Zielen der Gesellschaft. Nach dem Motto: „So viel Staat wie nötig, so viel Markt wie möglich.“

  • Das Konzept geht zurück auf die Freiburger Schule um den Wirtschaftswissenschaftler Walter Eucken. Der dort entwickelte Ordoliberalismus zog die Lehren aus der Weltwirtschaftskrise 1929. 

  • Im Nachkriegsdeutschland trug die soziale Marktwirtschaft zum Wirtschaftswunder bei und somit zu dem hohen Lebensstandard, den wir heute kennen.

  • Die soziale Marktwirtschaft gibt es heute in den meisten Ländern der Europäischen Union.

Teste dein Wissen im Quiz

  1. In welchem Jahr wurde die sogenannte Zwangswirtschaft in Westdeutschland abgeschafft?
    1. A) 1945
    2. B) 1948
    3. C) 1984
    4. D) 1967
  2. Wie heißt der Wirtschaftsminister, der die soziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik einführte?
    1. A) Konrad Adenauer
    2. B) Helmut Kohl
    3. C) Hans-Dietrich Genscher
    4. D) Ludwig Erhard
  3. Mit welchem Slogan wurde die soziale Marktwirtschaft in Deutschland beworben?
    1. A) „Lebe deinen Traum“
    2. B) „Ein Herz für Kinder“
    3. C) „Wohlstand für alle“
    4. D) „Keine Macht für Niemand“
  4. Auf welcher Wirtschaftstheorie fußt das Konzept der sozialen Marktwirtschaft?
    1. A) Ordoliberalismus
    2. B) Laissez-faire-Liberalismus
    3. C) Ordosozialismus
    4. D) Kommunismus
  5. Welcher Partei gehörte Ludwig Erhard an?
    1. A) SPD

    2. B) CDU

    3. C) FDP

    4. D) KPD

Richtige Antworten: 
1. B) 1948
2. D) Ludwig Erhard 
3. C) „Wohlstand für alle“
4. A) Ordoliberalismus
5. B) CDU

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