Verbote und Schikanen im Deutschen Bund ließen viele Bürger ins Private flüchten. Biederkeit machte sich breit – im Alltag, in der Literatur und in der Kunst. Und genau so wird diese zum Vormärz gehörende Epoche auch genannt: Biedermeierzeit. Woher der Name kommt und wer trotzdem weiter für Einheit und Bürgerrechte kämpfte, hörst du in dieser Story.
Er ist zufrieden mit seiner kleinen, geordneten Welt, auch wenn ihn seine Schüler in der Dorfschule manchmal ärgern und ihre Väter auf ihn herabsehen. Das stört Gottlieb Biedermaier nicht, solange er nur zu Hause seine Ruhe hat. Seine bescheidenen Mahlzeiten bessert er mit Gemüse aus dem kleinen Garten auf und dichtet in lauen Abendstunden artige Verse, die er dann in einer Humorzeitschrift veröffentlicht. Das politische Treiben ist ihm völlig gleichgültig, ihm genügt sein trautes Heim zum Glück. Hier fühlt er sich sicher und geborgen.
Ja, dieser Gottlieb Biedermaier ist ein ganz besonders akkurater Durchschnittsdeutscher. Und das Beste an ihm: Es hat ihn nie gegeben! Der Schriftsteller Ludwig Eichrodt und sein Studienfreund Adolf Kußmaul haben sich diesen braven Dorfschullehrer schlicht ausgedacht. Unter dem erfundenen Namen Gottlieb Biedermaier verhöhnen die beiden in den 1850er Jahren in ihren Spottgedichten den spießigen deutschen Kleinbürger. Und dessen Eigenschaften werden im Nachhinein zum Merkmal einer ganzen Epoche. Sie erhält sogar seinen Namen: Biedermeier!
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Jetzt runterladen!Was war nur aus dem fortschrittlichen Bürgergeist geworden, dem Streben nach nationaler Einheit und politischer Mitsprache? Beim Wartburgfest 1817 hatten Studenten diesen neuen, revolutionären Geist erstmals öffentlich demonstriert. Doch die Begeisterung trug auch radikale Züge, und die Machthaber reagierten darauf mit aller Härte. Mit den Karlsbader Beschlüssen wurde die Studentenbewegung verboten, die Universitäten wurden streng überwacht, alle Veröffentlichungen der Zensur unterworfen. Enttäuscht zogen sich viele Bürger in die eigenen vier Wände zurück. Wer wollte schon Verfolgung und Gefängnisstrafe riskieren! Lieber machte man es sich zuhause auf dem Plüschsofa gemütlich. Die politische Ordnung wurde nicht mehr in Frage gestellt, stattdessen prägten Häuslichkeit und Harmonie den Zeitgeist. Man richtete seine Wohnräume behaglich ein, empfing Gäste zum Kaffeekränzchen oder pflegte im Familienkreis die Hausmusik. Sonntags wurden die Kinder hübsch angezogen und die Familie ging spazieren. Kunstmaler schufen dazu idyllische Landschaftsbilder und häusliche Szenen, Dichter widmeten sich der Natur, Romanautoren beschrieben die heile kleinbürgerliche Welt. Noch heute verbinden wir mit ihr Kommoden und Sekretäre aus glänzend polierten Hölzern wie Kirschbaum oder Mahagoni; antike Möbel, die als Biedermeiermöbel bis heute begehrt sind.
Der Beginn des Biedermeiers als Kunst- und Literaturepoche wird oft auf das Jahr des Wiener Kongresses datiert, also 1815. Doch mit den Karlsbader Beschlüssen verschärfte sich der Rückzug ins Private. Allmählich aber entwickelte sich auch eine Gegenbewegung zum Biedermeier – zuerst in der Literatur, dann auch in der Gesellschaft.
Zunächst aber schien nichts als lähmende Passivität zu herrschen. Maler schufen idyllische Landschaftsbilder, glutrote Sonnenuntergänge und Darstellungen häuslicher Szenen, die an Fotografien erinnern. Zu den bekanntesten Vertretern gehört Carl Spitzweg: Er malte einen Familienspaziergang mit stolz vorneweg marschierendem Vater, einen Bücherliebhaber in einer Bibliothek oder einen verarmten Dichter, der seine Manuskripte im Ofen seiner feucht-kalten Wohnung verfeuert. Weitere berühmte Namen der Biedermeierzeit sind der Autor und Maler Adalbert Stifter („Der Nachsommer”), der Schweizer Autor Jeremias Gotthelf („Die schwarze Spinne”) oder Johann Nestroy, der zusammen mit Ferdinand Raimund das vormärzliche Wiener Volkstheater mit seinen Schwänken und Possen prägte.
Die zunehmende Industrialisierung beschleunigte das Leben in den Städten, nicht alle Menschen kamen gut damit zurecht. Dies spiegelte sich auch in der Literatur des Biedermeier wider. Sie stellte die Darstellung der Idylle in den Vordergrund – ob im trauten Heim oder in der verklärten Natur. Jedenfalls nicht in den großen, hektischen Städten. In vielen Rührstücken des Biedermeier wurde die Natur als Ort des menschlichen Wohlbefindens gepriesen; die dafür gewählte Sprache war voller Bilder und geradezu poetisch. Lyriker wie Eduard Mörike widmen sich der vertrauten, Sicherheit bietenden Heimat. Annette von Droste-Hülshoffs Novelle „Die Judenbuche” gehört mit ihren atmosphärisch dichten Naturbeschreibungen zu den gefragtesten Werken jener Zeit. Dabei ist sie auch eine tiefgehende Milieustudie über die gesellschaftlichen Verhältnisse der Biedermeierzeit. Ähnlich ist es mit dem Werk des österreichischen Schriftstellers und Dramatikers Franz Grillparzer. Obwohl loyal und kaisertreu, spießte er mit Werken wie seiner Erzählung „Der arme Spielmann“ doch die Widersprüche der Zeit des Biedermeier offen auf. Grundsätzlich jedoch war die Literatur dieser Epoche unpolitisch, ihre Autoren stellten die Gegebenheiten nicht in Frage. In der Epik erfreuten sich Künstler- und Familienromane, Novellen, Tagebücher und Märchen großer Beliebtheit. Es entstanden aber auch große epische Dichtungen, wie etwa Mörikes „Maler Nolten“.
Im Lauf der Zeit formierte sich eine Gegenbewegung, eine politisch aktive Strömung. Statt Naturschwärmereien widmeten sich ihre Teilnehmer dem Kampf gegen die rückwärtsgewandten Karlsbader Beschlüsse von 1819 und erinnerten an den Geist der Französischen Revolution.
Einige der klügsten Köpfe hatten nach 1819 enttäuscht die deutschen Lande verlassen: der Philosoph Karl Marx etwa oder der Dichter Heinrich Heine. Der lebte nun in Paris und beschrieb die damaligen Zustände im System Metternich in seinem Werk „Deutschland. Ein Wintermärchen“ mit boshafter Ironie. Heine wie auch andere junge Schriftsteller, die unter der Gruppenbezeichnung „Junges Deutschland“ geführt werden, erfuhren immer mehr Zustimmung in der Öffentlichkeit. Aus dem Pariser Exil heraus ermutigten sie die Deutschen, sich wieder mehr in die Politik einzumischen. Erstmals in der deutschen Geschichte begann auch die hart arbeitende Bevölkerung, sich mit gesellschaftlichen Fragen und politischer Mitsprache zu beschäftigen. Und nicht nur Männer taten das, sondern auch Frauen. Das war neu, denn Politik war damals reine Männersache. Die Frau hatte sich um den Haushalt zu kümmern, und Bürgerinnen, die einem Beruf nachgehen oder sich in das öffentliche Leben einbringen wollten, wurden misstrauisch beäugt.
Allmählich aber änderte sich das. Frauen aus dem Bürgertum begannen sich zu engagieren und sich in eigenen Vereinen zu organisieren; zunächst vorwiegend für die Unterstützung von Kriegsversehrten und ledigen Müttern. Unverheiratet ein Kind zu bekommen, war damals das Schlimmste überhaupt, was einer jungen Frau passieren konnte: Sie wurde faktisch aus der Gesellschaft ausgeschlossen. War sie Dienstmädchen oder Landarbeiterin, verlor sie ihre Anstellung. Die gut organisierten und immer besser vernetzten Frauenvereine fingen diese jungen Mütter auf und verhalfen ihnen wieder zu bezahlter Arbeit. Mit der Zeit wurden die Frauenbünde immer politischer. Denn warum – so fragten sie sich wohl – sollten sie sich nur mit den Auswirkungen der rückwärtsgewandten Ordnung im Deutschen Bund beschäftigen, wenn sie auch die Ursachen direkt angehen konnten?
Und dann, im Jahr 1830, erreichten die Erschütterungen einer neuen Revolution in Frankreich auch die deutschen Lande.
Im Juli 1830 hatten die Franzosen ihren alten König davongejagt und einen neuen bestimmt. Er nahm die Krone vom Parlament entgegen und wird daher auch als „Bürgerkönig“ bezeichnet. Diese Julirevolution in Frankreich ließ in ganz Europa die Freiheitsgeister neu erwachen: Im Herbst desselben Jahres erkämpfte sich der Süden der Vereinigten Niederlande die Unabhängigkeit und rief das Königreich Belgien aus. Im russisch besetzten Polen versuchten Freiheitskämpfer, die Fremdherrschaft des Zaren abzuschütteln. Und in der Pfalz westlich des Rheins gründeten einige Zeitungsverleger einen Verein, um sich gegen die Pressezensur zu wehren und für ein einiges Deutschland einzutreten.
Dieser Deutsche Preß- und Vaterlandsverein bekam rasch Zulauf. Nicht nur Journalisten und Schriftsteller schlossen sich ihm an, sondern auch Handwerker und Kaufleute, Ärzte und Apotheker, Anwälte und Weinbauern. Bald war der Presseverein in vielen deutschen Ländern aktiv, er entwickelte sich zu einer politischen Massenorganisation. Und im Frühjahr 1832 lud dieser Verein zu einem ganz besonderen Fest ein. Es fand auf einem Schloss in der Pfalz statt und wurde zu einem der wichtigsten Ereignisse in der deutschen Demokratie- und Nationalgeschichte...
Zusammenfassung
Die Epoche des Biedermeier wird im Allgemeinen auf die Zeit zwischen dem Wiener Kongress 1815 und der Märzrevolution 1848 datiert. Der Name geht auf eine satirische Kunstfigur zurück.
Die Karlsbader Beschlüsse von 1819 stellten jede Kritik am bestehenden System unter Strafe. Dies verstärkte den Rückzug vieler Menschen ins Private.
Zu den Merkmalen des Biedermeier gehören romantische Gemälde, Landschaftsidyllen und Literaturwerke, die das häusliche Milieu und die heile Welt des Bürgertums beschreiben.
Als Gegenströmung zum Biedermeier entwickelte sich das „Junge Deutschland“. Autoren wie Heinrich Heine ermutigten die Menschen aus dem Exil heraus dazu, wieder politisch aktiv zu werden.
Die Julirevolution in Frankreich stärkte die freiheitliche Bewegung in Deutschland aufs Neue. Auch Frauen schlossen sich ihr an – das war neu.
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Richtige Antworten:
1. B) Biedermeier
2. D) Heinrich Heine
3. A) Die Julirevolution
4. C) Rückzug ins Private
5. D) Der Deutsche Preß- und Vaterlandsverein
6. B) „Junges Deutschland“