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Blumen des Bösen

Der Großstadt-Poet und sein dunkles Erbe
Auf dem Bild ist eine dunkle, nebelige Szene mit einer Silhouette einer Person, die eine Schere hält und umgeben ist von Sonnenblumen, einigen Flaschen, einem Schädel und einem Kranz. Die Komposition erinnert an ein Stillleben im vanitas Stil, der die Vergänglichkeit symbolisiert.
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Intro

Mit seinem Gedichtband „Die Blumen des Bösen” sorgte der französische Schriftsteller Charles Baudelaire Mitte des 19. Jahrhunderts für einen Skandal. In dieser Story erfährst du, was an den Gedichten als so anstößig empfunden wurde und warum sie sogar die kaiserliche Sittenpolizei auf den Plan riefen.

Kapitel 1: Angeklagt

Charles Baudelaire kann es nicht fassen: Sie haben ihn tatsächlich vor Gericht gezerrt. Mitten in diesem verdammten Hochsommer, der es unmöglich macht, sich nicht schweißüberströmt in den Straßen von Paris zu bewegen. Schon rollt eine neue Hitzewelle heran. Die zweite innerhalb kurzer Zeit. Der Pegel der Seine ist niedrig wie selten, die Luft unerträglich schwül. Wer kann, bleibt in seinen kühlen vier Wänden und tritt nur vor die Tür, wenn es gar nicht anders geht. Aber er, Baudelaire, muss in diesem stickigen Gerichtssaal ausharren. Dabei sollte es doch ein triumphaler Moment für ihn werden: die Veröffentlichung seiner ersten Gedichtsammlung, das Ergebnis jahrelanger Arbeit!

Und nun das. Sämtliche Bücher wurden beschlagnahmt, weil man ihm „Beleidigung der öffentlichen Moral“ vorwirft. Na, und wenn schon: Die hat es allemal verdient. Doch wie, verdammt noch mal, soll er diese horrende Geldstrafe aufbringen? In seiner Verzweiflung greift Baudelaire schließlich nach dem letzten Strohhalm …

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Kapitel 2: Ein ewig armer Dichter

Es war am 20. August 1857, als Charles-Pierre Baudelaire in Paris auf der Anklagebank saß. Der Stein oder eher das Buch des Anstoßes war sein vor kaum drei Monaten erst erschienener Gedichtband „Die Blumen des Bösen”. Kritiker des „Le Figaro“ hatten sechs „ekelhafteste“ und „blasphemische“ Gedichte aus dem Buch bei der Zensurbehörde gemeldet. Mit seiner Geldstrafe kam der 36-Jährige allerdings noch mit einem blauen Auge davon, denn ursprünglich hatte ihm sogar ein Jahr Gefängnis wegen Blasphemie (Gotteslästerung) gedroht. Trotzdem traf ihn das Urteil hart. 300 Francs! Das entsprach fast einem Viertel des Jahresgehalts eines Arbeiters – und Baudelaire war immer knapp bei Kasse.

Aber als wäre das nicht schon schlimm genug, mussten auch noch sechs der insgesamt 100 Gedichte aus allen künftigen Ausgaben entfernt werden. Es waren Gedichte, in denen sich Frauen miteinander vergnügen („Lesbos“) oder in Blutsauger verwandeln („Le Vampyr“). Das genügte, um im sogenannten Zweiten Kaiserreich unter Napoléon III. (den Victor Hugo spöttisch „Napoleon dem Kleinen“ nannte) gegen die sogenannten guten Sitten zu verstoßen. Seine Behörden gingen gegen alles vor, was auch nur im Geringsten als anstößig empfunden werden könnte.

Vor allem Literatur und bildende Kunst wurden eifrig zensiert. Gustave Flaubert, der Autor des Ehebruch-Romans „Madame Bovary”, war gerade erst vom Vorwurf der Unmoral freigesprochen worden, doch Baudelaire hatte weniger Glück. Aber mit der Geldstrafe wollte er sich nicht abfinden. Kurzerhand schrieb er einen persönlichen Brief an Kaiserin Eugénie, Napoléons Gemahlin. Darin gab er zu bedenken, dass er doch nur ein armer Dichter sei, der geglaubt habe, mit den „Blumen des Bösen” ein großes, schönes Werk zu schaffen. Baudelaires wohlgesetzte Worte zeigten Wirkung: Das Bußgeld wurde auf 50 Francs reduziert. Das Urteil selbst aber sollte erst knapp hundert Jahre später aufgehoben werden: im Jahr 1949! Bis dahin durfte nur die zensierte Version seines Gedichtbandes verkauft werden. Tragisch, weil die Urversion ein durchkomponiertes Gesamtwerk gewesen war. Seine fünf (später sechs) „Abteilungen“ thematisierten das Ideal und das Böse („Spleen et Idéal“), Pariser Bilder („Tableaux Parisiens“), den Wein („Le Vin“), Blumen des Bösen, Aufstand („Révolte“) und den Tod („La Mort“).

Baudelaire behalf sich, indem er der 1861 erscheinenden zweiten Auflage 35 neue Gedichte hinzufügte, um die entstandenen Lücken der Gesamtkomposition zu füllen.

Kapitel 3: Skandal!

Aber warum stempelte die kaiserliche Zensur „Die Blumen des Bösen” als „Skandalbuch“ ab? Heute kommt uns das völlig übertrieben vor. Doch damals sorgte schon die Person des Autors für Aufsehen und Empörung. Als Kritiker genoss Charles Baudelaire zwar einen guten Ruf. Kenntnisreich und meinungsstark schrieb er über Politik und Literatur. Ansonsten aber trat er als verschwenderischer Lebemann und übellauniger Freigeist in Erscheinung: Bereits mit Anfang 20 verprasste er innerhalb kurzer Zeit die Hälfte seines üppigen Erbes von 75.000 Francs. Seine Familie war schockiert und ließ ihr schwarzes Schaf unter die Vormundschaft eines Juristen stellen. Zutiefst gekränkt versuchte Baudelaire daraufhin sogar, sich umzubringen. Die monatliche Rente, die er seitdem erhielt, hätte für ein gutes Leben gereicht. Aber Monsieur Baudelaire hatte einen teuren Geschmack. Erlesene Kleidung, Drogen, Prostituierte und eine Geliebte, die verwöhnt werden wollte. Das kostete. Und Baudelaire gefiel sich in der Rolle des dichtenden Dandys, der sich durch seine Heimatstadt Paris treiben lässt: Das Flüchtige des Großstadtlebens, das Verkommene, das Anonyme und Abstoßende übten einen besonderen Reiz auf ihn aus und inspirierten ihn schließlich auch zu seinen Gedichten. Er war der erste Lyriker, der die Welt der Großstadt in sein Werk aufnahm. Auch wenn sie eine eher düstere, hässliche und morbide Welt war: So, wie er das überbevölkerte, hektische und schmutzige Paris wohl empfunden hat.

Kapitel 4: Das Böse als Teil der menschlichen Natur

Auf den ersten Blick haben Baudelaires Gedichte nichts sonderlich Aufregendes oder Ungewöhnliches an sich. Formal sind sie sogar kunstvoll durchkomponiert. Doch inhaltlich haben sie es in sich. Immerhin handeln sie, wie es im Titel „Die Blumen des Bösen” bereits anklingt, von dem ewigen Kampf zwischen dem Schönen und dem Hässlichen, zwischen dem Guten und dem Bösen. Baudelaire übertrug diesen Kampf der Gegensätze auf die Abgründe der menschlichen Psyche. Außerdem hatte er die Idee der Romantiker geradezu verinnerlicht, wonach die Fantasie der Vernunft überlegen ist. Für Baudelaire war die Fantasie die „Königin der Fähigkeiten“. Auch ihm ging es nicht darum, die Dinge so zu beschreiben, wie sie sind, sondern so, wie der Einzelne sie wahrnimmt. Baudelaire wollte Empfindungen ausdrücken, ob Langeweile („Ennui“) oder Liebessehnsucht („Moesta et errabunda“). Insbesondere die düsteren, die traurig-melancholischen hatten es ihm angetan. Wie etwa die des Albatros, der fliegend die Lüfte über den Meeren beherrscht, doch – einmal gefangen und auf die Planken eines Schiffs gesetzt – von dort nie wieder wird auffliegen können ...

Baudelaire entwickelte eine ganz neue Sprache. Mit ungewöhnlichen Sprachbildern ließ er Emotionen lebendig werden, sodass wir als Leser das Beschriebene regelrecht fühlen, riechen und schmecken können. Baudelaire entfaltet eine wahre Sprachmagie. Da ist es, „als würd ein Engel mit der Peitsche Sonnen schlagen“, da tritt „an des Wüstlings Bett die bleiche Frühe, gemeinsam mit nagend bittrer Not“ oder „strömt die Erinnerung aus einem Fläschchen aus“.

Kapitel 5: Das Schöne im Hässlichen

Vielfach widmen sich diese berauschenden Bilder allerdings düsteren Themen wie Verfall und Tod. Immerhin erlebte Baudelaire Tag für Tag die Auswirkungen der beginnenden Industrialisierung mit ihrer Dampfkraft und Massenausbeutung. Er lief durch die lärmende Anonymität der Großstadt, über prächtige Boulevards, dreckige Seitenstraßen und graue Arbeiterviertel, er war Außenseiter und gleichzeitig Teil der Masse. In seinen Versen ist diese Welt hässlich, widersprüchlich und hoffnungslos. Trotzdem wandte Baudelaire sich nicht von ihr ab und der Natur zu, wie es der klassische Romantiker getan hätte. Stattdessen schaute er genauer hin. 1863 schrieb er in einem Essay: „Es ist sehr viel bequemer zu erklären, dass alles am Gewand einer Epoche hässlich sei, als sich darum zu bemühen, die geheimnisvolle Schönheit, die in ihr enthalten sein kann, zum Vorschein zu bringen, so geringfügig oder leichtfertig sie auch sein mag. Die Modernität, das ist das Vorübergehende, das Flüchtige, das Zufällige, die Hälfte der Kunst, deren andere Hälfte das Ewige und Unwandelbare ist.”

Baudelaire war es, der den Begriff „La Modernité“ prägte – auf Deutsch: „Die Moderne“. Er suchte die Schönheit und Ästhetik nicht in den Kunstwerken der Antike, er entdeckte sie im Alltäglichen der modernen Welt. Und ebenso sah er das Hässlich-Böse in scheinbar schönen Dingen. Denn für Baudelaire war das Böse Teil der menschlichen Natur. Deshalb überrascht es auch nicht, dass Baudelaire sich dem nur zwölf Jahre älteren Edgar Allan Poe besonders verbunden fühlte. Er bewunderte, wie präzise, aber auch gefühlsbetont dieser amerikanische Schriftsteller über die menschliche Seele und all die darin lauernden Abgründe schrieb. Kein Wunder, dass sich Baudelaire daran machte, Poes Kurzgeschichten nach und nach ins Französische zu übersetzen. Und während er das tat, arbeitete er parallel an seinen Gedichten für „Die Blumen des Bösen”.

Kapitel 6: Seiner Zeit voraus

„Die Blumen des Bösen” galten im Zweiten Kaiserreich unter Napoléon III. nicht nur deshalb als moralisch anstößig, weil sie Gedichte wie „Die Satans-Litaneien” enthalten oder dazu aufrufen, sich Alkohol, Sex und Drogen hinzugeben. Nicht allein, weil die Hauptthemen Sex und Tod in der damaligen Gesellschaft als skandalös galten. Verstörend wirkte vor allem, wie kunstvoll Baudelaire das Sinnlich-Erotische mit dem Morbid-Hässlichen verknüpfte. Da führt Schmerz zu Leidenschaft und Tod zu Erregung. Leid und Lust liegen in seinen Gedichten genauso nah beieinander wie Gut und Böse, Licht und Schatten, Ekel und Genuss. Hin- und hergerissen zwischen diesen Gegensätzen findet das menschliche Dasein statt. In der europäischen Lyrik war das neu. Ganz im Geist der Schwarzromantiker richtete Baudelaire seinen Blick auf das Grauenhafte der Dinge und der menschlichen Seele. Doch diese Seele war nun geprägt von einer neuen Zeit mit neuen Themen. Die Moderne und der Realismus begannen die Romantik abzulösen, und Baudelaire war einer ihrer bedeutenden Wegbereiter. Und dabei bediente er sich jener eigenwilligen Sprache, die er stets in eine klassische Gedichtform goss.

Als „Die Blumen des Bösen” 1857 erschienen, waren sittenstrenge Zeitgenossen schockiert von so viel vitaler Wucht. Baudelaire fand aber auch Bewunderer. Einer von ihnen war der Schriftsteller und Politiker Victor Hugo. Er schrieb an Baudelaire: „Ich applaudiere deinem kräftigen Geist mit aller Kraft.“

1864 verließ der Dichter Paris und zog ins belgische Brüssel. Hier konnte er endlich auch seine sechs verbotenen Gedichte veröffentlichen (1866 unter dem Titel „Les Épaves“ („Die Wracks“). Doch seine Gesundheit ließ ihn immer mehr im Stich, außerdem konsumierte er die Droge Opium und trank zu viel. Ein schwerer Schlaganfall raubte ihm schließlich ausgerechnet seine wichtigste Fähigkeit: die Sprache. Zur Hälfte gelähmt und stumm starb der erst 46-Jährige im Spätsommer 1867 nach zweijährigem Siechtum in Paris, wo er auf dem Friedhof Montparnasse beerdigt wurde.

Zusammenfassung

  • Charles Baudelaires Gedichtsammlung „Die Blumen des Bösen” (Originaltitel: „Les Fleurs du Mal“) erschien erstmals 1857 und rief sofort die kaiserliche Sittenpolizei auf den Plan. Das Gericht verurteilte den französischen Dichter zu einer Geldstrafe, vor allem aber mussten sechs besonders anstößige Gedichte aus dem Werk entfernt werden.

  • Baudelaires Gedichte in „Die Blumen des Bösen” sind vom widersprüchlichen Leben in der Großstadt Paris inspiriert; sie beschäftigen sich mit dem Kampf zwischen schön und hässlich, Gut und Böse, rein und schmutzig.

  • Baudelaire entwickelte eigenwillige Sprachbilder, um Gefühle und persönliche Wahrnehmung auszudrücken, und goss diese stets in eine klassische Gedichtform. 

  • Ganz im Geist der Schwarzen Romantik richtete Baudelaire den Blick auf die Abgründe der menschlichen Seele, griff dabei jedoch Einflüsse und Entwicklungen der beginnenden Industrialisierung auf und integrierte als Erster das moderne Stadtleben in seine Lyrik. Heute gilt er als ein wichtiger Wegbereiter der literarischen Moderne. 

  • „Die Blumen des Bösen” wurden in mehrere Sprachen übersetzt und erschienen in Deutschland unter anderem in Übersetzungen von Simon Werle, Stefan George, Walter Benjamin, Rainer Maria Rilke, Ferdinand Hardekopf, Graf Wolf von Kalckreuth, Wilhelm Hausenstein, Bertolt Brecht oder Friedhelm Kemp.

  • Bekannte Gedichte aus Baudelaires Werk sind unter anderem „De profundis clamavi“, „Der Schwan“, „Geistige Morgenröte“, „Semper eadem“, „Herbstsonett“, „Die Maske“, „Die Klagen eines Ikarus“, „Die Riesin“, „Das schöne Schiff“.

Teste dein Wissen im Quiz

  1. Wer schrieb „Die Blumen des Bösen”?
    1. A) Théodore de Banville
    2. B) Edgar Allan Poe
    3. C) Mary Shelley
    4. D) Charles Baudelaire
  2. Was thematisiert Baudelaire in seinem 1857 erschienenen Gedichtband „Die Blumen des Bösen”?
    1. A) Den Gegensatz von gut und böse / schön und hässlich
    2. B) Die Verleugnung der Evolution
    3. C) Den Tod der Liebenden
    4. D) Blinden Hass
  3. Was zeichnet Baudelaires „Die Blumen des Bösen” aus?
    1. A) Süßliche Romantik
    2. B) Eigenwillige Sprachbilder
    3. C) Durchgehender Trübsinn
    4. D) Gewaltige Seitenzahl
  4. Warum galt Baudelaires Gedichtband „Die Blumen des Bösen” als Skandalbuch?
    1. A) Er enthielt Schmähungen gegen Napoleon
    2. B) Er rief zur Revolution auf
    3. C) Gedichte verstießen gegen Sittengesetze
    4. D) Er hatte eine nackte Frau auf dem Einband
  5. Baudelaire gilt als ein wichtiger Wegbereiter des/der literarischen …?
    1. A) Moderne
    2. B) Barock
    3. C) Empfindsamkeit
    4. D) Sturm und Drang

Richtige Antworten: 
1. D) Charles Baudelaire 
2. A) Den Gegensatz Gut und Böse / Schön und Hässlich
3. B) Eigenwillige Sprachbilder
4. C) Gedichte verstießen gegen Sittengesetze
5. A) Moderne

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