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Der Roman über Frankenstein und sein aus Leichenteilen zusammengeflicktes Monster ist ein Klassiker der Schauerliteratur. Aber wusstest du, dass die Autorin Mary Shelley erst 20 Jahre alt war, als er veröffentlicht wurde? In dieser Story erfährst du, was sie dazu veranlasst hat, und warum Menschen und Monster sich manchmal erstaunlich ähnlich sind.
Der Abend ist stürmisch und nass. In einer Villa am Genfer See haben sich fünf Menschen vor dem Kaminfeuer versammelt. Während der Wind ums Haus pfeift und der Regen an die Fenster prasselt, diskutieren sie die Möglichkeit, künstliches Leben zu erschaffen, und lesen deutsche Schauergeschichten. Das bringt den Gastgeber auf eine Idee: Wie wäre es, wenn sie selbst solche Geschichten schreiben und sich dann gegenseitig vorlesen würden? Alle sind begeistert und stürzen sich in die Arbeit. Alle, bis auf eine junge Frau. Ihr will so gar nichts einfallen. Tagelang grübelt sie und wird zunehmend unruhig. Es muss doch etwas geben, worüber sie schreiben könnte. Es muss doch … Da sieht sie es auf einmal ganz klar vor sich: Sie sieht einen Mann, der eine tote Gestalt zum Leben erweckt ... Ja, das ist die Geschichte, die sie erzählen will ...
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Kostenlos ausprobierenGeboren wurde Frankensteins Monster also im Sommer 1816, als Mary gemeinsam mit ihrem Verlobten Percy Shelley und ihrer Halbschwester Clair am Genfer See weilte. Dort traf man sich regelmäßig mit dem extravaganten Dichter Lord Byron und dessen Leibarzt John Polidori zur gegenseitigen Unterhaltung. Wer weiß, ob Mary ihre Schauergeschichte geschrieben hätte, wenn dieser Sommer weniger kalt und dunkel gewesen wäre. Ein Vulkanausbruch in Indonesien hatte das Klima in Nordamerika und Europa so durcheinandergebracht, dass das Jahr 1816 als „Jahr ohne Sommer“ in die Geschichte einging. Auch Mary sollte in die Geschichte eingehen. Denn ihr Debütroman, den sie mit gerade einmal 18 Jahren in der Schweiz begonnen hatte, wurde zwei Jahre später in einem Londoner Verlag veröffentlicht. Zunächst anonym. Da jedoch Percy Shelley – selbst Schriftsteller und mittlerweile Marys Ehemann – ein Vorwort beigesteuert hatte, hielten die meisten ihn für den Autor des Werks. Dass Mary die Verfasserin ist, hätte sich wohl auch kaum jemand vorstellen können. Als sie sich später zu ihrem Werk bekannte, war die Leserschaft fassungslos.
Mary Wollstonecraft Shelley war keine gewöhnliche junge Frau. Im Jahr 1797 wurde sie als Mary Godwin in London geboren. Ihre Eltern waren berühmt-berüchtigt: Der Vater war der Freigeist und Sozialphilosoph William Godwin, ihre Mutter die Frauenrechtlerin und Schriftstellerin Mary Wollstonecraft. Diese starb jedoch kurz nach Marys Geburt an Kindbettfieber. Statt seine beiden Töchter in die Schule zu schicken, unterrichtete der Vater sie lieber selbst. So erhielt die wissbegierige Mary eine besonders umfassende Bildung. Und im Haus der Godwins gingen sowohl Intellektuelle als auch Politiker ein und aus. Im zarten Alter von 16 verliebte sich Mary in den verheirateten Schriftsteller Percy Bysshe Shelley und brannte mit ihm durch. Percy war Republikaner und Atheist, ein Verfechter der Aufklärung und der freien Liebe. Radikale Ansichten? Nichts konnte auf Mary anziehender wirken!
1815 reiste sie mit ihrem Mann Percy und ihrer Stiefschwester Claire von England aus durch Europa und besuchte auch Deutschland, wo sie in Gernsheim am Rhein spannende Details aus der Geschichte der Burg Frankenstein im Odenwald erfuhr. Ein Alchemist soll dort gewirkt haben. Die Reise führte sie auch in die Schweiz in die Region Genf, wo sie den englischen Romantiker Lord Byron besuchten. Sie beschäftigte sich auch mit Galvanismus – also der Erzeugung von elektrischem Strom durch chemische oder auch biochemische Vorgänge – sowie mit den Auswirkungen von Elektrizität auf tierisches Muskelgewebe. Experimente solcher Art waren Ende des 18. Jahrhunderts groß in Mode, seit ein italienischer Arzt und Physiker durch Zufall entdeckt hatte, dass er die Beine eines toten Froschs mit Strom zum Zucken bringen konnte. Sein Neffe Giovanni Aldini führte dieses Experiment im Jahr 1803 in London an der Leiche eines Hingerichteten durch. Der Leichnam soll dabei ein Auge geöffnet und die rechte Hand zur Faust geballt haben, so ein zeitgenössischer Bericht.
An diese Dinge mag sich Mary Shelley erinnert haben, als im kalten und verregneten Sommer 1816 ihr Mann Percy und ihr Gastgeber Lord Byron auf die Idee kamen, sich mit einem kleinen Schreibwettbewerb die Zeit zu vertreiben: Wer, so die Challenge, schreibt die beste Gruselgeschichte?
Mary erfand den ehrgeizigen Wissenschaftler Viktor Frankenstein, der dem Geheimnis des Lebens auf die Spur kommen will. Tatsächlich gelingt es ihm, einen künstlichen Menschen zu erschaffen. Ein Triumph ist es trotzdem nicht, denn seine Kreation kommt ihm missraten vor, regelrecht monströs. Ihn graut es so sehr vor diesem Ungeheuer, dass er flieht. Nun ist sein namenloses Geschöpf auf sich allein gestellt. Es versucht, Anschluss bei den Menschen zu finden, wird aber wegen seines abstoßenden Aussehens überall voller Verachtung zurückgewiesen.
Frankenstein verleugnet sein Monster, lässt es allein und setzt es somit der Bosheit der Menschen aus. Genau das wirft es seinem Schöpfer später vor: „Überall“, so sagt es, „sehe ich Glückseligkeit, von der ich allein unwiderruflich ausgeschlossen bin. Ich war friedfertig und gut; das Unglück hat mich zum Teufel gemacht.“
Dr. Frankenstein aber tut sich vor allem selbst leid, das Unglück des Ungeheuers ist ihm egal. Als sein Geschöpf ihn verzweifelt bittet, ihm eine ebenso hässliche Gefährtin zu erschaffen, um seine Einsamkeit zu beenden, sagt Frankenstein zunächst zu. Er beginnt sogar mit der Arbeit. Dann aber zerstört er den fast fertigen Körper vor den Augen des entsetzten Namenlosen. Und sagt, er werde nie und nimmer noch ein zweites Monster in die Welt setzen! Diese emotionale Kälte seines Schöpfers treibt das Geschöpf in einen wahren Rachefeldzug: Erst tötet es Frankensteins besten Freund, dann Frankensteins Braut. Da schwört der Monster-Vater seinerseits Rache. Und schließlich jagen sich Schöpfer und Geschöpf gegenseitig über den halben Erdball. Bis an den Nordpol, wo der Schiffskapitän Robert Walton den halb erfrorenen Victor Frankenstein findet und rettet. Damit beginnt der Roman, der als Rahmenhandlung geschrieben ist.
Die berühmteste Szene des Romans ist sicher der Moment, in dem Frankenstein seine Kreatur zum Leben erweckt. Doch gerade dieses spektakuläre Ereignis handelt Mary Shelley in wenigen Sätzen ab. Ihr ging es vor allem um menschliche Beziehungen und um das Bedürfnis dazuzugehören. Um Schöpfung und Zerstörung, um Geburt, Tod und Trauer. Das waren die Themen ihres jungen Lebens: Sie wuchs ohne Mutter auf und war überzeugt, deren Tod durch die eigene Geburt verschuldet zu haben. So begegnen wir in ihrem Roman sowohl allmächtigen Vaterfiguren als auch Waisenkindern. Das augenfälligste Beispiel ist Mary Shelleys Frankenstein selbst, der am Anfang des Romans dem Seemann Walton seine Lebensgeschichte erzählt. Er wächst mit seiner Adoptivschwester Elisabeth auf und verliert seine Mutter, die an einer schweren Krankheit stirbt. Vor Trauer vergräbt er sich an der Universität Ingolstadt in seinen Experimenten. Einen Humanoiden will er erschaffen, aber der Versuch läuft furchtbar aus dem Ruder ...
In Mary Shelleys Roman finden sich Ideen der Aufklärung wieder. Allerdings übernimmt sie diese nicht einfach, sondern reflektiert sie. Sie bezweifelt, dass Menschen in der Lage sind, die Gesellschaft positiv zu verändern. Die Französische Revolution hatte ja gezeigt, was passiert, wenn Menschen ihre Macht missbrauchen: Chaos und Terror. Und so ergeht es auch den Figuren in Shelleys Schauerroman.
Bei ihr ist es Frankenstein selbst, der sein Geschöpf zum bösen Monster macht. Denn das Monster wird nicht als Monster geboren. Für sein herzloses Verhalten wird der Monster-Vater bestraft, indem er an Erschöpfung stirbt.
Seine Kreatur überlebt, ist jedoch dazu verdammt, bis in alle Ewigkeit allein zu bleiben. Und das alles nur: Weil ein Mensch Gott spielen wollte.
In „Frankenstein” geht es also gar nicht so sehr um die künstlich erschaffene Kreatur selbst. Vielmehr geht es um das Monster im Menschen. Dr. Frankenstein berauscht sich an seiner Macht, Herr über Leben und Tod zu sein. Doch dann weigert er sich, Verantwortung für sein Experiment zu übernehmen. Dieser Egoismus macht ihn gefährlich. Genau damit grenzt die kritische Autorin ihn von anderen Schöpferfiguren ihrer Zeit ab: von Goethes Faust etwa oder dem Prometheus aus der Feder ihres Mannes. Mary Shelley wollte keine Helden, die ihre Macht missbrauchen und trotzdem als Genies oder Abenteurer gefeiert werden. Nein. Sie hatte ihre eigene Sicht auf die Dinge und auf die Menschen.
Ihr Roman übte einen großen Einfluss auf die Literatur und die Populärkultur aus. Schriftstellerkollegen bezeichneten ihn als den ersten Science-Fiction-Roman, weil sich der Protagonist bewusst entscheide und „wissenschaftlich” agiere, um ein „fantastisches” Ergebnis zu erzielen.
Ob Frankenstein seine Kreatur mit Elektrizität oder auf eine andere Weise zum Leben erweckt, bleibt im Roman übrigens weitgehend im Dunkeln. Die bekannten Bilder von Elektroden und zuckenden Gliedmaßen stammen aus der ersten Tonverfilmung des Romans von Mary Shelley, der unter der Regie von James Whale und mit Boris Karloff in der Rolle des Monsters 1931 in den USA produziert wurde. In diesem Schwarzweißfilm leitet Dr. Frankenstein die Elektrizität eines Blitzes in den Körper, den er aus Leichenteilen zusammengefügt hat.
In den folgenden Jahrzehnten entstanden zahlreiche weitere Verfilmungen des Stoffs. Mel Brooks machte daraus 1974 die Parodie „Frankenstein Junior”, in der er auch Dracula und King Kong auftreten lässt.
Eine andere Spielart der Schwarzen Romantik präsentiert der amerikanische Schriftsteller Edgar Allan Poe mit seiner Erzählung „Der Untergang des Hauses Usher”. Sie thematisiert den Tod – und eine der ältesten Ängste der Menschheitsgeschichte.
Zusammenfassung
Es war eine 18-Jährige, die das berühmteste Monster der Literaturgeschichte erfand. Mary Shelleys Roman „Frankenstein” entstand aus einer Schreibübung heraus, die während des außergewöhnlich kalten Sommers 1816 für Unterhaltung sorgen sollte.
Der Roman erschien 1818 anonym unter dem englischen Originaltitel „Frankenstein Or The Modern Prometheus” („Frankenstein oder der moderne Prometheus”). Er erzählt die Geschichte des ehrgeizigen Wissenschaftlers Dr. Victor Frankenstein, der einen künstlichen Menschen erschafft.
Dr. Frankenstein ist von seiner Schöpfung so entsetzt, dass er flieht. Damit überlässt er die hässliche, aber friedfertige Kreatur ihrem unglücklichen Schicksal, das sie zur rachsüchtigen Bestie werden lässt.
Am Ende ist es allerdings der herzlose Schöpfer des Monsters, der bestraft wird und stirbt. Das Monster überlebt, bleibt aber zur Einsamkeit verdammt.
Mary Shelleys Debütroman „Frankenstein” übt Kritik an menschlicher Selbstüberschätzung und Machtmissbrauch. Shelly verarbeitete darin auch persönliche Erfahrungen mit Geburt, Tod und Trauer.
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A) Selbstüberschätzung und Machtmissbrauch
B) Kirche und Klerus
C) Politikverdrossenheit
D) Minderwertige Kosmetika
Richtige Antworten:
1. B) Mary Shelley
2. B) Bei einem Gastaufenthalt in der Schweiz
3. D) Ein Wissenschaftler, der einen künstlichen Menschen erschafft
4. C) Der Mensch
5. A) Selbstüberschätzung und Machtmissbrauch
Ein Wissenschaftler spielt Gott, indem er aus Leichenteilen einen künstlichen Menschen erschafft und ihn zum Leben erweckt. Dann aber ist er vom hässlichen Aussehen seiner eigenen Kreatur so entsetzt, dass er vor ihr flieht und sie sich selbst überlässt. Daraus entwickelt sich eine Reihe grausamer und tragischer Ereignisse.
Nicht das Monster, obwohl der Name im allgemeinen Sprachgebrauch oft fälschlicherweise mit dem Geschöpf des Wissenschaftlers Dr. Victor Frankenstein gleichgesetzt wird. Dabei ist es gerade auffällig, dass Frankenstein im Roman dem von ihm erschaffenen künstlichen Menschen keinen Namen gibt. Stattdessen flieht er vor seinem eigenen Werk, verstößt und verleugnet es und will es schließlich sogar töten.
Am Anfang ist das neu erschaffene Wesen friedfertig und gut. Es entwickelt ein Bewusstsein, ja sogar Vernunft und ein Gewissen: zutiefst menschliche Eigenschaften also. Sich selbst überlassen, sucht es die Nähe anderer Menschen, erkennt aber, dass diese Angst vor seinem Äußeren haben. Daraufhin hält es sich versteckt, bringt sich selbst das Sprechen und Lesen bei und leistet einer Bauernfamilie unerkannt Hilfe. Es gelingt ihm sogar, mit dem Großvater einige Worte zu wechseln – aber nur, weil dieser blind ist und daher keine Angst vor ihm hat. Als die Familie hinzukommt, wird es wegen seines gruseligen Aussehens mit Prügel davongejagt. Doch wirklich bösartig wird es erst durch den Wortbruch seines Erschaffers. Der hat versprochen, ihm eine Gefährtin von seiner Art zu bauen, dann aber zerstört er den fast fertigen Körper vor den Augen des entsetzten Namenlosen. Das Monster wird also erst durch den Menschen zum Monster.
Ja, denn im Roman trifft ein Wissenschaftler aktiv die Entscheidung, mithilfe seiner Kenntnisse und Fähigkeiten einen künstlichen Menschen – also etwas „Fantastisches” – zu erschaffen. Die Handlung wird nicht durch unerklärliche, geisterhafte Vorgänge bestimmt und vorangetrieben, sondern durch wissenschaftliche Betätigung und deren Folgen.
Die englische Autorin kritisiert in ihrem Roman vor allem menschliche Selbstüberschätzung und Machtmissbrauch. Der Protagonist berauscht sich an seiner Macht, Herr über Leben und Tod zu sein. Doch dann weigert er sich, Verantwortung für sein Experiment zu übernehmen. Dieser Egoismus macht ihn gefährlich. Genau damit grenzt die kritische Autorin ihn von anderen literarischen Heldenfiguren ihrer Zeit ab.
Nein, zumindest gibt es nach übereinstimmender Meinung der Geschichtswissenschaft keine historische Person, die jemals aus Leichenteilen einen künstlichen Menschen zusammengefügt und ihm „Leben eingehaucht“ hat. Wohl aber waren Ende des 18. Jahrhunderts Experimente mit tierischem Muskelgewebe und elektrischem Strom in Mode. Der italienische Arzt Luigi Galvani hatte 1780 zufällig beobachtet, dass die Schenkel eines toten Froschs durch den Funken einer statischen Aufladung nach oben zuckten. Galvani glaubte, eine spezielle „Tierenergie“ entdeckt zu haben. Sein Neffe Giovanni Aldini führte dieses Experiment im Jahr 1803 in London an der Leiche eines Hingerichteten durch. Der Leichnam soll dabei ein Auge geöffnet und die rechte Hand zur Faust geballt haben, so ein zeitgenössischer Bericht.
Im englischen Originaltitel heißt das Werk „Frankenstein Or The Modern Prometheus”. Der Titan aus der griechischen Sagenwelt soll als Bildhauer die Menschen erschaffen haben, denen die Göttin Athene dann ihren belebenden Atem spendete. Später bringt Prometheus den Menschen das Feuer, obwohl es Zeus, der oberste Gott, verboten hat. Dafür wird Prometheus an einen Felsen gekettet und zu ewiger Qual verurteilt, indem ein Adler ihm jeden Tag die Leber aus dem Leib frisst. Für die junge Romanautorin Mary Shelley verkörperte der mythische Prometheus den schöpferischen und zugleich rebellischen Geist.