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Schwarze Romantik

Darum hat die Romantik eine dunkle Seite
Sexualität und Tod, zwei Hauptmotive der Schwarzen Romantik (Gemälde von Antoine Wiertz, 1847)
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Intro

Ihre Anhänger hatten genug von nüchterner Sachlichkeit, genug von der Vernunft – und stiegen vor gut 200 Jahren tief hinab in die Abgründe der menschlichen Seele. In dieser Story erfährst du, warum die Romantik eine dunkle Seite hat, was die Werke der Schwarzen Romantiker so besonders macht und wie viel Dämonisches offenbar in uns Menschen schlummert.

Kapitel 1: Drohendes Unheil

Rings um ihn ist es dunkel. Nur eine flackernde Kerze spendet ein wenig Licht. Die Ecken des kargen Raumes kann es jedoch nicht erreichen und auch die geisterhaften Schatten nicht vertreiben. Da! Ein Geräusch … Ist da nicht etwas vorbeigehuscht? Der junge Mann hält es nicht mehr aus. Bloß raus hier. Raus aus dieser Burgruine. Draußen wartet der Mond auf ihn, eine kalte, weiße Scheibe am schwarzen Nachthimmel. Und um ihn herum türmen sich bedrohlich wirkende Wolkenberge auf. Plötzlich ein lautes Krächzen. Ein Schwarm Raben steigt auf und verschwindet hinter den Bäumen, die sich wie die Silhouetten von Riesen im fahlen Mondlicht wiegen. Irgendjemand ist hier. Irgendetwas. Es ist spürbar, aber nicht sichtbar. Wäre er doch niemals hierherkommen… Der Mond, die verfallene Burg, die finstere Landschaft. Alles wirkt bedrohlich. Den jungen Mann schaudert es. Jetzt – er weiß es – ist es genau hinter ihm. Von der klammen Hand der Angst gepackt, dreht er sich langsam, ganz langsam um. Und beginnt zu schreien.

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Kapitel 2: Zwischen Albtraum und Wirklichkeit

Warum schreit dieser Unbekannte? Steht er etwa einem Untoten gegenüber? Oder einem Wahnsinnigen? Oder blickt er vielleicht in sein eigenes, vom Irrsinn entstelltes Gesicht? Wir wissen es nicht. Bestimmt aber wird er an seinem Verstand zweifeln und sich fragen, was Illusion ist und was Wirklichkeit. Kann er seinen Sinnen noch trauen? 

Szenen wie diesen begegnen wir in den Werken der Schwarzen Romantik zuhauf. Alles dreht sich um unheimliche Landschaften, verfallene Gemäuer, Friedhöfe und andere düstere Orte. Das Bedrohliche mag nicht jederzeit offensichtlich sein, ist aber immer spürbar. Schon der Begriff „Schwarze Romantik” verrät, dass es sich hierbei um Literatur handelt, die sich dem finsteren und unerklärlichen Spektrum der Emotionen verschrieben hat. Denn die Schwarze Romantik ist die düstere Schwester der Romantik, jener Literaturbewegung, die als die Epoche der großen Gefühle und erhabenen Naturbilder gilt.

Kapitel 3: Der Gegenentwurf zur Aufklärung

Die europäische Literaturbewegung der Romantik entstand gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Es war eine Zeit der Umwälzungen. Wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich. Die Ideen der Aufklärung hatten sich längst in Europa und Nordamerika verbreitet. Die Menschen hatten begonnen, alles zu hinterfragen und sich aufzulehnen: gegen alte Gewissheiten, gegen die herrschende Religion, gegen Könige und Fürsten. Zwei große Revolutionen spielten dabei eine entscheidende Rolle: Die industrielle Revolution, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in England ihren Ursprung hatte. Und die Französische Revolution im Jahre 1789. Die Franzosen wehrten sich gegen die Willkür ihres Königs und verlangten politisches Mitspracherecht, Bildung und Bürgerrechte. Und kaum war diese Revolution blutig zu Ende gegangen, nahm die Industrialisierung so richtig Fahrt auf. Sie brachte zwar moderne Produktionsprozesse mit sich, genauso aber auch massive soziale Missstände und eine neue Form der Klassengesellschaft: Während die wenigen Fabrikbesitzer reicher und reicher wurden, schufteten ihre Arbeiterinnen und Arbeiter für einen Hungerlohn unter teils unwürdigen Bedingungen. Alle Hoffnungen auf mehr Wohlstand und Freiheit verpufften.

Enttäuscht und verunsichert haderten die Romantiker vor allem mit dem kompromisslosen Glauben an die Vernunft, den die Vertreter der Aufklärung propagierten. Sie wollten den Menschen von Vorurteilen und Aberglauben befreien und feierten die Naturwissenschaften als den einzig wahren Weg zur Welterkenntnis. Davon grenzten sich die Romantiker ab: Aus ihrer Sicht reichten Vernunft und Logik nicht aus, um die Welt in all ihren Facetten zu erfassen. Sie setzten auf Gefühl und vor allem auf die Fantasie. Denn im Gegensatz zur Vernunft hielt sich die Fantasie mit so etwas Banalem wie der Realität nicht lange auf. Nein. Die Fantasie war grenzenlos, kannte weder Regeln noch Gesetze. Die Romantiker nutzten die Kraft der Fantasie, um der Realität zu entfliehen und in eine innere Traumwelt zu flüchten. Zu den Geheimnissen der Seele.

Kapitel 4: Die Nachtseite der Romantik

Wer sich in sein Innerstes begibt, könnte dort allerdings auf Abgründe stoßen. Womöglich findet er oder sie eine verstörende, ja schauerliche, wenn nicht gar dämonische Welt. So zumindest ergeht es den Figuren in den Romanen, Gedichten und Kurzgeschichten der Schwarzromantiker. Sie konzentrieren sich nämlich auf die finsteren Aspekte unseres Daseins, leuchten in die dunkelsten Winkel der Seele und zerren Verborgenes ans Licht. Beliebte Motive der Schwarzen Romantik sind daher die Gespenster der Nacht und die wilde Natur, unheilbringende Frauengestalten („Femme fatale“), Liebe, Tod und Teufel, Doppelgänger und Fabelwesen, Verfall, Magie und Glaubenszweifel sowie das Böse und der Tod. Ein düsteres Sortiment also, aus dem sich die Autorinnen und Autoren der Schauerromantik nach Belieben bedienten. Ihre Motive tragen bedrohliche und morbide, zumindest aber melancholische Züge – ganz im Gegensatz zu den lieblichen Motiven ihrer romantischen Kollegen. Am deutlichsten aber unterscheiden sich die beiden Romantikschwestern in ihrer Haltung zur menschlichen Natur: Während die Romantiker an das Gute im Menschen glaubten, waren die Schwarzromantiker davon überzeugt, dass jeder Mensch etwas Böses in sich trägt.

Kapitel 5: Abgründe des „Ich“

Wer wann den Begriff „Schwarze Romantik“ prägte, ist nur unzureichend geklärt. Er findet sich 1963 als Untertitel der deutschen Übersetzung einer berühmten Studie, die der italienische Literaturwissenschaftler Mario Praz 1930 unter dem Titel „La Carne, la morte e il diavolo nella letteratura romantica“ publiziert hatte. Die französische Ausgabe erschien dann im Jahr 1977 gleich unter dem kürzeren und prägnanteren Titel „Romance Noir“.

Ein Meister des schwarzromantischen Fachs war der deutsche Autor E.T.A. Hoffmann. Sein Roman „Die Elixiere des Teufels“ von 1815 oder seine Erzählung „Der Sandmann“ gelten als klassische Beispiele für diese literarische Strömung. Im „Sandmann“ ist es der junge Mann Nathanael, der von einem gruseligen Trauma seiner Kindheit verfolgt und zu wahnhaften Handlungen bis hin zum Selbstmord getrieben wird. Hoffmann schuf diese von Dämonen und Wiedergängern bedrohte Welt so eindringlich, dass Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe die Geschichten aus Hoffmanns Feder als „krankhaft“ abkanzelte. Andererseits hat sein Werk den berühmten amerikanischen Schriftsteller Edgar Allan Poe inspiriert und geprägt.

Aber auch andere Schwarzromantiker staffierten ihre Werke mit gruseligen Wesen und unheilvollen Phänomenen aus. Auf diese Weise eroberten Schriftsteller das Reich der heimlichen Ängste und unheimlichen Sehnsüchte – und fordern damit ihre Leser*innen auf, sich den Abgründen des eigenen Ichs zu stellen. Wenn sie sich denn trauen …

Kapitel 6: Gemalte Albträume

Auch in der Bildenden Kunst finden sich zahlreiche Werke dieser Stilrichtung. „Der Nachtmahr“ von Johann Heinrich Füssli ist der gemalte Albtraum schlechthin: Ein gruselig-hässliches Monster sitzt auf der Brust einer schönen schlafenden Frau und nimmt ihr die Luft zum Atmen, während ein schauriges Geisterpferd mit leeren Augen durch einen Vorhang hereinglotzt. Der „Wilde Schweizer“, wie er von seinen Zeitgenossen genannt wurde, malte rein aus seiner Fantasie und bereicherte die englische „Gothic Novel“-Bewegung mit schaurigen Bildern zu den großen Erzählungen von William Shakespeare, Dante oder John Milton.

Caspar David Friedrich verkehrte die liebliche Naturmalerei der Romantik mit Gemälden wie „Zwei Männer in Betrachtung des Mondes“ oder „Die Kindsmörderinnen“ in ihr Gegenteil. Das Motiv der mit dem Rücken zum Betrachter stehenden Personenpaare – gleichsam Zwillinge des Grusels – ist typisch für seine schwarzromantischen Bilder.

Manche Künstler ergründeten mit schwarzromantischen Motiven offenbar im Stillen für sich allein ihre eigene dunkle Seite. Der berühmte spanische Maler Francisco Goya etwa hinterließ eine Serie aus 14 „Pinaturas Negra“ („Die Schwarzen Bilder“), die erst nach seinem Tod in seinem Anwesen nahe Madrid entdeckt wurden. Von Goya waren solche Werke nicht bekannt gewesen; er stellte sie nirgends aus und hatte auch niemandem davon erzählt. Seine Grafik „Los Chinchillas“ mit ihren verschraubten Köpfen hat möglicherweise der englischen Buchautorin Mary Shelley die technische Vorlage für ihren Roman „Frankenstein“ geliefert.

Kapitel 7: Monster, Morde und Skandale

Nicht alle schwarzromantischen Werke hatten Erfolg beim zeitgenössischen Publikum. Der berühmte französische Maler Eugène Delacroix schockierte mit seinem Werk „Der Tod des Sardanapal“) 1827/28 den renommierten Pariser Salon derart, dass er nach eigenen Angaben für Jahre kaum ein Bild mehr verkaufte. Und der französische Schriftsteller Charles Baudelaire sorgte Mitte des 19. Jahrhunderts mit seinem Gedichtband „Die Blumen des Bösen” für einen handfesten Skandal.

Weitere wichtige Vertreter sind der Berliner Schriftsteller Ludwig Tieck („Der Runenberg“), Lord Byron („Childe Harold’s Pilgrimage“) und – ja, tatsächlich – auch die Gebrüder Grimm. In der ersten Auflage ihrer „Kinder- und Hausmärchen“ von 1812 stand zum Beispiel eine Erzählung mit dem Titel „Das Mordschloss”, in welchem eine Schuhmachertochter einem grausigen Geheimnis auf die Spur kommt. In späteren Auflagen ist diese buchstäblich bluttriefende Geschichte nicht mehr zu finden; nachfolgende Verlegergenerationen haben die allzu grausamen Volkserzählungen aus der Sammlung weggelassen oder sie zumindest entschärft. Aber selbst einige bis heute bekannte Märchen wie „Hänsel und Gretel“ oder „Schneewittchen“ enden mit grausig-brutalen Strafen für die Bösen: Die Hexe wird von Gretel im Backofen geröstet und die giftmischende Königin muss in rotglühenden Eisenpantoffeln tanzen, bis sie tot zusammenbricht …

Als Königin der Schauerliteratur gilt die englische Autorin Ann Radcliffe. In ihrem Roman „Udolphos Geheimnisse” gelingt es ihr, eine Atmosphäre zu erzeugen, in der das Böse zwar nie wirklich sichtbar wird, aber doch jederzeit spürbar ist.

Zusammenfassung

  • Die Literaturbewegung der Romantik entstand Ende des 18. Jahrhunderts und war vor allem eine Reaktion auf zwei bedeutende historische Ereignisse: die Französische Revolution und die Industrialisierung. 

  • Die Romantik verstand sich als Gegenentwurf zur Aufklärung: Statt auf Vernunft und Logik setzten die Romantiker auf die Macht der Fantasie und die Kraft großer Gefühle. 

  • Die Schwarze Romantik ist eine Untergattung der Romantik. Sie kam von England aus nach Deutschland und konzentrierte sich auf die Schattenseiten des menschlichen Daseins. Beliebte Motive sind Nacht und unheimliche Naturerscheinungen, Doppelgänger, Magie, das Böse, Verzweiflung, Verfall und Tod. 

  • Die Schwarzromantiker waren davon überzeugt, dass jeder Mensch auch etwas Böses in sich trägt.

Teste dein Wissen im Quiz

  1. Die Schwarze Romantik ist eine Unterströmung der …
    1. A) Horrorliteratur
    2. B) Satire
    3. C) Kriminalliteratur
    4. D) Romantik
  2. Wann entstand die Literaturbewegung der Romantik?     
    1. A) Im 16. Jahrhundert
    2. B) Ende des 18. Jahrhunderts
    3. C) Im 11. Jahrhundert
    4. D) Ende des 20. Jahrhunderts
  3. Was war für Romantiker und Schwarzromantiker wichtiger als die Vernunft?
    1. A) Fantasie
    2. B) Industrialisierung
    3. C) Glaube
    4. D) Ästhetik
  4. Was ist ein typisches Motiv der Schwarzen Romantik?
    1. A) Schöne Landschaften
    2. B) Sprechende Tiere
    3. C) Das Unheimliche und Böse
    4. D) Glückliche Kinder
  5. Welcher berühmte Dichter und Zeitgenosse kanzelte die Geschichten von E.T.A. Hoffmann als „krankhaft“ ab?
    1. A) Heinrich Heine
    2. B) Ernst Moritz Arndt
    3. C) Clemens Brentano
    4. D) Johann Wolfgang von Goethe

Richtige Antworten: 
1. D) Romantik
2. B) Ende des 18. Jahrhunderts 
3. A) Fantasie 
4. C) Das Unheimliche und Böse 
5. D) Johann Wolfgang von Goethe

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