Schon zu Leonardo da Vincis Lebzeiten sorgte dieses Wandgemälde für Aufsehen. Es zeigt Jesus beim letzten gemeinsamen Mahl mit seinen Jüngern – und zwar kurz vor seiner Kreuzigung! Du wirst dich wundern, welches Rätsel uns dieses 500 Jahre alte Gemälde auch heute noch aufgibt...
Leonardo da Vinci blickt nachdenklich auf die feinen Brösel, ein Gemisch aus Farbe und Putz. Sie rieseln von der Wand, sobald er sich mit seinem Pinsel auch nur nähert. Woran liegt es, dass die Farbe nicht hält? Zu viel Pigment, zu wenig Öl? Soll er mehr Wasser hinzufügen oder noch mehr Ei?
Da Vinci ist auf der Suche nach der perfekten Farbe für das Fresko, das er hier in Mailands schönstem Kloster gestalten soll. Jeder andere Künstler würde dafür einfach die verdünnten Farben auf den frischen, feuchten Putz auftragen. Nicht so Leonardo da Vinci. Er will leuchtende Farben, er will fließende Farbübergänge und Schattierungen schaffen – all das, was sich mit gewöhnlicher Wandmalerei nicht zustande bringen lässt. Und er braucht einfach mehr Zeit zum Malen – auch das erlaubt ihm die bisherige Technik nicht. Zu schnell verbinden sich da nämlich die Farben mit dem trocknenden Putz. Was also tun?
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Jetzt runterladen!Leonardo da Vinci fand natürlich eine Lösung – noch während er das riesige Wandbild Das letzte Abendmahl schuf. Der Trick: Er mischte seine Farben mit Bindemitteln, die sowohl wässrige als auch fettige Anteile hatten. Die Farben trockneten jetzt nicht mehr so schnell auf dem Putz und ermöglichten es dem Maler, eine atmosphärische Stimmung mit Licht-Schatten-Effekten zu erzeugen. Leider verblassten die Farben schon bald nach der Fertigstellung des Meisterwerkes. Natürlich war es auch nicht sonderlich förderlich, dass direkt hinter der Wand die Klosterküche lag und das Mauerwerk deswegen stets feucht war. Die einst strahlenden Farben wurden regelrecht vom Stein aufgesaugt und im Laufe der Jahrhunderte wurde das Fresko immer mehr beschädigt. Die letzte große Restaurierung unter der Leitung von Giuseppina Brambilla war daher so aufwendig, dass sie 21 Jahre andauerte. Erst seit 1999 ist Leonardos Abendmahl wieder für die Öffentlichkeit zugänglich. Eintrittskarten sind zeitig vor dem Besuch zu buchen, da das Gemälde nur in kleinen Gruppen besichtigt werden kann.
Beim letzten Abendmahl ist das dem Renaissance-Künstler da Vinci in Perfektion gelungen. Mit fast neun Metern Breite und einer Höhe von viereinhalb Metern nimmt das beeindruckende Gemälde eine komplette Wandseite ein. Zu sehen ist es an der Nordwand des Speisesaals (dem sogenannten Refektorium) im Dominikanerkloster Santa Maria delle Grazie in Mailand. Den Auftrag für das Fresko L’Ultima Cena (oder Cenacolo Vinciano – so die italienischen Titel) hatte da Vinci von Ludovico Sforza, Herzog von Mailand, erhalten. An dessen Hof im Castello Sforzesco war der Künstler bereits seit 1482 tätig. Zeitzeugen berichteten, dass Leonardo nur sehr langsam gemalt und oft stundenlang nachdenklich vor seinem Werk gesessen habe. Er malte fast vier Jahre daran – zwischen 1494 und 1498 ist das Bild entstanden.
Und die Mühe hat sich sichtlich gelohnt. Da Vincis Abendmahl verkörpert die Ideale der Renaissance wie kaum ein anderes Werk. Denn in der Renaissance suchten die Künstler nach den idealen Proportionen. Das betraf nicht nur die Darstellung menschlicher Körper. Auch Gebäude oder Räume wollten die Maler besonders realistisch abbilden und entwickelten dafür die sogenannte Zentralperspektive. Den Renaissancemalern gelang es mit dieser Technik, Raumtiefe zu erzeugen.
Beim letzten Abendmahl ist Leonardo da Vinci diese Tiefe ganz besonders gut gelungen. Er schuf einen wirklichkeitsnahen Innenraum, der sich nach hinten zu verjüngen scheint. Diese perspektivische Tiefe war absolut neu in der Malerei.
Es wirkt fast so, als würde die Umgebung, also der klösterliche Speisesaal, in das Bild hineingezogen. Mehr noch: Alle Linien führen zu einem ganz bestimmten Punkt im Bild. Sie führen zu Jesus! Der Mittelpunkt des Gemäldes liegt dann auch ziemlich genau auf seiner rechten Schläfe. Dank der neuen Maltechnik wird der Blick des Betrachters wie von Geisterhand zu Jesus Christus geführt. Erstaunlich, oder?
Leonardos Gemälde und die Kirche Santa Maria delle Grazie wurden 1980 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Zudem diente das weltberühmte Wandbild zahlreichen modernen Künstlern als Inspiration für ihre eigenen Werke. So setzten sich etwa Salvator Dali und Andy Warhol damit auseinander.
Aber schauen wir uns das berühmte Wandbild doch einmal ganz genau an.
Das Wandgemälde zeigt das letzte Abendmahl Jesu, das er gemeinsam mit seinen Jüngern einnimmt. Es wird das letzte Zusammentreffen sein, bevor man ihn festnehmen und kreuzigen wird. Im Zentrum des Geschehens sitzt also der Gottessohn, umgeben von den zwölf Aposteln, die jeweils in Dreiergruppen angeordnet sind. Vom Betrachter aus gesehen, sitzen auf der linken Seite neben Jesus: Bartholomäus, Jakobus der Jüngere und Andreas gefolgt von Judas, Petrus und Johannes. Auf der rechten Seite sind dann Thomas, Jakobus der Ältere, Philippus, Matthäus, Thaddäus und Simon Zelotes zu erkennen.
Jesus in der Mitte ist ruhig und in sich selbst versunken. Seine Hände deuten auf Brot und Wein – seinen Leib und sein Blut, die bald schon als Opfer hingegeben werden sollen. Gerade hat er seinen Jüngern etwas prophezeit: „Einer von euch wird mich verraten!” Die Jünger können kaum glauben, was sie da hören. Ein Verräter? Hier? Unter uns? Sie sind aufgewühlt, aber auch verängstigt, traurig und entsetzt. Erregt diskutieren sie miteinander, gestikulieren wild, noch mit dem Brotmesser in der Hand. Aber wer, diese Frage treibt sie um, wer von ihnen soll der Verräter sein?
Leonardo da Vinci stellte mit dem Abendmahl ein Motiv dar, das in der Kunst recht häufig zu finden ist. Er kannte es sicherlich gut und hatte beispielsweise Domenico Ghirlandaios Version des Letzten Abendmahls schon in Florenz gesehen. Selbst aber wich da Vinci von der damals üblichen Darstellung der biblischen Szene ab. Er schuf seinen eigenen Bildaufbau, der ihm schlüssiger schien und die Reaktion der Jünger auf die Ankündigung des Verrates besser betonte. Denn ursprünglich saß der Verräter nicht mit am Tisch. Bei da Vinci aber schon. Bei ihm sitzt der Apostel Judas, zu erkennen am Geldbeutel in seiner rechten Hand, mitten unter den Jüngern. Mit seiner linken Hand greift Judas – scheinbar gleichzeitig mit Jesus – nach dem Brot. So kennzeichnete ihn da Vinci als Verräter.
Und noch etwas ist anders: Petrus sitzt in den anderen Darstellungen an Jesus anderer Seite. Bei Leonardos Abendmahl aber befindet er sich direkt neben Johannes und steht durch seine Gestik in Verbindung zu ihm. Mit seiner Darstellung des Johannes setzte sich da Vinci ebenfalls von seinen Vorgängern ab. Stellten diese den Lieblingsjünger Jesu noch an dessen Brust lehnend dar, lässt da Vinci seinen Johannes ein Stück entfernt von Jesus sitzen – auf dem Ehrenplatz. Die Figur scheint Jesus zu spiegeln, selbst die Kleidung ist gleich und unterscheidet sich nur dadurch, dass der Umhang bei Johannes rot und bei Jesus blau, das Untergewand blau und bei Jesus rot ist. Und noch etwas scheint an diesem Johannes außergewöhnlich zu sein...
Mit dem 2004 erschienenen Roman „Sakrileg“ von Dan Brown hat Leonardo da Vincis Das Letzte Abendmahl neue Aufmerksamkeit erlangt. Denn der amerikanische Schriftsteller wirft in seinem Buch eine Frage auf, die Wissenschaftler und Betrachter des Gemäldes schon seit geraumer Zeit umtreibt: Könnte der Jünger Johannes in Wahrheit eine Frau sein?
Tatsächlich ist er sehr weiblich dargestellt. Sein Gesicht ist bartlos, die Züge sind weich und fein. Das lange, goldene Haar – ein Schönheitsideal der Renaissance-Frauen – umfließt anmutig das Gesicht und die Augen sind geschlossen. Fast meint man hier eine Madonna zu sehen. Manche wollen sogar einen Brustansatz im Ausschnitt erkennen. Sollte Leonardo hier eine Frau gemalt haben? Könnte es sich um Maria Magdalena handeln – die heimliche Geliebte Jesu?
Nun, es wird ein Geheimnis bleiben. Eines, das der Künstler mit ins Grab genommen hat.
Und das Rätsel um den Jünger Johannes ist nicht das einzige, das uns Leonardo da Vinci hinterlassen hat. Denn noch immer ist ungelöst, welche Person eigentlich hinter dem geheimnisvollsten Lächeln der Welt steckt: hinter dem Lächeln der Mona Lisa.
Zusammenfassung
Leonardo da Vinci war einer der Ersten, der sich in seinen Werken mit Perspektive und räumlicher Tiefe beschäftigte.
In dem Wandbild Das Letzte Abendmahl verwirklichte Leonardo da Vinci seine Idee, dass die Schönheit in der Kunst von wissenschaftlichen Erkenntnissen abhängig sei.
Leonardo da Vinci wich bei diesem Werk von den traditionellen Darstellungen des Abendmahls ab. Der Verräter saß nun mit Jesus am Tisch.
Das Gemälde Das Letzte Abendmahl sorgt immer wieder für Spekulationen: Hat Leonardo da Vinci in der Figur des Jüngers Johannes möglicherweise eine Frau dargestellt?
Teste dein Wissen im Quiz
A) Komplementärfarben
B) Räumliche Tiefe
C) Mixed Media
D) Airbrush
Richtige Antworten:
1. D) Jünger Johannes
2. C) Geldbeutel
3. D) Renaissance
4. A) Ludovico Sforza
5. B) Perspektive und räumliche Tiefe