Hitler war Reichskanzler geworden, und das sogar auf legalem Wege. Und diesen Schein der Legalität würde er auch weiterhin wahren − obwohl er nichts anderes vorhatte, als die deutsche Demokratie zu zerschlagen. In dieser Story hörst du, wie ihm der Brand des Berliner Reichstags dabei in die Karten spielte.
Berlin, Deutscher Reichstag, Sitz des Parlamentes. Es ist später Abend. Der Einbrecher klettert über die Brüstung des Balkons und schaut sich noch einmal um, bevor er in das Gebäude eindringt. Der junge Mann kann kaum etwas sehen, er ist nahezu blind. Er tastet nach dem Kohleanzünder in seiner Tasche, bricht ein Stück ab und entzündet es. Dann legt er es unter einen der schweren Vorhänge an den hohen Fenstern. Schon züngeln die Flammen aufwärts. Der Mann huscht weiter, zum nächsten Raum. Und weiter. Das Treppenhaus ist stockdunkel – er wickelt seinen Pullover zusammen und benutzt ihn als Fackel. Dann das Hemd. Wie im Rausch hetzt der Brandstifter durch die Räume, steckt alles an, was er findet: Tischtücher, Handtücher, Papiere. Kurze Zeit später steht auch der große Plenarsaal in Flammen.
Doch nicht einmal der Brandstifter selbst ahnt zu diesem Zeitpunkt, dass dieses Feuer einen politischen Flächenbrand auslösen wird...
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Jetzt runterladen!Der Brand des Berliner Reichstags am 27. Februar 1933 spielte besonders einem Mann in die Karten: Adolf Hitler. Zum Zeitpunkt des Brands war er gerade einen Monat Reichskanzler und steckte schon wieder mitten im Wahlkampf. Der Brand des Reichstags lieferte ihm schließlich den willkommenen Vorwand für die Errichtung seiner Diktatur: Es gelte, einen kommunistischen Aufstand zu verhindern! Aber von Anfang an. Direkt am Tatort war der niederländische Linksextreme Marinus van der Lubbe festgenommen worden. Ob er ein Einzeltäter war oder ob es weitere Beteiligte gab, wurde nie abschließend geklärt. Aber für Adolf Hitler und seinen Propagandachef Joseph Goebbels war ohnehin nur eines wichtig: Mit dem brennenden Reichstag als Fanal wollten sie beweisen, dass die größte Gefahr für den Staat von Linken und Kommunisten ausgehe. Ihnen kam der Hochverrat eines politisch links stehenden Mannes, ob nun Alleintäter oder nicht, gerade recht. Mit diesen linken „Volksverrätern“ würden die Nationalsozialisten jetzt endgültig aufräumen. Natürlich auf legale Weise, immer schön nach Recht und Gesetz. Die Weimarer Verfassung bot schließlich alle nötigen Instrumente dafür.
Adolf Hitler war in dieser Beziehung schon gut in Übung. Denn kaum war er am 30. Januar ins Kanzleramt eingezogen, hatte er auch schon damit begonnen, die Weimarer Demokratie wieder abzuschaffen. Er ließ Koalitionsverhandlungen mit der katholischen Zentrumspartei platzen und forderte Neuwahlen. Reichspräsident Hindenburg musste also schon wieder den Reichstag auflösen. Was war nur aus der Idee der alten Eliten geworden, Hitler im Kabinett zügeln und beeinflussen zu können? Nichts. Der selbsternannte „Führer“ überrumpelte alle und verfolgte unbeirrt sein eigenes Ziel: die uneingeschränkte NS-Herrschaft und die Gleichschaltung des gesamten politischen und gesellschaftlichen Lebens.
Zunächst aber wollte Hitler mit seiner NSDAP die absolute Mehrheit im Reichstag gewinnen. Diese Mehrheit könnte dann ganz legal beschließen, dass die Regierung künftig auch allein Gesetze erlassen dürfe. Aber war ihm ein derart haushoher Wahlsieg tatsächlich so sicher?
Hitler wollte den erneuten Wahlsieg. Dieses Mal mit absoluter Mehrheit. Also traf er Vorkehrungen und überzeugte Paul von Hindenburg, wieder einmal eine Notverordnung zu unterzeichnen. Sie trug den beschönigenden Titel „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des deutschen Volkes“. Tatsächlich aber diente sie dazu, politischen Gegnern einen wirksamen Wahlkampf unmöglich zu machen – durch Einschränkungen der Presse- und Versammlungsfreiheit sowie Sonderbefugnisse des Innenministers und der Geheimen Staatspolizei Gestapo. Und kaum hatte Hindenburg Anfang Februar 1933 seine Unterschrift unter die Verordnung gesetzt, schlugen die Nazis mit aller Brutalität zu. Linke Zeitungen wurden verboten, SPD-Veranstaltungen von Hitlers Sturmabteilungen zerschlagen. Sogar Gastwirte waren Misshandlungen ausgesetzt, wenn sie ihre Räume an die „falschen“ Parteien vermieteten. Und Hitler selbst? Der zeigte sich in bester Wahlkampf-Laune, versprach jede Menge neue Arbeitsplätze und ließ seine Propaganda über Radio und Straßenlautsprecher im ganzen Reich verbreiten. Die Finanzmittel für seine Wahlkampfschlacht spendeten ihm unter anderem 25 Großindustrielle, die sich von dieser „Investition“ künftige Vorteile versprachen.
Und dann brannte am 27. Februar, also mitten im Wahlkampf, plötzlich das Reichstagsgebäude. Das konnten doch nur die Kommunisten gewesen sein – das war der Beginn einer blutigen Revolution! So ließen es die Nazis landauf, landab verbreiten. Doch so wütend Hitler auch gegen die Kommunisten wetterte: Rein wahltaktisch hätte ihm gar nichts Besseres passieren können!
Noch in der Brandnacht begann in Deutschland eine riesige Verhaftungswelle. Und schon am nächsten Tag unterzeichnete der hochbetagte Reichspräsident Paul von Hindenburg auf Betreiben Hitlers eine weitere Notverordnung: diesmal „zum Schutz von Volk und Staat“; später auch „Reichstagsbrandverordnung“ genannt. Sie setzte sämtliche Freiheitsrechte der Verfassung außer Kraft. Zudem legalisierte diese Notverordnung auch die sogenannte „Schutzhaft“ – willkürliche Verhaftungen von Menschen ohne richterliche Kontrolle. „Jetzt wird rücksichtslos durchgegriffen“, jubelte der „Völkische Beobachter“, das Sprachrohr der NSDAP. Kommunisten und Sozialdemokraten verschwanden zu Tausenden in den Folterkellern der SA und bald auch in den ersten Konzentrationslagern. Die Mandate der Kommunistischen Partei im Reichstag wurden für ungültig erklärt, zahlreiche KPD-Mitglieder verhaftet, unter ihnen auch der KPD-Vorsitzende Ernst Torgler und drei bulgarische Kommunisten: Georgi Dimitroff, Blagoi Popow und Wassil Tanew. Unter der Behauptung einer kommunistischen Verschwörung wurden sie im Herbst 1933 vor dem Reichsgericht Leipzig angeklagt, aber Ende des Jahres freigesprochen. Bis auf van der Lubbe. Er wurde im Januar 1934 hingerichtet.
Eine Frage ist allerdings bis heute nicht restlos beantwortet: Hatte Marinus van der Lubbe am 27. Februar 1933 das Berliner Reichstagsgebäude tatsächlich allein angezündet, wie er in seinem Strafprozess vor dem Reichsgericht aussagte? Bekannte deutsche Autoren wie Fritz Tobias und der Zeithistoriker Hans Mommsen vertreten die These einer Alleintäterschaft van der Lubbes. Andere zweifeln sie bis heute an. Das große Rätsel lautet nämlich: Wie konnte ein einzelner und noch dazu fast blinder Mann mit gerade einmal vier Päckchen Kohleanzünder innerhalb weniger Minuten an mehreren Stellen eines großen Gebäudes Feuer legen?
Fest steht indessen, dass vom Reichstagsbrand in erster Linie die Nationalsozialisten profitierten. Er diente ihnen als Vorwand dafür, ihre politischen Gegner von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Denn wie sollten die Parteien um Wähler werben, wenn sie keine Veranstaltungen abhalten und ihre Wahlprogramme nicht veröffentlichen durften? Die Verhaftungswelle und der Terror der SA-Männer sorgten zusätzlich für ein Klima der Angst.
Kurzum: Die Verfassung der Weimarer Republik stand nur noch auf dem Papier, der Rechtsstaat war nahezu ausgeschaltet − und dies alles trug den Anstrich der Legalität. Denn Hitler und seine Schergen waren durch die beiden Notverordnungen gedeckt, sie handelten formal nach Recht und Gesetz, obwohl sie offenen Terror ausübten. Und genau das erschwerte jeden Widerstand gegen die NS-Diktatur im Dritten Reich. Denn wer sie bekämpfen wollte, musste fortan in den Untergrund gehen – in die Illegalität.
Aber − ist die Rechnung für Hitler wirklich aufgegangen? Nicht ganz. Denn bei der Wahl am 5. März 1933 verfehlte die NSDAP die absolute Mehrheit. Sie würde also weiterhin nur mit einem Koalitionspartner regieren können – zum Beispiel mit der im Parlament bedeutungslosen, aber stramm rechten Deutschnationalen Volkspartei. Aber Hitler hatte andere Pläne. Und keine drei Wochen später fasste das neue Parlament in seiner ersten Sitzung einen folgenschweren Beschluss, der nichts anderes als die eigene Entmachtung bedeutete...
Zusammenfassung
In den späten Abendstunden des 27. Februar 1933 ging das Berliner Reichstagsgebäude in Flammen auf. Am Tatort wurde ein junger Niederländer namens Marinus van der Lubbe festgenommen und im Reichstagsbrandprozess als Brandstifter verurteilt.
Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand veranlasste Hitler den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, die sogenannte Reichstagsbrandverordnung zu unterzeichnen. Diese Verordnung setzte sämtliche Freiheitsrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft.
Das ermöglichte Hitler und seiner Partei, unter dem Deckmantel von Recht und Verfassung politische Gegner auszuschalten. Bereits Anfang Februar waren bereits die Presse- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt worden.
Bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933 erreichte die NSDAP dennoch nicht die absolute Mehrheit.
Teste dein Wissen im Quiz
Richtige Antworten:
1. A) Am 27. Februar 1933
2. B) Volk und Staat
3. D) Paul von Hindenburg
4. B) Marinus van der Lubbe
5. C) Niederlande
6. B) Die Reichstagsbrandverordnung