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Der Steckrübenwinter

Viehfutter zum Abendbrot
Eine junge Frau im ersten Weltkrieg, die Essen in einer Schüssel zubereitet, während ein kleiner Junge zuschaut.
Der Steckrübenwinter
Der Steckrübenwinter
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Inhalte

Intro

Seit zweieinhalb Jahren tobte der Erste Weltkrieg nun schon. Die meisten deutschen Männer saßen in den Schützengräben fest, während ihre Mütter, Frauen und Kinder in der Heimat an Unterernährung litten. Warum es im Winter 1916/17 nur noch Kohlrüben zu essen gab und ob es der Regierung gelang, die größte Not zu lindern, das erfährst du in dieser Story.

Kapitel 1: „Eine wohlorganisierte Hungersnot“

Es zerreißt Dr. Alfred Grotjahn das Herz, dass er nichts mehr für seine ausgemergelten Patienten tun kann. Ihre Rippen stehen hervor, die Zähne fallen ihnen aus, die Wangen sind hohl, die Haut ist fahl und faltig. Kleine Kinder sehen aus wie alte Leute. Seit zwei Jahrzehnten betreibt er nun seine Arztpraxis in Berlin, aber so etwas hat er noch nie erlebt. Die Mütter haben nicht mal mehr Milch für ihre Säuglinge. Im dritten Kriegsjahr fehlt es einfach an allem. Über die trostlose Situation in der Reichshauptstadt notiert er: „Die Allgemeinsterblichkeit steigt jetzt stark. Langsam, aber sicher gleiten wir in eine zurzeit allerdings noch wohlorganisierte Hungersnot hinein.“ Doch was kann ein einzelner Arzt tun, wenn die Kinder vor Hunger sterben? Wenn die Erwachsenen sich nur von Steckrüben ernähren, weil es sonst nichts mehr gibt? Alfred Grotjahn kann nur hoffen, dass der Krieg so schnell wie möglich vorbei ist. Er betet sogar dafür. Denn in diesem Kriegswinter sind die Menschen dem Tod näher als dem Leben ...

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Kapitel 2: Die Rübe als Notnagel

Auf Versorgungsengpässe oder gar Notzeiten war das Deutsche Reich ebenso wenig vorbereitet wie die meisten anderen Kriegsnationen. Mit Hurra-Rufen waren alle Mann an die Front gezogen, an jahrelange Entbehrungen und Hunger hatte 1914 niemand gedacht. Der Entente-Staat England schon: Nicht umsonst blockierten die Briten sofort die deutschen Nachschublinien in der Nordsee, was den U-Boot-Krieg befeuerte. Doch diese britische Seeblockade war nur ein Grund für die Hungersnot in Deutschland: Hunderte Arbeitskräfte wurden aus der Landwirtschaft ab- und zum Kriegsdienst eingezogen; anstelle von Nahrung wurde Munition produziert; Vorräte hatte Kaiser Wilhelm II. nicht anlegen lassen; selbst Grundnahrungsmittel wie Kartoffeln wurden knapp, denn die Kartoffelfäule in Folge eines verregneten Sommers hatte die Erträge bei der Kartoffelernte halbiert; und selbst die Verteilung der vorhandenen Lebensmittel funktionierte miserabel: viel zu umständlich, viel zu bürokratisch. Die Versorgung der Bevölkerung lag somit brach wie die Äcker und Felder. Auch Kohle und Holz gab es in diesem eisigen Winter 1916 kaum noch. Die Menschen froren, wurden krank. Viele starben. Vor allem die Kindersterblichkeit nahm erschreckende Ausmaße an.

Als der Hunger schließlich das ganze Land erfasst hatte, begann die Regierung, Getreidelager zu beschlagnahmen, Lebensmittel zu rationieren und die Ausgabe jeder Ration zu überwachen. Während sich ein paar Reiche auf dem Schwarzmarkt eindecken konnten, standen die meisten Frauen und Kinder vor den Volksküchen Schlange; Feldküchen versuchten, die großen Städte mitzuversorgen. Denn dort war das Elend am schlimmsten. Das Horten von Lebensmitteln war den Menschen zwar verboten worden; trotzdem organisierte die Stadtbevölkerung sogenannte Hamsterfahrten aufs Land; man schleppte Bettwäsche und Tafelsilber zu den Bauernhöfen, um es gegen Brot und Kartoffeln einzutauschen. Dem Kaiser und seiner Regierung blieb aber nichts anderes übrig, als auch solche illegalen Initiativen zu dulden – denn andernfalls, so befürchtete man, würden die hungernden und frierenden Menschen früher oder später gegen die Monarchie aufbegehren und den heimatlichen Burgfrieden gefährden. Inzwischen war es jedoch die Oberste Heeresleitung mit den Herren Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff an der Spitze, die sagte, wo’s lang geht. Den Soldaten an West-, Ost- und Südfront und der Bevölkerung an der Heimatfront. Und was unternahm Paul von Hindenburg? Er gab den Menschen etwas, das in besseren Zeiten nur Rinder und Schweine zu fressen bekamen: Steckrüben. Wegen ihres Geschmacks auch Kohlrüben genannt. Für die Berliner aber war’s bald nur noch die „Hindenburg-Knolle“. Immerhin: Sie wächst selbst unter widrigen Bedingungen und enthält jede Menge Vitamine. Von den dringend benötigten Kalorien hat sie jedoch viel zu wenig. Nun gab es also tagein, tagaus Kohlrüben: In der Früh Kohlrübensuppe, abends Koteletts von der Kohlrübe und zum Dessert Rübenmarmelade oder Rübenkuchen. Da klingt es wie blanker Hohn, dass das Kriegsernährungsamt nicht nur allerlei Spartipps zum „vaterländischen Wirtschaften“, sondern auch Kriegskochbücher herausgeben ließ, während Mütter ihre Babys mit Zeitungspapier wickeln mussten … Ernährungswirtschaftlich schien das Deutsche Reich bereits kapituliert zu haben.

Kapitel 3: Not macht erfinderisch

Die um sich greifende Lebensmittel- und Versorgungskrise führte dazu, dass in den deutschen Haushalten immer mehr Ersatzlebensmittel auf den Teller kamen. Diese sogenannten „Surrogate“ sollten von nun an die Mägen der hungrigen Menschen füllen. Am Ende gab es über 10.000 solcher minderwertigen Ersatzlebensmittel die noch schlechter schmeckten als sie aussahen. Die „Kriegswurst“ beispielsweise bestand aus Kartoffeln und Fleischabfällen, Öl wurde aus Bucheckern und Kastanien gepresst, Kaffee bzw. Muckefuck aus Eicheln oder Zichorienwurzeln gekocht. Da Roggen und Weizen bereits seit 1915 streng rationiert waren, mussten auch Bäckerinnen und Bäcker kreativ sein. Der Vizebürgermeister in Köln war zufällig der Spross einer alteingesessenen Bäckerdynastie. Und da er unter anderem für die Lebensmittelversorgung der Stadt zuständig war, experimentierte er mit Brotteigen aus geröstetem Mais, Kleie, Gersten- und Reismehl, bis schließlich ein Ersatzbrot dabei herauskam, das er „Kölner Brot“ taufte. Offenbar half sein „Kölner Brot“ tatsächlich, die schlimmste Not zu lindern, obwohl es so fürchterlich gerochen und geschmeckt haben soll, dass die Kölner es „Viehfutter“ nannten. Dieser erfinderische Vizebürgermeister war Konrad Adenauer, der Mann also, der gut dreißig Jahre später der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland werden sollte ...

Kapitel 4: Jammern verboten!

Da eine Kartoffel-Missernte im Herbst 1916 die Not im Land verschärfte, wurden schließlich auch Sägespäne und Stroh ins Brot gemischt. Die Kinder starben an Verdauungsstörungen, Eiweiß- und Vitaminmangel, während ihre verzweifelten Mütter mit immer neuen Durchhalteparolen abgespeist wurden. Vor allem sollten sie ihren Männern an der Front ja keine „Jammerbriefe“ schreiben, forderte die Kriegspropaganda. Um die Kampfmoral der Soldaten nicht zu schwächen, wie es hieß. Viele der hart schuftenden, hungernden Frauen nahmen jedoch kein Blatt mehr vor den Mund. Und die Arbeiterbewegung erlebte einen Zulauf wie nie. Aber was sollte das deutsche Volk auch von einer Regierung halten, die nicht mal für das Allernötigste sorgen konnte? Schätzungen zufolge sind während des Ersten Weltkriegs rund 800.000 Menschen in Deutschland an den Folgen von Unterernährung gestorben. Die Oberste Heeresleitung wappnete sich sogar für den Fall, Hungerrevolten niederschlagen zu müssen. Da kam die Nachricht vom Sturz des russischen Zaren gerade recht. In Russland war nämlich eine Revolution ausgebrochen. Diese Neuigkeiten von der Ostfront lieferten der deutschen Regierung Stoff für neue Siegesparolen. Immerhin war der Krieg gegen Russland ja nun zu Ende, und Deutschland hatte einen Gegner weniger. Im Westen aber holten die alliierten Armeen schon bald zur entscheidenden Offensive aus …

Zusammenfassung

  • Die See- und Handelsblockade der Briten war eine der Ursachen für die Versorgungsnot im Deutschen Reich, andere der Arbeitskräftemangel in der Landwirtschaft, weil die meisten Männer an der Front waren, sowie eine schlechte Kartoffelernte.

  • Auf einen mehrjährigen Krieg war Deutschland nicht eingestellt. Lebensmittelvorräte gab es kaum, und es fehlte an funktionierenden Verteilungsstrukturen. 

  • Der Winter 1916/17 ging als Steck- oder auch Kohlrübenwinter in die deutsche Geschichte ein, weil die nach Kohl schmeckende Rübe damals die letzte Nahrungsreserve der Menschen war. Auch immer mehr minderwertige Ersatzlebensmittel − sogenannte Surrogate – kamen auf den Tisch und verschlechterten die Ernährungslage weiter. 

  • Schätzungen zufolge starben während des Ersten Weltkriegs rund 800.000 Menschen in Deutschland an den Folgen von Unterernährung.

Teste dein Wissen im Quiz

  1. Wann war der sogenannte Steck- oder auch Kohlrübenwinter in Deutschland?
    1. A) 1978/1979
    2. B) 1916/1917
    3. C) 1920/1921
    4. D) 1933/1934
  2. Die deutsche Bevölkerung litt während des „Steckrübenwinters” im Ersten Weltkrieg an Hunger und…
    1. A) Nässe
    2. B) Hitze
    3. C) Nebel
    4. D) Kälte
  3. Welchen Spitznamen gaben die Berliner der Steckrübe im Ersten Weltkrieg?
    1. A) Hindenburg-Knolle
    2. B) Ludendorff-Kürbis
    3. C) Italienerwurzel
    4. D) Olle Knolle
  4. Während des Ersten Weltkriegs kamen in deutschen Haushalten unter anderem Muckefuck und Kriegswurst auf den Tisch. Was ist das?
    1. A) Delikatessen
    2. B) Ersatzlebensmittel
    3. C) Tischdekoration
    4. D) Sättigungsbeilagen
  5. Der damalige Vizebürgermeister von Köln dachte sich während des Ersten Weltkrieges ein Rezept für ein Ersatzbrot aus, das er „Kölner Brot” nannte. Wie hieß dieser kreative Mann?
    1. A) Hans-Ulrich Wehler
    2. B) Paul von Hindenburg
    3. C) Konrad Adenauer
    4. D) Sepp Balkhausen

Richtige Antworten:
1. B) 1916/1917
2. D) Kälte
3. A) Hindenburg-Knolle
4. B) Ersatzlebensmittel
5. C) Konrad Adenauer

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