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„Eine gebrochene Frau“

Eben nicht!
Das Bild zeigt das Porträt einer Frau, die nachdenklich in die Ferne blickt, mit einer ernsten und gefassten Miene. Ihr Haar ist streng zurückgekämmt und sie trägt einen hohen Kragen, was an die Darstellung von Simone de Beauvoir in Bezug auf ihr Werk "Eine gebrochene Frau" erinnert.
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Inhalte

Intro

Mit ihrem Erzählband „Eine gebrochene Frau“ wagte sich Simone de Beauvoir an das nächste Tabuthema: Frauen und das Älterwerden. In dieser Story erfährst du, warum Kritiker höhnisch darauf reagierten und weshalb auch Feministinnen, also Menschen, die sich für die Rechte von Frauen einsetzen, wenig mit dem Buch anfangen konnten.

Kapitel 1: Die Kälte in ihr

Der Morgen ist schon fast vorbei. Zeit aufzustehen. Doch sie bleibt liegen. Die Depression hat sie fest im Griff. Alles kommt ihr monoton und leer vor. So lange wie möglich zögert sie den Augenblick hinaus, an dem sie den Tag angehen muss. Und wenn sie es dann endlich aus dem Bett geschafft hat, möchte sie sich sofort wieder hinlegen. Denn solange sie im Bett liegt, kann sie die triste Realität ausblenden – vor allem den Streit mit ihrem Sohn. Es war nicht ihr erster Streit, aber der heftigste. Sie hat ihm gesagt, dass sie keine Achtung mehr vor ihm hat. Und er? Er hat sie eine Tyrannin genannt und ihr mitgeteilt, dass er gut ohne sie leben kann. Seitdem herrscht Funkstille. Dabei denkt sie ständig an ihn, versucht, sich mit Arbeit abzulenken. Stundenlang sitzt sie am Schreibtisch. So lange, bis ihre Knochen schmerzen und sie keinen klaren Gedanken mehr fassen kann. Sie sehnt sich nach etwas. Nach irgendetwas, das sie aus dieser Stimmung herausholt und die Kälte in ihr vertreibt.

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Kapitel 2: Zornig, einsam und frustriert

Mit innerer Kälte und Traurigkeit beginnt Simone de Beauvoirs Erzählband „Eine gebrochene Frau“ aus dem Jahr 1967. Er umfasst drei Geschichten – und jede von ihnen ist auf ihre Weise deprimierend: Drei Hauptfiguren, alle drei jenseits der Vierzig, machen Lebenskrisen durch. Sie fühlen sich allein und erwarten nicht mehr viel von der Zukunft. 

In der ersten Erzählung, „Das Alter der Vernunft“, geht es um eine intellektuelle Mittsechzigerin. Sie hat gefestigte, um nicht zu sagen starre Ansichten, weshalb sie oft mit anderen Menschen aneinandergerät. Anfangs wirkt sie selbstsicher, doch dann erlebt sie familiäre und berufliche Rückschläge: Mit ihrem Sohn streitet sie sich wegen seiner Karrierepläne; ihr neues Buch wird von der Kritik verrissen, und von ihrem Ehemann hat sie sich entfremdet. Ihr fehlt die frühere Vertrautheit. Verbindet sie überhaupt noch etwas? 

Die zweite Erzählung heißt „Monolog“ – und ist genau das: das innere Selbstgespräch einer verbitterten, zornigen Frau. Muriel hat ihre familiären Bindungen verloren und ist vom Leben enttäuscht. Sie sieht sich als Opfer einer Gesellschaft, von der sie nicht respektiert wird. In Selbstmitleid versunken teilt sie gegen alle Menschen aus, die ihr Unrecht getan haben. 

Die dritte Geschichte, „Eine gebrochene Frau“, ist in Tagebuchform geschrieben. Sie handelt von Monique. Die hat ihr ganzes glückliches Leben ihrer Familie gewidmet, den Haushalt geführt und stets ihre eigenen Bedürfnisse denen der anderen untergeordnet. Für sie war jeder Tag ein Werktag. Doch jetzt sind die Kinder ausgezogen, und Monique hat entdeckt, dass ihr Ehemann sie mit einer jüngeren Frau betrügt. Plötzlich steht sie allein da. Niemand braucht und niemand begehrt sie mehr. Sie hat nicht einmal ein eigenes Einkommen. Voller Bitterkeit notiert sie: „Natürlich würde ich nicht vor Kummer sterben, und gerade das war das Allerschlimmste.“ 

So unterschiedlich die drei Erzählungen aufgebaut sind, haben sie doch viel gemeinsam: Jede der drei Frauen ist enttäuscht, wütend und einsam – und jede sieht sich selbst als Opfer. Schuld sind immer die anderen. Simone de Beauvoir interessierte sich für diese Art weiblichen Selbstbetrugs. Die unterschiedlichen Perspektiven betont sie, indem sie für jede der drei Geschichten eine andere Erzähltechnik wählt. Das macht das Buch stilistisch zu De Beauvoirs experimentierfreudigstem Werk. Aber auch inhaltlich ist es nicht ohne. Zwar gibt es in fast jedem ihrer Romane Frauen, die sich von Männern abhängig machen und unglücklich sind. Doch in „Eine gebrochene Frau“ stehen diese Frauen nun im Mittelpunkt.

Kapitel 3: Älter werden ist kein Spaß

Feministinnen waren von De Beauvoirs Frauenfiguren wenig angetan. Sie warfen ihr vor, die Geschichten hätten überhaupt „nichts Kämpferisches“. Sie solle doch lieber starke Vorbilder für Frauen schaffen! Auf diese Kritik aus den eigenen Reihen antwortete De Beauvoir: „Ich fühlte mich nicht gedrängt, exemplarische Heldinnen zu wählen. Das Scheitern, den Irrtum, die Selbsttäuschung zu schildern, bedeutet meiner Meinung nach nicht, an irgendjemandem Verrat zu üben.“ 

Simone de Beauvoir stellte sich also die Frage: Warum gelten Frauenfiguren nur dann als feministisch, wenn sie unabhängig, stark und kämpferisch sind? De Beauvoir wollte ihre Charaktere möglichst lebensnah zeichnen. Deshalb sind ihre weiblichen Figuren nicht immer sympathisch, sie machen Fehler und haben Schwächen. Anders gesagt: Sie sind menschlich. Und damit keineswegs perfekte feministische Vorbilder.

Frauenrechtlerinnen waren aber nicht die Einzigen, die mit de Beauvoirs Erzählband wenig anfangen konnten. Die französische Literaturkritik ließ kein gutes Haar an dem Werk. Im Radio höhnte ein Kritiker, er habe Simone de Beauvoir mit hängenden Schultern, bleich und welk in den Straßen von Paris gesehen. Nun bedaure er seinen kritischen Artikel; mit alten Menschen müsse man schließlich Mitleid haben. Und ein anderer Kritiker spottete: „Ja, ja, Madame, das Altwerden ist eine traurige Sache.“ De Beauvoir war zu diesem Zeitpunkt knapp 60 Jahre alt und ganz sicher keine zerbrechliche Greisin. Warum nur löste ihr Buch so viel Häme aus? Schließlich ist „Eine gebrochene Frau“ weder ein lautes Buch noch ein Buch voller Forderungen.

Kapitel 4: Auge in Auge mit dem Altern

Eigentlich ist „Eine gebrochene Frau“ sogar ein leises, melancholisches Buch. Aber gerade das macht es so radikal. Die Philosophin de Beauvoir zeichnet ein bedrückendes Bild von alternden Frauen, ohne etwas zu beschönigen. Alle drei Frauen in ihrem Buch leben in Beziehungen, in denen die Macht klar zugunsten des Mannes verteilt ist. Sie geben viel und bekommen wenig zurück. Und im Zweifelsfall werden sie einfach gegen eine jüngere Frau ausgetauscht. Die Gesellschaft hat keinen Platz für Frauen, deren Jugend und Schönheit vergangen sind. So stellt die Protagonistin in der Geschichte „Das Alter der Vernunft“ fest: „Ich bin nicht jung, ich bin gut erhalten, und das ist etwas ganz anderes. Gut erhalten – und vielleicht schon erledigt.“ De Beauvoirs Botschaft lautet: Als Frau über vierzig kannst du dich noch so jung fühlen: In den Augen der Gesellschaft bist du trotzdem alt und somit auf dem Abstellgleis.

Insofern ist es kaum verwunderlich, dass Simone de Beauvoir selbst mit dem Älterwerden zu kämpfen hatte; bereits mit Mitte 40 fühlte sie sich alt und verbraucht. Mit der Realität hatte das wenig zu tun, aber de Beauvoir konnte sich nur schwer mit den körperlichen Veränderungen abfinden – zumal auch sie von einem Liebhaber nach mehrjähriger Beziehung für eine jüngere Frau verlassen wurde. Doch anders als ihre drei Hauptfiguren war sie wirtschaftlich unabhängig: Sie verdiente ihr eigenes Geld und hatte einen erfüllenden Beruf, bis zu ihrem Tod im Jahr 1986.

„Mein Werk ist mein Leben“, sagte sie einmal. Und, so sollte hinzugefügt werden: Ihr Leben ist ihr Werk. Ein Werk, das für heftige Debatten gesorgt, aber auch Millionen Menschen erreicht und bereichert hat.

Zusammenfassung

  • In dem Buch „Eine gebrochene Frau“ (Originaltitel „La Femme rompue“, Erscheinungsdatum 1967 bei Gallimard Editions Paris) veröffentlichte Simone de Beauvoir drei Erzählungen über drei frustrierte, zornige und einsame Frauen, die sich selbst als Opfer der Umstände sehen. 

  • Für jede Geschichte benutzt de Beauvoir eine andere Erzähltechnik. Das macht „Eine gebrochene Frau“ zu ihrem experimentierfreudigsten Werk.

  • Zentrales Thema des Erzählbands „Eine gebrochene Frau“ ist das Älterwerden, mit dem auch de Beauvoir selbst zu kämpfen hatte. Hier führt sie uns vor Augen, wie respektlos die Gesellschaft oft mit alternden Frauen umgeht. 

  • Die gebrochene Frau von Simone de Beauvoir war vielen Feministinnen nicht kämpferisch genug. Sie wünschten sich starke, feministische Vorbilder. Doch de Beauvoir ging es um lebensnahe Frauenfiguren mit menschlichen Schwächen und Fehlern.

  • „Eine gebrochene Frau“ ist in Deutschland in einer Übersetzung von Ulla Hengst als Taschenbuch und E-Book bei Rowohlt Hamburg erhältlich und auch antiquarisch lieferbar (rororo-Ausgabe).

  • Weitere bedeutende Werke Simone de Beauvoirs sind: „Memoiren einer Tochter aus gutem Hause“ (1958–1981), „Das Blut der anderen“ (1945), „Alle Menschen sind sterblich“ (1946), „Das andere Geschlecht“ (1949), „Die Mandarins von Paris“ (1958) sowie postum 2020 erschienen „Die Unzertrennlichen“; deutsche Ausgaben alle beim Rowohlt Verlag bzw. als Rowohlt Taschenbuch erschienen.

Teste dein Wissen im Quiz

  1. Wer schrieb das Buch „Eine gebrochene Frau“?
    1. A) Ernest Hemingway
    2. B) Albert Camus
    3. C) Jean-Paul Sartre
    4. D) Simone de Beauvoir
  2. In den Mittelpunkt ihres Buches „Eine gebrochene Frau“ stellte Simone de Beauvoir …
    1. A) … den Widerstand gegen die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg
    2. B) … drei Frauen über 40, die eine Lebenskrise durchmachen
    3. C) … Rassenunruhen in den USA
    4. D) … den Mauerbau in Berlin
  3. Was wird in dem Erzählband „Eine gebrochene Frau“ thematisiert?
    1. A) Sexuelle Belästigung
    2. B) Häusliche Gewalt
    3. C) Das Älterwerden und wie Frauen es erleben
    4. D) Unfälle im Haushalt
  4. Was untersucht Simone de Beauvoir in den drei Erzählungen ihres Buchs „Eine gebrochene Frau“?
    1. A) Weiblichen Selbstbetrug
    2. B) Strategien der Frauenbefreiung
    3. C) Die Geschichte der Emanzipation
    4. D) Frauenschicksale im Krieg
  5. Was bemängelten Feministinnen an den Frauenfiguren der drei Erzählungen? Sie seien …
    1. A) … zu gebildet
    2. B) … zu brav
    3. C) … zu aggressiv
    4. D) … zu zickig

Richtige Antworten: 
1. D) Simone de Beauvoir
2. B) Drei Frauen über 40, die eine Lebenskrise durchmachen
3. C) Das Älterwerden und wie Frauen es erleben
4. A) Weiblichen Selbstbetrug
5. B) … zu brav

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