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Entnazifizierung

Gestern Nazi, morgen Demokrat?
Entnazifizierung
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Intro

Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa: Noch immer saßen alte Nazis in den Behörden oder lehrten an den Schulen. In dieser Story hörst du, was die Alliierten alles taten, um aus Deutschen Demokraten zu machen ...

Kapitel 1: Der unerkannte Täter

Wie besessen jagen die Männer durch die Straßen ihres Heimatortes. Sie reißen Schilder mit Straßennamen von den Stangen, werfen Hitlerbilder und Hakenkreuzfahnen auf lodernde Scheiterhaufen. Alles, was noch an Hitler und seine Schergen erinnert, muss restlos beseitigt werden!

Am frühen Abend haben sie es endlich geschafft. Verschwitzt reißen sie sich die schmutzigen Hemden vom Leib und springen lachend in das trübe Wasser des kleinen Feuerlöschteichs. Nur einer der Männer hält sich abseits. Schweigend blickt er zu Boden, als ihn die anderen zum Mitbaden ermuntern wollen. Dann wendet er sich ab und geht. Er kann nicht einfach so sein Hemd ausziehen. Niemals wieder wird er einfach so sein Hemd ausziehen können. Denn dann würden es alle sehen. Eine Tätowierung, die seine Blutgruppe zeigt – das für alle Zeiten eingebrannte Erkennungszeichen der SS ...

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Kapitel 2: Die vier Ds

Das Hitlerreich lag in Trümmern, Deutschland war in vier Besatzungszonen geteilt. Nun sollten alle Hinterlassenschaften des verbrecherischen Regimes beseitigt werden. So hatten es die Siegermächte in ihren Konferenzen vereinbart und in der Potsdamer Konferenz letztmalig bekräftigt. Der Alliierte Kontrollrat erließ Anfang 1946 die entsprechende Direktive und überwachte die Entnazifizierung Deutschlands in allen vier Besatzungszonen. Sie verlief nach vier Grundprinzipien – den sogenannten vier Ds: Sie stehen für Denazifizierung, Demilitarisierung, Dezentralisierung und Demokratisierung. Die Demilitarisierung hatte den Abbau des Militärs und der Rüstungsindustrie im Sinn. Durch die Dezentralisierung sollte eine zu starke Konzentration der Macht verhindert werden. Die De- oder auch Entnazifizierung bedeutete unter anderem, dass die Partei der Nationalsozialisten – die NSDAP – verboten wurde. Ehemalige Mitglieder der NSDAP sollten von allen Schlüsselstellen des öffentlichen Lebens entfernt und Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt werden. Die Demokratisierung schließlich zielte vor allem darauf ab, demokratische Parteien und Gewerkschaften in Deutschland wieder zu erlauben und die Freiheit der Rede, der Presse und der Religion zu sichern. Verankert wurden diese vier Ds im Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus.

Kapitel 3: Das große Aufräumen

Anfang 1946 begann der Alliierte Kontrollrat, die Entnazifizierung Deutschlands in allen vier Besatzungszonen umzusetzen. Überall verschwanden die Spuren der Nazidiktatur von der Bildfläche, wurden Waffen und Uniformen vernichtet, Verlage und Bibliotheken ausgemistet, Gebäude von Hakenkreuzen und Klassenzimmer von Hitlerbildern befreit.

Doch auch wenn noch so viele Hitler-Büsten zerschlagen und noch so viele Blendfassaden des Unrechtsregimes eingerissen werden konnten – all das war nur äußerlich. Es waren nur Symbole. Wie aber bekam man die Naziideologie des verflossenen Dritten Reichs aus den Köpfen der Deutschen? Die Siegermächte trafen auf ein Volk, das die Mär von der arischen Herrenrasse begeistert aufgesogen und sich willig dem Dienst für Führer, Volk und Vaterland gewidmet hatte. Und sie trafen auf Menschen, die weggeschaut oder sogar gejubelt hatten, als ihre jüdischen Nachbarn in Ghettos und Todeslager deportiert wurden. Mehr als acht Millionen Erwachsene hatten der NSDAP angehört, Hunderttausende waren Mitglieder der deutschen Waffen-SS sowie anderer NS-Organisationen und ihrer Gliederungen gewesen!

In den Nürnberger Prozessen vor dem Internationalen Militärgerichtshof im Herbst ‘45 waren die Hauptkriegsverbrecher zur Verantwortung gezogen worden, die vom Schreibtisch aus die NS-Verbrechen in den überfallenen Ländern befehligt hatten. Aber zahllose untergetauchte weitere Täter dieser Schreckensdiktatur galt es noch aufzuspüren.

Kapitel 4: Persilscheine

Sowjets, Briten, Franzosen und Amerikaner schlugen bei der Entnazifizierung in ihren Besatzungszonen unterschiedliche Wege ein. Die sowjetischen Militärbehörden und ihre Geheimpolizei handelten äußerst rigoros. Viele Menschen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) – der späteren DDR – wurden verhaftet und verschwanden für viele Jahre in Internierungslagern – darunter auch etliche, die einfach nur von anderen angeschwärzt worden waren oder dem kommunistischen System kritisch gegenüberstanden. Bis 1949 hielt diese politische Säuberung an.

Unter den Westmächten ging die amerikanische Militärregierung bei der Umsetzung des Befreiungsgesetzes am konsequentesten vor. In der amerikanischen Zone musste jeder Erwachsene einen Fragebogen mit 131 Fragen ausfüllen, in denen sie über ihr gesamtes Leben während der NS-Zeit Auskunft zu geben hatten. Es wurden sogenannte „Spruchkammern“ gebildet, eine Art Gerichte, in denen über die Schuld eines jeden einzelnen Deutschen verhandelt und geurteilt wurde. Hier entschieden Laienrichter, ob jemand Haupttäter, Nutznießer oder Mitläufer im NS-Regime gewesen war. Dass die Verdächtigen dabei wohl nicht immer die ganze Wahrheit sagten, liegt auf der Hand. Doch es gab noch eine andere Möglichkeit, sich von jedem Verdacht reinzuwaschen: Man ließ sich einfach von unverdächtigen Mitbürgern ein Entlastungszeugnis, also eine schriftliche Unschuldsbestätigung ausstellen! Treffenderweise nannte man diese Dokumente „Persilscheine“. Wer ein solches Schreiben zu seiner Rehabilitierung vorweisen konnte, war im wahren Wortsinn „sauber“ und durfte wieder in seinen Beruf zurück. Nicht zuletzt diese Persilschein-Praxis trug dazu bei, dass nach dem offiziellen Ende der Entnazifizierung viele ehemalige Parteigenossen und SS-Mitglieder wieder im öffentlichen Dienst tätig waren: als Lehrer, Kriminalbeamte, Staatsanwälte oder gar Richter.

So waren im Westen und Süden Deutschlands bald viele hohe Ämter wieder mit ehemaligen NSDAP-Mitgliedern besetzt – auch, weil die Briten und Franzosen in ihren Besatzungszonen die Zügel der Entnazifizierung bald schleifen ließen. Wichtiger war ihnen der Wiederaufbau der Wirtschaft, zudem konnten und wollten sie nicht die gesamte Arbeit in Verwaltung, Justiz und Bildung allein bewältigen. Sie waren auf deutsche Fachkräfte angewiesen. Und die gehörten vorwiegend den alten Eliten an – kein Wunder, denn in Nazideutschland waren Regimegegner aus allen diesen Bereichen entfernt worden.

Kapitel 5: Schocktherapie

Nun sollte der Nazispuk raus aus den Köpfen der Deutschen. Dafür setzten die Westalliierten in ihrem Einflussbereich auf eine „Re-Education“. Die Deutschen sollten also dem Wortsinne nach zu Demokraten um-erzogen werden. Eine wirklich gewaltige Aufgabe. Konkret bedeutete das politische Bildung auf allen Kanälen: Es gab Filmvorführungen, Podiumsdiskussionen, das Bildungswesen sollte reformiert und ein neues Rundfunksystem eingerichtet werden.

Und für all jene, die noch immer behaupteten, sie hätten von den grausamen Verbrechen der Nazis nichts gewusst, hielten die Alliierten eine besondere Schocktherapie bereit: Fotografien aus den befreiten Konzentrationslagern! Sie wurden an die Fassaden öffentlicher Gebäude gehängt. Aber nicht nur das. Bereits im April 1945, noch während der letzten Kämpfe des Krieges, hatten die Amerikaner rund 1600 Einwohner von Weimar dazu gezwungen, das nur wenige Kilometer entfernte KZ Buchenwald in all seiner grausigen Realität zu besichtigen: die ausgemergelten Toten, den riesigen Verbrennungsofen mit menschlicher Asche darin, die Folterstätten. Die Filmaufnahmen dieser Konfrontation der Zivilbevölkerung mit den realen Spuren unvorstellbarer Verbrechen gingen um die Welt. 

Während die Entnazifizierungsverfahren liefen, nahmen die Spannungen zwischen den westlichen Demokratien USA, Großbritannien und Frankreich auf der einen sowie der Sowjetunion auf der anderen Seite zu. Die Sowjetunion hatte kein Interesse daran, ganz Deutschland zu einer parlamentarischen Demokratie umzubauen und damit ihren Einflussbereich an den Westen zu verlieren. Und die Westalliierten – allen voran die USA – erhofften sich ein stabiles demokratisches Deutschland in der Mitte Europas.

Die Folge: Der demokratische Aufbau blieb auf die drei Westzonen beschränkt, die wenige Jahre später zur Bundesrepublik Deutschland werden sollten.

Nach und nach bildeten sich zwei gegensätzliche politische Systeme heraus. Und immer öfter stritten sich die Siegermächte über inhaltliche Fragen zum Beispiel des Wiederaufbaus. Als die Westmächte schließlich für ihre Besatzungszonen eine Währungsreform beschlossen, kam es zu einer ernsten Krise zwischen den einstigen Verbündeten.

Zusammenfassung

  • Die Siegermächte USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion einigten sich auf die sogenannten vier Ds für Deutschland: Denazifizierung, Demilitarisierung, Dezentralisierung und Demokratisierung.

  • Die Denazifizierung wurde ab 1946 von den Besatzungsmächten in die Praxis umgesetzt. Nationalsozialisten wurden aus verantwortlichen Positionen in Behörden, Schulen und anderen Stellen entfernt, ihre Organisationen verboten.

  • Allerdings schafften es vor allem in den Westzonen viele alte Nazis zurück an die Schaltstellen in Wirtschaft und Justiz, Universitäten und Verwaltungen. Dazu trug die Praxis der „Persilscheine“ bei, aber auch der Mangel an erfahrenen Fachkräften in diesen Berufen.

  • Die Spannungen zwischen den westlichen Demokratien und der Sowjetunion nahmen zu. Der demokratische Aufbau beschränkte sich in der Folge auf die amerikanische, französische und britische Besatzungszone.

Teste dein Wissen im Quiz

  1. Auf welcher Konferenz haben sich die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs letztmalig über die Entnazifizierung Deutschlands abgestimmt?
    1. A) Potsdamer Konferenz
    2. B) Konferenz von Casablanca
    3. C) Teheran-Konferenz
    4. D) Wannseekonferenz
  2. Welche Institution bereitete die Entnazifizierung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg vor und überwachte sie?
    1. A) Der Deutsche Bundestag
    2. B) Der US-Geheimdienst
    3. C) Der Alliierte Kontrollrat
    4. D) Die KPD
  3. Womit konnten sich Deutsche während der Entnazifizierung vom Verdacht einer Schuld sozusagen reinwaschen?
    1. A) SED-Mitgliedschaft
    2. B) Persilscheine
    3. C) Fahneneide
    4. D) Amnestie
  4. Die sogenannten vier Ds stehen für Denazifizierung, Demilitarisierung, Dezentralisierung und …?
    1. A) Demokratisierung
    2. B) Demoralisierung
    3. C) Destabilisierung
    4. D) Deichbau
  5. In welcher Stadt fanden im Herbst 1945 die Hauptkriegsverbrecher-Prozesse vor dem eigens berufenen Internationalen Militärgerichtshof statt?
    1. A) Hamburg
    2. B) München
    3. C) Nürnberg
    4. D) Frankfurt

Richtige Antworten: 
1. A) Potsdamer Konferenz
2. C) Der Alliierte Kontrollrat
3. B) Persilscheine
4. A) Demokratisierung
5. C) Nürnberg

FAQs

Was bedeutet Entnazifizierung?

Der Begriff bezeichnet das Vorgehen der Besatzungsmächte (USA, Großbritannien, Frankreich und Sowjetunion) gegen die personellen und ideellen Hinterlassenschaften des NS-Regimes nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Schuldige des NS-Regimes sollten zur Rechenschaft gezogen, ehemalige Parteimitglieder der NSDAP von wichtigen Positionen in der Gesellschaft entfernt werden. Den ersten Höhepunkt der Entnazifizierung bildeten die Nürnberger Prozesse 1945/46 gegen hochrangige NS-Verbrecher. Die weitere Ent- bzw. Denazifizierung hatte dann mehr die Entwicklung eines neuen, demokratischen deutschen Staatswesens im Blick, und die Besatzungsmächte gaben die Zuständigkeit für die Entnazifizierung bald an die Deutschen selbst ab.

Wer hat die Ent- bzw. Denazifizierung Deutschlands beschlossen?

Die letzten Abstimmungen über die Entnazifizierung Deutschlands trafen die Siegermächte auf der Potsdamer Konferenz. Im Januar 1946 gab der Alliierte Kontrollrat in Berlin eine Direktive heraus, die unter anderem die Personengruppen nannte, die aus öffentlichen Ämtern und von verantwortlichen Posten in der Wirtschaft entfernt werden sollten.

Was geschah bei der Entnazifizierung?

Unmittelbar nach Kriegsende wurden aktive Nationalsozialisten und Funktionsträger – insbesondere aus dem Polizei- und SS-Apparat sowie der Verwaltung – in sogenannten „automatischen Arrest“ genommen. Darüber hinaus musste jeder Erwachsene in einem umfangreichen Fragebogen seinen kompletten politischen Lebenslauf offenlegen. Vor allem die Mitgliedschaft in der NSDAP und weiteren NS-Organisationen war anzugeben. Die Auswertung oblag je nach Besatzungszone unterschiedlich zusammengesetzten Kommissionen, Ausschüssen und sogenannten Spruchkammern. Sie waren mit ehemaligen Widerstandskämpfern, Gewerkschaftern und anderen als zuverlässig geltenden Personen besetzt und bestimmten anhand vorgegebener Kriterien den Grad der Mitschuld im Einzelfall.

Was hatten Täter des NS-Regimes bei der Denazifizierung Deutschlands zu erwarten?

Je nach Grad der Schuld wurden unterschiedliche Sühnemaßnahmen verhängt. Das konnten Geldstrafen oder Berufsverbote sein, aber auch Haftstrafen in einem Arbeitslager. Um den Grad der Schuld bzw. Mitschuld zu beurteilen, gab es zum Beispiel in der amerikanischen Zone fünf Kategorien: 1. Hauptschuldige, 2. Belastete (Aktivisten, Militaristen und Nutznießer), 3. Minderbelastete, 4. Mitläufer und 5. Entlastete. Letztere galten als rehabilitiert und hatten nichts mehr zu befürchten.

Wie viele Deutsche wurden während der Entnazifizierung inhaftiert?

Zwischen 1945 und 1950 haben die Alliierten insgesamt mehr als 400.000 Deutsche verhaftet und ohne Einzelfallprüfung in Internierungslagern festgehalten. In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) saßen in sogenannten Speziallagern nicht nur ehemalige Nationalsozialisten, sondern auch viele Personen, die von den Sowjets oder ab 1949 vom DDR-Regime als politische Gegner angesehen wurden.

Worin unterschied sich die Entnazifizierung in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) von der in den drei Westzonen?

In der Sowjetzone diente die Entnazifizierung – neben Bodenreform und Verstaatlichungen – zugleich auch dazu, den kommunistischen Machtanspruch im Rahmen der „antifaschistisch-demokratischen Umwälzung“ durchzusetzen. Während die Westmächte Menschen aus dem gesamten demokratischen Spektrum in verantwortliche Positionen zu bringen suchten, kamen in der SBZ hauptsächlich Kommunisten an die entscheidenden Stellen. Insgesamt verlief die Entnazifizierung dort rigoroser als in den Westzonen.

Wann endete die Ent- bzw. Denazifizierung Deutschlands?

Ungefähr zum Ende des Jahrzehnts. Bereits gegen Ende des Jahres 1946 ließ insbesondere bei den britischen und französischen Militärbehörden das Interesse an einer konsequenten und nachhaltigen Entnazifizierung sichtbar nach. Das lag zum einen daran, dass dem wirtschaftlichen Wiederaufbau die höhere Priorität eingeräumt wurde. Zum anderen wuchsen die Spannungen zwischen den Westmächten und der Sowjetunion. Daraus ergab sich auf beiden Seiten die politische Notwendigkeit, das Millionenheer der „kleinen Nazis“ für die jeweils aufzubauende neue Ordnung zu gewinnen. Sie wurden also zunehmend mit Nachsicht behandelt und verhängte Sanktionen durch Amnestiegesetze gemildert.

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