Diesen Ohrwurm kennst du ganz sicher. Vielleicht als Handyklingelton oder aus einem Werbespot, aus einem Kinofilm oder der Telefonwarteschleife. Und eben weil Beethovens „Für Elise“ schon so oft gespielt wurde, haben wir verlernt, richtig hinzuhören. In dieser Story aber wirst du Beethovens Stück komplett neu erleben. Du erfährst, welch spannende Bedeutung darin steckt und warum die Dame „Elise“ bis heute ihr Geheimnis bewahren konnte.
Ludwig van Beethoven sitzt am Klavier und präsentiert seine neueste Komposition im Kreise einer adeligen Gesellschaft. Beim Spielen blickt er verstohlen zu einer jungen Frau hinüber. Ihr, seiner Angebeteten, hat er dieses Stück im Geheimen gewidmet. Sie jedoch schenkt ihre Aufmerksamkeit dem Grafen, der sie in ein angeregtes Gespräch verwickelt. Der Mann hört einfach nicht auf zu reden – laut, lachend, respektlos. Beethoven unterbricht sein Spiel abrupt und springt auf: „Für solche Schweine spiele ich nicht!“, ruft er und verlässt den Salon.
Er läuft den Flur hinunter zum Ausgang; mit jedem Schritt steigert sich seine Wut. Sie widern ihn alle so an. Diese affektierte Gesellschaft verdient es überhaupt nicht, seine Werke zu hören. Beethoven läuft zurück in den Salon, um seinem Zorn Luft zu machen. Doch dann sieht er seine Schöne, wie sie in Gedanken versunken inmitten der Gäste sitzt. Seine Wut weicht hoffnungsloser Sehnsucht und Traurigkeit. Er fühlt sich, als drehte er sich im Kreis und landete dabei immer wieder bei ihr: seiner unerreichbaren Liebe.
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Jetzt runterladen!Auch in dem Klavierstück „Für Elise“ dreht sich alles im Kreis. So sehr es sich auch wandelt, alles kehrt zu der einen Melodie zurück. Eine solche Form der Komposition wird in der Klassik „Rondo“ genannt. In einem Rondo dreht sich alles um einen wiederkehrenden Teil – das sogenannte „Hauptthema“. Es bildet den Grundgedanken, ähnlich dem Refrain oder Chorus eines Liedes. Und selbst die Melodie scheint sich um sich selbst zu drehen – gleichförmig und beständig, melancholisch und sehnsüchtig. Dabei verbindet sie sich mit der tiefen Begleitung zu einer rhythmischen Einheit. Hören wir in diesen beiden Stimmen zwei sich heimlich Liebende, so läuft der Bass der Melodie mit jedem Takt hinterher – aber er „kriegt“ sie nie ...
Wer aber war die geheimnisvolle Elise?
Dazu gibt es mehrere Theorien, von denen sich bisher keine 100prozentig beweisen ließ – denn die Original-Partitur ist verschollen. Entdeckt wurde sie überhaupt erst 40 Jahre nach Beethovens Tod, und zwar in München von dem Musikschriftsteller Prof. Ludwig Nohl. Ihm zufolge trug das Autograph (Originalhandschrift) die Widmung: „Für Elise am 27 April zur Erinnerung von L. v. Bthvn“. Spätere Musikwissenschaftler meldeten allerdings Zweifel an und vermuteten, dass die Widmung „Für Therese“ geheißen haben müsse. Gemeint sei Therese Malfatti von Rohrenbach zu Dezza, der Beethoven im Jahr 1810 wohl einen Antrag gemacht hatte. Sie wies ihn ab (zugunsten des Österreichers Wilhelm von Droßdik), aber nachweislich hatte der Komponist ihr sein Notenblatt mit dem Klavierstück übersandt. Therese vererbte es später dem Pianisten und Komponisten Rudolph Schachner. Und bei dessen Mutter entdeckte Prof. Nohl im Jahr 1865 das Albumblatt mit der Widmung und fertigte eine Abschrift. Zum Glück, denn kurz darauf ging das Original verloren und tauchte bis heute nicht wieder auf.
Immer wieder haben sich Musikwissenschaftler der Suche nach dem Original und dessen geheimnisvoller Widmungsträgerin gewidmet. Könnte es zum Beispiel vielleicht die damals 17-jährige deutsche Sopranistin Elisabeth Röckel gewesen sein? Sie war eine enge Freundin Beethovens und hatte ihm kurz vor seinem Tod sogar eine Haarlocke abgeschnitten – zur Erinnerung. Geheiratet hat sie trotzdem einen anderen: den Komponisten Johann Nepomuk Hummel.
Eine weitere Vermutung wiederum geht dahin, dass die Widmung gar nicht von Beethoven selbst geschrieben, sondern später hinzugefügt wurde: nämlich vom späteren Besitzer des Originals Rudolph Schachner, in dessen Leben es gleich zwei Frauen dieses Namens gab: seine Ehefrau Elise (geb. Wendling) und seine Tochter. Allerdings hatte Prof. Nohl seinerzeit ausdrücklich betont, dass die Widmung des Klavierstücks unzweifelhaft von Beethovens Hand stammte. Die wahre Identität von Elise ist also bis heute ungeklärt.
Der eigentliche und offizielle Name des Stücks lautet „Bagatelle Nr. 25 in a-Moll“. Das Wort „Bagatelle“ kommt aus dem Französischen und bedeutet „Kleinigkeit“ oder auch „kleine Liebschaft“. Diese kurzen Klavierstücke galten damals als anspruchslose und schlichte Kompositionen. Beethoven nutzte dies zu kreativen Zwecken: Mit seinen Bagatellen konnte er frei von strengen Formen herumexperimentieren und Genregrenzen überschreiten. Und er bewies, dass auch im Kleinformat technisch anspruchsvolle Werke entstehen konnten.
Doch kommen wir zum nächsten Teil des Klavierstücks. Wenn das Hauptthema der Refrain ist, dann folgt nun die erste Strophe. Das Besondere an einem Rondo ist, dass sich die Strophen komplett voneinander unterscheiden und auch mit dem Chorus wenig gemein haben. Es klingt wie ein Tanzstück aus der Epoche des Barock. Solche Klänge waren selbst damals eigentlich Musik von gestern. Aber auf Feierlichkeiten der gehobenen Klasse waren diese Tanzstücke immer noch sehr beliebt.
In diesem Teil ist der Kontrast zum Hauptthema so extrem, dass man meinen könnte, Beethoven hätte die Adelsgesellschaft hier bewusst karikiert. Wir hören ein seichtes Lied, das nirgendwo anecken will und der puren Unterhaltung dient. Gut möglich, dass Beethoven hier die adelige Gesellschaft ein wenig verspotten wollte.
Auf gewisse Weise parodiert sich das Stück sogar selbst. So, als wollte Beethoven hier ganz bewusst alle Klischees bedienen: Die Bagatelle als Feel-good-Popsong für einfache Gemüter. Hier ist die Welt in Ordnung, und alle haben Spaß. Doch die heitere Maskerade gerät schnell ins Stocken, und das Stück landet erneut beim Hauptthema. Dem folgt nun aber nicht wieder die Rückkehr in die heile Welt. Marschierende Bässe und aufblitzende Harmonien lassen düstere Gefühle aufziehen wie einen Wirbelsturm. Hier findet der dramatische Höhepunkt des Klavierstücks statt.
Beethovens Rondo besteht somit aus drei unterschiedlichen Teilen. Ihre Gegensätzlichkeit bestimmt die Komposition. Weil sich im Rondo aber alles im Kreis dreht, gibt es keinen Weg hinaus. Die Melodie der unerfüllten Sehnsucht spielt immer weiter, als wäre nichts passiert, und verklingt schließlich im Raum.
Beethoven wurde für sein Werk geschätzt, jüngere Zeitgenossen wie Franz Schubert, Robert Schumann und Peter Tchaikovsky verehrten ihn und eiferten ihm nach, ebenso ein enger Freund seiner Wiener Jahre: Johann Nepomuk Hummel. Aber in der Liebe hatte er kein Glück. Zeitlebens sollte er Junggeselle bleiben. Verliebt war er häufig, allerdings meist in adelige Frauen – oft junge Damen, die bei ihm ihre Klavierstunden nahmen. Weil er aber bürgerlicher Herkunft war, konnte er keine von ihnen heiraten. Das „van“ in seinem Namen sieht auf den ersten Blick zwar adelig aus, weist aber lediglich auf die Wurzeln der Familie Beethoven hin. Er wuchs zwar in Bonn auf, die Vorfahren seines Vaters aber stammten aus der Region Flandern im heutigen Belgien. Möglicherweise waren sie Bauern, denn „van Beethoven“ bedeutet wörtlich übersetzt: „von den Rübenhöfen“.
Mit jeder Ablehnung wuchs sein Unwillen über die Adeligen – obwohl er als Kunstschaffender auf deren Aufträge angewiesen war. An Selbstbewusstsein und Forschheit fehlte es Beethoven nie, doch war er gekränkt, wenn er auf seine bürgerliche Herkunft verwiesen wurde. „Mein Adel ist hier und hier“ sagte er einst und deutete auf Kopf und Herz. Und auch wenn sein Gehörleiden und seine gescheiterten Liebesbeziehungen ihn zunehmend vereinsamen ließen, gab es eine Quelle der Kraft in seinem Leben, zu der er immer wieder zurückkehrte. In seiner 6. Sinfonie – der „Pastorale“ – verwandelt er sie in Musik.
Zusammenfassung
Das Klavierstück a-Moll WoO 59 „Für Elise“ wurde erst 40 Jahre nach Beethovens Tod entdeckt. Die wahre Identität von Elise ist bis heute ungeklärt.
Beethoven hatte kein Glück in der Liebe. Er verliebte sich oft in adelige Frauen, die er jedoch als Bürgerlicher nicht heiraten konnte. Die unerreichbare Liebe wird in seinem Stück „Für Elise“ hörbar.
Ein Rondo ist eine Komposition aus sehr unterschiedlichen Teilen, die immer wieder zu einer Hauptmelodie zurückkehren.
„Van Beethoven“ heißt wörtlich übersetzt „von den Rübenhöfen“. Der Nachname weist auf seine familiären Wurzeln hin: Seine väterlichen Vorfahren stammten aus der Region Flandern im heutigen Belgien.
Teste dein Wissen im Quiz
Richtige Antworten:
1. D) unbekannte Angebetete
2. A) Rondo
3. B) „Von den Rübenhöfen“
4. D) Beethoven
5. C) Für Elise