Seit fast vier Jahrzehnten war Deutschland ein geteiltes Land – ohne Hoffnung auf Wiedervereinigung. Doch dann betrat ein Politiker die Bühne, der die Welt auf den Kopf stellen sollte …
Es ist der 7. Oktober 1989. Die DDR ist auf den Tag genau 40 Jahre alt. Für DDR-Chef Erich Honecker ein willkommener Anlass, um eine kraftstrotzende Party zu feiern. Schließlich will er der Welt zeigen, wie gut es seinem sozialistischen Staat geht. Doch Honecker hat die Rechnung ohne die eigenen Bürger gemacht. Der Bevölkerung ist nämlich so gar nicht nach Party. Und während Honecker in Berlin mit 4000 geladenen Gästen einer protzigen Militärparade beiwohnt, wächst auf den Straßen der Unmut über die DDR-Diktatur. Immer mehr Menschen gehen für die Freiheit auf die Straße!
Und dann wird ausgerechnet Honeckers Ehrengast zum größten Partycrasher …
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Jetzt runterladen!Ehrengast bei den verordneten Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR war kein Geringerer als Michail Gorbatschow, Staats- und Parteichef der Sowjetunion. Und er war es, der Erich Honecker endgültig die Party vermasselte. Denn die Menschen feierten nicht Honecker, sondern Gorbatschow. „Gorbi, Gorbi“, riefen sie. Mit ihm verbanden sie die Hoffnung auf Veränderungen. Und als ein Reporter Gorbatschow fragte, ob er die aktuelle unruhige Situation in der DDR für gefährlich halte, antwortete er mit den Worten: „Ich glaube, Gefahren warten nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren!“
Es war ein Satz, der Geschichte schreiben sollte. Er galt dem DDR-Chef Erich Honecker. Ja, eigentlich waren es im Herbst ’89 nur noch Erich Honecker und seine letzten Getreuen vom Politbüro und dem Zentralkomitee der SED, die nicht auf das Leben reagierten. Der Partei- und Staatschef der DDR war so ziemlich der Letzte, der den dezenten Hinweis des sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow nicht verstand. Oder vielmehr: nicht verstehen wollte. Denn Honecker glaubte noch immer fest an den Sieg des Sozialismus über den Kapitalismus. Er war sogar davon überzeugt, dass seine DDR zu den führenden Industrienationen der Welt gehöre!
Dabei hatte sich die DDR in den letzten Jahren nur noch mit Krediten in Milliardenhöhe über Wasser halten können. Die Luft war von Kohle-Abgasen verpestet. Aus den volkseigenen Chemiefabriken flossen ungebremst giftige Abwässer in die Flüsse und verursachten eine nicht enden wollende Umweltkatastrophe. Ja, die DDR stand vor dem Zusammenbruch. Die meisten aus Honeckers Führungsspitze wussten das – auch wenn sie der Bevölkerung auf allen Kanälen immer noch die heile sozialistische Welt vorgaukelten. Aber die Menschen glaubten der Propaganda immer weniger. Und der Wind der Veränderung wehte immer kräftiger. Denn eine neue Politik der riesigen Sowjetunion machte auch den Menschen in der DDR neuen Mut. Dahinter stand ein Mann, der im März 1985 zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPDSU) gewählt worden war: Michail Gorbatschow.
Gorbatschow war als einfacher Bauernsohn im Kaukasus aufgewachsen. Er studierte Rechtswissenschaften in Moskau, später schloss er noch ein Studium der Agrarwissenschaften ab. Der junge Gorbatschow war ein überzeugter Kommunist, aber die wirtschaftlichen und politischen Missstände im Sowjetstaat blieben ihm trotzdem nicht verborgen. Er kritisierte sie – und muss schon damals ein besonderes diplomatisches Geschick bewiesen haben. Denn statt in einem der gefürchteten Arbeitslager der Sowjets zu landen, stieg er die parteipolitische Karriereleiter empor. Mit 54 Jahren wurde Gorbatschow schließlich Generalsekretär der KPDSU und damit einer der jüngsten Staatschefs, die jemals in der Sowjetunion an den Hebeln der Macht saßen.
Schon kurz nach seinem Amtsantritt stellte er sein Programm vor, mit dem er das ganze festgefahrene System der Sowjetunion grundlegend umgestalten wollte. Das russische Wort dafür heißt Perestroika, zu Deutsch: Umgestaltung. Der Begriff Perestroika war bald auch im Westen so populär, dass er direkt in den deutschen Duden aufgenommen wurde. So neu und nahezu unglaublich war das, was Gorbatschow unverzüglich in Angriff nahm. Erstmals seit Stalins Zeiten sollten privat geführte Unternehmen erlaubt, Eigenverantwortung gefördert und die staatliche Kontrolle heruntergefahren werden. Und Gorbatschow ging noch einen Schritt weiter.
Von nun an durften die Menschen im riesigen Sowjetstaat ihre Meinung frei äußern. Wer für Frieden und gegen die wachsende atomare Bedrohung der Welt demonstrierte, galt nicht länger als Staatsfeind. Gorbatschow ließ mehr Pressefreiheit zu. Und Partei wie Regierung sollten die Missstände im Sowjetstaat nicht länger vertuschen, sondern sie beim Namen nennen und anpacken. Eine offene, transparente Politik war das Ziel – in der Landessprache ausgedrückt: Glasnost. Das bedeutete Offenheit. Und diese neue Politik der Perestrojka und Glasnost, der Umgestaltung und der Offenheit also, sollte auch für jene Staaten in Osteuropa gelten, die nicht zur Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) gehörten, aber sowohl politisch als auch militärisch (im Warschauer Pakt) unter ihrer Kontrolle standen. Gorbatschow erklärte: Wenn sich ein Staat dieses Bündnissystems gegen den Sozialismus entscheiden würde, dann werde die Sowjetunion nicht eingreifen. Mit anderen Worten: Länder wie Polen, Ungarn, die Tschechoslowakei oder die baltischen Staaten durften ab sofort ihre eigenen Wege gehen. Die Zeit der Breschnew-Doktrin, die seit November 1968 das Selbstbestimmungsrecht der Ostblockstaaten eingeschränkt und die Niederschlagung des Prager Frühlings gerechtfertigt hatte, war Geschichte.
Doch Gorbatschow erkannte noch etwas anderes: Alle Reformen würden wirkungslos sein, solange das Wettrüsten im Kalten Krieg mit den USA gigantische Summen verschlang. Denn die Rüstungsausgaben waren seit Jahrzehnten stetig gewachsen – und die Sowjetunion stand vor dem Staatsbankrott. Also beschloss Gorbatschow, mit US-Präsident Ronald Reagan über die Abschaffung der strategischen Atomwaffen auf europäischem Boden zu reden. Im Dezember 1987 war es soweit: Gorbatschow und Reagan unterzeichneten in Washington den bahnbrechenden INF-Vertrag. Nukleare Gefechtsköpfe sollten entschärft, Raketen vernichtet, gegenseitige Kontrollen ermöglicht werden.
Michail Gorbatschow hatte also mit seinem neuen Kurs das Ende des Kalten Kriegs eingeläutet. Allerdings trugen ausgerechnet seine Reformen auch zum Ende der Sowjetunion bei, was man ihm in Putins Russland bis heute ankreidet.
Und die DDR? Dort bekam die Widerstandsbewegung gegen die sozialistische Regierung immer mehr Zulauf. Die Menschen protestierten gegen die rückständige, engstirnige Politik und gegen die Grenze, die seit Jahrzehnten Ost- und Westdeutsche voneinander trennte. Sie forderten Meinungs- und Reisefreiheit, freie und geheime Wahlen sowie die Auflösung der Staatssicherheit. Eine friedliche Revolution bahnte sich an. Und alle waren sich nun einiger denn je: Die Mauer muss weg!
Zusammenfassung
Michail Gorbatschow wurde 1985 Staatschef der Sowjetunion und brachte in den folgenden Jahren eine Reihe von Reformen auf den Weg.
Gorbatschows Reformpolitik wurde in ganz Europa unter den Begriffen „Glasnost“ und „Perestroika“ bekannt. Übersetzt bedeutet das soviel wie: „Offenheit“ und „Umgestaltung“.
Gorbatschow gestand auch den Ostblock-Ländern eigene Wege zu. Diese neuen Entwicklungen wirkten sich auch auf Deutschland aus, es gab neue Hoffnung auf die Wiedervereinigung von BRD und DDR.
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Richtige Antworten:
1. D) Michail Gorbatschow
2. A) 1985
3. B) Umgestaltung
4. C) Offenheit
5. A) Erstarken der Widerstandsbewegung
Der Begriff Glasnost, eine Wortschöpfung aus dem Kirchenslawischen, bedeutet auf Deutsch „Offenheit“. Das russische Wort „Perestrojka“ bedeutet „Umgestaltung“. Beide Begriffe stehen für die Reformpolitik von Michail Gorbatschow, der ab 1985 einen neuen Kurs in der Sowjetunion einläutete.
Gorbatschow bekannte sich zu Meinungsfreiheit und zur Abschaffung der Planwirtschaft. Erstmals seit Stalins Zeiten sollten privat geführte Unternehmen erlaubt, Eigenverantwortung gefördert und die staatliche Kontrolle heruntergefahren werden. Außerdem durften die Menschen im riesigen Sowjetstaat ihre Meinung frei äußern. Wer für Frieden und gegen die wachsende atomare Bedrohung der Welt demonstrierte, galt nicht länger als Staatsfeind. Gorbatschow ließ mehr Pressefreiheit zu. Und Partei wie Regierung sollten die Missstände im Sowjetstaat nicht länger vertuschen, sondern sie beim Namen nennen und anpacken.
Gorbatschow hatte gesagt: Wenn sich ein Staat gegen den Sozialismus entscheiden würde, dann werde die Sowjetunion nicht eingreifen. Seine Reformpolitik der Perestrojka (Umgestaltung) und Glasnost (Offenheit) gab unter anderem der Widerstandsbewegung in der DDR Aufwind und ermöglichte die Friedliche Revolution, die am Ende zur deutschen Einheit führen sollte.
Überraschend stieß sie anfangs eher auf Misstrauen. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) hielt den neuen sowjetischen Staatschef vor allem für einen versierten Propagandisten – und trat im Oktober 1986 bei einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin „Newsweek“ kräftig in den diplomatischen Fettnapf, indem er sagte: „Goebbels verstand auch etwas von Public Relations”. Einen Monat später traf sich Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher in Wien mit seinem sowjetischen Amtskollegen Eduard Schewardnadse – und in den folgenden Monaten verbesserten sich die Beziehungen zwischen BRD und Sowjetunion allmählich, wenn auch seitens der Kohl-Regierung noch sehr vorsichtig. Gorbatschow lud nacheinander die CDU-Politiker Richard von Weizsäcker, Franz Josef Strauß und Lothar Späth zu sich ein, und im Herbst 1988 reiste Helmut Kohl selbst nach Moskau. Fotos zeigten ihn und Gorbatschow in Strickjacken auf Baumstamm-Stühlen um einen runden Gartentisch sitzend. Das Eis war gebrochen.
Er ging aktiv auf den damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan zu, um über die atomare Abrüstung und gegenseitige Kontrolle auf dem Gebiet der Atomwaffen zu verhandeln. Im Dezember 1987 unterzeichneten beide Staatschefs das INF-Abrüstungsabkommen über die Verschrottung atomarer Mittelstreckenraketen. Außerdem sorgte Gorbatschow für den Rückzug der Sowjettruppen aus Afghanistan.
Er ließ sich nicht von der Bevölkerung des Gastgeberlandes abschirmen, sondern ging offen und spontan auf die Menschen zu. Ebenso auch auf Presse und Fernsehen. Das war neu, denn sowjetische Staatsgäste waren bisher nur in gepanzerten Limousinen zu sehen und, wenn überhaupt, mit vorgefertigten Worthülsen zu hören. Gorbatschow war anders. Bei seinem Staatsbesuch am 6. Oktober 1989 in Ostberlin, nachdem er in der Gedenkstätte Neue Wache Unter den Linden die Opfer des Faschismus geehrt hatte, schritt er zur Überraschung der Wächter und Personenschützer auf die wartenden Journalist*innen zu – und sagte in einem spontanen Kurzinterview jenen Satz, dessen Kurzform um die Welt ging und im Deutschen bis heute ein geflügeltes Wort ist.
Der Ausspruch wurde dem sowjetischen Staat- und Parteichef Michail Gorbatschow im Zusammenhang mit seinem Staatsbesuch in der DDR 1989 zugeschrieben. Tatsächlich hatte er an diesem 6. Oktober etwas andere Worte benutzt. Als ein Schweizer Reporter ihn fragte, ob er die aktuelle unruhige Situation in der DDR für gefährlich halte, wurde seine Antwort simultan so ins Deutsche übersetzt: „Ich glaube, Gefahren warten nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren. Und wer die vom Leben ausgehenden Impulse – die von der Gesellschaft ausgehenden Impulse aufgreift und dementsprechend seine Politik gestaltet, der dürfte keine Schwierigkeiten haben; das ist eine normale Erscheinung.“ Einen Tag später – am 7. Oktober, dem vom DDR-Regime befohlenen Feiertag des 40-jährigen Bestehens der DDR – zitierte sein Pressesprecher Gennadi Gerassimow bei einer internationalen Pressekonferenz Gorbatschow auf englisch mit einem Satz, den dieser im persönlichen Gespräch zu Honecker gesagt habe: „Those who are late will be punished by life itself.“ Gorbatschow sagte später augenzwinkernd, sein Sprecher habe da etwas frei interpretiert – aber er räumte gleichzeitig ein: Gerassimow habe da „etwas zu Ende gedacht“. International wurde dieser Satz jedenfalls dahingehend verstanden, dass die Sowjetunion dem DDR-Regime nicht helfen werde, die Friedliche Revolution niederzuschlagen.
Litauen, Estland und Lettland erklärten im Jahr 1990 als erste Teilrepubliken ihre Unabhängigkeit, im Jahr darauf trat die Ukraine aus der Sowjetunion aus. Bis Ende 1991 folgten alle übrigen Sowjetrepubliken ihrem Beispiel. Im Dezember desselben Jahres galt die Sowjetunion offiziell als aufgelöst. An ihre Stelle trat die „Gemeinschaft Unabhängiger Staaten“ (GUS) mit 15 unabhängigen Mitgliedern – und denen war jetzt vor allem der Aufbau der eigenen Wirtschaft wichtig und nicht mehr das atomare Wettrüsten mit den USA.