Es gilt als Meilenstein deutscher Demokratiegeschichte: das Hambacher Fest im Jahr 1832. In dieser Story erfährst du, wie dieses Nationalfest der Deutschen vor der Ruine des Hambacher Schlosses zustande kam, wer die schwarz-rot-goldene Fahne erfunden hat und welche Rolle die Medien im Vormärz spielten.
Die Organisatoren trauen ihren Augen kaum: Mit rund 1.000 Teilnehmern hatten sie gerechnet, doch die Menge wird von Minute zu Minute größer. Aus allen Himmelsrichtungen strömen Menschen zum Marktplatz des pfälzischen Städtchens Neustadt an der Haardt. Solch einen Auflauf hat der Pfälzer Ort nie zuvor erlebt. Rund 30.000 Menschen sind dem Aufruf zu einem gemeinsamen Marsch auf das Hambacher Schloss gefolgt. Alle Altersklassen sind vertreten und nahezu alle Berufsgruppen: Weinbauern und Weber, Händler und Handwerker, Anwälte und Apotheker, Ärzte und Lehrer. Die größte Sensation ist jedoch der hohe Anteil der Frauen in dieser bunten Festgemeinde. Kein Wunder: Die Veranstalter vom Deutschen Preß- und Vaterlandsverein haben sie ausdrücklich eingeladen!
Inzwischen ist der Marktplatz so voll, dass im Gedränge kein Taschentuch mehr zur Erde fallen könnte. Musikkapellen spielen, Lieder werden angestimmt und Fahnen geschwenkt, es herrscht Volksfeststimmung. Gegen 9 Uhr heißt es „Abmarsch!“ Der lange Festzug setzt sich in Bewegung, vier Kilometer geht es den Schlossberg hinauf zur Schlossruine. Dort oben aber wird sich der Charakter der Veranstaltung grundlegend ändern.
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Jetzt runterladen!Das Hambacher Fest im Mai 1832 im heutigen Neustadt an der Weinstraße war die größte politische Veranstaltung, die Deutschland bis dahin erlebt hatte. Offiziell war sie als Volksfest angekündigt. Doch das war nur eine geschickte Tarnung der Veranstalter, um das Versammlungsverbot zu umgehen. Denn in Wirklichkeit war das Hambacher Fest eine gewaltige friedliche Demonstration für Volkssouveränität, Freiheitsrechte und nationale Einheit, ja, auch für ein friedliches Europa. Denn neben oppositionellen Deutschen waren auch Franzosen, Engländer und Polen dabei. Das Fest dauerte mehrere Tage. Insgesamt mehr als 30 Redner wandten sich während dieser Zeit an die Menge. Sie forderten die deutsche Einheit, Bürgerrechte wie Meinungs- und Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, demokratische Strukturen und eine Neuordnung Europas auf der Grundlage freier, gleichberechtigter Staaten.
Der Wunsch nach deutscher Nationalwürde, nach einem Staat mit liberaler Verfassung hatte sich in den zurückliegenden Jahren quer durch alle Bevölkerungsschichten verbreitet. Nicht nur Studenten, Professoren und gutsituierte Bürger trugen ihn mit, sondern auch Handwerker, Bauern und das sogenannte einfache Volk. Und das hatte gleich mehrere Ursachen. Missernten hatten die Preise für Kartoffeln und Brotgetreide in astronomische Höhen getrieben, die Wirtschaft steckte in der Krise, Hunger und Elend grassierten. Im Juli jagten die Franzosen ihren selbstherrlichen König Karl X. davon, und im Herbst desselben Jahres erlangte Belgien die Unabhängigkeit. Wenige Wochen später erhoben sich die Polen gegen die russische Fremdherrschaft. Ihr Aufstand scheiterte, aber er hatte in den deutschen Landen eine Welle der Solidarität ausgelöst. Als französische Freiheitskämpfer auf ihrem Weg ins französische Exil durch die deutschen Länder zogen, wurden sie überall begeistert gefeiert. Und auf dem Hambacher Fest wurde die polnische Fahne feierlich an vorderster Stelle im Festzug mitgetragen.
Die Wahl des Veranstaltungsortes war bewusst auf die Pfalz gefallen. Denn die Ideale der Französischen Revolution wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit waren hier längst in der Bevölkerung verankert. Nach der Eroberung durch Napoleons Truppen war die Pfalz an Frankreich angegliedert worden. Das hieß zwar Fremdherrschaft, brachte den Bewohnern aber auch die rechtliche Gleichstellung nach dem französischen Zivilrecht, dem Code civil. Und nicht nur das: Der Anschluss an Frankreich befreite auch Wirtschaft und Handel von lästigen Beschränkungen und Zollschranken, wie sie zwischen den übrigen deutschen Kleinstaaten bestanden.
Im Jahr 1815 aber endete die französische Besatzung, und im Jahr nach dem Wiener Kongress wurde die Pfalz, vordem „Rheinkreis” genannt, dem Königreich Bayern angegliedert. Immerhin durfte sie ihr französisch geprägtes Rechtssystem weitgehend behalten, aber für alle politischen Zeitungen und Zeitschriften galt nun auch hier die Zensur. Anfangs wurde sie von gemütlichen Pfälzer Beamten nicht ganz so streng ausgelegt wie in den anderen Staaten des Deutschen Bundes. Das ergab ein günstiges Klima für liberale und nationale Ideen, rief aber schließlich doch Gegenreaktionen der Staatsmacht hervor. Schließlich hatten die Fürsten der deutschen Staaten in den Karlsbader Beschlüssen vereinbart, wie sie ihre Untertanen wirkungsvoll an der Kandare halten wollten. Vor allem diese aufmüpfigen Studenten! So etwas wie das Wartburgfest, auf dem erstmals die Einigung Deutschlands gefordert worden war, sollte nie wieder vorkommen!
Nun wurden also auch in der Pfalz Zeitungen verboten und Druckerpressen zwangsstillgelegt. Und im März 1832 wurde auch der Preß- und Vaterlandsverein verboten. Aber – harmlose Volksfeste feiern, das durfte man doch wohl noch?
Ja, das durfte man. Wenn auch mit Hindernissen.
Mitte April schalteten Mitglieder des Preß- und Vaterlandsvereins in der „Neuen Speyerer Zeitung“ eine Anzeige, in der sie zu einem großen Volksfest am 27. Mai an der Hambacher Schlossruine einluden. Die Staatsmacht untersagte es, aber empörte Pfälzer pochten auf das Versammlungsrecht – und setzten die Erlaubnis tatsächlich durch.
Die als Volksfest getarnte politische Veranstaltung konnte also beginnen. Seine Hauptorganisatoren waren der Anwalt und Journalist Johann Georg August Wirth und der Publizist Philipp Jakob Siebenpfeiffer.
Viele der Besucher, die dort oben am Schloss den aufrührerischen Reden lauschten, trugen Fahnen oder Anstecker in drei Farben: Schwarz, Rot und Gold. Was viele nicht wissen: Unsere heutigen Nationalfarben stammten ursprünglich aus der Studentenbewegung. Im Juni 1815 hatten Studenten aus allen Teilen Deutschlands in Jena die erste gemeinsame Burschenschaft gegründet: die sogenannte Urburschenschaft. Sie verstand sich nicht mehr nur als studentische Interessenvertretung, sondern mehr noch als nationale Reform- und Freiheitsbewegung. Für ihre Fahne wählte die Urburschenschaft die Uniformfarben des Lützow’schen Freikorps, dem sich viele Studenten während der Befreiungskriege zum Kampf gegen Napoleons Truppen angeschlossen hatten.
Die Urburschen-Fahne sah allerdings noch etwas anders aus als die deutsche Flagge, wie wir sie heute kennen: Sie bestand aus zwei roten und einem schwarzen Balken, der mit einem goldenen Eichenzweig bestickt war. Diese drei Farben erhob die Burschenschaftsbewegung schließlich zum Statement für ein freies und einiges Deutschland – zu den Nationalfarben also. Die Hauptfahne des Hambacher Festes 1832 zeigte diese Farben dann zum ersten Mal in der heute üblichen Reihenfolge – ergänzt durch den Schriftzug „Deutschlands Wiedergeburt“.
Und als wäre das alles noch nicht genug, sorgten die Hauptorganisatoren nach dem Fest auch noch dafür, dass die wichtigsten dort gehaltenen Reden gedruckt und verbreitet wurden. Das war nun endgültig zu viel für die Obrigkeit...
Der König von Bayern schnaubte vor Wut. Diese bodenlose Frechheit, ihre aufrührerischen Reden auch noch schriftlich zu verbreiten, konnte er seinen Pfälzer Untertanen nun wirklich nicht durchgehen lassen! Das alles musste schleunigst beendet werden. Also schickte der König Truppen in die Pfalz und ließ die Rädelsführer des Hambacher Festes festsetzen. Versammlungsverbot und Pressezensur wurden nochmals verschärft, und nun wurden auch Volksfeste verboten. Sogar Geschirr und Souvenirs mit Hambacher Motiven wurden beschlagnahmt – als angebliche Zeichen revolutionärer Gesinnung. Und auch die schwarz-rot-goldene Fahne durfte nicht mehr öffentlich gezeigt werden. Dass die „revolutionären Umtriebe“ damit allerdings immer noch nicht gestoppt waren, beweist das sogenannte „Schwarze Buch“, das die Justizbehörde in Frankfurt 1838 veröffentlichte. Es enthält Namen und persönliche Daten von 1.867 Personen aus dem ganzen Bundesgebiet, gegen die in den Jahren nach dem Hambacher Fest polizeilich ermittelt wurde.
Es waren aber nicht nur Verbote, Zensur und Bespitzelung, die den Menschen in den deutschen Landen das Leben schwer machten. In den unteren Schichten der Gesellschaft nahm die Armut immer weiter zu und verschärfte sich durch zwei schlimme Missernten zu einer Hungerkatastrophe. Auch sie gehörte zu den Zutaten, aus denen sich schließlich die Deutsche Revolution zusammenbraute.
Zusammenfassung
Ende Mai 1832 fand auf dem Hambacher Schloss in der Pfalz die größte politische Veranstaltung der deutschen Geschichte statt. Gut 30.000 Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft nahmen daran teil, ebenso Gäste aus weiteren europäischen Ländern.
Viele Demonstranten trugen die Farben Schwarz-Rot-Gold. Sie stehen für Freiheit, Einheit und Demokratie. Außerdem zeigte die Hauptfahne des Hambacher Festes die Deutschlandflagge zum ersten Mal in der heute üblichen Reihenfolge.
Das Hambacher Fest gilt als Meilenstein deutscher Demokratiegeschichte. Trotz Bestrafung der Organisatoren und weiterer Einschränkungen der persönlichen Freiheit war das Streben nach nationaler Einheit und politischer Mitbestimmung nicht mehr aufzuhalten.
Der Aufruf zur Teilnahme am Hambacher Fest erfolgte durch den „Deutschen Preß- und Vaterlandsverein zur Unterstützung der Freien Presse”, kurz Deutscher Preß- und Vaterlandsverein.
Teste dein Wissen im Quiz
Richtige Antworten:
1. B) In der Pfalz
2. A) Die nationale Einheit Deutschlands
3. D) Schwarz-Rot-Gold
4. A) Der Deutsche Preß- und Vaterlandsverein
5. C) Der hohe Frauenanteil im Teilnehmerfeld